34. Kapitel
Als ich die Treppe hinunterstieg, stand Ian alleine vor Shady. Sie redeten leise. Ich hatte so sehr gehofft,
dass neben Ian eine gesunde und fröhliche Heleny stehen würde und war deshalb umso schockierter, dass sie da nicht stand.
Ich beschleunigte meinen Schritt, um so schnell wie möglich neben ihnen stehen zu können. Ich brauchte gute Neuigkeiten, alles andere wäre hier falsch am Platz.
"Maya, hallo.", begrüßte mich Ian. Er wirkte freundlich, aber beherrscht.
"Hey.", sagte ich und musste kurz schlucken. "Was ist los? Was ist mit Heleny?", fragte ich. Und es tat plötzlich irgendwo in meinem Herzen weh, als ich ihren Namen aussprach.
"Nun ja, sie... lebt. Aber man weiß nicht genau, was loswar... sie müssen sie erst einmal dabehalten. Sie kann vorerst nicht nach Hause kommen.", erklärte er betreten.
"Aber das ist doch schonmal... Also. Sie lebt und das ist...", versuchte ich, die Stimmung aufzuhellen. Aber es das konnte nicht gelingen.
Jede Sekunde, die ich dastand, fühlte es sich an, als würde ich immer kleiner werden. Als würde alles zusammenschrumpfen, mein Magen, mein Herz, meine Seele.
Ernüchterung.
Das war es, was ich in diesem Moment fühlte. Ernüchterung.
Natürlich war es wundervoll, dass Heleny lebte, aber ich war nach wie vor fest davon überzeugt, dass sie das alles nicht verdient hatte.
"Ich... ich glaube, wir müssen das alles jetzt irgendwie verdauen. Uns vielleicht ablenken.", sagte Ian.
Jetzt fiel mir wieder ein, was mich beschäftigt hatte, bevor ich die Treppe hinuntergegangen war.
"Ich hab da was gefunden. Oben im Turm."
Und damit fing eine lange Dikussion an.
Natürlich wurden mir Vorwürfe gemacht, dass ich auf den Turm gestiegen war und natürlich war niemand sich sicher, dass dieser Stein wirklich etwas zu bedeuten hatte.
Aber weil wir alle diese unendliche Stille nicht mehr ertragen konnten, die herrschte, weil Heleny nicht dawar, mussten wir uns irgendwie ablenken...
Unser Gespräch war eher ein Marathon gewesen, bei dem drei erwachsene Menschen mit Lexika in den Händen durch die Etagen eines großen Hauses gelaufen waren und sich wild gestikulierend
Informationen über die Jurazeit an den Kopf geworfen hatten, ohne zu wissen, über was sie sprachen. Ein kleines Kind war zwischen ihren Beinen umhergekrabbelt,
hatte gesungen und in seiner Babysprache gebrabbelt und jeder Außenstehende hätte das Gefühl gehabt, das Kleinkind habe mehr Ahnung als diese drei Erwachsenen.
"Ich durchsuche die Telefonbücher nach irgendeiner Behörde für prähistorische Funde, auch, wenn ich da vielleicht nix finde.", hatte Ian irgendwann vorgeschlagen.
"Und wir?", hatte ich gefragt.
"Wir sagen es Marylin!", hatte Shady gerufen, die von mir abgewandt den schweren Stein genau untersuchte.
"Wem bitte?"
"Na Marilyn, der Bardame..."
Wir kannten unser Ziel, wussten jedoch nicht genau, wie wir es erreichen konnten. Ich erinnerte mich nur ungern an den Abend, den wir in der Bar verbracht hatten und unseren Weg dorthin. Jedoch hoffte Shady, am Rathaus ein Taxi zu finden und so hatten wir uns auf den Weg dorthin gemacht.
"In dem Kaff kann man wahrscheinlich froh sein, wenn man jemanden zum Trampen findet. Das einzige Taxi des Ortes is doch bestimmt ständig unterwegs.", sagte Shady mit einem sarkastischen Unterton, als wir an der kleinen Bibliothek vorbeikamen, die auf dem Weg zum Rathaus lag.
"Na und? Zur Not stöckeln wir wieder über die Wiese, das haben wir letztes Mal ja auch geschafft.", beschloss ich. Wir lachten.
Ich blieb plötzlich stehen. Ich war der Meinung, irgendetwas gehört zu haben. Shady stoppte auch verwundert.
