dasmuffin
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22.Kapitel
Von irgendwoher hörte ich die gedämpften Klänge eines Klaviers. Entweder es drang durch die Boxen im Krankenhaus oder aus einem der Zimmer, wo die Patienten mit ihrem Schicksal haderten.
Es roch steril und kränklich, als wüsste ich nicht was hier alles in der Luft schwirrte, aber es war eigentlich auch egal. Ich fuhr mir durch mein Haar und ballte die Hand zur Faust, dann trat ich ein. In dem Zimmer war es dunkel, die Vorhänge waren zugezogen und kein Licht brannte.
Schwer gewöhnten sich meine Augen an das fremde Licht und ich erkannte schemenhaft ein Bett und einen Schrank stehen.
Unschlüssig blieb ich stehen. Schließlich erkannte ich ein Geräusch. Es war das langsame, gleichmäßige Atmen eines Menschen und da begann ich erneut leise zu weinen. Ich schloss die Tür leise hinter mir und lehnte mich dagegen, während ich versuchte keinen Ton von mir zu geben, um die schlafende Person nicht zu wecken, aber es war nicht einfach, denn es war, als befand sich ein drückender Stein auf meiner Brust, der mich zu ersticken drohte.
„Leila?“, hörte ich eine schwache, leise Stimme vom Bett wieder und erkannte sie sofort. Ich schluckte die Tränen energisch hinunter und wischte mir jedes Anzeichen von Schwäche aus dem Gesicht. Dann tastete ich mich zitternd zu dem Bett vor und blieb davor stehen, als ich mit meinen Fingerkuppen das sanfte Laken ertastet hatte.
„Ich bin hier“, hauchte ich und im nächsten Moment bewegte sich etwas vor mir. Ich erkannte die Umrisse eines Menschens vor mir, der auf dem Bett lag und die Hände neben sich ausgestreckt hatte. Die Art, wie die Gestalt den Kopf bewegte, atmete und sprach ließ mich wieder erkennen, dass ich Tristan vor mir hatte.
„Das ist schön“, seufzte er und streckte seine Hand nach mir aus. Ich biss meine Lippen zitternd aufeinander und legte meine Hand sanft in seine.
„Geht es dir besser?“, fragte ich vorsichtig. Er atmete schwer und langsam aus.
„Ja, ich denke schon. Meine Blutwerte werden wieder besser, es war wohl einfach zu viel“, sagte er, aber es beruhigte mich nicht, denn ich spürte wie viel Kraft es ihn kostete zu sprechen, am liebsten wollte ich es ihm verbieten, aber es gab noch zu viel, was nicht gesagt worden war.
„Ich will, dass du mir zuhörst“, sagte ich und kniete nieder, hielt seine Hand weiter in meiner „Wir haben wahrscheinlich beide Fehler gemacht, aber ich habe etwas getan was mir unverzeihlich ist und es tut mir leid. Dich hier zu sehen, gibt mir das Gefühl dir das angetan zu haben, aber ich weiß, dass ich keine Schuld tragen, du ebenso wenig. Ich will nur, dass du weißt, dass ich bei dir bleibe und wenn du das nicht willst bleibe ich trotzdem. Ich kann nicht anderes!“
Tristan schwieg. Ich sah nicht wohin er blickte, aber ich wusste, dass er mich ansah, dass er mich erkannte. Ich spürte einen leichten Druck an meiner Hand und erwiderte ihn zaghaft.
„Leila. Es ist meine Schuld, dass ich nun hier bin. Meine Werte waren stabil, aber ich habe alles vernachlässigt und das war mein Fehler, wäre ich zu den ärztlichen Terminen gegangen hätten sie gesehen, dass meine weiße Blutkörperchenanzahl steigt, dann wäre es nie zu dem Zusammenbruch gekommen. Du hast keine Schuld daran, aber das glaubst du mir sowieso nicht“, ich entnahm seiner Stimme ein Lächeln und lächelte auch in die Dunkelheit hinein.
„Kannst du mir jemals verzeihen?“, fragte ich nach einiger Zeit.
„Es gibt nichts zu verzeihen.“
Dann schwiegen wir beide, obwohl mir soviel auf der Seele brannte. Es gab soviel was ich ihn fragen wollte und in diesem Moment nicht konnte, weil ich einfach nichts zerstören wollte. Ich spürte wie er meine Hand wieder mehr drückte und mich so sanft zu sich hinabzog.
„Gott, wie habe ich dich vermisst. Dich und die Streitereien, das ist wirklich komisch. In den letzten Tagen habe ich mir gewünscht mich lieber mit dir zu streiten, als dich nicht zu sehen“, schmunzelte er.
„Du bist verrückt“, sagte ich kopfschüttelnd, aber so schüchtern, als hätte ich Angst dieses zaghafte Band, dass sich wieder zwischen uns aufbaute zu zerstören.
