Kapitel 4: Unerwarteter Besuch
Tja, aber diese Vorteile konnte man ganz schnell vergessen wenn man erst einmal wieder mutterseelenallein in seinen eigenen vier Wänden war. Ich hatte vorher noch nie alleine gelebt. Als ich klein war, lebte ich mit meinen Eltern, meinen Geschwistern und einem guten Freund meiner Mutter unter einem Dach. Im Studentenwohnheim hatte ich auch immer Menschen um mich herum. Es war nicht so, dass ich es liebte, in einer großen Menschenmenge zu sein, das nun ganz und gar nicht. Aber es war schon zu wissen, dass jemand in den Nähe war. Und mein neuer Pandabär war zwar schön, aber leider war er ein sehr schweigsamer Gefährte.
Doch bevor die Stille, die nur von dem lauten Ticken meiner 2 § Wanduhr durchbrochen wurde, mich in den Wahnsinn treiben konnte, klingelte es an der Tür. Ich war verwirrt, denn bis auch meine Eltern hatte ich keine Freunde in Rodaklippa. Auch in der Schule war ich lieber für mich allein und die wenigen Freundschaften, die ich doch hatte, waren nach meinem Umzug nach Nantesim recht schnell abgeebbt. Als ich zaghaft die Tür öffnete, wurde ich von einer jungen Frau in Empfang genommen, die laut "Überraschung!" schrie und dabei strahlte, als ob sie gerade im Lotto gewonnen hätte.
"Magda?", fragte ich unsicher, da ich glaubte, dass mich meine Sinne im faden Licht der Gartenlaterne täuschen könnten. "Nein der Papst!", antworte diese augenrollend. "Natürlich bin ich es, Claude. Deine Cousine, die extra den weiten Weg aus SimCity auf sich genommen hat, um dich zu besuchen!"
Bevor ich auch nur ein Wort darauf erwidern konnte, kam sie auf mich zu und nahm mich fest in den Arm. Dabei fiel mein Blick auf die vielen Koffer, die sie mitgebracht hatte. Entweder, meine Cousine reiste immer mit großem Gepäck…oder sie hatte vor, länger zu bleiben. "Willst du mich den gar nicht rein bitten, Claude?", unterbrach sie meine Gedanken. "Nach der langen Reise bin ich ganz schon ausgehungert."
"Ja, klar", stammelte ich und führte Magda ins Haus. Ihre beiden schweren Koffer nahm sie selbstverständlich mit, was für mich ein deutliches Zeichen war, dass sie nicht vor hatte, so schnell wieder zu gehen. Ich bot ihr einen Saft an, den sie dankend entgegennahm, und dann ließ sie sich seufzend in meinen gestreiften Sessel fallen. Während sie den Saft durch den Strohhalm saugte, wanderte ihr Blick durch das Wohnzimmer. "Du hast es hier ja wirklich...nett, Claude". Beschämt senkte ich meinen Blick, denn der Seitenhieb war mir nicht entgangen. Ja, das Zimmer war so gut wie leer, und die vorhandene Innenausstattung ließ so einige Wünsche offen. Aber hej, das war mein Haus, und sie war hier bloß ein Gast. Zudem auch noch ein ungeladener.
Doch natürlich traute ich mich nicht, ihr das ins Gesicht zu sagen. "Würdest du mir auch den Rest des Hauses zeigen?", fragte Magda dann und stellte die nun leere Safttüte auf den Tisch ab. Viel gab es ja nicht zu sehen, aber ich zeigte meiner Cousine das Badezimmer und das Schlafzimmer. "Oh, du hast ja sogar ein Doppelbett", bemerkte sie, als ich das Licht in dem Zimmer einschaltete. Irgendwie ahnte ich schon, was gleich kommen würde und natürlich behielt ich Recht. "Meinst du…meinst du ich konnte hier vielleicht für ein paar Nächte bleiben?"
In meinem Inneren tobte ein Kampf. Auf der einen Seite war ich froh, nicht mehr allein sein zu müssen. Auf der anderen Seite hatte ich mir Unabhängigkeit doch gewünscht. Als ich jedoch in Magdas große, flehende Rehaugen blickte, konnte ich meiner Cousine diesen Wunsch nicht abschlagen. "Okay, Magda, du kannst für eine Weile hier bleiben." Sie klatschte zufrieden in die Hände. "Danke, Claude, Danke, Danke, Danke!", rief sie überschwänglich. "Ich hieße Klaudia, nicht Claude", erwiderte ich zaghaft, da es mir langsam den Wecker ging, dass meine Cousine mich so nannte. Ich war doch kein Mann! Aber entweder hatte sie mich nicht verstanden, weil ich zu leise gesprochen hatte, oder aber sie wollte einfach nicht hören. Denn gleich im nächsten Satz nannte sie mich wieder so. "Ach, Claude, das wird so lustig. So wie damals während des Kriegs, als du mit deine Familie bei uns gewohnt hast. Wir werden wie Schwester sein. Claude, ich sag‘s dir, das wird eine tolle Zeit werden."
Ich wollte Magdas Worten wirklich Glauben schenken. Wir unterhielten uns noch ein wenig, doch schnell merkten wir beide, wie müde wir waren und machten uns fertig fürs Bett. Tja, und bereits in der dritten Nacht in meinem eigenen Haus musste ich nicht mehr alleine schlafen.
