Nyxx

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Eine Dokustory über das Schicksal der Familie Ambrose aus Ravenwood von Nyx aka Phoenyx.

Lang, lang ist es her, seitdem ich zuletzt Worte zu dem Leben meiner Sims getippt habe.
So lange, dass ich längst das Passwort oder die E-Mail-Adresse vergessen habe, mit denen ich hier vormals einen Account als Phoenyx hatte.

In den vergangenen 7 Jahren hatte ich leider nur sehr wenig Zeit für das Spielen, Schreiben oder Let's Play aufnehmen. Aber die Lust auf Sims und auf das geschriebene Wort sind geblieben.
Mit dem Erweiterungspack Leben und Tod habe ich plötzlich wieder eine ganz große Neugier auf das Spiel und viele, viele Geschichten im Kopf, die aus mir heraus wollen.

Eine dieser Geschichten ist diese hier.

Viel Vergnügen ...


 
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Einer alten Legende zufolge existierte ein geheimnisvolles Lebenselexier, das nicht nur in der Lage war, das Leben von Sims zu verlängern, sondern auch Geister wieder zurück ins Leben holen konnte. Eine Waffe gegen den unbarmherzigen Zahn der Zeit und gegen die eisige und unvermeidliche Umarmung des Todes. Der einzig wahre Ausweg aus den Fängen des Sensenmannes.

Ambrosia.

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Die Legende besagte, dass eine Familie Kenntnis von der Herstellung von Ambrosia hatte mit der Aufgabe das Rezept zu bewahren und zu schützen. In Verehrung dieses Wunders, das Ambrosia war, gab sich die Familie sogar den Namen Ambrose. Doch sie wurde um ihr wertvolles Geheimnis betrogen. Hintergangen und überlistet durch Liebe gab einst ein Mitglied dieser Familie das Geheimnis um Ambrosia preis …

Seither ist das magische Rezept verloren und die Kenntnis um Ambrosia im Strudel der Zeiten beinahe völlig in Vergessenheit geraten. Die Familie, die einst Hüterin dieses Geheimnisses hätte sein sollen, wurde mit dem Fluch belegt, dass kein Mitglied der Familie zu Lebzeiten je wieder ungestraft Glück in der Liebe finden sollte.

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So hieß es zumindest. Wieviel davon tatsächlich der Wahrheit entsprach und was von dieser alten Erzählung nur Märchen war – wer wusste das schon. Manche hielten die alte Familie Ambrose, die seit jeher auf dem herrschaftlichen und nach all der Zeit ziemlich heruntergekommenen Anwesen Ambrosia Manor wohnte, einfach nur für eine weitere etwas makabere und schauerliche Familie, wie sie es zuhauf in Mourningvale gab.
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Andere raunten, dass in jeder Legende ein Fünkchen Wahrheit steckte, und erzählten sich flüsternd vom Schicksal von Lily Ambrose - der einzigen Person, von der bekannt ist, dass sie sich dem Risiko des Fluchs gestellt und sich verliebt hatte. Man sagte, sie sei ein Jahr lang vor dem Tod davongelaufen. Doch seit nun mehr als achtzehn Jahren ist Lily verschollen. Die meisten behaupteten, der Schnitter habe sie letztlich doch noch gekriegt. Andere waren davon überzeugt, Lily verstecke sich dort, wo selbst der Schnitter sie nicht finden konnte.

Sicher ist nur, dass seither niemand Lily oder ihren Geist je gesehen hatte. Und über Lilys Schicksal schienen sich sowohl der Sensenmann als auch die Familie Ambrose selbst auszuschweigen.

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Lady Aster Ambrose, Matriarchin der Familie Ambrose und Lilys Mutter, weigerte sich bis zum heutigen Tage, Kondolenzen für ihre Tochter anzunehmen. Selbst unter den zweifelsohne eigenartigen Bewohnern von Mourningvale sorgte ihr Verhalten für Verwunderung und Augenrollen. Denn manchmal wirkte es so, als erwarte Aster ihre Tochter jeden Moment durch die Tür hereinkommen.

Iris Ambrose, Lilys Schwester, hatte einen anderen Weg gefunden, mit dem Verschwinden ihrer älteren Schwester umzugehen. Sie erzählte jedem unumwunden, der sie danach fragte, dass ihre Schwester vermutlich tot sei oder aus anderen triftigen Gründen nicht mehr nach Hause könne. Denn Lily würde niemals ihr Kind zurücklassen, da war sich Iris sicher.

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Denn was das Verschwinden von Lily vor achtzehn Jahre noch merkwürdiger gemacht hatte, war das Kind, das als kleines Bündel plötzlich auf der Türschwelle von Ambrosia Manor aufgetaucht war.

Zum Glück für Aster und Iris, die sich beide nicht gerade aufs Windeln wechseln und Schlaflieder singen verstanden, hatten sie ein sehr fähiges und fürsorgliches Hausmädchen auf Ambrose Manor.

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Obwohl die harte Umarmung und die Berührung der kalten knöcherigen Finger wenig Tröstliches an sich hatten, hatte Bone Hilda mit Abstand den größten Beschützerinstinkt wenn es um das Wohl des kleinen Findlings ging. Kaum jemand hatte so viele schlaflose Nächte am Bettchen gesessen, so viele Fläschchen gegeben und Windeln gewechselt, bei Krankheit im Kinderzimmer Wache gehalten oder (zum Schrecken der anderen Eltern) an so vielen Elternabenden teilgenommen, wie Bone Hilda.
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Keine Ahnung, wo es ist. Vielleicht war es schon längst zu Staub verfallen und verrottet, aber Bone Hilda besaß zweifelsohne ein sehr großes Herz.

Wenn wir schon dabei sind, die Mitglieder des Haushaltes Ambrose vorzustellen, dann darf selbstverständlich auch Nemesis nicht fehlen. Die untote Katze.

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Ja, richtig - untot! Tante Iris hatte irgendwann einmal nach einer wilden Partynacht eine herumstreunernde Geisterkatze mit nach Hause genommen. Doch am nächsten Morgen war die Katze plötzlich nicht mehr durchsichtig und tot, sondern aus Fleisch und Blut und war auf merkwürdige Weise wieder lebendig … aber irgendwie auch nicht. Iris kann sich übrigens beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, woher genau sie die Katze hatte und warum sie sie nach der Partynacht mit nach Hause genommen hatte.

Nemesis Lieblingsbeschäftigungen sind seither selbstverständlich Möbel zerkratzen, Besuch davonjagen und durch Mourningvale herumschleichen. Man könnte sagen, wenn Bone Hilda die gute Seele von Ambrosia Manor war, dann war Nemesis auf jeden Fall die schlechte.

Und was ist mit dem kleinen Findling? Lily Ambroses Kind?
Willow Ambrose hat erst diesen Sommer die High School abgeschlossen und ist mittlerweile zu einer jungen Erwachsenen herangewachsen. Vor ihr liegt der erste Sommer, der nicht damit enden wird, wieder zurück ins Internat verschwinden zu müssen.

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Irgendwann während Willows Grundschulzeit waren Aster und Iris zu dem Schluss gekommen, dass zu viel Zeit in Mourningvale nicht gut für Willow sei, was dazu führte, dass Willow beinahe ihre gesamte Zeit als Teenagerin entweder im Internat oder während der Ferien mit ihrer Großmutter und Tante auf Reisen verbracht hatte.

Willow hatte ihren Abschluss nun seit gerade einmal zwei Wochen und schon beschlich sie das Gefühl, dass ihre Familie sie wieder loswerden wollte. Als hätten sie sich abgesprochen (vermutlich war dem tatsächlich so) sprachen Aster, Iris und Hilda sie regelmäßig auf ihre Pläne für die Zukunft an.

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Deshalb verkroch sich Willow aktuell sehr gerne im Atelier auf dem Dachboden, um der ständigen Fragerei der drei Frauen aus dem Weg zu gehen. Denn selbstverständlich hatte Willow, nun da sie nicht mehr ins Internat zurückmusste und sie unbegrenzt freie Zeit zur Verfügung hatte, Pläne. Aber ganz gewiss waren Aster, Iris und Hilda nicht begeistert, wenn sie erfuhren, welche Pläne das genau waren.
 
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Für Willow war die Sache eindeutig. Es war kein Wunder, dass niemand jemals ihre Mutter gefunden hatte, wenn sich auch niemand je auf die Suche nach ihr gemacht hat. Sie hatte mehrmals versucht, ihre Großmutter und ihre Tante danach auszufragen, was vor achtzehn Jahren genau mit Lily Ambrose passiert war. Die Reaktionen waren meist leider wenig hilfreich.

Als sie mit ihrer Großmutter im Salon bei einer Runde Schach zusammensaß, wagte Willow einen erneuten sehr vorsichtigen Vorstoß. Sie hatte gelernt, dass sie nicht zu direkt nach dem Verschwinden ihrer Mutter nachfragen durfte, denn dann war das Gespräch schneller beendet als es begonnen hatte.
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Willow musste versuchen die Informationen aus unscheinbarem Smalltalk zu ergattern. Das klang in der Theorie einfacher als es tatsächlich war, denn Smalltalk gehörte nicht unbedingt zu Willows Stärken. Wenn Willow ehrlich war, dann war sie sozial ziemlich unbeholfen. Die vielen Jahre an einem teuren internationalen Privatinternat, das sich damit rühmte, die Führungspersönlichkeiten von morgen auszubilden, hatten trotz aller Schulungen, Workshops und Rollenspiele nichts an der Tatsache ändern können, dass Willow soziale Kontakte und alles, was dazu gehörte eher schwerfiel.

Aber zum Glück für Willow lieferte ihre Großmutter die perfekte Vorlage: „Hach, was habe ich eine gute Partie Schach vermisst! Deine Tante Iris ist leider für keinen guten Schachzug zu haben!“
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„Mich bekommst du nie wieder an dieses furchtbare Brett, Mutter“, rief Iris daraufhin so empört von der Couch zu ihnen herüber, dass Willow sich das Lachen nicht mehr verkneifen konnte.

„Nein, im Ernst! Als ich das letzte Mal gegen deine Großmutter gespielt habe, hat sie mich nicht nur an die Wand gespielt, sondern meine Figuren regelrecht abgeschlachtet! Welcher Mensch spielt denn so rabiat Schach?“

Kichernd fegte Willow gerade Asters Turm vom Spielfeld.
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„Deine Nichte!“, erwiderte Aster schelmisch. „Wenn ich nicht aufpasse, hat sie mich in weniger als drei Zügen Schachmatt gesetzt!“ Während sie dies sagte, wurde das Gesicht ihrer Großmutter ganz weich und ihr Blick war in die Ferne gerichtet, als würde sie an weit zurückliegende Zeiten denken. Willow spürte plötzlich, dass sich jetzt eine seltene Gelegenheit ergab.

„Mit wem hast du denn sonst immer Schach gespielt, wenn nicht mit Iris?“, fragte Willow.
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Selbstverständlich wusste sie, dass Bone Hilda eine absolut nicht ernstzunehmende Schachspielerin war. Willow hatte bereits das Vergnügen gehabt, mit Bone Hilda Schach zu spielen – oder was auch immer das gewesen sein soll. Hilda hatte ständig versucht, alle Figuren zu beschützen und im harmonischen Abstand zueinander aufzustellen. Jedes Mal, wenn Willow eines von Hildas Figuren hat schlagen wollen, war Bone Hilda ganz aufgelöst und völlig fertig mit den Nerven gewesen.

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„Ach, da war dieser Speck-Junge damals, der damals sehr oft zu Tee bei uns vorbeikam und für die ein oder andere Partie Schach …“
Iris stönte theatralisch. „Du meinst doch nicht etwa Layne, oder?!“
„Doch, doch! Der lungerte doch damals ständig bei uns herum“, antwortete Aster leicht abwesend, während sie eingehend das Schachbrett studierte.
„Ja, weil er sich eingebildet hatte, in Lily verknallt zu sein …“, flüsterte Iris verächtlich.
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"Oh ja!“ Aster verzog den Mund als sei plötzlich ein ganz widerliches Insekt über das Schachbrett gelaufen. „Ich erinnere mich! So ein …“
„…Trottel“, ergänzte Iris.
Willow sagte nichts. Zu sehr fürchtete sie sich davor, den Gesprächsfluss zu stören oder gar plötzlich wieder verebben zu lassen. Stattdessen machte sie sich Notizen im Kopf zu einfach allem, was sie von Aster und Iris erfuhr. Den Namen Layne kringelte sie dabei fett rot ein.

„Oh, und mit Lily natürlich!“, rief Aster begeistert aus, während sie Willows Springer schlug. Willows Augen wurden groß, nicht wegen des genialen Schachzugs von Aster, sondern weil es sehr selten war, dass ihre Großmutter direkt von ihrer Tochter sprach. Willow musste nun sehr vorsichtig sein.
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„Spielt Lily besser als Iris?“, fragte Willow und versuchte so beiläufig wie nur möglich zu klingen und tat, als würde sie angestrengt über ihren nächsten Zug sinnieren.
Die genaue Wortwahl der Frage war sehr wichtig. Wenn Willow Lily als ihre Mutter bezeichnete oder von ihr in Vergangenheitsform sprach, machte Aster sofort dicht. Willow hatte das in der Vergangenheit schon hundertfach erlebt. Sie bemühte sich, die Aufregung, die in ihr aufzusteigen drohte, nicht anmerken zu lassen. Von der Couch her hörte sie das leise Rascheln von Kleidung, aber Willow traute sich nicht, hinüberzusehen. Sie konnte den glühenden Blick ihrer Tante regelrecht auf sich spüren.
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„Kein Vergleich! Lily ist die geborene Stategin. Keiner ihrer Züge ist je willkürlich. Meist legt sie sich schon zu Beginn der Partie zurecht, wie genau sie ihren Gegner in die Irre führen und ausspielen will. Dein Stil ist ihr fast ähnlich!“ Aster hielt inne als wäre es ihr unangenehm an die Ähnlichkeit zwischen Lily und Willow als Mutter und Tochter zu denken, fuhr dann aber glücklicher Weise fort. „Iris spielt intuitiver und lässt sich hingegen völlig vom Gefühl leiten. Gefühle lassen sich immer sehr einfach lenken und ausspielen! Gefühle sind der Feind des klaren Verstandes, Willow!“, sagte Aster schließlich und blickte ihr direkt in die Augen. Etwas, dass ihre Großmutter auch nur sehr selten tat.
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„Schachmatt“ erklärte sie dann.
Willow konnte nichts anderes tun, außer ihre Großmutter sprachlos anzusehen. Das Schachmatt hatte Willow natürlich kommen sehen, ihre Niederlage aber in Kauf genommen, wenn das bedeutete, ihrer Großmutter Gelegenheit zum Reden zu geben. Aber mit dieser persönlichen Ermahnung hatte sie nicht gerechnet. Willow war verwirrt. Irgendetwas passte in dem, was Aster gerade erzählt hatte, einfach nicht zusammen. Allerdings wusste Willow nicht genau, was das war.

Sie wollte ihre Großmutter gerade danach fragen, als ein tief grollender Gong sie vom Stuhl hochschreckte.
„Mein Gefühl sagt mir, da ist jemand an der Tür“, sagte Iris spitz während sie sich von der Couch erhob und den Salon in Richtung Eingangshalle verließ.
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Und damit war der seltene Augenblick plötzlich beendet. Willow kannte ihre Großmutter zu gut, als dass sie darauf hoffen konnte, jetzt noch etwas aus ihr herauszubekommen.
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„Ich werde mich jetzt zurückziehen!“, erklärte Aster ihrerseits schließlich und ließ Willow am Schachtisch zurück.

Nach dem Dinner zog sich Willow wieder auf den Dachboden zurück. Willows Zimmer war zwar um einiges wärmer und gemütlicher, aber der Dachboden war der einzige Ort, an dem sie sich sicher sein konnte, ihre ungestörte Ruhe zu haben. Niemand der drei anderen machte sich je die Mühe, die Dachbodentreppe hinaufzukommen.
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Und zur Umsetzung ihrer Pläne brauchte Willow ihre Ruhe. Ihrer Tante und ihrer Großmutter erklärte sie, dass sie oben im Atelier gerne malte, was an sich nicht völlig gelogen war. Tatsächlich jedoch zog sie die Einsamkeit hinauf unter das zugige, kalte Dach. Auch wenn das Gespräch beim Schach nur von kurzer Dauer gewesen war, hatte sie doch mehr erfahren, als sie ursprünglich zu hoffen gewagt hatte.
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Obwohl es zugegebenermaßen immer noch nicht besonders viel war. Sie wusste nun, dass ihre Mutter nicht nur gut in Schach war, sondern ein sehr taktischer Charakter. Und sie hatte einen Verehrer gehabt: Layne. Dies war in vielfacher Hinsicht interessant, denn Willow wusste zwar, dass Lily ihre Mutter war, allerdings war unbekannt, wer Willows Vater war. Es hieß Lily hätte sich glücklich verliebt, doch niemand wusste, in wen.

Grundsätzlich hatten Männer in der Familie Ambrose nie eine große Rolle gespielt. Durch den Fluch waren Liebesheiraten selbstverständlich ausgeschlossen. Willow konnte sich daran erinnern, wie ihr von kleinauf eingetrichtert wurde, dass Gefühle etwas Gefährliches waren und sie sich vor der Liebe unbedingt hüten sollte. Willow klappte ihr Tagebuch zu und starrte auf den braunen Ledereinband.
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Man konnte sich vorstellen, wie unangenehm die Gespräche erst wurden, als Willow ein Teenager wurde. Als Iris einen ausschweifenden Vortrag darüber hielt, dass ungezwungene Techtelmechtel – ja Iris nannte es Techtelmechtel! - ohne tiefgehende Gefühle ein angenehmes Vergnügen sein konnten, hatte Willow den Impuls verspürt, eine Rippe aus Hildas Körper zu reißen und sich damit selbst zu erdolchen, um diese Tortur nicht länger ertragen zu müssen. Ein unangenehmeres Gespräch konnte man sich kaum vorstellen.