„Verrückte nach dir“, hauchte er und umschloss meinen Kopf mit seinen Händen, drückte seinen Mund auf meinen und atmete wollig aus. Auch ich genoss es ihm endlich wieder so nahe zu sein, wie ich ihm immer nah sein wollte.
Das Laken raschelte, als er zur Seite rutschte und mich langsam neben ihn bettete. Während er mich weiter küsste streifte ich meine Schuhe ab und steckte die Füße ganz unter die Bettdecke, unter welcher es warm und angenehm war. Tristans Geruch stieg mir in die Nase und ließ meinen Magen taub werden, meine Gedanken setzten aus und ich versuchte nicht mehr verzweifelt Worte zu finden. Wenn er mich küsste war alles an seinem richtigen Platz.
Langsam verstummten die Krankenhausgeräusche und rutschten in weite Ferne, ließen uns da zurück, wo wir sein wollten, wo uns niemand stören konnte. Tristans Hände wanderten an meinem Körper entlang, als er sich halb aufrichtete und das Bett knarrte. Ich schloss die Augen und legte langsam meinen Kopf in den Nacken, entblößte meinen Hals, den er mit tausend Küssen bedeckte. Die Welt drehte sich nicht mehr, schien still zu stehen und nur auf uns hinabzublicken, während seine Hände sich unter mein Hemd schoben und ich es zuließ.
„Tristan“, hauchte ich verloren, doch er ließ mich zu keinem weiteren Gedanken kommen, umschloss meinen Mund und alle Einwände mit einem berauschten Kuss. Ich wollte ihm sagen, dass dies nicht der passende Ort war, dass jeden Moment jemand hineinkommen konnte und dass ich doch immer den Moment bestimmen wollte, wann es geschehen sollte, aber dann traf mich mit seinem Mund ein, über alles stehender, Gedanke, dass es egal war. Dass nichts mehr von Bedeutung war und dass er Tristan war in wessen Hände ich nun alles legte.
Durch die dicken Wände drangen die Geräusche des Krankenhauses noch immer, doch mit jeder Berührung und jedem Kuss verstummten sie und verschwanden schließlich ganz. Ich neigte meinen Kopf in den Nacken und atmete schwer, als Tristan meinen Hals mit Küssen bedeckte und mit seiner Hand eine Spur aus Prickeln hinterließ.
Es war so einfach sich ihm hinzugeben und es tat so verdammt gut.
*
„Dr. Peterson?“, fragte ich vorsichtig und hielt einen jung aussehenden Arzt am Ärmel fest. Als er sich umdrehte erkannte ich, dass er so jung nicht einmal mehr war. Seine schwarzen Haare wiesen kein graues Haar auf, jedoch umgaben seine Augen kleine Krähenfüsse und um seinen Mund hatten sich ebenfalls kleine Falten gebildet.
„Ja, bitte?“, fragte er überrascht.
„Mein Name ist Leila Hatherley. Ich bin die Freundin von Tristan Marx, der hier momentan in Ihrer Behandlung ist. Ich hätte da ein paar Fragen“, erklärte ich vorsichtig.
„Sind sie verheiratet oder mit Herr Marx verwandt?“, fragte er und in mir begann es zu brodeln. Natürlich war ich das nicht! Ich schüttelte also den Kopf und wartete auf die Reaktion, die vorausschauend war.
„Dann kann ich Ihnen keine Auskunft geben, tut mir leid.“ Dr. Peterson war schon im Begriff sich abzuwenden, als ich mich ihm in den Weg stellte.
„Dr. Peterson, bitte warten Sie. Sie kennen Herr Marx doch nun schon seit seiner Diagnose und ob ich ihn morgen heirate oder nicht wird an meinem Verhältnis zu ihm nichts ändern. Ich liebe ihn mehr, als ich es mir eingestehen wollte und nun da alles perfekt scheint, will ich nur wissen wie lange es das sein wird, wie lange es dauern wird bis…“, ich stockte und drängte meine Tränen energisch zurück. Dr. Peterson starrte mich an und lächelte zaghaft.
„Tristan hat sehr viel über Sie erzählt, noch bevor er sich seinen Gefühlen nicht bewusst war, war ich es“, Dr. Peterson umklammerte seine Unterlagen in seinen Händen fester und atmete schwer aus. „Er wird es Ihnen sicher sagen, aber ich habe dafür keine Befugnisse.“
„Natürlich wird er mit mir reden, aber glauben Sie nicht, dass er mir alles erzählen wird? Ich brauche nur die Wahrheit. So hart sie auch sein mag“, erwiderte ich energisch. Dr. Peterson stockte und sah mich weiterhin an. Es verstrichen ein paar Sekunden, bis ich schließlich ein leichtes Nicken erkannte.
„Kommen sie um acht Uhr in mein Büro. Ich werde dann ein paar Minuten für sie Zeit haben.“
Mit einem Lächeln voller Tränen drückte ich ein „Danke“, hervor und wandte mich ab.
