@Mathe Man: Solche Genies gibt es auch unter den Benutzern des öffentlichen Verkehrs, allerdings führt deren Ignoranz nicht zu Rettungseinsätzen und vollständig ruinierten fahrbaren Untersätzen, sondern ist schlicht und ergreifend nur ungemein dämlich. Gegeben ist eine aufgelassene Straßenbahnhaltestelle: Die Haltestellentafel ist deutlich sichtbar durchgestrichen und zusätzlich mit einer großen Hinweistafel versehen. Die Gleise sind überdies klar als unterbrochen zu erkennen und auch ein Ersatzbus könnte, so es denn einen gäbe, nicht zufahren, weil er im offenen Gleistrog steckenbleiben würde. Aber trotzdem wird unverdrossen gewartet, bis eine Tram (mit dem Fahrtziel Godot?
) kommt.
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Ich hab als Altlast von meinem früheren Job noch einen Aufsatz zu verfassen. Im Bereich der Geschichtswissenschaften ist die schaurig-schöne Netzwerkanalyse gerade der heißeste Sch***. Und so dürfen sich Historiker mit Software herumschlagen, für deren Bedienung sie nicht ausgebildet wurden. Gut, du denkst dir, du hast nun einigermaßen eine Ahnung, wie du mit dem Schmarrn zurandekommst (es wurde dir ja von kompetenter Seite erklärt) und musst dann feststellen, dass es sich bei zwei Knoten im Netzwerk um ein und dieselbe Person handelt. Und das kommt schon mal vor, denn die Quelle, auf der die Netzwerke basieren, es müssen natürlich gleich deren sieben sein, ist das Resultat einer besonderen Abart des Spiels "Stille Post": Der Handelsminister nuschelt frühmorgens aufs Tonband, was er am Vortag so alles erlebt hat. Z.B. wurde ein "Meier" (oder "Maier" oder "Mayer" oder ...) in den Aufsichtsrat irgendeiner Bank entsandt. Die Sekretärin, die natürlich nicht weiß, welchen "Meier" der Minister meint, hämmert halt irgendeine Schreibweise des Namens in die Schreibmaschine. Du digitalisierst das dann Jahrzehnte später und hast natürlich keinen blassen Schimmer, welcher "Meier" das gewesen sein könnte. Ganz am Schluss dämmert dir dann, dass der Stadtrat Mayr gemeint sein könnte. Wenn das der Fall ist, kann das durchaus alles über den Haufen werfen, denn bereits kleinste Änderungen genügen, um deine tolle Netzwerkanalyse über den Haufen zu werfen. Was auch noch passieren kann: Die betreffende Person war im Untersuchungszeitraum bereits tot, ihr Knoten gehört daher aus dem Netzwerk entfernt. Da selbst die fertig gefilterten Netzwerke an die 200 Knoten umfassen, kann das schon mal vorkommen. Der besondere Clou: Änderst du gar nichts und führst die Clusteranalyse just for fun erneut durch, kann es vorkommen, dass die Clustergrenzen trotzdem anders gezogen werden.
Egal, ich sitz jetzt bereits seit Wochen an dem Text. Kürzlich meldet sich meine Ex-Chefin bei mir und fragt mich, wann der denn endlich fertig wird. Du versprichst, dass das zum Monatsende der Fall sein wird, sitzt jeden Tag mehrere Stunden vorm PC und versuchst dir immer neue Formulierungen einfallen zu lassen, was bei der Beschreibung von mehr als 50 Clustern bzw. sieben Netzwerken, die mit jeder Forschungsfrage von neuem strapaziert werden müssen, nicht so einfach ist: Cluster A umfasst ..., ferner sind ... vertreten; Cluster B setzt sich aus ... zusammen, überdies sind ... enthalten; Cluster C besteht aus ..., ansonsten sind ... vorhanden etc. pp.
Heute dann der Supergau: Die Netzwerkanalyse im engeren Sinn erscheint fertig. Und so wie im Altertum die Menschen in den Eingeweiden toter Tiere irgendwelche göttliche Zeichen zu erkennen glaubten, musst du irgendein Muster in all den Knötchen und den sie verbindenden Linien erkennen, auf dieser Basis irgendwelche Hypothesen formulieren und selbige dann überprüfen. Mit der ersten Hypothese war ich heute fast durch. Im Ministertagebuch gibt's eine schöne Stelle, in der der Autor schildert, wie er mit dem Vizekanzler, dem ÖGB-Präsidenten und einem Spezi aus seiner SPÖ-Sektion in Wien-Landstraße, gleichzeitig Nationalratsabgeordneter, während einer Zugfahrt (?) Karten spielt. Ich hab das im Text zitiert, um die Notwendigkeit der Überprüfung meiner Hypothesen anhand der ursprünglichen Quelle, dem Tagebuch, deutlich zu machen. Denn alle Verbindungen zwischen den entsprechenden Knoten, die auf dieser Begebenheit basieren, sind eigentlich irrelevant. Ich schreib ja keine Kulturgeschichte des Kartenspiels.
Nun war ich mir aber nicht sicher, ob besagtes Kartenspiel wirklich seinen Niederschlag im Netzwerk gefunden hat. Eigentlich hätte hierzu irgendein Begriff vorhanden sein müssen, der eine Verbindung suggeriert. "Niederwalzen" im Sinne von "besiegen" – das Deutsch des Ministers ist stellenweise wenig elaboriert
– ist meiner Meinung nach kein Wort, das eine Verbindung ausdrückt. Ich mache also zwecks Überprüfung das Netzwerkprogramm auf, werfe einen Blick auf die tabellarische Darstellungsform des Netzwerkes, wechsle vom Reiter "Knoten" auf "Kanten", was ich sonst mangels Notwendigkeit nie gemacht habe, blende die standardmäßig deaktivierte Spalte "date" ein und muss zu meinem Entsetzen feststellen, dass im Netzwerk, das die Zeitspanne vom 1.9. bis zum 15.11.1974 widerspiegeln sollte, auch Interaktionen vertreten sind, die davor und danach stattgefunden haben. Und das nicht nur vereinzelt. Und nicht nur in diesem, sondern in allen sieben Netzwerken. Mein Fehler war es nicht, sondern vielmehr einer der oben genannten "kompetenten Seite", aber leider hilft mir das jetzt auch nicht weiter.
Siehe auch an anderer Stelle hier im Unterforum. Ich rechne ehrlich gesagt nicht mit einer Antwort, wobei ich eh weiß, dass das SimForum nicht die erste Anlaufstelle für solche Dinge ist. Ich fühle mich halt gerade so wie der Smiley direkt über diesem Absatz.