Willow drängte die Erinnerungen zurück. Sie musste sich auf ihre Aufgabe konzentrieren. Sie stand vom Schreibtisch auf und löschte die Kerze, die ihr Licht beim Schreiben gespendet hatte. Im Spiegel wirkte ihr Gesicht in der Dunkelheit gespenstisch weiß und beinahe fremd. Sie sah viel abgeklärter und selbstsicherer aus als sie tatsächlich war.
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Im Kopf ging sie nochmal alle Einzelheiten durch. Sie hoffte inständig, dass sie keinen Fehler gemacht hatte und der Plan auch funktionierte. Nachdem sie die den Tisch und die Stühle beiseite geräumt, die abgetretenen Teppiche zusammengerollt und die fünfte Kerze entzündet hatte, musterte sie ihr Werk prüfend. Es sah genau so aus, wie in dem alten Buch, dass sie zufällig im Salon gefunden hatte. Es gab das Gerücht, dass die Vorfahren ihrer Familie früher Hexen gewesen seien und das Buch bestätigte dieses Gerücht ein wenig.
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Es hatte sie mehrere Tage gekostet die Ornamente mit weißer Kreide auf die alten Holzdielen zu malen und sie hatte mehrmals alles wieder wegwischen und von vorne anfangen müssen. Jetzt sah es genauso aus wie in der Abbildung aus dem Buch. Tagsüber hatte Willow ihr Werk unter den alten Teppichen verborgen für den unwahrscheinlichen Fall, dass Aster, Iris oder Hilda sich doch mal zufällig auf dem Dachboden verirrten. Sicherheit war das A und O.

Nirgendwo war es einfacher den Sensenmann zu rufen, als in Mourningvale. Den Schnitter zu beschwören war nicht die Schwierigkeit. Wenn man einen schlechten Tag hatte, lief man ihm hier sogar zufällig über den Weg. Schwieriger war es, sich vor seiner todbringenden Sense zu schützen.
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Willow hoffte inständig, dass der Schutzkreis hielt, was das Buch versprach und den Schnitter darin festhielt.

1564 Wörter
 
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Liebe Nyxx (oder Phoenyx!), wie schön, mal wieder etwas von dir zu lesen - und dann gleich eine so schöne Geschichte! :love: Ich liebe deinen Schreibstil und die Bilder dazu! :love: Und die Idee! :love: Genau mein Ding! Was wohl mit Lily passiert ist?
 
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Huh, fängt ja schon sehr Geheimnisvoll hier an. Da bin ich doch gerne mit dabei. 😁
Finde es sehr schön wie du deinen Sims hier Leben und Charakter in dieser Geschichte einhauchst.
Ein Baby das plötzlich auf einer Türschwelle lag, gleichzeitig ist die älteste Tochter des Hauses verschwunden. Sehr seltsam!
Schon die Vermutung das es sich bei diesem Baby um die leibliche Tochter von eben der vermissten jungen Frau handeln könnte, gibt ja schon Rätsel auf? 🤔
Und wer ist der Vater von diesem Baby? Noch mehr Rätsel.
Und das größte Rätsel, wo ist jetzt die vermisste Tochter?

Eine Mutter / Großmutter die scheinbar in der Vergangenheit festgehalten wurde. Die nicht wahrhaben möchte, das ihrer eigenen Tochter etwas schlimmes passiert sein könnte. Die jeden Augenblick hofft das ihre älteste Tochter wieder zurück kommt.

Auch die Schwerster von der Vermissten / Tante hat ihre eigenen Ansichten über das plötzliche Verschwinden. Tod??? Hmm, welchen Vorteil hätte sie selbst wenn ihre Schwester wirklich tot wäre?
Wäre es die Tatsache, das sie endlich loslassen könnte und über den Verlust trauen? Oder geht es auch hier um mehr?
Auch das sie so sehr davon überzeugt ist, dass das Findelkind (was anders ist das abgelegte Baby erst mal nicht!) wirklich das Baby von ihrer älteren Schwester ist?

Gibt es irgendwelche Familienbilder vor der Zeit des Verschwindens..., vielleicht eines welches einen Babybauch bei der besagten Vermissten andeutet?
Oder hatte der Fluch der auf dieser jungen Frau lag, dies verhindert, das man dies sehen konnte?

Spekulationen ... !
Ich 👻werde auf jeden Fall wiederkehren um die unergründliche Geheimnisse die hier mit der Zeit gelüftet werden mitverfolgen.
 
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Gibt's die Katze vielleicht auch als Download?
Die Katze habe ich tatsächlich selbst aus der Gallery heruntergeladen, finde aber leider nicht mehr woher. Sie ist aber defintiv zusammen mit dem Rest der Familie Ambrose unter meinem Nutzernamen MissyPhoenyx oder dem Objektname "Ambrose" in der Gallery herunterladbar. Dort ist übrigens auch Ambrosia Manor zu finden.

Liebe Nyxx (oder Phoenyx!), wie schön, mal wieder etwas von dir zu lesen - und dann gleich eine so schöne Geschichte! :love: Ich liebe deinen Schreibstil und die Bilder dazu! :love: Und die Idee! :love: Genau mein Ding! Was wohl mit Lily passiert ist?
Oh, das ist so schön zu lesen! :Love:
Ich muss ja sagen, dass das neue Leben & Tod Erweiterungspack auch voll mein Ding ist. Zusammen mit der Was man säht-Challenge von EA kam mir die Grundidee zur Geschichte. In der neuen Welt zu spielen, die neuen Möglichkeiten auszuprobieren und an der Geschichte zu werkeln machen einfach unfassbar viel Spaß. Und die Sims fühlen sich einfach auch sehr spannend an.
Es ist sehr lange her, das ich zuletzt mit so viel Motivation Sims gespielt habe.
Finde es sehr schön wie du deinen Sims hier Leben und Charakter in dieser Geschichte einhauchst.
Vielen lieben Dank, Dir! Ich liebe es einfach, meinen Sims Worte in den Mund zu legen und mir auszudenken, was sie zueinander wohl gerade auf Simlisch sagen. :DD

Spekulationen ... !
Es macht mir sehr, sehr viel Freude deine Spekulationen zu lesen! Rätsel sind einfach toll und ich freue mich sehr darauf mit meinen Sims auf die Suche nach Antworten zu gehen (auch wenn ich das Grundkonzept schon im Kopf habe).
 
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Das Pfeifen eines Zuges, das schrill durch die Nacht und durch die teilweise zerbrochenen Dachbodenfenster schallte, schreckte Willow derart auf, dass sie zusammenzuckte. Das war nur der Geisterzug, der nicht unweit von Ambrosia Manor jede Nacht zur Geisterstunde die Brücke passierte, versuchte sie sich zu beruhigen.
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Geisterstunde - wie passend! Nicht, dass die Uhrzeit zur Beschwörung des Schnitters wichtig wäre. Der Tod kam, wann es ihm beliebte und das musste nicht zwangsläufig mitten in der Nacht sein. Willow wäre die tröstliche Helligkeit des Tages für die Aufgabe, die vor ihr lag, lieber gewesen, allerdings gab es gute Gründe ihr Unterfangen in der Nacht anzugehen. Um drei Uhr in der Nacht waren wirklich alle Bewohner von Ambrosia Manor bereits in ihren Betten und schliefen, selbst ihre eigentlich so nachtaktive Tante. Höchstens Nemesis schlich eventuell irgendwo herum.
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Jetzt war also der perfekte Zeitpunkt! Und dennoch konnte Willow sich nicht aufraffen, die beschwörenden Worte zu sagen, die in Mourningvale, dessen Bewohner eine besondere Verbindung zum Tod hatten, jedem bekannt waren.

Ihre Hände waren eisig kalt und schwitzig. Ja, sie hatte Angst. Es gab keinen Grund, warum sie nicht zugeben sollte, dass das, was sie vorhatte, ihr nicht behagte. Von allen Familien, die in Mourningvale lebten, stand die Familie Ambrose als ehemalige Hüterin des Geheimnisses ewigen Lebens nicht gerade in der Gunst des Sensenmannes. Man könnte sogar sagen, Willow war gerade im Begriff, den Feind ins Haus zu holen. Aber der Sensenmann war die einzig wirklich verlässliche Quelle, um zu erfahren, ob ihre Mutter tot war oder nicht. Wollte sie also erfahren, was mit ihrer Mutter vor achtzehn Jahren geschehen war, brauchte sie Antworten.
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Willow faltete ihre zittrigen und eiskalten Hände ineinander und konzentrierte sich auf die Worte, die sie zwar von klein auf kannte, jedoch noch niemals zuvor laut ausgesprochen hatte:

Im Schattenreich der alten Seelen,
Hör' unser Rufen, unser Flehen.“


Kaum hatte Willow die ersten Worte gesprochen, konnte sie spüren, wie sich die Stimmung im Raum schlagartig änderte. Die Schatten schienen dunkler zu werden und die Kerzen flackerten plötzlich hektisch als hätte ein kalter Windhauch die Flammen in Bewegung versetzt.
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Willow hatte auf einmal das Gefühl, einen entsetzlichen Fehler zu machen. Aber kaum hatte sie angefangen, die Beschwörung des Sensenmannes zu sprechen, konnte sie sich nicht mehr davon abhalten weiterzusprechen. Die Worte verließen gegen ihren Willen ihren Mund, und so sprach sie weiter:

O Schnitter, leise naht dein Schritt,
Mit kaltem Stahl und finst‘rem Blick.
Dein Schatten lang, die Sense scharf,
Sing‘ uns das Lied vom letzten Schlaf.“


Die Kerzen des Bannkreises flackerten geräuschvoll und hell auf. Für einen kurzen Moment war der Dachboden hell erleuchtet. Dann erloschen sie mit einem Schlag und um Willow war nur noch Finsternis.
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In der plötzlichen Dunkelheit konnte Willow kaum noch was erkennen. Ihre verschlungenen Finger gruben sich fest ineinander als müssten sie sich selbst an irgendetwas festhalten. Sie war wie erstarrt und konnte sich nicht bewegen, obwohl all ihre Sinne danach schrien davonzulaufen. Mit zitternder Stimme sprach sie die letzten Worte der Beschwörung:

Sensenmann, mit Mantel schwer,
Zeig‘ dich jetzt – KOMM ZU MIR HER“

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In dem Moment als die letzten Worte ausgesprochen waren, hatte sich die merkwürdige Körperstarre gelöst. Willow fühlte sich, als wären all ihre Sinne plötzlich übersensibel. Die Stille, die nun im Dachboden herrschte, war erdrückend. Die Schatten schienen nach ihr zur greifen.
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Auf einmal war er da.

Willow konnte ihn nicht sehen, aber sie wusste plötzlich mit absoluter Gewissheit, dass der Tod mit ihr im selben Raum war. Sie konnte seine Anwesenheit beinahe körperlich spüren.

Jeder Atemzug fühlte sich schwerer und schwerer an, als würde etwas ihr die Brust zuschnüren und sie am Atmen hindern. Einen Moment lang dachte Willow, sie würde sterben. Das Erschreckendste daran war, dass dieser Gedanke sie plötzlich nicht mehr ängstigte.
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Und dann leuchteten die Kerzen in kalten grünen Flämmchen wieder auf und tauchten den Dachboden in einen gespenstischen grünen Lichtschimmer. Nun konnte Willow den Raum wieder klarer sehen – und sie war tatsächlich nicht mehr allein.
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Willow wusste nicht, was sie mehr erschreckte. Die lange, scharfe Sense, in dessen Klinge sich das Flackern der kleinen grünen Flammen spiegelte oder die Tatsache, dass der Schatten, den die Kapuze warf, das Gesicht darunter vollständig verhüllte. Willow hielt den Atem an und wünschte sich plötzlich, sie hätte diesen tollkühnen Plan niemals gehabt. Sie betete, dass der Bannkreis halten würde.

Als hätte der Schnitter ihre Gedanken gelesen, kreiste er schweigend den Bannkreis von innen einmal entlang.
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Nur um ihn dann völlig mühelos zu verlassen.

„Niemand“, erfüllte die dunkle Stimme des Schnitters plötzlich unheilvoll den Raum, „vermag es mich einzusperren!“ Bedrohlich kam er auf Willow zu. Sie verspürte das dringende Verlangen zurückzuweichen. Ach was, am liebsten wollte sie die Treppe hinunterrennen, fliehen und den Dachboden samt Schnitter einfach nur hinter sich lassen! Aber sie war starr vor Angst und konnte sich nicht rühren.
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„Ich bin kein Geist oder Dämon, den man mit einem lächerlich kleinen Bannkreis einsperren kann. Ich bin der Tod!“ Die tiefe Stimme des Schnitters donnerte regelrecht durch den Raum und brachte Willow zum Zittern. Er war ihr nun so nah, dass die dunklen Schatten, die von ihm ausgingen, ihre Knöchel umspielten und eiskalt ihre Beine hinaufkrochen. So nah, dass ihr der Geruch des Sensenmannes in die Nase stieg. Der Tod roch nach Rauch, Zedernholz und Lilien.

„Ich komme und ich gehe. Wann ich will! Wohin ich will! Wie ich will!“
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„Ich … äh, ich wollte nicht … - es tut mir leid!“, stammelte Willow und ihre Stimme versagte ihr mitten im Satz den Dienst. „Ich bitte um Vergebung, … i-ich wollte Euch nicht beleidigen!“, versuchte sie sich so höflich wie möglich zu entschuldigen – falls es nicht schon zu spät war.
„Du hast nicht die Macht, um mich beleidigen zu können!“, antwortete der Sensenmann brüsk. Sein Tonfall triefte vor Verachtung, aber darin lag noch etwas anders …

Willow konnte die Nähe des Todes kaum aushalten. Endlich gelang es ihr, ein paar Schritte nach hinten vor ihm zurückzuweichen.
„So, so. Eine Ambrose ruft nach mir!“ Jetzt war sich Willow sicher. Da war noch mehr als bloße Verachtung in der Stimme des Schnitters: Belustigung. Willow bezweifelte, dass es etwas Gutes zu bedeuten hatte, wenn der Schnitter etwas amüsant fand.
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„Was ist es dieses Mal?“
„Dieses Mal?“, wiederholte Willow irritiert.
Der Sensenmann lachte freudlos auf. Dieses Lachen kroch ihr förmlich unter die Haut und verursachte am ganzen Körper Gänsehaut
„Es gab noch keine Generation, in der eine Ambrose-Frau nicht irgendetwas von mir begehrte. Also, was ist es dieses Mal?“ Nun klang die tiefe Stimme des Sensenmannes beinahe gelangweilt.
Willows Gedanken überschlugen sich bei diesen Worten.
„Sprich schon!“, forderte der Schnitter sie ungeduldig auf.
„Was wollte meine Mutter von Euch?“, flüsterte Willow schließlich.
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Der Sensenmann schwieg lange und es schien, als würde er sie hinter den tiefen undurchdringlichen Schatten seiner Kapuze lange mustern. Willow befürchtete schon, dass er auf ihre Frage gar nicht mehr antworten würde und wollte sie fast wiederholen, als wieder seine tief grollende Stimme ertönte: „Lily Ambrose wollte mehr als ihr zustand!“
„Was …“, setzte sie an, doch der Sensenmann hob seine Hand und schnitt ihr mit dieser Geste machtvoll das Wort ab.
„Das ist das Einzige, was ich dazu sagen werde“, sagte er mit einer solchen Bestimmtheit, dass Willow wusste, dass es zwecklos war, weiter darüber verhandeln zu wollen.
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„Nun? Was begehrt Willow Ambrose vom Sensenmann? Aber bevor du sprichst, bedenke: Alles hat seinen Preis.“
Willows Herz schlug so laut in ihrer Brust, dass sie befürchtete, der Sensemann könne das Pochen hören.
„Preis?“, wiederholte sie atemlos.
Die Antwort war ein leises, grauenvolles Lachen und da war sich Willow sicher, dass er vermutlich tatsächlich ihr pochendes Herz schlagen hören konnte.
„Wenn du dich zu sehr fürchtest, solltest du nicht mit dem Tode spielen“, belehrte der Schnitter sie und wieder schwang etwas, das verdächtig nach Belustigung klang in seiner Stimme mit.
„Ich fürchte mich nicht.“ Die Worte verließen Willows Mund noch ehe sie sich eines Besseren besinnen konnte.
„Lüg‘ nicht!“ Die Stimme des Sensenmannes donnerte so laut durch den Dachboden, dass sie sofort vor ihm zurückzuckte und damit ihre eigenen Worte Lügen strafte.
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„W-was ist der Preis?“, flüsterte Willow schließlich zaghaft und schluckte den schweren Kloß herunter, der ihr im Halse steckte.
„Das hängt ganz davon ab, was du willst, Sterbliche!“
Willow straffte die Schultern und kratzte all ihren Mut zusammen. Sie brauchte Antworten! Was konnte diese Frage sie schon kosten? Wenn sie wirklich wissen wollte, ob ihre Mutter tot war, dann konnte nur der Sensenmann ihre verlässliche Auskunft geben. Für einen kurzen Augenblick befürchtete Willow, dass der Preis für die Antworten, die sie begehrte, ihr eigenes Leben sein könnte. Sie fragte sich, ob das Wissen um das Schicksal ihrer Mutter Wert war dafür zu sterben?
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Wieder lachte der Sensenmann sein leises, kaltes Lachen und die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich bei dem Klang auf.
„An deinen Tod bin ich nicht interessiert“, sagte er schließlich. Entweder Willow war so durchschaubar, dass ihre Gedanken ihr offen ins Gesicht geschrieben standen oder der Sensenmann verfügte in der Tat über die Macht Gedanken zu lesen. Sie wusste nicht, was sie mehr ängstigte. Und dass der Schnitter offenbar kein Interesse daran hatte, ihr das Leben im Tausch für Informationen zu nehmen, beruhigte Willow nur bedingt.
„So viele Zweifel, so viele Sorgen!“ Sie konnte nun Ungeduld in der Stimme des Sensenmannes hören. „Entscheide Dich!“
Willow atmete tief ein und zählte in Gedanken bis drei.
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Als sie wieder ausatmete, antworte sie: „Also gut …“

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Es gibt Leute die behaupten sie hassen "Cliffhanger". 😁
Ich kann dich beruhigen, ich mag sie. 🥰 Da kann ich dann so schön rätseln wie es weiter geht und werde trotzdem mit Sicherheit nochmals ganz anders überrascht werden.

