Ein Leben mit der Depression

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Taurec

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Juni 2002
Alter
47
Ort
Heimatlos
Geschlecht
M

Die Depression hat das Wesen, positives zu unterdrücken und nur das Negative durchzulassen. Das bedeutet, dass jegliches negative Ereignis, Dinge, über die ein gesunder Mensch nur kurz die Schultern zuckt und sagt, "was Solls" für mich wie ein Asteroidenimpact ist.

Da war vorgestern der Anruf meiner Mutter über den Tod meiner Oma. Was soll ich sagen... Ich empfinde eigentlich keine Trauer in dem Sinne. Sie hat es sich hinter sich, ist friedlich ohne Qualen einfach eingeschlafen. Besser kann es nicht kommen.
Die Depression macht es mir unmöglich, Gefühle richtig zu empfinden. Statt dessen empfine ich nur Leere. Diese Leere ist jetzt ein bisschen größer, aber immer noch nur Leere.
Okay. ich empfinde auch Schmerz. Nicht wegen des Verlustes, sondern wegen des Kummers meiner Mutter. Aber Trauer... Zumindest nicht in dem Sinne.

Und dann heute:
Heute bin ich von einem Termin mit meiner rechtlichen Betreuung gekommen. Es ging auch heute um den Antrag auf EM-Rente. Mit dabei:
Jede Menge Papierkram, darunter ein gewisser ROTER Ordner, den ich hasse, wie die Pest. Einer, den ich am liebsten genauso vernichten würde, wie meinen Ordner mit all meinen Bewerbungen. Geht aber leider nicht, weil diese Papiere leider gebraucht werden.

"Schließ mit der Vergangenheit ab." "Lass vergangenes ruhen."

Ein Tipp, den ich immer wieder höre, der aber unmöglich zu befolgen ist. Denn die Vergangenheit, hier repräsentiert vom roten Ordner, ist immer da, immer präsent.
Der rote Ordner... In ihm sind alle Dokumente enthalten, die mit Arbeitsamt oder Arge zu tun haben. Und jedesmal, wenn ich einen Brief bekomme und dort einhefte, ist die Vergangenheit da. Jedes einzelne dieser Schriftstücke ist eine Niederlage. Ein Giftpfeil in mir.
Und es werden immer mehr. Und heute, wo dieser Ordner aufgewühlt wurde, ist die Vergangenheit so sehr Gegenwart wie lange nicht mehr.
Was für andere ein einfaches Stück Papier mit einem Datum aus 2009 ist, ist für mich eine reale Erinnerung an eine grausame Zeit, an schreckliche Dinge, an Tod und Vernichtung. Oh, und es gibt viele dieser Papiere. Und jedes Einzelne wurde verlangt. Es ist ein Spießrutenlauf. An jedem Schriftstück klebt eine oder gar mehrere negative Erinnerungen und die sind in der Summe überwältigend.
Es ist schon schlimm, wenn ich den Ordner nur aufmache, um ein neues Papier einzuheften, aber das heute war grausam. Und es wird immer grausam sein. Und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.

Am schlimmsten ist die Einsamkeit. ich kann mit kaum jemandem reden. Ein gesunder Mensch kann nicht verstehen, welche Probleme ich habe. Warum ich oft "ganz einfache" Dinge nicht tun kann.
Die meisten versuchen es nicht mal. Da kommt dann höchstens der dumme Spruch: "Reiß Dich halt zusammen." Was soll das?
Zu einem Blinden sagt auch keiner: "Mach halt die Augen auf!", oder?

Genauso wie ein Blinder nicht sehen kann, kann ein depressiver sich nicht "zusammenreißen". Dafür ist die Grundlage nicht gegeben. Das Problem:
Einem Blinden sieht man das Problem an, zumindest, wenn sie so erkennbar unterwegs sind. Einen Armbruch sieht man. Aber das, was sich bei Depressionen im Kopf abspielt, sieht keiner. Und was nicht sichtbar ist, existiert nicht. Scheinbar.

Medikamente können das mildern. Tun sie auch. Aber nicht immer. Und Medikamente alleine reißen es nicht heraus. Aber Unverständnis ist noch nicht mal das Schlimmste. Im Gegensatz zu einem gesunden Menschen kann ich mich sehr wohl in ihre Situation hineinversetzen. Ich weiß, dass diese Menschen das in der Regel nicht böse meinen.
Sie KÖNNEN es nicht verstehen, weil sie es nicht erleben. Sie können es allenfalls sachlich (auf Basis medizinischer Fakten) beurteilen.
Schlimmer sind diejenigen, die mit Hohn und Spott kommen.