Meine Cousine entpuppte sich als Langschläferin. Während sie also noch schön vor sich hin träumte, holte ich meine Pinsel und Farben hervor, und vertrieb mir die Zeit an der Staffelei. "Was machst du denn da, Claude?" Magda kam mit verschlafenen Augen aus dem Badezimmer und starrte mein Bild an. "Ich glaub, du bist da mit dem Pinsel ausgerutscht. Also diesen hässlichen dicken schwarzen Punkt solltest du lieber noch mal übermale", bemerkte sie.
Hässlicher schwarzer Fleck? Das war do die Pupille eines Drachenauges! Und in dieser Pupille sollte sich die Welt wiederspiegeln. Konnte man das denn wirklich nicht erkennen? Niedergeschlagen blickte ich auf den Boden. Das bemerkte auch Magda. "Ach komm schon, Claude. Es ist nicht eben jeder zu Maler geboren." Diese Worte trösteten mich allerdings keineswegs. Denn bislang hatte ich mir eingeredet, dass ich zwar nicht viel konnte, aber ganz sicher eines, und das war Malen. Aber offensichtlich war das doch nicht der Fall.
Kurz vor Mittag klingelte es überraschend an der Tür. Es war meine Mutter, die vorbeigekommen war, um sich mein neues Haus anzusehen. Ich führte sie als herum und zeigte ihr auch die Schotterterasse hinter dem Haus. "Und, Mama, was hältst du davon?", fragte ich unsicher uns zeigte auf das Gebäude. "Es ist wirklich nett, Spatz", antwortete meine Mutter und an ihrem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass sie es ernst meinte. "Das Haus erinnert mich ein wenig an das Haus deiner Großväter in SimCity. Ich denke, du kannst dir hier mit ein wenig Arbeit ein schönes Zuhause schaffen."
"Und hier in dieser Ecke konntest du einen schönen Gemüsegarten anlegen", meine Mutter deutete auf ein Stück Rasen, das gut geschützt im Schatten einer kleinen Birke lag. "Ich könnte dir mit allerlei Samen aushelfen, Spatz." Die Idee eines Gartens gefiel mir sogar richtig gut. Ich würde meine Mutter tatsächlich darauf ansprechen müssen. Aber an einen Garten sollte ich vielleicht erst denken, wenn ich einen Herd in der Küche stehen hatte und mich nicht länger von Saft und Eiscreme ernähren musste. Das war zwar lecker, aber ich merkte leider schon, dass meine Hosen begannen mehr zu zwicken, als sie es ohnehin schon taten.
Dann fiel mir plötzlich auf, dass meine Mutter ganz still geworden war. Als ich zu ihr rüber schaute, sah ich ihren wehmütigen Blick und sofort wurde mir der Grund dafür klar. Sie hatte eben von Zuhause gesprochen. Und obwohl sie sich hier in Rodaklippa wohl fühlte, so war ihr Zuhause doch die Sierra Simlone. Dort hatte sie sich ein Zuhause eingerichtet, eine Farm aus dem Boden gestampft, meinen Vater kennengelernt und drei Kinder aufgezogen. Und durch einen schrecklichen Krieg wurde ihr das alles entrissen. Sie war eine Vertrieben, die sich danach sehnte, wieder nach Hause zurück kehren zu können. Und obwohl diese Ereignisse schon 8 Jahre zurück lagen, war ihr Heimweh nicht kleiner geworden.
Magdas helle Stimme riss meine Mutter aus ihren trüben Gedanken heraus. "Hallo. Tante Oxana!", rief sie begeistert und winkte meiner Mutter zu, die sich umdrehte um zu erkenne, wer da noch ihr rief. "Ist das etwa Magda?", fragte meine Mutter ungläubig. Zur Antwort lächelte ich nur dümmlich. "Ähm...ja. Sie stand gestern einfach vor meiner Tür und wollte für ein paar Tage bleiben. Ich konnte sie ja schlecht auf der Straße schlafen lassen."
Meine Mutter war von Magdas Besuch genauso so überrascht, wie ich. Während die beiden sich im Garten unterhielten, holte ich die Zeitung aus dem Briefkasten, die in Rodaklippa täglich kostenlos geliefert wurde, und lass mir die Stadtneuigkeiten der letzten Tage durch. Etwas wirklich Spannendes war nicht passiert, aber immerhin konnte ich ein paar Coupons für reduziertes Krokodils-Fleisch ergattern. Blieb nur noch die Frage, worauf ich es kochen sollte. Ein Coupon für einen Herd wäre da schon nützlicher.
Und dann wagte ich mich doch noch einmal zurück an mein Bild und malte es zu Ende. Meine Mutter betrat das Haus in demselben Augenblick, in dem ich den Pinsel zur Seite legte. "Das ist sehr schön, Spatz", bemerkte sie. "Ein Drachenauge, nicht wahr?" "Ja, genau!", rief ich begeistert und beschrieb meiner Mutter die Details des Bildes. "Du hast Talent, Klaudia. Hast du nie überlegt, vielleicht doch Kunst zu studieren?"
"Ich...ich hab es sogar versuch", gestand ich meiner Mutter. "Im zweiten Semester habe ich ein paar Vorlesungen besucht. Aber auch dafür war ich zu dumm. Ich hab fast nichts von dem verstanden, was unser Professor erzählte. Und durch die Prüfung bin ich dann auch auf mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Ich kann vielleicht gut malen, aber für ein Kunststudium reicht das leider nicht." In den Augen meiner Mutter war für eine kurze Zeit ein Hoffnungsschimmer aufgekeimt, der jetzt jäh erlosch. "Ok, Spatz. Aber das Bild ist wirklich hübsch", bestärkte sie mich noch einmal, doch irgendwie klang dieser Zuspruch plötzlich hohl. Kurz darauf verabschiedete sich von Magda und mir und brach nach Hause auf.