Als erstes: Tolles Gedicht/toller Spruch:
Im Schattenreich der alten Seelen,
Hör' unser Rufen, unser Flehen.“
O Schnitter, leise naht dein Schritt,
Mit kaltem Stahl und finst‘rem Blick.
Dein Schatten lang, die Sense scharf,
Sing‘ uns das Lied vom letzten Schlaf.“
Sensenmann, mit Mantel schwer,
Zeig‘ dich jetzt – KOMM ZU MIR HER“
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Der Tod roch nach Rauch, Zedernholz und Lilien.
Ich konnte es förmlich riechen... 👃
Aber irgendwie ein beruhigender Duft. Ich hatte schon befürchtet er riecht nach Moder und Fäulnis. Aber das wird eher die Pest gewesen sein (sofern man dieser Krankheit einen simlischen Körper verpassen würde).

„Was ist es dieses Mal?“
„Dieses Mal?“, wiederholte Willow irritiert.
Der Sensenmann lachte freudlos auf. Dieses Lachen kroch ihr förmlich unter die Haut und verursachte am ganzen Körper Gänsehaut
„Es gab noch keine Generation, in der eine Ambrose-Frau nicht irgendetwas von mir begehrte. Also, was ist es dieses Mal?“ Nun klang die tiefe Stimme des Sensenmannes beinahe gelangweilt.
Das ist ja wirklich mal eine sehr interessante Information. Es gab noch keine Generation, in der eine Ambrose-Frau nicht irgendetwas von ihm begehrte?
Das heißt, selbst als sie noch die Hüterin des Geheimnisses ewigen Lebens waren, hat sich mindestens eine von den Ambrose-Frauen mit einer Bitte an den Sensenmann gewandt?

„Was wollte meine Mutter von Euch?“, flüsterte Willow schließlich.
Der Sensenmann schwieg lange und es schien, als würde er sie hinter den tiefen undurchdringlichen Schatten seiner Kapuze lange mustern. Willow befürchtete schon, dass er auf ihre Frage gar nicht mehr antworten würde und wollte sie fast wiederholen, als wieder seine tief grollende Stimme ertönte: „Lily Ambrose wollte mehr als ihr zustand!“
Und somit ist bestätigt, dass Lily Ambrose tatsächlich ihre Mutter ist. Der Tod wird das schon wissen. ;-)
Somit ist das schon mal geklärt.

Dass sich der Sensenmann amüsiert, dass ausgerechnet eine Ambrose sich schon wieder an ihn wendet, kann ich mir vorstellen. Ebenso über Willow's schockiertes Gesicht, als dieser Bannkreis, der ihn aufhalten sollte nicht funktionierte.
Der Sensenmann spielt ganz schön mit dem jungen Mädchen, ihren Ängsten und ihrer Unwissenheit. ♟️

„Nun? Was begehrt Willow Ambrose vom Sensenmann? Aber bevor du sprichst, bedenke: Alles hat seinen Preis.“
Und jetzt kommst...
"Alles hat seinen Preis!"

Nachdem jetzt schon klar ist, das er nicht das junge Leben von Willow dafür haben möchte, ... was wird es sein was er von Ihr verlangen wird?

Ich grübel mal jetzt vor mich hin was es sein könnte...bzw. was ich als Sensenmann als Gegenleistung fordern würde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ok, dann oute ich mich mal als großer Fan! Dein Schreibstil, Deine Bilder, die Art, wie Du Deine Geschichte "baust" - das ist einfach unbeschreiblich, kann ich nicht in Worte fassen.
Ist vom Setting her auch genau mein Ding - das letzte Event hatte mich ja auch dazu gebracht, nochmal mit Begeisterung das Gameplay des paranormale-Phänomene-AP zu spielen und das neue Leben-und-Tod-EP konnte ich gar nicht früh genug in die Finger kriegen .... und dann kommst Du und setzt diese Geschichte so toll um.

Eigentlich sollte die Katze wirklich eine Geisterkatze sein und im CAS war sie das auch noch, aber beim Laden des Spiels war sie plötzlich wieder lebendig ... aber immer noch zum gruseln. :ROFLMAO:
Die Katze finde ich auf morbide Art niedlich - und ihr Name ist genial! Untot passt irgendwie auch super zu dieser Familie bzw. der Gegend.
Mit dem Pre-Patch zum Leben und Tod EP wurden ja auch die Geister überarbeitet - dabei war EA ganz EA (sprich: Shit happens). Seit dem können nur Tier-Senioren zum Geist werden (was auch etwas dumm für die von EA selbst erstellten Tiergeister wie z.B. Captain Whitaker aus Brindleton Bay war. Der war nämlich kein Senior und wurde nach dem Patch dann auch wieder lebendig ....).
Vielleicht liegt Nemesis' untotes Dasein also an diesem EA-Malheur?

Der Dachboden von Ambrosia Manor ist ein Ort, an dem ich auch gerne Abstand vom Rest der Welt nehmen würde (vielleicht mit Nemesis als Gesellschaft, aber nicht so gerne mit dem Sensenmann - auch wenn der ganz gut zu riechen scheint ☺️).

Natürlich hatte ich auch ne Theorie hinsichtlich Lily und Willow Ambrose .... eine packbezogene Theorie.
Und zwar hab ich vermutet, dass Lily nicht (mehr) tot und Willow nicht ihre Tochter ist ... sondern ihr wiedergeborenes Selbst ohne Erinnerung an ihr früheres Leben.

Auf der anderen Seite hat Sensenmann höchstpersönlich (wie schon von Spionelfchen Naseweiß geschrieben) mehr oder weniger indirekt bestätigt, dass Lily Willows Mutter ist.
Und da ist noch dieses Zitat von Beginn der Geschichte:
Die Familie, die einst Hüterin dieses Geheimnisses hätte sein sollen, wurde mit dem Fluch belegt, dass kein Mitglied der Familie zu Lebzeiten je wieder ungestraft Glück in der Liebe finden sollte.
"Zu Lebzeiten". Hm. Hat Lily ihre Liebe gefunden und kann diese wegen des Fluches nur im Tod erfüllen (doofes Wort hierfür, aber "erleben" passt ja auch nicht so)?
Bzw. ihr Tod war die Strafe für ihre Liebe ... in dem Fall könnte Willows Erzeuger noch am Leben sein.
War das Lilys Wunsch - das sie ihrer Familie eine Tochter hinterlassen darf?
Oder war der Tod himself Lilys Liebe und Willow ist .... aber nö, ich glaub jetzt gehts mit mir durch.

Und sein Preis - Willow muss sein Azubi werden und ihm beim Schnittern helfen ... 🤭. Ok, jetzt bin ich mir sicher, dass es mit mir durchgeht ...

Das macht mich völlig fertig - aber ich mag das sehr gerne so 🤗
Das macht mein morbides 🖤 glücklich.
 
Es gibt Leute die behaupten sie hassen "Cliffhanger". 😁
Ich kann dich beruhigen, ich mag sie. 🥰
Ich kann auf jeden Fall sagen, dass ich Cliffhanger nicht bewusst plane. Sie ergeben sich leider, vor allem weil ich schaue, dass jedes Kapitel eine Länge von ca. 1500 Wörtern hat und da bin ich sehr froh, wenn ich für die Cliffhanger nicht durch's Dorf gejagt werde. :ROFLMAO:

Ich muss aber auch gestehen, dass ich es als Leseratte ebenfalls liebe, wenn ein Kapitel spannend endet.
Als erstes: Tolles Gedicht/toller Spruch:
Danke! Dabei hasse ich es zu dichten. Ich glaube, für das kleine Gedicht saß ich länger dran als an allen drei Kapiteln zusammen.:ROFLMAO:
Aber ich wollte den Sensenmann nicht einfach bloß über das Schnitterfon rufen.

Ok, dann oute ich mich mal als großer Fan! Dein Schreibstil, Deine Bilder, die Art, wie Du Deine Geschichte "baust" - das ist einfach unbeschreiblich, kann ich nicht in Worte fassen.
Danke, danke, danke! Das freut mich unglaublich zu lesen, dass das gesamte Paket gefällt. Ich liebe es total, mich in Sims in den Baumodus zu verkriechen und quasi die "Kulisse" zu erschaffen, ich mag schöne Bilder und ich schreibe Geschichten, tatsächlich seit ich Schreiben gelernt habe. Das alles zu vereinen macht mir unglaublich viel Spaß!
Ist vom Setting her auch genau mein Ding
Das Leben und Tod-EP ist ein EP von dem ich selbst gar nicht gewusst hatte, dass ich es brauche, aber ich finde, es ist ganz klar eines der besten EPs von Sims 4! Ich habe theoretisch keine Zeit zum Spielen, aber dieses EP hat mich so angefixt, dass ich nach Ewigkeiten wieder mit Begeisterung Sims 4 spiele.
Vielleicht liegt Nemesis' untotes Dasein also an diesem EA-Malheur?
Ahhhhhhhh - mir geht ein Lichtlein auf! Das wird es wohl gewesen sein! Und ich habe schon gedacht, ich stelle mich total dämlich an. :ROFLMAO:

Der Dachboden von Ambrosia Manor ist ein Ort, an dem ich auch gerne Abstand vom Rest der Welt nehmen würde
Und dabei ist der Dachboden so eine Rumpelkammer :ROFLMAO:

Das macht mich völlig fertig - aber ich mag das sehr gerne so 🤗
Das macht mein morbides 🖤 glücklich.
Ach, das freut mich so sehr zu lesen und macht gleich doppelt Freude beim Schreiben. :Love:

Vielen vielen Dank für die tollen ausführlichen Kommentare, in denen ihr mich an euren Gedanken teilhaben lasst.
Ich lese mit sehr, sehr viel Begeisterungen die ganzen Mutmaßungen und Spekulationen, sitze vor dem Laptop und grinse wie ein Honigkuchenpferd - so viel sei auf jeden Fall gesagt. Kommentieren werde ich sie aber lieber nicht, damit ich mir nicht selbst ein Grab schaufel ... passend zum Thema.
Ich habe auch schon einige "normale" Geschichten geschrieben, die keine Sims-Storys/-Dokus sind und da gibt es natürlich so einen Austausch nicht, aber das hier mitzuerleben ist sooo, soo cool. Die Gedanken, Spekulationen und Vermutungen, das Zerpflücken von Worten - herrlich! Ich liebe alles daran!
Also vielen, vielen Dank für's Teilhaben lassen. ❤️
 
Wow @Nyxx - mit einem Wort - fantastisch!! 👏😍
Alles - Bilder, Text ... mir macht's eine super Freude, deine Geschichte um die Familie Ambrose mitzuverfolgen. Du schreibst wirklich ganz, ganz wundervoll. 🤗 Und das Gespräch zwischen dem unheimlichen Sensenmann und der zitternden Willow "hörte" ich beim Lesen fast in meinem Kopf, so gut hast du alles beschrieben.
Wieder lachte der Sensenmann sein leises, kaltes Lachen und die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich bei dem Klang auf.
Nicht nur bei Willow stellen sich da die Nackenhärchen auf ... was wird nun ihre Frage sein?? 😬
 
  • Danke
Reaktionen: Widget und koala
Und dabei ist der Dachboden so eine Rumpelkammer :ROFLMAO:
Ja - aber eine schöne Rumpelkammer. Ein Ort, an dem man seine Ruhe hat (abgesehen von ein paar Spinnen und vielleicht Fledermäusen) - ich hab ein Faible für sowas.
Als EA damit begonnen hat, Texturen mit teils deutlichen Gebrauchsspuren ins Spiel zu bringen, hab ich das gefeiert. Seitdem findet man in meinem Spielstand kaum ein Haus, das nicht über einen gerümpeligen Dachboden oder Keller verfügt.
 
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Der Blick aus dem Fenster ihrer kleinen Kammer verriet Bone Hilda, dass es Nacht war und der Morgengrauen noch fern. Eigentlich müsste sie noch tief und fest schlafen. Es war ungewöhnlich, dass sie einfach so aufwachte. Sie warf die Decke beiseite, schwang ihre knöchrigen Beide aus dem Bett und sah sich in der dunklen Kammer um, auf der Suche nach dem, was sie geweckt hatte.

Bone Hilda mied die dunklen Stunden der Nacht und sorgte stets dafür, dass sie den größten Teil davon verschlief. Ihre Herrin, Iris, die eine Vorliebe für die Düsternis und alles Makabere hegte, neckte sie immer wieder dafür, dass ausgerechnet sie sich vor der Dunkelheit fürchtete. Bone Hilda wusste, dass ihre Herrin dies nicht aus Bösartigkeit tat, sondern Iris einfach genau wie die meisten Sterblichen war: Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es etwas gab, vor dem sich Skelette fürchten konnten.
Hilda hatte in all den Jahren ihrer knöchrigen Existenz die Erfahrung machen müssen, dass es den Sterblichen nur zu oft an Empathie für die Toten oder Untoten mangelte.
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Die Dunkelheit erinnerte Hilda an das kalte modrige Grab, in dem sie eines Nachts plötzlich erwacht war. Der Schrecken, den sie empfunden hatte, als sie an sich herab gesehen und festgestellt hatte, dass das Fleisch ihr von den Knochen gefault war, suchte sie noch heute heim.
Nach all den Jahrzehnten wusste sie nicht mehr viel von den ersten Stunden ihres unheiligen Erwachens, aber sie erinnerte sich daran, wie sie hatte verzweifelt Schreien wollen. Doch auch ihre Stimmbänder waren längst verrottet gewesen und statt zu Schreien, hatte sie aus dunklen Augenhöhlen stumm in die Dunkelheit gestarrt und wäre sie nicht bereits tot gewesen, dann wäre sie sicher vor Angst gestorben.
Bis heute hatte Hilda eine tiefe Abneigung gegen Dunkelheit oder geschlossene Räume ohne Fenster. Sie war ihren Herrinnen deshalb sehr für ihre kleine Kammer im ersten Stock mit nicht nur einem sondern gleich zwei Fenstern dankbar.
Obwohl ihre Herrinnen auf Hilda hier und da sehr eigentümlich und exzentrisch wirkten, war sie sehr glücklich nun im Dienst dieser Familie stehen zu dürfen. Es gab kaum etwas, dass sie nicht für diese Frauen tun würde.
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Hilda wollte sich gerade wieder ins Bett legen und versuchen, zurück in den Schlaf zu finden, als ihre Knochen plötzlich vibrierten.
Da!
Als wäre ein Stromstoß durch sie hindurch gefahren, richtete sich Hilda kerzengerade auf dem Bett auf.
Das war es, was sie mitten in der Nacht geweckt hatte!
Die Anwesenheit des Todes ließ ihre kalten Gebeine erzittern. Hilda wusste nicht, weshalb sie die Präsenz des Sensenmannes so genau spüren konnte, aber sie vermutete, dass es daran lag, dass sie selbst eigentlich tot sein müsste. Die Gegenwart des Sensenmannes ließ sie jedes Mal körperlich spüren, wie falsch ihre Existenz war und sie in ihrem Grab zu Staub hätte verrotten sollen.

Mit einer ruckartigen Bewegung sprang Bone Hilda vom Bett auf und schritt durch die kleine Kammer zur Tür. Der Sensenmann war hier! Hier auf Ambrosia Manor. Das konnte nichts Gutes für die Ambrose-Damen bedeuten!
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Eilig trat sie hinaus in den Flur und ließ sich von ihren vibrierenden Gebeinen leiten. Vorbei an Lady Asters Gemach. Hätte Bone Hilda noch Lungen besessen, dann hätte sie jetzt vermutlich laut aufgeatmet. Der Sensenmann hatte es also nicht auf die alte Matriarchin abgesehen. Als ihre Knochen sie auch an das Zimmer von Lady Iris vorbei führten, wurde Bone Hilda jedoch von kaltem Schrecken gepackt.
Was wollte der Sensenmann von Willow?
Als ihre Knochen sie zur Tür leiteten, hinter der die Treppe zum Dachboden lag, statt zu Willows Zimmer, wurde ihr noch mulmiger zu mute. War Willow etwas geschehen? Hatte sie einen Unfall gehabt? Willow war jung und gesund, es musste also ein Unfall geschehen sein!
Oder war es etwa noch Schlimmer?
Hatte Willow den Schnitter beschworen?
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Hilda trat durch die Tür, die zum Dachboden führte und stieg die schmale Treppe hinauf. Der Blick nach oben verriet ihr, dass der Dachboden beinahe völlig im Dunkeln lag. Lediglich ein leicht grüner Schimmer war zu erkennen. Dies schien Hildas schlimmste Befürchtungen zu bestätigen.