*
„Herr Marx befindet sich im Moment in der Akzelerationsphase, sie ist eine Übergangsphase zum Blastenschub, der ohne die nötige Behandlung schnell zum Tod führt. Sein Organismus ist immer weniger in der Lage, den Leukozytenüberschuss und die daraus resultierende Blutarmut zu kompensieren. Beide Symptome verschlechtern sich“, erklärte Dr. Peterson und ich lauschte ihm gespannt und interessiert.
„Als weiteres Merkmal, findet sich in der Akzelerationsphase bereits eine erhöhte Anzahl von Blasten im Blut.“
„Blasten?“, hackte ich nach. Dr. Peterson lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
„Blasten sind noch nicht ausgereifte Blutzellen, die aufgrund ihrer großen Zahl aus dem Knochenmark ins Blut ausgeschwemmt werden. Je mehr Blasten der Körper ins Blut ausschüttet, umso gefährlicher wird es.“
„Wird bei einer Leukämie nicht immer eine Knochenmarksspende gemacht?“, fragte ich weiter.
„Ja, wenn es gut läuft schon. Herr Marx steht auch in einer Spenderdatei und wartet auf einen Spender, doch bis zu diesem Zeitpunkt hat sich noch niemand gefunden, der mit seinem Blutbild übereinstimmt. Die Zeit läuft uns allmählich davon“, gestand Dr. Peterson und rieb sich über seine Stirn. Ich schluckte hart.
„Was ist mit einer Chemotherapie?“
Dr. Peterson seufzte schwer.
„Herr Marx hat dies abgelehnt, in dem er sagte, dass eine Chemotherapie nur das unausweichliche hinauszögert und so leid es mir tut muss ich ihm beipflichten. Eine Chemotherapie heilt nicht. Zu einer vollkommenen Genesung reicht nur eine Knochenmarkstransplantation, doch je mehr Zeit verstreicht, umso schwieriger wird es für uns. Herr Marx wollte mit den Nebenwirkungen der Chemotherapie nicht leben.“
Ich fuhr mir durch die Haare und drückte mich fester in den Stuhl, um etwas zu tun. Aber da war nichts. Ich würde mich untersuchen lassen, all meine Freunde bitten es zu tun, damit vielleicht doch ein Spender gefunden werden würde, doch was wenn nichts passte? Was wenn es keinen Weg gab, außer den unausweichlichen? Was wenn…
„Ich würde gerne mein Blutbild untersuchen lassen“, sagte ich leise und blickte auf. Dr. Peterson nickte und faltete die Hände zusammen.
„Ich denke, es würde vielleicht helfen.“ Vielleicht. Vielleicht. Das war alles ein böser, dunkler Albtraum, den ich nicht realisieren konnte, es ergriff mich noch nicht und würgte mich nicht. Da war nur diese unbestimmte Angst, vor dem was ich nie aussprechen durfte. Vor dem was nie geschehen sollte. Da war alles… alles und nichts. Ich rieb mir über meine Stirn, die plötzlich zu schmerzen begann. Ich hörte Dr. Petersons Stuhl knarren, als er sich nach vorne beugte.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte er besorgt.
„Ja, es … es geht schon wieder. Das ist alles nur so… so unvorstellbar. Tristan sieht so gesund aus, ich kann es nicht begreifen“, hauchte ich.
„Herr Marx ist alles andere als gesund und unter diesen Umständen würde ich es als das Beste empfinden, wenn er hier zu unserer Untersuchung bleiben würde“, versuchte Dr. Peterson zu erklären und seine Stimme hatte einen Mahnenden Unterton. Vermutlich erhoffte er sich durch mich irgendwelche Beeinflussung auf Tristan. Aber würde er auf mich hören?
„Er würde nicht auf mich hören“, sagte ich leise und atmete geräuschvoll. Dr. Peterson räusperte sich.
„Er hat seinen eigenen Kopf, das haben wir schon früh zu spüren bekommen. Herr Marx lebt mit seiner Diagnose nun schon über einem Jahr und nie war er länger als ein paar Tage in diesem Krankenhaus, da war nie mehr zu machen, doch nun stehen die Karten anders. Herr Marx hat einen erhöhten Blastenwert und wir vermuten, dass es bis zur Blastenkrise nicht mehr weit ist.“
„Was bedeutet das?“, fragte ich tonlos. Dr. Peterson senkte den Blick und stützte sich auf seinem Schreibtisch ab, plötzlich sah er um Jahre gealtert aus.
„Wenn nicht bald ein Spender gefunden wird, können wir nur noch von ein paar Wochen ausgehen.“
There's always something
In the way
There's always something
Getting through
But it's not me
it's You
Sometime's ignorance
Rings true
But hope is not in
What I know
Not in me
It's in You
It's all I know
And I find peace
When I'm confused
I find hope when
I'm let down
Not in me
But in You
I hope to lose myself
For good
I hope to find it in the end
Not in me
It's You
It's all I know
(You – Switchfoot, eins der schönsten Lieder die ich kenne. Es lohnt sich wirklich da ran zu kommen)