Fast gleichzeitig fragten wir einander: "Hörst du das?"
Grinsend verschnellerten wir unseren Schritt, um der Geräuschquelle näherzukommen.
In solch einer Kleinstadt reichte ein leises Wort weit, und ein lautes sehr weit.
Wir bogen um die Ecke, hinter der das Rathaus lag und blieben wieder verwundert stehen.
Das hatte ich nun wirklich nicht erwartet...
Vor dem riesigen Gebäude stand eine Menschenmenge und demonstrierte. Wild schwenkten alle ihre Schilder auf und ab, auf denen ein durchgestrichenes Symbol zu erkennen war, jedoch konnte ich noch nicht verstehen, was sie immer und immer wieder riefen.
Wir näherten uns dem Geschehen und waren verblüfft, als wir heraushörten, dass der Ausruf der Demonstranten "Keine Monster in unserem See!" lautete.
Shady stieß mich an: "Haha, sie dir das mal an. Da überschneiden sich wohl wieder die Ereignisse."
Ich lächelte gebannt und versuchte, einen der Menschen wiederzuerkennen.
Plötzlich trat eine Frau in unser Sichtfeld, die sichtlich aufgebracht war. Mit geballten Fäusten sprach sie auf uns ein.
"Habt ihr das mitbekommen? Diese Schweine. Menschen glauben, sie könnten sich mit genügend Geld nehmen, was sie wollen. Aber das dulden wir nicht, das dulden wir hier nicht!!!"
Ich war noch immer völlig perplex, sodass ich weder antworten, noch richtig darüber nachdenken konnte.
Plötzlich stieß mich Shady erneut an.
"Maya, guck mal, da!" Sie deutete in die Richtung, in die jetzt auch mein Blick folgte.
"Erkennst du sie? Erkennst du sie?", fragte sie gespannt.
Tatsächlich. es war Marilyn, die in der Menge stand und laut den Vers wiederholte, den hier alle einstudiert hatten.
"Keine Monster in unserem See, keine Monster in unserem..."
Ihr Blick fiel auf uns, die unbeteiligt am Rand standen und gafften, dann lächelte sie, ließ ihr Schild sinken und kam auf uns zu.
"Schön euch zu sehen!", grüßte sie uns und wir nickten, "Aber der Anlass ist natürlich kein schöner.", ergänzte sie. "Seid ihr hier, um mitzumachen? Das wär super, ich hab da drüben sogar noch Schilder!", erklärte sie stolz.
"Ähm... klar, aber wir wollten auch nochmal mit dir sprechen...", antwortete Shady.
"Wir haben ganz eventuell etwas gefunden, das unser aller Problem lösen könnte. Aber wir sind noch nicht sicher genug, um irgendjemanden darüber aufzuklären. Deshalb möchten wir nochmal mit dir reden. Aber lass uns zuerst hier mitmachen.", versuchte ich, Marilyn unsere Situation zu erklären, wobei der letzte Satz eher an Shady gerichtet war.
Sofort bekamen wir Schilder gereicht und waren nun Teil der Protestaktion, die sich gegen die Privatisierung des Gebäudes am See aussprach. Oder kurz: "Keine Monster in unserem See!"
Es war nicht so leicht, das schwere Schild hin- und herzuschwenken und dabei nicht angestrengt auszusehen. Shady gelang das Ganze viel besser und mit ihrer etwas kratzigen, tieferen Stimme übertönte sie alle anderen, die auf dem kleinen Platz versammelt waren.
Doch auch ich bemühte mich, meinen Unmut zu verbreiten. Zum einen, weil die Menschen hier nicht denken sollten, dass wir untätig zuschauen würden, wenn wieder einmal die mit dem Geld einen Streit für sich entschieden. Zum anderen, weil ich an dem Brocken zweifelte, der auf dem Dachboden lag. Wenn er ein nichtssagender, wertloser Klumpen getrockneten Matsches war und sich ein weiterer kleiner Traum in Luft auflöste, dann mussten wir unser Möglichstes tun.
Und das war es... "Keine Monster in unserem See, keine Monster in unserem See, keine..."
So, liebe Leser, endlich ein neues Kapitel. Ich hoffe, es gefällt euch und ihr kommentiert fleißig.
EDIT: Werden einige der Bilder bei euch zu groß angezeigt, so sagt mir bitte bescheid, dann muss ich das ändern.
S.I.M.S.