Für Bone Hilda war ihre Existenz kein Segen. Hätte sie damals ein Wörtchen bei ihrer Auferstehung mitzusprechen gehabt, hätte sie sich definitiv dafür entschieden, tot zu bleiben. Einer der größten Bürden als lebendiges Skelett war ihre Stummheit. Bone Hilda konnte nicht sprechen. Bei allen möglichen Körperfunktionen, die der Nekromant damals bei ihrer Auferstehung als wichtig erachtet und geflissentlich wieder hergestellt hatte, hatte er das Sprechen entweder vergessen oder absichtlich ignoriert.
Und dabei hatte sie so viel zu sagen! Zum Beispiel, dass man den Tod nicht zu sich rief, bevor es nicht an der Zeit war, den letzten Lebenshauch zu tun!
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Bone Hilda schlich nun langsamer die Treppe hinauf. Sie entschied sich, dass sie nicht einfach so dazwischen platzen wollte, solange sie nicht wusste, was da vor sich ging. Stufe um Stufe schlich sie höher, bis sie plötzlich die tiefe, leicht kratzige Stimme des Schnitters wahrnahm.
“Das ist es, was du begehrst? Du bist dir sicher?”
“Ja!” Die Antwort war so leise, dass Hilda sie beinahe nicht gehört hätte. Aber der Klang der Stimme verriet ihr, dass das da oben eindeutig Willow war. Bone Hilda erklomm noch zwei Stufen, um besser zu hören und um einen Blick durch das Geländer werfen zu können.
“Ich muss es wissen: Ist meine Mutter tot? Hast du Lily Ambrose ins Reich der Toten geholt?”
Der Schnitter antwortete nicht. Stattdessen zog er etwas Schwarzes aus den Weiten seines Umhanges und hielt es Willow hin.
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“Sieh selbst, wenn du dich traust”, sagte er. “Das einzige, was du tun musst, ist an den Namen desjenigen denken, dessen Schicksal du erfahren möchtest!”
Hilda sah Willow sofort nach dem Tablet greifen, doch der Sensenmann zog es sofort wieder weg.
“Sei gewarnt! Konzentriere dich auf den Namen Lily Ambrose und denke an nichts anderes. Sonst könnte es sein, dass du Dinge siehst, die du lieber nicht wissen möchtest.” Nach diesen Worten hielt er Willow wieder das Tablet entgegen.
“S-sie … oh mein Gott, … sie- sie lebt!”, stotterte Willow so sehr, dass es Bone Hilda schwer ums Herz wurde.
“Nein!”, widersprach der Sensenmann sofort.
“A-aber …”
“Das Einzige, das diese Liste verrät, sind die Toten, die ich ins Jenseits geschickt habe und Jene, die bald tot sein werden.”
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“Aber wenn sie nicht tot ist …”
“Es ist die Liste der Toten. Sie enthält so viel Wahrheit wie wir ihr beimessen. Eine Liste ist nur eine Liste. Lily Ambrose steht nicht darauf, das heißt, ich habe sie nicht in das Jenseits begleitet. Mehr kann diese Liste nicht verraten.”, erklärte der Sensenmann geheimnisvoll.
Man konnte an Willows Gesicht ablesen, dass sie mehr als nur verwirrt war. Offenbar hatte sie es sich viel einfacher vorgestellt, beim Sensenmann mehr über das Schicksal von Lily zu erfahren.
Wenn das arme Kind nur wüsste, dachte Bone Hilda betrübt.
Dann streckte der Schnitter seine Hand aus und ergriff Willows zitternde Hand. Bone Hilda schlug sich die eigene Hand vor den Mund. Aus alter Gewohnheit heraus natürlich. Denn selbst wenn sie wollte, käme kein Schrei mehr aus ihrer Kehle heraus.
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Also hatte das törichte Mädchen tatsächlich einen Handel mit dem Tod höchstpersönlich abgeschlossen. Für was? Für eine Liste, die laut den eigenen Worten des Sensenmannes nur eine Liste war und nicht mehr. Bone Hilda fragte sich, was zur heiligen Kuhpflanze ihr kleines Mündel für diese Lächerlichkeit an Information eingetauscht hatte.

Ohne dass ein weiteres Wort zwischen Willow und den Sensenmann gefallen war, hob dieser nun seine riesige furchteinflößend scharfe Sense. Das schwache grüne Licht im Dachboden erbebte.
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Dann umhüllte ein undurchdringlicher schwarzer Nebel den Sensenmann und riss ihn mit sich hinfort in die ewige Dunkelheit.
Mit dem Verschwinden des Sensenmannes war der grünliche Schimmer verschwunden und der Dachboden leuchtete wieder im behaglichen, warmen Kerzenschein. Bone Hildas Gebeine hatten aufgehört zu Summen, was für sie das Zeichen war, dass der Sensenmann nicht nur den Dachboden sondern auch dieses Grundstück verlassen hatte.
Sofort stürzte Hilda die verbliebenen Treppenstufen hinauf. Willow erschrak, als sie Bone Hildas plötzlichen Schritte auf dem verlassenen Dachboden hörte, schien sich aber sofort zu entspannen, als sie sah, dass es lediglich das Hausmädchen war.
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Was Hilda nur noch wütender machte. Sie baute sich vor Willow auf und gestikulierte so wild mit ihren Händen und Armen, dass ihre Knochen gespenstisch in der Stille des Dachbodens klapperten.
“Hilda! Ich-“, versuchte Willow sie zu unterbrechen, aber Bone Hilda hielt nicht inne. Sie hatte so viel zu sagen. Viel mehr als sie mit ihrer Gebärdensprache, die sie immer noch erst lernte, ausdrücken konnte.
“Ich weiß, … Hilda, du hast Recht!” Willow schrie nun beinahe. Das riss Bone Hilda tatsächlich aus ihrer Raserei heraus, was sie nur noch mehr grämte. Sie hatte keine Stimme mehr um all die kleinen und großen Geheimnisse, ihre Gedanken oder ihre Emotionen aus sich herausschreien zu können, aber die Stimmen anderer hatten umgekehrt noch immer eine so große Macht auf sie.
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“Hilda, du hast Recht! Das war dumm! Eine richtig dumme, dumme, dumme Idee. Aber … ich … Hilda, ich muss einfach wissen, was mit meiner Mutter passiert ist damals. Alle hier scheinen Lilys Schicksal einfach so hingenommen zu haben, niemand sucht nach ihr. Das verstehe ich einfach nicht. Vielleicht werde ich sie ja nie finden. Das weiß ich. Aber ich möchte es zumindest versuchen und vielleicht erfahre ich dabei ja mehr über meine Mutter und was damals passiert ist heraus.”
Sofort gestikulierte Hilda weiter nachdem Willow fertig gesprochen hatte.
“Langsamer! Hilda, bitte, ich bin nicht so gut darin!”
Also wiederholte Hilda mit ruhigeren Bewegungen ihre Frage.
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“Was ich ihm versprochen habe?”
Hilda nickte eifrig.
Willow schluckte und es fiel ihr sichtlich schwer von der Vereinbarung zu erzählen, die sie mit dem Sensenmann getroffen hatte. Bone Hilda konnte sehen, wie sich Willows Augenbrauen zusammenzogen. Das tat sie immer, wenn sie angestrengt über etwas nachdachte. Vermutlich überlegte Willow, mit welcher Lüge sie sich glaubhafter vor Bone Hilda herausreden konnte.
Brüsk gestikulierte Hilda wieder mit dem Wenigen an Gebärdensprache, das sie beherrschte: Sag’ die Wahrheit!
Willow biss sich ertappt auf die Unterlippe, schien dann den Plan mit den Lügen zum Glück verworfen zu haben.
“Einhundert Seelen”, flüsterte Willow.
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Bone Hilda schlug sich die Hände gegen den blanken Schädel. Das war eine Katastrophe! Eine richtige Katastrophe! Und Hilda konnte nichts mehr dagegen tun. Einen bereits geschlossenen Pakt mit dem Sensenmann konnte man nicht mehr brechen. Außer man war willens die schlimmsten Konsequenzen auf sich zu nehmen, die man sich vorstellen konnte, was meist der Tod selbst war. Der eigene oder der Tod eines geliebten Menschen.
Verzweifelt schüttelte Hilda den Kopf.
So viele Jahre hatte sie sich darum bemüht, dieses Mädchen vor dem Tode zu bewahren und nun war es zu spät. Schon wieder.
“Das klingt schlimmer als es ist”, versuchte Willow sie zu beschwichtigen.
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“Der Schnitter fand den Gedanken amüsant, dass ausgerechnet ein Mitglied unserer Familie, den Tod bringen wird. Aber das werde ich schon schaffen! Einhundert Seelen. Gestorben wird immer! Ich werden meinen Teil der Abmachung schnell erledigt haben und dann bin ich den Sensenmann wieder los.”
Nun zeichnete sich doch tatsächlich ein zaghaftes Lächeln auf Willows Lippen ab. Bone Hilda musste dabei sofort an Lily denken und ein kalter Schauer jagte ihre Gebeine entlang.
“Ich mache einfach eine Lehre beim Sensenmann”, sprach Willow nun mit hörbar leichterem Herzen dahin.
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“Vielleicht erfahre ich dabei ja doch mehr über meine Mutter! Ich meine, wie wird diese Liste über all die Tode geführt? Gibt es ein zentrales Register? Was genau passiert mit den Seelen? Je länger ich darüber nachdenke, umso besser finde ich das Ganze. Eine Win-Win-Situation sozusagen! Aber versprich mir, dass du, absolut niemanden hiervon erzählst!”
Ein Geheimnis! Schon wieder! Eines von vielen, die Bone Hilda in den Jahrzehnten seit ihrer Auferstehung als Skelett zu hören bekommen hatte und die sie wie ihre Stimmlosigkeit zum Schweigen verdammte. Und dabei hatte sie doch so viel zu sagen!

1957 Wörter
 
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Arme Bone Hilda. Ohne Stimme kein reden! 😔
Wobei, für ein Dienstmädchen ideal....
Schweigsam, genügsam, arbeitstüchtig, sie kann überhaupt nichts ausplaudern was sie irgendwie in den privaten Gemächern ihrer Herrschaft sieht, hört oder auch einfach zufällig entdeckt.
Wenn dies alles in dem Bewerbungsschreiben stand, - kann ich mir sehr gut vorstellen das da die extravaganten Herrschaften gleich zugegriffen haben.

Willow klingt jetzt sehr zuversichtlich. Sie hat einen Plan wie sie die Forderung vom Sensenmann umsetzen wird.
Allerdings hinter dem Rücken ihrer Tante und ihrer Oma. Ich denke diese wären damit überhaupt nicht einverstanden.
Also heimlich eine Sensenmann-Azubi? 😁 Könnte dieser Geschichte noch einen zusätzlichen kick geben.
Und später die Erkenntnis die Willow dabei erlangen wird.
Das war eine sehr gute Strategie auch vom Sensenmann.
Möglich das dadurch auch die Familie Ambrose ihre Wissen über Ambrosia wieder zurück erlangt.
Mit Willow wäre da ein Familienmitglied das beide Seiten dann kennt.
Und ich vermute, es braucht hierfür auch das Verständnis von beiden Seiten (Tod und Leben) um das Gleichgewicht auf der Welt zu erhalten.
Wenn nur eine Seite regiert, ~ hat sie einfach zu viel Macht, das ganze in einander greifenden System durcheinander zu bringen.

Bin allerdings jetzt auch gespannt wie sich das Mythos um die Mutter von Willow aufklären wird. - Nicht Tod? Oder???
 
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Die Tage kamen und gingen, kamen und gingen. Willow wusste nicht, worauf sie genau wartete, aber seit jener Nacht, in der sie den Sensenmann beschworen hatte, rechnete sie damit, dass er jeden Moment auftauchen und sie auffordern würde, ihre Schuld zu begleichen.
Doch es geschah nichts.
Und das machte Willow nur noch nervöser.
Sie verbrachte ihre Nächte damit, das Internet nach Informationen über das Jenseits und den Sensenmann zu durchforsten.
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Dabei stieß sie auf jede Menge Legenden, Aberglauben, Bräuche, verrückte Theorien, schräge Erzählungen und jede Menge Unsinn. Im Großen und Ganzen konnte man sagen, dass ihre Recherche im Internet nur wenig Nützliches zu Tage förderte. Letztlich führten alle glaubwürdigeren Informationen hierher nach Ravenwood zurück.
Willow wohnte also zufälliger Weise bereits genau an dem Ort, an dem es nur so von übernatürlichen Phänomenen, seltsamen Familien, Geistern, Okkultismus und mehr wimmelte. Sie gehörte ja selbst einer dieser seltsamen Familien an, über die in diversen Foren gemunkelt wurde. Tatsächlich gab es über ihre Familie ein eigenes Forum über und über mit Spekulationen. Es war merkwürdig als Mitglied einer solchen Familie diese Forenbeiträge zu lesen. Überrascht hatte sie, dass sie selbst im Fokus der meisten Spekulationen stand. Die meist geklickten Spekulations-Threads waren:
"Wer ist der Vater von Willow Ambrose?"
"Ist Lily wirklich Willows Mutter?"
"Ist Willow vielleicht gar keine Ambrose?"

Manche Beiträge waren mehr als abenteuerlich.
"Ist Iris Ambrose eine Vampirin?" brachte sie laut zum Lachen und Willow war sich sicher, dass ihre makabere Tante diese Frage als Kompliment auffassen würde.
"Ich ging mit Willow Ambrose in dieselbe Klasse …" war hingegen ein eher schmerzhafterer Thread. Wider besseren Wissens las Willow wie merkwürdig und seltsam sie in den Augen dieser vermeintlich ehemaligen Mitschülerin sei, die sich nicht die Mühe machte zu verbergen, dass sie nicht sonderlich viel von Willow hielt.
Zum Glück war die Schulzeit zu Ende.
Willow machte sich nicht einmal die Mühe darüber zu grübeln, wer diesen Thread verfasst haben könnte. Dazu war der Kreis der Verdächtigen tatsächlich zu groß. Sie war keine besonders beliebte Schülerin gewesen.
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Bevor sie den Browser schließen und dem Forum für immer den Rücken kehren wollte, stieß Willow auf einen sehr alten, aber ziemlich interessanten Thread mit dem Titel "Lilys Bewegungsprofil vor ihrem Verschwinden …"
Einige User hatten sich die Mühe gemacht, jeden Ort an dem Lily kurz vor ihrem Verschwinden oder sehr oft gewesen war, zu dokumentieren. Der letzte Kommentar mit der unbeantworteten Frage nach neuen Erkenntnissen lag über ein Jahr zurück, was erklärte, warum dieser Thread so weit nach hinten gerutscht war.

Willow kämpfte sich durch alle Beiträge und Kommentare. Sie konnte es nicht fassen. Sie erfuhr innerhalb weniger Klicks mehr über ihre Mutter als in den ganzen vergangenen Jahren zusammengenommen. Es waren definitiv mehr Informationen, als sie auf einen Schlag verarbeiten konnte. Aber sie hatte einen ersten Anhaltspunkt, wo sie ihre Suche nach ihrer Mutter beginnen konnte.

Dass der Sensenmann sie zur Knechtschaft verpflichtet hatte, bedeutete ja nicht, dass sie die Suche nach ihrer Mutter pausieren musste. Wenn der Schnitter sie nicht zum Dienst rief, konnte sie eben weiter recherchieren. Und dank des Threads musste sie nicht ziellos Ravenwood durchstreifen, sondern wusste, wo sie mit ihrer Suche am besten beginnen sollte.

***

Dem langsamen aber unermüdlichen Zahn der Zeit überlassen thronte das Schloss, das den Namen von Ravenwood selbst trug, leicht erhoben über Krähenhort, dem Zentrum Ravenwoods. Eine leer stehende Ruine, das selbst unter den Einheimischen berühmt und berüchtigt war.
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Unter den Bewohnern von Ravenwood wurde das Schloss umgangssprachlich “Wo der Tod wohnt” genannt. Fast als fürchtete man sich, den eigentlichen Namen des Anwesens auszusprechen. Aber das war nicht der Grund für diesen Spitznamen. Und obwohl der Tod nirgends gegenwärtiger war, als in Ravenwood, hielt niemand diese Ruine ernsthaft für das Zuhause des Sensenmannes. Den Spitznamen hatte das verlassene Schloss aufgrund einer Tragödie, die sich einst dort abgespielt hatte und die dazu geführt hatte, dass es seither verlassen dastand. Eine Tragödie, die in der Tat eng mit dem Schicksal der Familie Ambrose verwoben war und Willow verstand nicht, warum sie nie von sich aus auf den Gedanken gekommen war, hier nach ihrer Mutter zu suchen.

Vermutlich hatte sie einfach nur den berüchtigten Wald vor lauter Bäumen nicht sehen können, versuchte sie sich ihr Versäumnis zu erklären, als sie die zahlreichen steinernen Stufen empor kletterte, die über den Fluss und hinauf zur Ruine führten. Außerdem hatten ihre Großmutter und ihre Tante penibel darauf geachtet, dass Willow nicht viel Zeit in Ravenwood verbrachte. Ob sie geahnt hatten, dass sie sich auf die Suche nach ihrer Mutter machen würde, sobald sie die Gelegenheit dazu bekam?
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Während sie sich dem alten Gemäuer näherte, konnte Willow nicht umhin, sich von der schroffen Schönheit der Ruine angezogen zu fühlen. Dabei hatte sie nicht zwingend viel für Architektur übrig. Aber beim Anblick des Schlosses überkam sie der absurde Gedanke, dass die Mauern nach ihr riefen. Vermutlich war es lediglich die brennende Neugier endlich mehr über das Schicksal ihrer Mutter zu erfahren, die sie plötzlich mit nervöser Begeisterung erfüllte und ihre Schritte beschleunigte. Gleichzeitig fühlte es sich an, als würde eine unsichtbare Schnur sie Stück für Stück aber unaufhaltsam näher an das Schloss heranziehen. Das Gefühl war so überwältigend, dass sich Willow fragte, ob sie überhaupt noch in der Lage war, freiwillig umzukehren und wieder zu gehen, wenn sie das wollte.
Aber Willow wollte nicht.
Als sie vor dem verschlossenen gusseisernen Tor stand, das ihr den Weg zum Schloss versperrte, war sie sich sicher, dass sie irgendwie dort hinein musste.
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Willow war nicht so töricht gewesen, anzunehmen, dass es einfach sein würde, das Grundstück zu betreten. Selbstverständlich hatte sie sich vor ihrem Aufbruch nach Krähenhort im Internet auch über Ravenwood Castle informiert. Das Schloss von Ravenwood war ein beliebtes Lost Place und war in den vergangenen Jahren, die es leer stand und seit es das Internet gab schon mehrfach besucht worden. Allerdings hieß es auch, dass es in den vergangenen fast 20 Jahren immer schwieriger geworden sei, auf das Grundstück zu gelangen.
Es konnte kein Zufall sein, dass dies ungefähr dem Zeitraum entsprach seit ihre Mutter verschwunden war. Willow glaubte nicht an Zufälle. Und in ihrer Lebensgeschichte gab es derlei ohnehin schon zu viele.