Einsamkeit:
Ja, es gibt Orte, an denen man sich mit anderen Betroffenen treffen kann. Ich bin sehr gerne zur Haltestelle gegangen. Würde ich auch gerne wieder tun, aber leider fehlt mir momentan das Geld für die Fahrkarte dort hin. Somit sitze ich hier seit mittlerweile 2 Monaten sozusagen fest, ohne die Möglichkeit, mich irgendwie auszutauschen.
Unterhaltungen mit "normalen" Menschen (Bereits bekannte ausgenommen) vermeide ich, da sinnlos und eh nur mit Schmerzen verbunden.

Naja, nur mal so ein paar Gedanken loswerden...
 
Dir ist klar, dass Psychotherapie in Deutschland gratis ist?
 
2 Jahre Wartezeit? Und direkt nach einer gescheiterten Behandlung in einem Heim für psychisch Kranke habe ich jetzt nicht so das Vertrauen in Psychologen.
 
*Seufz* Warum sollte ich das tun? Ich habe kein Vertrauen mehr in Psychologen. Außerdem weiß kein Mensch, was in 2 Jahren ist. Ob ich dann überhaupt noch dort wohne, ob ich überhaupt noch lebe. Weißt Du, was für ein Aufwand das ist? Ich habe wirklich anderes zu tun, als jetzt noch ein zusätzliches Bürokratiemonster anzufangen.
 
Ich weiß zufällig aus eigener Erfahrung sehr gut was das für ein Aufwand ist, danke der Nachfrage.
Trotzdem ist es einfacher nen Termin abzusagen weil man nicht mehr die Möglichkeit hat ihn wahrzunehmen als nie einen zu bekommen weil man sich nie drum gekümmert hat. Vor allem was Selbstvorwürfe und so angeht. Aber ich mein ja nur.
 
  • Danke
Reaktionen: Pimthida und Cereby
Ich kümmere mich durchaus darum. Ich habe mir das sehr wohl überlegt und eine Entscheidung dazu getroffen. Und die fällt, unter Berücksichtigung der gemachten Erfahrungen und des nötigen Aufwandes eben GEGEN eine Psychotherapie aus.
Eine Therapie zu beginnen, obwohl das Vertrauen in den Arzt nicht da ist, ist Dummheit pur. Was ist daran so schwer zu verstehen?
 
Erstens, was Zora sagt, zweitens sind 2 Jahre Wartezeit besser als 300-400€ im Monat zu zahlen, drittens hatten alle meine Deutschen Freunde nur 2-3 Monate Wartezeit. Sind aber alles Bafög-Empfänger, also haben die evtl ne Andere Versicherung. Können Deutsche User hier vielleicht mal ihre Erfahrungen einbauen?

Versuch mal patientenorientierte/klientenorientierte Psychotherapie (wird auch Gesprächstherapie genannt) Ich kenne schon einige Therapeuten und die, die diese Therapiemethode anwenden, würden absolutes Verständnis und Unterstützung zeigen wenn du ihnen das erzählen würdest, was du geschrieben hast. (Gehört zu den Prinzipien dieser Therapiemethode) Für mich klingt es so, als würdest du darauf gut ansprechen.

Ernsthaft, ich hab null Verständnis für psychisch kranke, die keine Hilfe annehmen. Aufenthalte in Heimen scheitern meistens daran, dass man sich nicht an die Regeln hält oder Drogentests nicht besteht. Man muss den Leuten, die einem gratis (!) helfen wollen, auch ein bisschen entgegenkommen.
 
Eine Therapie zu beginnen, obwohl das Vertrauen in den Arzt nicht da ist, ist Dummheit pur. Was ist daran so schwer zu verstehen?
Nimm nen anderen Ansatz:
Du musst kein Vertrauen in den Arzt haben, sondern in dich selber.
Der Arzt kann dir lediglich Hilfen auf dem Weg aus der Depression geben - den Hauptteil der Arbeit musst du selber machen.
 
Ernsthaft, ich hab null Verständnis für psychisch kranke, die keine Hilfe annehmen. Aufenthalte in Heimen scheitern meistens daran, dass man sich nicht an die Regeln hält oder Drogentests nicht besteht. Man muss den Leuten, die einem gratis (!) helfen wollen, auch ein bisschen entgegenkommen.
Möchtest Du mir jetzt ernsthaft ein Drogenproblem unterstellen? *g*
Wo ich noch nicht mal Kaffee trinke?
Sorry, aber Du kennst mich einfach zu wenig, um beurteilen zu können, was wo schiefgegangen ist. Es genügt völlig, wenn ICH das weiß. Das ist auch nichts, worüber ich HIER weiter diskutieren möchte. Da gibts schlichtweg nichts zu diskutieren.

@DarkLady:
Nein. Weißt Du was das Problem ist:
Die Ärzte behandeln am Problem vorbei. Sie schwafeln von Realitäten, die schlichtweg keine sind und lassen meine eigenen, gemachten realen Erfahrungen schlichtweg außen vor. Denn was nicht sein darf, gibts nicht. Tut mir leid, aber so ein heile Welt-Geschwafel bringt mir nichts, ist sogar gefährlich. Darauf kann ich verzichten.
 
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