Ohne lange zu zögern umrundete sie das Gelände des Schlosses entlang der Schlossmauer. Irgendwo würde sich schon ein Weg hinein finden. Schließlich hatte sie auf der Rückseite des Geländes mehr Glück als sie zu hoffen gewagt hatte. Hier befand sich ein kleines Tor, das in den Küchengarten und Innenhof des Schlosses führte. Anders als das Haupttor hatte es keine Zacken, sodass Willow einfach hinüber klettern konnte.

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Selbstverständlich war jedoch nichts einfach daran über dieses verfluchte Tor zu klettern. Willow hatte sich vor ihrem Besuch des Schlosses gründlich vorbereitet. Sie hatte sich im Internet Fotos angesehen, die in der Vergangenheit von Lost-Place-Jägern gemacht wurde, hatte sich Notizen und einen groben Plan gezeichnet, wo welche prägnanten Räume oder Orte zu finden sein mussten, und hatte Erfahrungsberichte gelesen, wie sich andere Zugang zum Schloss verschafft hatten.
Bei all ihren Vorbereitungen hatte Willow allerdings nicht bedacht, dass ein kurzes Kleidchen sowie ihre mangelnde Sportlichkeit mehr als Hinderlich dabei waren ein verfluchtes Tor hinauf zu steigen.
Wie hatte sie nur so gedankenlos sein können?!
Bevor sie allerdings den Versuch unternahm, das kalte Metall zu erklimmen, versuchte Willow das Tor normal aufzumachen. Und zu ihrer großen Überraschung fand sie es tatsächlich offen vor. Sie war ehrleichtert, aber auch alarmiert. Nach allem, was sie im Internet über Ravenwood Castle gelesen hatte, sollte das nicht so einfach sein.

Als sie durch das kleine Tor schritt, fühlte sich ihr Einbruch wie eine Erschütterung an.
Atemlos horchte sie in die Stille und erwartete fast, dass jeden Moment das schrille Piepsen einer Alarmanlage oder das furchterregende Bellen eines Wachhundes sie in die Flucht treiben würde.
Doch es geschah nichts.
Alles blieb ruhig.
Sie atmete tief ein und aus um vor allem ihr wild pochendes Herz zu beruhigen. Sie hatte das Gefühl, dass das offene Tor alles andere als ein gutes Omen war und die Vernunft in ihr, riet ihr von ihr zu verschwinden. Stattdessen schlich sie auf leisen Sohlen vorwärts in Richtung Innnenhof.

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Das drängende Gefühl von vorhin, unbedingt zum Schloss zu gelangen, war nun verschwunden. Stattdessen fühlte sich Willow plötzlich als säße sie in der Falle. Wie eine kleine ahnungslose Fliege, dass sich in das feine tückische Netz einer lauernden Spinne verirrt hatte. Willow wusste, dass die kleine Fliege die Spinne besser nicht auf sich aufmerksam machen sollte.

Willow durchschritt die steinernen Rundbögen zum Innenhof.
Das Mauerwerk war alt. Der Efeu rankte sich wild und ungezähmt das verwitterte Gestein entlang. Unkraut sprießte aus den Fugen des Kopfsteinpflasters und knorrige längst verdorrte Wurzeln ragten aus dem Brunnen, aus dem seit unzähligen Jahren schon kein Wasser mehr sprudelte.

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Willow fühlte sich mit einem Mal in eines der dunklen Märchen hineinversetzt, die die Bücherregale von Ambrosia Manor füllten und die sie insbesondere als junge Teenagerin so gerne gelesen hatte. Ihr Lieblingsmärchen handelte tatsächlich in einem solchen verfallenen Schloss. Das in der Geschichte allerdings von einem riesigen, fürchterlichen Monster bewohnt wurde.
Mit einem Mal erschien ihr Ravenwood Castle ebenso düster und verwunschen wie das Schloss aus dem Märchen.

Plötzlich war sie sehr froh darüber, tagsüber und nicht mitten in der Nacht hier zu sein. Zwar war das Risiko entdeckt und vom Grundstück verscheucht zu werden am Tag höher, aber sie wollte sich nicht ausmalen, was ihre blühende Fantasie nachts mit ihr angestellt hätte. Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen während ihre Augen unsicher die Fenster entlang huschten, auf der Suche nach …
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Willow lachte leise. Auf der Suche nach was? Dem fürchterlichen Monster, das hier wohnte? Als Mitglied der Familie Ambrose glaubte Willow an viele übernatürliche Phänomene - aber Monster? Das war lächerlich!
Sie sah hinauf zu den vielen Fenstern, die in den Innenhof zeigten und musste - Monster hin oder her - unwillkürlich daran denken, dass jemand sie von hier aus mit Leichtigkeit beobachten konnte. Dieser Gedanke gefiel ihr gar nicht und die warmen tröstlichen Strahlen der Mittagssonne konnten das Gefühl des Unbehagens in Willows Magengrube nicht vertreiben.
Ohne das riesige Tor zum Inneren des Gebäudes auch nur angefasst zu haben, entschied sich Willow aus dem Bauch heraus dafür, einen anderen Weg in das Gebäude zu suchen und kehrte um.

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Statt durch den Innenhof führte ihr Weg nun den kleinen Garten entlang, der früher der Küchengarten gewesen sein musste. Das Gefühl beobachtet zu werden, ließ hier abrupt nach.
Sie fand eine kleine Tür, die vermutlich entweder in die Küche oder in die Speisekammer des Schlosses führen musste, aber dieses Mal hatte Willow nicht so viel Glück wie beim Tor, denn die Tür war verschlossen und das alte, nicht annähernd morsche Holz bewegte sich keinen Millimeter.
Sie ging weiter, umrundete das Schloss nun von der anderen Seite und erreichte bald darauf die vorderen Gärten.
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Wieder sorgten die vielen Fenster auf der Vorderseite des Schlosses dafür, dass sich Willow beobachtet fühlte. Verärgert über sich selbst, versuchte sie das Gefühl abzuschütteln. Sie hätte nicht an dieses verdammte Märchen mit dem Monster im Schloss denken sollen, denn jetzt hielt ihre Fantasie sie selbst zum Narren.
Es war helllichter Tag und es gab nichts, wovor sie sich ernsthaft fürchten müsste. Denn selbst wenn sie entdeckt wurde, was sollte schon passieren? Wenn man sie erwischte, würde man sie des Grundstücks verweisen und wenn sie Pech hatte, rief man die Polizei und Willow kassierte eine Geldstrafe wegen Hausfriedensbruchs. Das Schlimmste an dem Szenario wäre, dass sie ihrer Tante und ihrer Großmutter erklären müsste, warum sie sich in Ravenwood Castle herumtrieb und darauf hatte Willow wirklich keine Lust.

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Sie spitzte die Ohren und horchte auf irgendein Geräusch, dass ihr verriet auf diesem Grundstück nicht allein zu sein, doch alles, was sie hören konnte, war das Knirschen ihrer Schritte im Kies.
Die einzigen, die sich mit ihr in der riesigen, verwilderten Grünanlage des Schlosses aufzuhalten schienen, waren die Toten in den alten Gräbern neben ihr. Und selbst die waren vermutlich schon vollständig zu Staub verfallen und hatten diese Ruine längst verlassen.
Sie war allein.
Keine Seele, ob lebend oder tot war in ihrer Nähe. Das nagende Gefühl, beobachtet zu werden, war vermutlich lediglich ihrer blühenden Fantasie geschuldet und der üblichen Paranoia, die aufkam, wenn man etwas Verbotenes tat.
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Willow war einmal um das ganze Schloss herumgelaufen und fand sich nun auf der anderen Seite des verschlossenen Haupttors wieder. Der Anblick von hier auf das Schloss mit seinen beiden steinernen Türmen war mehr als nur beeindruckend. Sie konnte sich vorstellen, welchen Eindruck dieses Gebäude damals gemacht haben musste, als es noch bewohnt gewesen war. Auf den Eingang des Schlosses zuzulaufen, fühlte sich magisch an und obwohl sie nicht davon ausging, dass der Haupteingang offen war ging sie darauf zu.

Was hatte ihre Mutter hierher geführt?
Willow glaubte nicht, dass es lediglich die Schönheit dieser Ruine war, die Lily dazu bewogen hatte, immer und immer wieder nach Ravenwood Castle zu gehen. Aber falls sie hier die Antwort auf diese Frage finden würde, dann vermutlich innerhalb des Schlosses.
Willow fragte sich, ob sich im Inneren nach all den Jahren, in denen das Schloss verfiel überhaupt noch etwas von Belang finden ließ, was nicht mittlerweile entweder der Zeit oder neugierigen Abenteurern zum Opfer gefallen war.
Gedankenverloren legte Willow ihre Hand auf den Knauf der Eingangspforte.

Zu spät bemerkte sie das leise Knirschen der Stiefel hinter ihr auf dem Kopfsteinpflaster.
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Ehe Willow sich umdrehen konnte, hörte sie hinter sich ein flüsterndes “Lily?” und augenblicklich sackte Willows Herz hinab.

2228 Wörter

Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Abstand zwischen den Kapiteln so groß werden würde.
Leider hat Ravenwood Castle unfassbar viel Zeit verschlungen. Viel mehr als ich in der Vorweihnachtszeit mit zwei kleinen Kindern zur Verfügung hatte. Deshalb diese krasse große Pause.

Ich hoffe, ihr hattet eine schöne Weihnachtszeit und einen schönen Rutsch ins Neue Jahr!
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Leben und Tod-EP ist ein EP von dem ich selbst gar nicht gewusst hatte, dass ich es brauche, aber ich finde, es ist ganz klar eines der besten EPs von Sims 4! Ich habe theoretisch keine Zeit zum Spielen, aber dieses EP hat mich so angefixt, dass ich nach Ewigkeiten wieder mit Begeisterung Sims 4 spiele.
Ich sehe es ähnlich und - so seltsam es auch klingt - liebe dieses Pack. Endlich mal (aus meiner Sicht) ein nützliches und realistisches Pack. :schäm:

@Nyxx Um keine weitere Folge zu verpassen, werde ich deinen Thread abonnieren.
 
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(...) Leider hat Ravenwood Castle unfassbar viel Zeit verschlungen. (...)
Das sieht man - es ist überwältigend 🏰

(...) und augenblicklich sackte Willows Herz hinab.
Ganz gemeiner Cliffhanger Also mein Herz hätte an dieser Stelle gleich Nägel mit Köpfen gemacht und wäre stehen geblieben .... 👻
Aber Willow ist zum Glück aus härterem Holz geschnitzt.

(...) Dabei stieß sie auf jede Menge Legenden, Aberglauben, Bräuche, verrückte Theorien, schräge Erzählungen und jede Menge Unsinn (...)
Mein erster Gedanke war "Ach, Willow liest unsere Kommentare" 😁

diese krasse große Pause
Krasse gute Geschichten vertragen auch krasse großen Pausen 😘

Ist auf jeden Fall richtig doll schön, hier wieder zu lesen 😍
 
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Arme Bone Hilda. Ohne Stimme kein reden! 😔
Wobei, für ein Dienstmädchen ideal....
Schweigsam, genügsam, arbeitstüchtig, sie kann überhaupt nichts ausplaudern was sie irgendwie in den privaten Gemächern ihrer Herrschaft sieht, hört oder auch einfach zufällig entdeckt.
Wenn dies alles in dem Bewerbungsschreiben stand, - kann ich mir sehr gut vorstellen das da die extravaganten Herrschaften gleich zugegriffen haben.
Ich muss ehrlich gestehen, dass mir Bone Hildas Storyline selber beim Schreiben schon etwas zu düster war und sie mir sehr, sehr leid tat. Aber gleichzeitig hat es auch Spaß gemacht, mir die Entstehungsgeschichte von Bone Hilda auszudenken.

Endlich mal (aus meiner Sicht) ein nützliches und realistisches Pack. :schäm:
Ich finde es wirklich sehr facettenreich. Man kann damit sehr realistische Szenarien spielen, man kann aber auch mehr in Richtung Fantasy gehen. Auf jeden Fall ist es ein Pack, dass es so auch bei den Vorgängern noch nie gegeben hat und das allein finde ich auch schon bemerkenswert.

Das sieht man - es ist überwältigend 🏰
Dabei habe ich es nicht einmal völlig selbst gebaut, sondern aus der Gallery. Aber ich habe es so massiv umgestaltet und umgebaut, dass es (neben noch anderen Bauprojekten) wirklich all meine Zeitfenster, die ich zum Zocken hatte, verschlungen hat.

Mein erster Gedanke war "Ach, Willow liest unsere Kommentare" 😁
Haha - ja! Das war in der Tat auch mein Gedanke beim Schreiben. Und es hat sehr viel Spaß gemacht!!!😁
Krasse gute Geschichten vertragen auch krasse großen Pausen 😘
Trotzdem habe ich nicht vor, eine solche Pause zu wiederholen. Eigentlich möchte ich die Folgen einmal die Woche rausbringen - sonst platzt mir einfach der Kopf vor lauter Ideen. 🙈
 
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Schön es geht weiter! 😁 🥰
War allerdings für mich nicht ganz so schlimm diese Pause über die Weihnachtszeit. Ich finde sie passte jetzt zur Jahreswende wieder viel besser.
Da macht sich der Leser ohnehin selbst auch so einige Gedanken über Zukunft und Vergangenheit.

Hier stimme ich übrigens voll bei:
Dabei stieß sie auf jede Menge Legenden, Aberglauben, Bräuche, verrückte Theorien, schräge Erzählungen und jede Menge Unsinn.

Mein erster Gedanke war "Ach, Willow liest unsere Kommentare" 😁

Haha - ja! Das war in der Tat auch mein Gedanke beim Schreiben. Und es hat sehr viel Spaß gemacht!!!😁

Dachte ich auch im ersten Moment. 😅

Kann ich mir übrigens sehr gut Vorstellen wie überrascht Willow über das Forum im Internet gewesen sein muss, welches spekulativ ihre Familiengeschichte auseinander nahm.😲
Ich glaub wenn ich soviel Wissen und Interesse über mich als Privatperson im wilden Internet vorfinden würde, hätte ich jetzt schon einen Panikausbruch. (Und tatsächlich, weiß das Internet jetzt schon für mein Empfinden, viel zu viel über mich. - So ganz verhindern kann man das leider nicht, selbst wenn ich nicht aktiv wäre. Schon die kleinsten Zeitungsberichte eines ländlichen Zeitungsverlages, werden schon im Internet angezeigt. Sobald man an die Öffentlichkeit tritt (sei es Ehrenamt , Beruf und andere Freizeitaktivitäten) wird man kein unbeschriebenes Blatt mehr im Internet sein.

Ich finde du hast die Erkundung des Lost Place sehr gut rüber gebracht. Die Ängste, die geheimnisvolle Stimmung, das Unbehagen bewusste etwas Verbotenes zu tun, die Neugier und diese unerklärliche Anziehung dieses Gebäudes auf Willow.😶‍🌫️
Das Ende allerdings ist schon fast wieder ein "Herztot-Effekt". 😱
Spannungsgeladen endet diese Folge und lässt zugleich weitere Fragen aufkommen.

Wie jetzt? Hier vermutet jemand “Lily?”

Wieso vermutet man Lily auf diesem Gelände?
Lebt diese dann doch noch?

Und vor allem, wer ist diese Person?🤔
 
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Kann ich mir übrigens sehr gut Vorstellen wie überrascht Willow über das Forum im Internet gewesen sein muss, welches spekulativ ihre Familiengeschichte auseinander nahm.😲
Ich glaub wenn ich soviel Wissen und Interesse über mich als Privatperson im wilden Internet vorfinden würde, hätte ich jetzt schon einen Panikausbruch. (Und tatsächlich, weiß das Internet jetzt schon für mein Empfinden, viel zu viel über mich. - So ganz verhindern kann man das leider nicht, selbst wenn ich nicht aktiv wäre. Schon die kleinsten Zeitungsberichte eines ländlichen Zeitungsverlages, werden schon im Internet angezeigt. Sobald man an die Öffentlichkeit tritt (sei es Ehrenamt , Beruf und andere Freizeitaktivitäten) wird man kein unbeschriebenes Blatt mehr im Internet sein.
Ich hätte auch einen Panikausbruch @SpionelfchenNaseweiß. Es ist für mich unvorstellbar, wie leichtfertig viele Menschen Bilder von sich posten.
 
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Als Willow sich umdrehte blickte sie in ein ihr völlig fremdes Gesicht.
“Ihr glaubt ja nicht, wer hier ist! Okay, ich muss auflegen. Ich melde mich gleich wieder”, sprach die fremde Frau, die es geschafft hatte, sich an Willow heranzuschleichen, in rasanter Geschwindigkeit ihr Smartphone bevor sie es in ihre Jackentasche zurücksteckte.
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Willow lagen so viele Fragen auf den Lippen, aber bevor sie dazu kam auch nur eine davon zu stellen, sprach die Fremde auch schon weiter.
“Hast du eigentlich eine Ahnung, wie gottverdammt ähnlich du ihr siehst?! Ich habe schon gedacht, ich würde einen Geist sehen - dabei glaube ich nicht einmal an Geister!” Die Fremde lachte kurz über ihre eigenen Worte, als hätte sie einen bekannten Witz erzählt. Andere hätten vermutlich mitgelacht, doch Willow konnte die Fremde nur irritiert ansehen. Die Fremde hüstelte und räusperte sich, bevor sie fortfuhr: “Damit hätte sich die Frage, ob du wirklich Lilys Tochter bist wohl geklärt, du siehst ihr wie aus dem Gesicht geschnitten aus. Oh Mann, du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt!” Sie beendete den Satz mit einem Schnauben und in ihren Worten schwang ein leicht vorwurfsvoller Ton, als hätte Willow sie absichtlich erschreckt.
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Willow öffnete den Mund und wollte gerade erwiedern, dass sie sich ebenso erschreckt hatte, aber schon wieder kam ihr die Fremde zuvor.
“Alina Zayani”, stellte sie sich in atemberaubendem Tempo vor. “Ich bin Studentin der Britechester Universität und ich untersuche den Ursprung, die Verbreitung und den Glauben an Legenden und Mythen. Und na ja … Ravenwood ist voller Legenden und Mythen, die man untersuchen und an denen man forschen kann. Unfassbar! Ich will ehrlich sein, unsere Begegnung ist ein verdammter Jackpot! Wir sind erst seit drei Tagen hier und schon laufe ich der Tochter der wohl größten Legende der neueren Zeit über den Weg! Was machst du eigentlich hier? Ach, vergiss die Frage - ich habe sooo viele Fragen! Ich würde dich gerne auf ein Interview einladen!”
Willows Herz sackte zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten nach unten.
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Oh Gott, diese Frau war ihr wahrgewordener Albtraum. Ihr Temperament glich einem Wirbelsturm und Willow war sich sicher, dass sie mit ihrer Begeisterung mühelos die meisten Sims mitreißen konnte.
“Nein!” Das war das erste und einzige Wort, das Willow bei dem Sprechtempo der Fremden namens Alina zustande brachte. Und für einen Moment schien es so, als hätte Willow es geschafft, sie damit sprachlos gemacht zu haben. Allerdings währte dieser Moment nicht lange.
“Warum? Das ist do-”
“Ich gebe keine Interviews”, unterbrach Willow sie und gab sich Mühe, dabei möglichst bestimmt und selbstsicher zu klingen. Genau das Gegenteil von dem, wie sich Willow gerade fühlte.
Alina musterte Willow als sei sie ein seltenes Phänomen, dass es zu erforschen galt. Na ja, das entsprach ja auch tatsächlich der Wahrheit. Für Alina war Willow das ja auch, wie sie selbst soeben zugegeben hatte. Nur fühlte Willow sich nicht wohl in der Rolle als Forschungsobjekt. Wenn sie in die neugierigen, nussbraunen Augen von Alina sah, kamen ihr mit einem Mal die vielen Theorien, Gedanken, Vermutungen und wilde Behauptungen in den Sinn, die sie zuvor in den Foren gelesen hatte. Das letzte, worauf Willow Lust hatte, war ein Forenbeitrag mit dem reißerischen Titel “Was weiß Willow Ambrose? Das exklusive Interview mit Lilys Tochter!” oder so ähnlich.
“Nur für meine Forschung, selbstverständlich!”, sagte Alina als hätte sie Willows Gedanken erraten.
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“Ich kann dich auch irgendwie anonymisieren, wenn du dich dabei besser fühlst. Und na ja, so eine kleine studentische Forschungsarbeit hat nicht unbedingt einen großen Lesekreis. Aber trotzdem könnte ich dich als lediglich anonyme Quelle in dem Paper nennen. Ich müsste vermutlich meinem Professor die Quelle aus Transparenzgründen nennen, glaube ich. Oder vielleicht doch nicht, …? Ach weißt du was, ich frag ihn einf-“
“Nein!”, unterbrach Willow Alina erneut. Alina durch Dazwischenreden zu unterbrechen, schien die einzige Möglichkeit zu sein, bei dem Redeschwall selbst zu Wort kommen zu können.
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“Ich gebe keine Interviews - egal wofür!”, stellte Willow klar und als Alina laut seufzte, schien es als hätte Willow diese Runde für sich entschieden. Willow hätte vor Erleichterung beinahe laut ausgeatmet, aber sie riss sich zusammen, da sie nicht zeigen wollte, wie sehr sie die Fragerei nach einem Interview in Panik versetzt hatte. Ohne ein weiteres Wort mit Alina zu wechseln, ging Willow an ihr vorbei. Eigentlich hatte sie noch nicht gehen wollen, aber sie wollte auch keine Sekunde länger hier mit Alina stehen und der neugierigen Studentin ausgeliefert sein.
“Willst du da rein?”, fragte Alina sie schließlich und brachte Willow dazu, inne zu halten und sich wieder umzudrehen. Willow hatte keinerlei Lust irgendeiner wildfremden Person ihre Pläne zu erläutern. Erst recht nicht einer so neugierigen Person wie Alina. Allerdings hatte sie hier vor der Eingangspforte des Schlosses gestanden und es wäre reichlich lächerlich von ihr nun zu leugnen, dass sie in die Ruine wollte.
Deshalb nickte Willow knapp, in der Hoffnung, dass die Unterhaltung damit vorbei wäre und Alina sie nun ziehen ließ.
“Vergiss es! Hier unten führt kein Weg in das Schloss hinein! Aber meine Kommilitonen und ich haben tatsächlich einen Weg hinein gefunden”, Alina machte eine Pause und sah Willow lange an.
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“Wenn du willst, kannst du mit uns rein gehen”, schlug Alina schließlich vor. Willow bemerkte, dass Alina sich bemühte, ihre Einladung gemeinsam mit ihrer Forschungsgruppe ins Schloss einzubrechen ganz locker und zwanglos klingen zu lassen. So als sei das Angebot ein reiner Freundschaftsdienst. Aber so naiv war Willow nicht. Ihr war klar, dass Alina dafür eine Gefälligkeit erwartete. Alinas Einladung war ganz klar ein Tauschgeschäft: Der Zugang ins Schloss gegen ein Interview.
Deshalb lag Willow eine Ablehnung schon auf der Zunge.
“Wir wohnen aktuell in der Taverne hier im Krähenhort. ‘Zum Schwarzen Raben’ heißt sie. Du kennst sie bestimmt. Komm doch mit, ich lad’ dich auf ein Getränk ein und stelle dich den anderen vor”, sagte Alina dann. Und als Willow schon den Mund öffnete um zu antworten, setzte sie sofort hinzu: “Keine Angst, wir beißen nicht. Und ich geb’ mir Mühe, dich nicht mit Fragen zu löchern. Auch wenn mir das sehr schwer fallen wird. Dingen auf den Grund zu gehen ist meine geheime Leidenschaft!” Nun grinste Alina sie entschuldigend an.
“I-ich weiß nicht”, antwortete Willow zu ihrer eigenen Überraschung.
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“Ich weiß ja nicht, was du hier suchst - und keine Sorge, du musst mir das nicht sagen”, schob Alina gleich hinterher als sie sah, wie Willow sofort die Stirn runzelte. “Aber wenn du da wirklich rein willst, brauchst du definitiv unsere Hilfe!”
Als sei damit alles gesagt, ging Alina auch schon strammen Schrittes an Willow vorbei und war nur wenige Sekunden später schon um die Ecke hinter der nächsten Zypresse verschwunden. Scheinbar war sich Alina sehr sicher, dass Willow ihr folgen würde.
Willow warf einen Blick zurück zu der Eingangspforte aus dunklem massivem Holz. Einem aberwitzigem Einfall folgend, ging sie darauf zu und versuchte die Tür aufzustoßen. Selbstverständlich rührte sie sich keinen Millimeter.
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Willow hatte die Wahl.
Sollte es das nun gewesen sein? Wollte sie sich von verschlossenen Türen und der Angst vor neugierigen Fragen wirklich bei der Suche nach ihrer Mutter aufhalten lassen? Willow sah sich in Gedanken wieder in ihrem Zimmer vor ihrem Laptop sitzen und ziellos durch das Internet scrollen oder durch die alten Bücher von Ambrosia Manor blättern.
“Du hast den Tod höchstpersönlich beschworen!”, rief sie sich dann in Erinnerung. “Mit ein paar Studenten zu sprechen kann unmöglich schlimmer sein!”
Und damit war Willows Entschluss gefasst.
Sie drehte sich auf dem Absatz um und folgte dem Weg, den Alina gegangen sein musste. Dabei stellte sie fest, dass es derselbe Weg war, den Willow gekommen war. War ihr Alina schon länger gefolgt? War sie der Grund für Willows Gefühl gewesen, beobachtet zu werden. Vermutlich.
Willow fand Alina am kleinen Tor, durch das Willow gekommen war, wieder.
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Sie stand dort und tippte fleißig in ihrem Smartphone herum. Vermutlich schrieb sie gerade ihrer Gruppe von unserer Begegnung. Unwillkürlich fragte sich Willow, was Alina den anderen wohl über sie schrieb. Sofort rügte sie sich selbst für solche Gedanken. Normalerweise gab Willow nicht viel darauf, was andere von ihr dachten. Andernfalls hätte sie niemals heil die Elite Privatschule überstanden. Dass Willow nun solch paranoide Gedanken hatte, lag an diesen verfluchten Forumbeiträgen. Sie kam zu dem Schluss, dass es nicht natürlich war, nachlesen zu können, was andere über einen dachten und sie fragte sich, wie richtige Berühmtheiten wie Popstars oder Schauspieler mit dem Druck umgingen. Willow nahm sich vor in Zukunft einen großen Bogen um diese Ecke des Internets zu machen.
“Na, dann kann’s ja los gehen!” Alina packte ihr Smartphone in die Tasche und schenkte Willow ein Lächeln, dass man mitunter als warm bezeichnen konnte. Durch ihre unverholene Neugier war ihr Alina auf den ersten Blick ziemlich unsympathisch gewesen. Allerdings machte Alina einfach kein Geheimnis aus ihrem Interesse an Willows Geschichte und aus Erfahrung wusste Willow, dass es Schlimmeres gab als Sims, die ihren Gefühlen und Interessen gegenüber ehrlich und aufrichtig waren.
“Hast du das Tor geöffnet?”, fragte Willow schließlich, als ihr einfiel, dass sie sich noch darüber gefreut hatte, es unverschlossen vorgefunden zu haben.
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Alina grinste sie an: “Klar!”
1506 Wörter

 
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“Alina Zayani”, stellte sie sich in atemberaubendem Tempo vor. “Ich bin Studentin der Britechester Universität und ich untersuche den Ursprung, die Verbreitung und den Glauben an Legenden und Mythen.
Also eine Unbekannte für Willow. Eine Studentin mit einem richtig Interessanten Studienfach. - Kann ich mir sehr gut Vorstellen, das so was auch den Ehrgeiz weckt, alles zu erkunden und zu erforschen. Ich ziehe da tatsächlich auch die Vergleiche zu unseren Archäologen. Ich denke wenn ein Zeitloch / Zeitsprung möglich wäre..., diese würden wahrscheinlich ähnlich auf einen Menschen reagieren, der sich aus versehen in unsere Zeit verirrt hätte. 🧐
Aber auch die Entdeckungen und Ausgrabungen von früheren Zeiten sind schon ein Erlebnis und lässt weitere Spekulationen zu.
Oh Gott, diese Frau war ihr wahrgewordener Albtraum.
Die redet ja auch gefühlt ohne Punkt und Komma auf die sichtlich überrumpelte Willow ein. Feingefühl, Empathie,... - nun ja will ich Alina jetzt nicht ganz absprechen, aber in ihrem Entdeckungseifer scheinen diese Eigenschaften wohl etwas zu kurz zu kommen. Da treffen zwei unterschiedliche Wesenstypen aufeinander. Eine introvertierte eher stille junge Frau und eine quirlige, extrovertierte lebhafte Studentin.
Dazu diese doch sehr verrückte Umstände, die das ganze so richtig noch toppen.
Alina musterte Willow als sei sie ein seltenes Phänomen, dass es zu erforschen galt. Na ja, das entsprach ja auch tatsächlich der Wahrheit. Für Alina war Willow das ja auch, wie sie selbst soeben zugegeben hatte. Nur fühlte Willow sich nicht wohl in der Rolle als Forschungsobjekt.
Nun ja, für den Erforschenden mag es einfach nur aufregend sein.
Aber tatsächlich als Forschungsobjekt... - da würde ich mich auch nicht sonderlich wohl fühlen.
Denk da nur wenn man beim Arzt ist und dieser dich mehr als die Krankheit 😷 sieht und nicht mehr den Menschen mit den Ängsten und Gefühlen.
“Du hast den Tod höchstpersönlich beschworen!”, rief sie sich dann in Erinnerung. “Mit ein paar Studenten zu sprechen kann unmöglich schlimmer sein!”
Na dann. Auf zu gemeinsamen Forschungstouren. 👍
Vielleicht nicht ganz so schlecht sich mit diesen Studenten einzulassen. Hilfe und Verbündete kann Willow auf jeden Fall brauchen.
Im Grunde haben sie auch alle ähnliche Ziele: "Herausbekommen was wirklich in der Vergangenheit geschehen ist."
 
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Die Schenke “Zum Schwarzen Raben” war eines der ältesten Gebäude in Krähenhort. Eingebettet zwischen Häusern, die um einiges jünger waren als die Schenke, blickte es direkt auf das Denkmal von Zottel die Ziege.
Für die meisten war Mourningvale der wohl merkwürdigste Ortsteil von Ravenwood. Doch Krähenhört stand Mourningvale in nichts nach. Hier befand sich nicht nur Ravenwood Castle, es war auch der wohl spukreichste Ort in Ravenwood. Außerdem wurde sich erzählt, dass einst eine Ziege diesen Ort gegründet haben soll.

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Sie sei dem Bauer, dem sie gehört hatte, immer wieder entwischt und quer durch Wälder und Wiesen gelaufen, nur um genau hier zu grasen, bis der Bauer es eines Tages satt hatte und sich mit seinem restlichen Vieh hier niederließ. Das Verrückteste an dieser Geschichte ist, dass man Zottel nicht nur ein Denkmal errichtet hatte, sondern diese im Rathaus offiziell als Gründerin der Stadt gewürdigt und verehrt wurde.
“Diese Legende ist ein Paradebeispiel dafür, wie Legenden funktionieren”, schlussfolgerte Alina und sah selbstsicher in die Runde. Selbstsicher schien im Übrigen Alinas zweiter Vorname zu sein.

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Das konnte Willow von sich nicht behaupten. Mitten zwischen den Fremden zu sitzen, erinnerte sie daran, wie sozial unbeholfen sie eigentlich war und der jahrelange Aufenthalt auf einer privaten Elite-High-School hat daran nichts ändern können. Sie spürte die neugierigen Blicke der anderen auf sich und wünschte sich, sie hätte Alinas Einladung abgeschlagen.
“Hat es Zottel die Ziege überhaupt gegeben?”, fuhr Alina fort. “Vermutlich nicht. Vermutlich waren aber tatsächlich ein paar Bauern die ersten Siedler von Krähenhort. Und vielleicht hat man sich nicht einigen können, wer als offizieller Gründer des Ortes galt. Na ja, wer weiß, vielleicht ist die Geschichte mit der Ziege dann einfach in feuchtfröhlicher Runde entstanden und hat sich seither verselbstständigt. In Legenden steckt immer ein kleines Körnchen Wahrheit.” Alina machte eine Pause und sah verschwörerisch von einem zum anderen.

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“Die Krux ist, herauszufinden, was Wahrheit ist und was nicht. Letztlich kann man sagen, dass die Wahrheit in den meisten Fällen weitaus banaler ist, als uns die Legenden und Mythen Glauben machen wollen. Die Frage, die mich als Psychologiestudentin interessiert ist, warum so viele Sims dazu neigen, eine Fantasiegeschichte glauben zu wollen, sie sogar so weit verehren, dass sie Statuen, Denkmäler, Rituale und Feierlichkeiten errichten.”
“Willkommen bei ‘THE LEGEND BREAKERS’!”, unterbrach der Student, der Willow direkt gegenüber saß, Alinas Vortrag theatralisch mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

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“Wow, Alina! Das war ja mal eine Ansprache! Wenn du dein Forschungsprojekt von Anfang an so beworben hättest, dann hätte ich mir die Bewerbungen um die sechs anderen Projekte sparen können!”
Den Blick, den Alina ihrem Kommilitonen zuwarf, konnte man nur als außerordentlich frostig bezeichnen.
“Erstens: Wenn du mich noch einmal unterbrichst, Caleb, dann kannst du gleich anfangen, dich für ein anderes Forschungsprojekt zu bewerben. Und zweitens: The Legend Breakers? Ernsthaft?! Iiiiirrrggghhh!”
“Was? Ist doch ein cooler Name!”, hielt der Student namens Caleb unbeeindruckt dagegen. “Eine coole Gang braucht einen coolen Namen! Findet ihr nicht?”
“Wir sind keine ‘Gang’, wir sind Kommilitonen, die an einem gemeinsamen Forschungsprojekt arbeiten”, korrigierte Alina ihn spitz.
“Ich finde ‘Akademisches Kollektiv der Erforschung von Legenden und Mythen’ ja ganz nett”, sagte die Studentin mit den blauen Haaren neben Willow nun und erntete ihrerseits einen strengen Blick von Alina.
“Ach komm schon, Alina! Das war doch nur ein Witz. Und du weißt doch, dass alles Müll ist, was aus Calebs Mund kommt!”

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“Hey!”, protestierte dieser lautstark, aber das Grinsen in Calebs Gesicht gab Willow Rätsel auf und sie konnte nicht sagen, ob dieser sich von der Aussage wirklich gekränkt fühlte oder nur so tat.
Die Blauhaarige rollte als Antwort nur mit den Augen und wandte sich dann wieder Alina zu: “Jetzt spann’ uns nicht länger auf die Folter und verrate uns, wie zum Teufel du es geschafft hast, die Tochter von Lily Ambrose hierher mitzuschleppen!”
Willow rückte so plötzlich in den Mittelpunkt des Gesprächs, dass sie vor Schreck sichtlich zusammenzuckte.

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“Elliot, erschreck’ sie doch nicht so!”, tadelte der Student neben Alina die Blauhaarige namens Elliot mit sanfter Stimme und schenkte Willow gleichzeitig ein warmes Lächeln. Daraufhin wäre Willow am liebsten noch tiefer in ihren Sitz gerutscht und sie verfluchte sich dafür, hergekommen zu sein. Das war eine schlechte Idee gewesen. Eine sehr schlechte Idee!
“Okay, was haltet ihr davon, wenn wir uns erst einmal vorstellen, bevor wir unseren Gast überfallen? Ich bin Nasir Zayani, Student an der Britechester Universität mit dem Hauptfach Biologie. Eigentlich konzentriere ich mich in meinem Studium mehr auf Gesundheit und Sport und bin hauptsächlich wegen meiner jüngeren Schwester Alina hier bei der Forschungsgruppe dabei”, stellte er sich mit immer noch sanfter Stimme freundlich vor.

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“Jüngere Schwester?”, wiederholte Alina daraufhin empört. “Wir sind Zwillinge, Bruderherz!”
“Und ich bin genau fünfzehn Minuten älter als du”, neckte Nasir seine Schwester weiter. “Der Typ neben mir, der scheinbar nichts ernst nehmen kann, ist Caleb Marrow. Ebenfalls Student der Britechester Universität mit … äh, … was war nochmal dein Hauptfach, Caleb?”
“Literatur und Sprache”, antwortete Caleb gelangweilt.
“Oh wow!”, rief die Blauhaarige namens Elliot mit gespieltem Entsetzen. “Irgendwie vergesse ich bei all dem geistigen Dünnpfiff, den du von dir gibst, immer wieder, dass ausgerechnet du Literatur und Sprache studierst!”

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“Ich bin halt ein Meister der Tarnung”, antwortete Caleb verschwörerisch in Richtung Willow ohne Elliot auch nur eines Blickes zu würdigen. Diese Schnaubte laut.
“Der kleine blauhaarige Kampfterrier neben dir …”, begann Nasir belustigt und erntete dafür von Elliot einen übertriebenen Luftkuss.
“Elliot Kepley”, stellte die Frau sich selbst vor. “Ich studiere an der Foxbury Universität das Hauptfach Computerwissenschaften. Neben Harveys Hauptfach das einzig wirklich sinnvolle Fach hier am Tisch, wenn du mich fragst! Na ja, Biologie ist vermutlich auch ganz nett.”
“Danke für diesen Ritterschlag”, erwiderte Nasir trocken, bevor er fortfuhr. “Und das neben Elliot ist Harvey Rybicki, ebenfalls Student an der Foxbury Universität mit dem Hauptfach Physik.”

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Von all den Studenten hier am Tisch war ihr Harvey sofort unsympathisch, was hauptsächlich an den Blicken lag, die er ihr zuwarf. Jedes einzelne Mal, wenn er sie ansah, wanderten seine Augenbrauen sofort nach oben und er musterte sie kritisch als würde er sie für eine wandelnde Täuschung halten. Willow ertrug diese bohrenden Blicke nicht und sie sah weg.
“Hi. I-ich bin Willow Ambrose”, stellte sie sich schließlich vor, weil sie das Gefühl hatte, irgendetwas sagen zu müssen. Einfach nur ihr Name. Es gab nichts, was sie sonst noch erwähnenswert fand.
“Oh, das sieht man!”, lachte Elliot sofort neben ihr. “Es ist abgefahren, wie ähnlich du ihr siehst! Aber das hörst du vermutlich ständig.”
“Ähm … nein”, antwortete Willow schüchtern. Sie rang sich ein unsicheres Lächeln ab. Es ist lange her, als sie sich so unwohl in ihrer Haut gefühlt hatte wie jetzt.
Sie sah, wie Elliot die Augen hinter ihren großen Brillengläsern vor Staunen aufriss und den Mund öffnete, um etwas zu sagen, doch Alina ging dazwischen.
“Hier!”, sagte sie und holte ihr Smartphone hervor. “Das ist das letzte Foto, das wir von Lily gefunden haben. Ich schicke es Dir!” Alinas Finger bewegten sich flink auf dem Bildschirm des kleinen Geräts und fast augenblicklich vibrierte Willows Smartphone. Als Willow drauf sah, hatte sie eine neue Nachricht von Alinas Nummer, die sie auf dem Weg hierher ausgetauscht hatten.
Willow öffnete den Chat und augenblicklich stockte ihr der Atem.

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Die einzigen Bilder, die Willow von ihrer Mutter kannte, waren Kinderbilder. Auf Ambrosia Manor existierte kein einziges Foto von Lily Ambrose. Willow war bisher davon ausgegangen, dass Aster die Bilder vor Trauer über ihre verschwundene Tochter hatte verschwinden lassen.
Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber der Anblick von Lily Ambroses Gesicht versetzte sie in einen kleinen Schock. Sie hatte sich immer vorgestellt, dass ihre Mutter vermutlich ganz ähnlich wie ihre Tante Iris aussah, aber dem war absolut nicht so.
“Woher, … Wie? Wo? W-er?”, stammelte Willow gedankenlos während sie wie paralysiert auf das Foto starrte.
“Ziemlich viele W-Fragen”, hörte sie Calebs amüsierte Stimme und kurz darauf Nasir, der den Studenten knapp zurechtwies.
“Du hattest keine Ahnung”, stellte Alina schließlich mit weicher Stimme fest, woraufhin Willow nur nicken konnte. Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffte Willow es sich vom Anblick des Fotos wegzureißen. Sie ließ ihr Smartphone in den Taschen ihres Kleides verschwinden und sah Alina direkt an.
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“Wann geht ihr hinein?”
“Morgen Abend. Direkt nach Sonnenuntergang”, antwortete Alina knapp.
“Und wie wollt ihr rein kommen?”, bohrte sie weiter.
“Heißt das, du willst mit?”
“Ja!” Willow antwortete noch bevor, Alina zuende gesprochen hatte. Selten war sie sich einer Sache so sicher gewesen. Sie musste einfach in das Schloss. Alina nickte ohne weitere Fragen zu stellen und als wäre das ein Stichwort gewesen, übernahm Nasir das Wort: “Wir werden über das erste Stockwerk in das Schloss einsteigen. Dort gibt es eine Tür, die im Gegensatz zu den undurchdringlichen Toren im Erdgeschoss leichter zu knacken sein dürfte.”
“Aber wie wollt ihr von oben reinkommen?”
“Deswegen war ich heute da!”, erklärte Alina nun wieder.

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“Alina hat heute eine Leiter im Innenhof platziert. Dort befindet sich im ersten Stock fast unentdeckt unter all dem Gestrüpp eine kleine Holztür.”
“Die ich auch schon geknackt habe!”, verkündet Alina nun stolz. “Vorbereitung ist die halbe Miete.”
“Werden alle hier mitgehen?”, fragte Willow.
“Um Gottes Willen, ich kann mir Besseres vorstellen, als über Mauern, Spinnweben und Staub zu kriechen. Uaaarggghhhhh …” Elliot schüttelte sich, als wollte sie imaginäre Krabbeltiere von sich schütteln. “Nein, danke! Ich bleibe draußen und koordiniere Euch durch das Schloss. Damit ihr schließlich wisst, wo ihr überhaupt hingeht”, erklärte sie.

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“Ich komme auch nicht mit”, knurrte Harvey ohne von seinem Smartphone aufzusehen.
“Hä? Wolltest du da drin nicht irgendwelche Messungen machen?”, fragte Caleb diesen nun irritiert und in der Art wie Harvey daraufhin unmerklich von seinem Sitznachbar wegrutschte, war klar, dass er nur wenig von Caleb hielt. Willow hatte unwillkürlich Mitleid mit Caleb, der in dieser Gruppe sichtlich fehl am Platz schien. Ein Gefühl, das Willow nur allzu vertraut war.
“Dieses Mal nicht. Erst werden wir uns einen Überblick über das Innere verschaffen”, erklärte Alina für Harvey. “Wir wissen nicht genau, wie es dort drinnen nach all der Zeit aussieht. Soviel wir wissen, sind wir die ersten, die nach über zwanzig Jahren wieder das Schloss betreten und wir wissen nicht, wie sehr es in der Zwischenzeit verfallen ist.”

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“Mit anderen Worten: Unser erster Einstieg ins Schloss wird eine Reise ins Ungewisse!”, ergänzte Nasir.
“Richtig!” Nun wandte sich Alina direkt Willow zu. “Vielleicht ist es dir lieber, wenn du später mit uns hinein gehst, wenn mein Bruder, Caleb und ich den Zustand des Gebäudes ein wenig ausgekundschaftet haben.”
“Auf keinen Fall”, widersprach Willow sofort. “Ich möchte direkt beim ersten Einstieg dabei sein!”
Alina musterte sie einen Augenblick, bevor sie wieder sprach: “Aber dann zieh’ bitte kein Kleid an. Das wird morgen vermutlich eine ziemliche Kletterei.”
“Selbstverständlich”, antwortete Willow knapp und verbot sich über Alinas Bemerkung zu ihrer fragwürdigen Kleidungswahl für einen Einbruch nicht Rot zu werden. Sie hatte ja Recht.
“Ich hab gegen ein nettes Kleidchen nichts einzuwenden. Hey Willow, dann könnten wir im Ballsaal ja das Tanzbein schwingen während die anderen die Arbeit machen”, sagte Caleb und zwinkerte Willow grinsend zu, während gleichzeitig ihr Smartphone in der Tasche vibrierte. Das war ihr Zeichen zu Gehen.
“Alles klar, dann bis morgen”, sagte sie knapp und stand sogleich vom Tisch auf.
“Caleb!”, fauchte Alina.
“Iiiirrrrgghh, ich glaub’ ich muss mich übergeben!”, würgte Elliot theatralisch.

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“Mann, kannst du nicht einfach mal die Klappe halten?!”, rügte Nasir schließlich seinen Sitznachbarn streng und versuchte gleichzeitig Willow entschuldigende Blicke zuzuwerfen, die sich gerade um den Tisch herum in Richtung Ausgang zu bewegte. Selbst Caleb schien von ihrem plötzlichen Aufbruch verunsichert.
“H-hey, ich wollte nicht, … dass … äh, sollte nur … nur ein Scherz …”, stammelte er.
Sie alle interpretierten Willows plötzlichen Aufbruch völlig falsch.
Als Willow nach draußen trat, stellte sie fest, dass es schon dunkel war. Sie war viel länger geblieben als sie beabsichtigt hatte. In der Tat hatte sie nach dem Ausflug zum Schloss heute nicht damit gerechnet, dass sie noch so lange weg bleiben würde.
“Willow, warte!”
Alina war ihr nach draußen gefolgt und obwohl Willow es plötzlich sehr eilig hatte, zwang sie sich dazu stehen zu bleiben und sich zu Alina umzudrehen.
“Caleb ist nicht der Grund, dass du so plötzlich gehen musst, stimmts? Oder haben wir dich doch völlig verschreckt? Ich weiß, wir sind eine seltsame Truppe, aber eigentlich auch ganz nett. Na ja, für Caleb würde ich jetzt nicht reden wollen”, sagte Alina in dem ihr ganz eigenem schnellen Sprechtempo.

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Willow hatte den Verdacht, dass Alina immer dann schnell sprach, wenn sie nervös war.
“Ach, es ist nur … unser Hausmädchen hat mich … na ja, ich bin spät dran und hatte nicht vorgehabt, so lange weg zu sein”, erklärte sie aufrichtig. Willow wollte nicht wissen, wieviele wütende Smileys Bone Hilda ihr in der Zwischenzeit schon geschickt hatte. Seit Hilda von ihrem Pakt mit dem Sensenmann erfahren hatte, war sie noch besorgter um Willow als ohnehin schon.
“Ach so, also dann bis morgen?”, fragte Alina nochmals und Willow nickte.
“Bis morgen!”
Alina lächelte zum Abschied und drehte sich um. Bevor sie jedoch die Tür zur Schenke öffnete, rief Willow ihr plötzlich nach: “Das Bild …”
Alina warf ihr einen langen Blick zu, bevor sie antwortete: “Morgen”
Dann war Alina wieder in der Schenke verschwunden, in der es zu dieser Uhrzeit immer lebhafter wurde.
Obwohl Willow sich eigentlich beeilen wollte, konnte sie sich nicht dazu aufraffen, schnellen Schrittes nach Hause zu gehen. Stattdessen schlenderte sie an der alten Schenke vorbei in Richtung Ufer.

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Willow musste ihr Smartphone nicht erst hervorholen, um sich noch einmal das Bild ihrer Mutter anzusehen. Es hatte sich regelrecht in ihren Kopf eingebrannt. Insbesondere drei Dinge, ließen sie nicht mehr los:
1. Sie sah ihrer Mutter wirklich unheimlich ähnlich. So ähnlich, dass es sie nicht mehr wunderte, dass sich Aster ihr gegenüber so seltsam benahm. Sie sah Lily einfach zu ähnlich. Willow konnte sich denken, wie schmerzhaft das für ihre Großmutter sein musste.
2. Der Blick ihrer Mutter. Lily hatte nicht einfach freundlich in die Kamera gesehen. Ihre Mutter trug auf dem Foto den Blick einer Verliebten. Bedeutete das also, dass ihre Mutter tatsächlich das Risiko eingegangen war, sich zu verlieben? War es die Person, die das Foto gemacht hatte?
3. Lily war tatsächlich in Ravenwood Castle gewesen. Den Hintergrund des Fotos hatte sie dank ihrer Internetrecherche in wenigen Sekunden wiedererkannt. Es war der berüchtigte Ballsaal, in dem vor mehreren hundert Jahren alle Gäste zu Tode gekommen waren. Diese Tragödie war der Grund, weshalb Ravenwood Castle von den Bewohnern Ravenwoods umgangssprachlich nur “Wo der Tod wohnt” genannt wurde. In nur einer Nacht hatte der Sensenmann einst dort hunderte Tote ins Jenseits geholt.

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Willow sah hinüber zum Schloss, dicht umhüllt vom Nebel, der vom Fluss herauf aufstieg. Als sich der Nebel kurz lichtete, meinte Willow plötzlich ein helles Flackern in den Fenstern der Ruine wahrzunehmen. Doch mit dem nächsten Wimpernschlag war das Flackern auch schon wieder verschwunden und war nicht mehr zu sehen, obwohl Willow noch lange dort stand und das alte Schloss beobachtete.
Vermutlich war es nur eine optische Täuschung aufgrund des Nebels gewesen. Willow brannte darauf dem Schloss morgen endlich auf den Grund gehen zu können und hoffte, dass sie dem Geheimnis um das Verschwinden ihrer Mutter endlich ein großes Stück näher kam.
Sie war nun wahrlich spät dran und Bone Hilda würde ihr die Hölle heiß machen. Für morgen Abend musste sie sich etwas einfallen lassen, soviel stand fest.
2559 Wörter
 
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Die Studentengruppe gefällt mir. 👍 Diese Zusammensetzung klingt schon jetzt nach Abenteuer.

Schön, jetzt hat Willow das erste mal ein Bild von ihrer Mutter gesehen. Und tatsächlich, die Ähnlichkeit ist verblüffend.
Das ist sicherlich auch irgendwie schlimm für Willows Großmutter.
Täglich sieht sie in der Enkelin das Gesicht ihrer vermissten Tochter.
Kein Wunder gibt es keine Bilder von Lily auf dem Anwesen Ambrosia Manor. Könnte ich mir wirklich Vorstellen dass die Großmutter alle Bilder entfernen lies, als ihre Tochter nicht mehr zurück kam.
Sicherlich hatte sie anfänglich bei dem Baby auf der Türschwelle genauso wie wir ihre Zweifel. Doch mit jedem weiteren Tag wird sie diese Ähnlichkeit bemerkt haben.
Vielleicht auch ein Grund, weshalb Willow anfänglich weit, weit weg (Internat) vom Anwesen Ambrosia Manor aufwachsen musste.

Für Willow wird es jetzt spannend, in den Spuren ihrer Mutter zu wandeln... entdecken, wo sie gelebt und geliebt hatte.
Und ganz Ehrlich, es hätte mich sehr gewundert, 🤔wenn sie nicht schon gleich bei der ersten Erkundungstour nicht mit dabei sein hätte wollen.
Willow macht dies genau richtig. Ein richtiger Detektiv, lässt auch nicht zuvor die Stümper den Tatort verwüsten und die dortigen Spuren verwischen.
Die ersten Entdeckungen sind doch meist die wichtigsten. 🧐
Die zweiten und dritten..., sind doch nur noch zur Bestätigung der ersten gesichteten Entdeckungen und um vielleicht noch übersehenes zu finden.
 
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ich bin Feuer und Flamme - das ist genau meins 🔥
Ganz toll, ich hab jedes Kapitel verschlungen und kann es kaum erwarten in das Schloss einzusteigen 😲
 
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Endlich finde ich mal die Zeit, auf eure tollen Kommentare zu antworten. Erkältungssaison mit zwei kleinen Kindern ist einfach wild.😫

Ich glaub wenn ich soviel Wissen und Interesse über mich als Privatperson im wilden Internet vorfinden würde, hätte ich jetzt schon einen Panikausbruch.
Für mich wäre es auch unerträglich, wenn über mich als Persona so viel im Internet bekannt wäre. Und auch für Willow ist das alles andere als eine angenehme Erkenntnis. Aber die Menschen diskutieren im Internet einfach über alles. In meiner Heimatstadt gibt es auch die ein oder andere Ruine und selbst dazu habe ich Forenbeiträge zu gefunden. In meiner Vorstellung ist es nur plausibel, dass Sims, die in anderen Nachbarschaften und Städten leben, sich vermutlich über Ravenwood und die Dinge, die dort geschehen wundern und sich darüber im Internet austauschen.
Es ist für mich unvorstellbar, wie leichtfertig viele Menschen Bilder von sich posten.
Was ich persönlich noch viel schockierender finde, als den leichtfertigen Umgang mit den eigenen Daten, ist der Umgang mancher Menschen mit den personenbezogenen Daten anderer. Insbesondere als Mama finde ich es erschreckend und widerlich, wie selbstverständlich gerade Eltern Bilder, Videos, Informationen, persönliche Details getarnt als lustife Geschichten und Anekdoten im Internet teilen. Dass Eltern aus ihren Kindern ohne Achtung vor deren Rechte ganz leichtfertig gläserne Menschen machen finde ich furchtbar und gehört meiner Meinung nach gesetzlich streng reguliert und bestraft. So manches Haustier hat da mehr Privatsphäre als manch Kinder, die öffentlich zur Schau gestellt werden. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sich die Kinder fühlen, die mit so einem riesigen digitalen Fußabdruck groß werden.

Eine introvertierte eher stille junge Frau und eine quirlige, extrovertierte lebhafte Studentin.
Dazu diese doch sehr verrückte Umstände, die das ganze so richtig noch toppen.
Ich liebe es tatsächlich sehr vielfältige verschiedene Charaktere in meinen Geschichten einzubauen und diese aufeinander treffen zu lassen. Vor allem liebe ich es beim Schreiben, wenn sich meine Figuren auch mal maximal unwohl in ihrer Situation bzw. mit ihrem Gesprächspartner fühlen. Da bin ich wohl eine kleine Sadistin. :ROFLMAO:
Im Grunde haben sie auch alle ähnliche Ziele: "Herausbekommen was wirklich in der Vergangenheit geschehen ist."
Stimmt. Die Ziele mögen gleich sein, aber die Motivation dahinter nicht unbedingt ... 😁
Die Studentengruppe gefällt mir. 👍 Diese Zusammensetzung klingt schon jetzt nach Abenteuer.
Es war kein einfaches Kapitel zum Schreiben, da ich hier jeden verschiedenen Charaktertyp etwas gerecht werden wollte, aber es hat sau viel Spaß gemacht.
ich bin Feuer und Flamme - das ist genau meins 🔥
Ohhh, das freut mich sehr zu lesen. Ich bin generell total geplättet von der Resonanz meiner Geschichte. Auch wenn ich vorab lediglich eine DokuStory schreiben wollte, muss ich wohl einsehen, dass das hier eine waschechte Fotostory ist. Und diese Geschichte ist tatsächlich auch voll meins. Privat lese ich fast nur Bücher, die diese oder eine ähnliche Atmosphäre haben und ich fühle mich beim Schreiben einfach pudelwohl.
Letztlich stimmt es halt eben doch: Man sollte schreiben, was man selbst sehr gerne lesen würde. Und ich freue mich tierisch, dass sich meine Idee mit Sims 4 so gut umsetzen lässt.

Ganz toll, ich hab jedes Kapitel verschlungen und kann es kaum erwarten in das Schloss einzusteigen 😲
Ich freue mich selbst auch schon seeeehr auf das Kapitel im Schloss! 😁
 
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Willow starrte seit geschlagenen dreißig Minuten ideenlos auf die weiße Leinwand vor ihr. Wobei “ideenlos” nicht ganz korrekt war.
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Vor ihrem geistigen Auge sah sie ständig das Bild ihrer Mutter. Ihr kunstvoll nach hinten gebundenes Haar, ihre roten Lippen, passend zu dem tiefroten, feinen Kleid. Sie musste regelrecht dagegen ankämpfen, das Gesicht ihrer Mutter nicht als Bildnis zu verewigen. Wenn sie auf dem Dachboden gewesen wäre, hätte sie ihrem Impuls vermutlich einfach nachgegeben, aber hier im Wintergarten … unmöglich!
Willow hatte sich gegen die Abgeschiedenheit des Dachbodens entschieden und hatte sich zu ihrer Tante und ihrer Großmutter gesellt.
Iris las in einem Buch über seltene Edelsteine und Aster stickte während Bone Hilda am Klavier spielte. Wenn man sie von außen durch die alten, teilweise erblindeten Fenster des Wintergartens beobachtete, machten die Ambrose Frauen sicher einen harmonischen Eindruck.

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Doch der Schein trog.

Bone Hilda war immer noch außerordentlich wütend auf Willow. Beinahe täglich warf sie Willow, wenn sie allein waren, vor, wie leichtsinnig es gewesen war, den Sensenmann zu beschwören. Wenn man bedachte, dass der Sensenmann sich seither kein einziges Mal mehr bemerkbar gemacht hatte, fand Willow Bone Hildas Zorn darüber ziemlich übertrieben. Mittlerweile vermied Willow es, mit Bone Hilda allein zu sein.
Doch seit jener Nacht, war Bone Hilda ihr gegenüber noch behütender als sie es ohnehin schon stets gewesen war. Das Hausmädchen suchte ständig ihre Nähe und Willow konnte Hildas wachsamen Blick bei fast allem, was sie tat regelrecht auf sich spüren.

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Dass Willow gestern ohne Vorwarnung dem Abendessen fern geblieben war und Bone Hilda nicht wusste, wo sie gewesen war, war der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Bone Hilda hatte sie gestern wild gestikulierend an der Haustür empfangen. Von den unzähligen wütenden Smileys, die Willow auf ihrem Nachhauseweg von Bone Hilda auf ihrem Smartphone empfangen hatte, ganz zu schweigen. Was Willow ihrerseits wütend gemacht hatte. Sie war eine volljährige, junge Frau - es gab keinen Grund, sie zu behandeln wie ein kleines Kind, auf das man ständig aufpassen und das man beschützen musste.

Aber der Konflikt zwischen Bone Hilda und Willow war nicht der einzige Grund, warum es im Wintergarten heute so viel frostiger zu sein schien als sonst. Ihre Großmutter und ihre Tante hatten sich seit dem frühen Morgen gestritten und taten nun das, was sie immer taten, wenn sie sich nicht einigen konnten: Sie schwiegen einander eisern an.

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Das war keine besonders gute Voraussetzung, um Iris und Aster von ihren Plänen heute Abend zu erzählen.
Selbstverständlich konnte Willow ihnen nicht erzählen, dass sie mit ein paar fremden Studenten in das berüchtigte Ravenwood Castle einbrechen würde. Wenn sie das täte, würde vermutlich nicht nur Bone Hilda, sondern auch ihre Tante und ihre Großmutter sie eiskalt in ihrem Zimmer einsperren. Aber irgendetwas musste Willow ihnen erzählen, wenn sie nicht wollte, dass Bone Hilda sie wieder wie ein Wachhund an der Haustür abfing.
Deshalb war sie hier im Wintergarten, tat als würde sie malen wollen und wartete auf den richtigen Moment um mit ihren Vormündern zu sprechen.
Willow seufzte. Nur schien sich der richtige Moment einfach nicht ergeben zu wollen und eine baldige Schlichtung des Streits zwischen ihrer Tante und ihrer Großmutter war nicht in Sicht.
“Was seufzt du, Liebes?”, fragte Iris und ihr Ton war dabei ungewöhnlich süß.
Willow legte den Pinsel beiseite, straffte ihre Schultern und entschied sich, es einfach drauf ankommen zu lassen. Sie setzte sich zu ihrer Tante und ihrer Großmutter an den kleinen gusseisernen Gartentisch. Unmittelbar im Auge des Sturms schienen die Temperaturen nochmals um mehrere Grad kälter zu sein.

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“Ich habe einfach keine Idee, was ich malen soll”, seufzte Willow schließlich ohne selbst zu wissen, wie sie das eigentliche Thema, ansprechen sollte.
“So ist das leider mit der Kunst, Liebes! Die Inspiration kommt und sie geht, wann immer sie will”, sagte Iris leichthin ohne auch nur ein einziges Mal von ihrem Buch aufzublicken.
“Nichts kommt von ganz allein, man muss schon etwas dafür tun”, widersprach Aster in betont langweiligem Ton, ebenfalls ohne auch nur ein einziges Mal von ihrer Stickereiarbeit aufzublicken.
“Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht”, erklärte Iris.
“Aber ohne eine Saat wächst überhaupt nichts Vernünftiges”, schob Aster prompt nach und zog den Faden ungewöhnlich fest nach.

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Willow wollte sich am liebsten die Haare raufen.
So lief das jetzt also. Ihre Tante und ihre Großmutter stritten sich nun über den Umweg mit ihr weiter. Und im Hintergrund klimperte Bone Hilda hörbar stelzig auf dem Klavier herum. Eins stand definitiv fest: Passiv-aggressiv war in diesem Haushalt offenbar eine beliebte Sprache.
Willow räusperte sich.
“Ich … äh,… ich glaube, ich brauche eine kleine Pause vom Malen”, sagte sie schließlich. Sie achtete peinlichst darauf weder Iris noch Aster explizit zuzustimmen.

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“Verständlich!”, erwiderte ihre Großmutter prompt. “Du versteckst dich sowieso schon viel zu oft im Atelier oder in deinem Zimmer. Da ist ein Tapetenwechsel keine schlechte Idee!”
“Man muss aber auch nichts überstürzen - solange du dich wohlfühlst … im Atelier”, widersprach ihre Tante.
Willow ahnte nichts Gutes. War das etwa der Grund von Iris und Asters Streit? Ging es schon wieder darum, was Willow nach ihrem High School Abschluss tun sollte?

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Willow schluckte. Das Gespräch entwickelte sich in eine Richtung, die sie heute ganz gewiss nicht ausdiskutieren wollte. Sie wusste, dass wenn es nach ihrer Großmutter ging, Willow bereits wieder fort aus Ravenwood wäre und an irgendeiner Universtität studieren und dabei selbstverständlich in einem Studentenwohnheim wohnen würde. Aus irgendeinem Grund schien ihre Großmutter ihre Enkelin nur so selten wie nötig in Ambrosia Manor zu ertragen und obwohl Willow ahnte, woher Asters Distanziertheit kam, schmerzte diese Ablehnung trotzdem sehr.
Willow musste dieses Gespräch ganz schnell beenden, weshalb sie nun einen für sie ungewöhnlich direkten Vorstoß wagte: “Ich glaube, du hast Recht, Großmutter. Ich sollte über meinen Schatten springen und mehr rausgehen!”

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Ein siegesgewisses Lächeln huschte über Asters Gesicht und sie sah zum ersten Mal von ihrer Stickerei auf und legte es sogar beiseite.
“Sehr schön!”, sagte sie.
Auch Iris klappte nun endgültig ihr Buch zu und legte es behutsam vor sich auf dem Tisch ab.
Willow konnte sehen, dass sowohl Aster als auch Iris gerade damit beschäftigt waren, im Geiste nochmal all ihre Argumente zusammenzusammeln, die sie sich heute gewiss schon gegenseitig an den Kopf geworfen hatten, um sie jetzt Willow zu unterbreiten. Doch so weit wollte Willow es gar nicht erst kommen lassen.
“Ich habe gestern in Krähenhort ein paar super nette Studenten getroffen.”, begann sie.

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“Das war so spannend, was sie von ihrem Studium erzählt haben! Vielleicht ist so ein Studium ja doch nicht so eine schlechte Idee. Ich stelle mir das Kunststudium schon sehr spannend und inspirierend vor. Jedenfalls haben mich die Studenten gestern gefragt, ob ich heute mit ihnen feiern gehen würde und eigentlich wollte ich ja schon absagen, aber ich glaube, du hast Recht, Großmutter. Ich verstecke mich wirklich viel zu sehr im Atelier oder in meinem Zimmer. Deswegen gehe ich heute abend aus, feiere mit den Studenten und gewinne vielleicht die ein oder anderen Eindrücke wie das Studentenleben so ist. Ich werde beim Abendessen also heute nicht zuhause sein und ich glaube, es wird heute auch eher spät werden, also wartet nicht auf mich!”
Das Klavier, an dem Bone Hilda immer noch spielte, kreischte plötzlich derart auf, dass Willow die Ohren schmerzten.

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Sie hatte so schnell gesprochen, dass ihr beinahe schwindelig geworden war. Sie hatte versucht, Alinas atemberaubendes Sprechtempo zu imitieren und ihre Großmutter und Tante damit regelrecht zu überrumpeln. Schnell sprang Willow von ihrem Stuhl auf und ließ ohne ein weiteres Wort die drei anderen Frauen hinter sich. Sie konnte spüren, wie sich Bone Hildas hohler, durchdringender Blick regelrecht in ihren Rücken brannte, und es kostete all ihre Überwindung, nicht zurückzublicken.
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Als sie den Wintergarten hinter sich gelassen hatte und gerade dabei war, den großen Salon zu verlassen, hörte sie ihre Tante Iris plötzlich lauthals lachen und Willow fühlte sich wie eine Siegerin.

Keiner der drei Frauen hatte Willows Pläne für heute abend anschließend in Frage gestellt. Zu Willows großer Überraschung hatte selbst Bone Hilda sie nicht mehr zur Rede gestellt. Willow war tatsächlich ein bisschen stolz auf sich. Sie hatte ihre Familie erfolgreich über ihr heutiges Vorhaben angeschwindelt und war dabei trotzdem sehr nah bei der Wahrheit geblieben. Außerdem hatte sie die Pläne ihrer Großmutter, Willow auf eine Universität abzuschieben, erfolgreich gegen sie verwendet.
Der schwierigste Teil lag also hinter ihr und Willow musste sich nur noch passend für einen Einbruch in eine Ruine einkleiden.
Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel.

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Sie hatte sich für das langweiligste Outfit entschieden, das ihr Kleiderschrank hergab: Eine schlichte schwarze Jeanshose, ein ebenso unscheinbarer Kaputzenpullover und einfache Sneaker. Das entsprach zwar ganz und gar nicht Willows Stil, aber es war das genau richtige Outfit, um irgendwo einzubrechen. Mit Verlegenheit dachte sie daran zurück, dass sie gestern mit einem unpraktischen Rock bekleidet in das Schloss einbrechen wollte. Mit Jeans und Sneaker war sie eindeutig besser für ihr Vorhaben gerüstet.
Alles lief nach Plan! Willow konnte es kaum warten, dass es endlich dämmerte.
Plötzlich klopfte es an ihrer Zimmertür.
“Ja?”, antwortete Willow ganz automatisch, in Gedanken bereits bei ihrem Treffen mit Alina und den anderen.
Die Tür öffnete sich und Tante Iris betrat ihr Zimmer, dicht gefolgt von Nemesis. Die Katze war sicher gerade auf der Suche nach irgendetwas, dass sie zerstören oder verstecken konnte.

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“Liebes, ich finde es ja ganz toll, dass du endlich mal aus deinem Kokon schlüpfst und feiern gehst - auch wenn ich ein bisschen beleidigt bin, dass du mich nicht fragst, ob ich mitkommen will.” Iris seufzte theatralisch.
“Ich … ähm …”, begann Willow unsicher, doch Iris unterbrach sie mit einer erhobenen Hand.
“Schon gut, Liebes! Worüber wir viel dringender reden sollten, ist dieses …” Iris warf Willow einen angeekelten Blick zu als hätte Willow eine Woche lang nicht gebadet. “Was soll das sein? Das ist doch kein Outfit, in dem man feiern geht!”
“Doch, d-doch!”, stotterte Willow, die Unheil auf sich zukommen ahnte. “Die … äh …, Studenten sind alle eher locker und … na ja, ich dachte, ich passe mich ihrem Stil etwas an und mische mich unter die Leu-“

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“Papperlapapp!”, unterbrach Iris sie unwirsch. “Du bist eine Ambrose! Wir mischen uns nirgendwo unter! Wir strahlen, stechen heraus, funkeln wie ein seltener Edelstein!”
Iris durchbohrte sie regelrecht mit ihren Blicken und ihre Lippen verzogen sich zu einem Hauch von einem Lächeln. “Glaube ja nicht, dass ich dir dieses Geschwätz vom Studentenleben und dem Kunststudium abgekauft habe. Damit kannst du vielleicht deine Großmutter ködern. Aber mich legst du nicht so einfach rein!”

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Für einen Moment, der sich ewig anfühlte, blieb Willow das Herz stehen. Es machte in der Tat eine so lange Pause, dass sie sich unwillkürlich fragte, ob gleich der Sensenmann erscheinen würde, um sie ins Jenseits holen zu kommen.
Ihre Tante wusste, dass sie log?
Was sollte sie nur machen? Eine weitere Lüge auftischen? Aber welche? Ihr Gedanken waren plötzlich so zäh, als hätte man ihr Gehirn in klebrig süßen Honig getaucht.
“Sag mir, Liebes, diese Studenten … ist da zufällig der ein oder andere junge Mann dabei?”

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“Äh, ja. Klar. Natürlich”, antwortete Willow träge und suchte verzweifelt einen Ausweg aus ihrer misslichen Lage.
“Das habe ich mir gedacht”, erklärte Iris und ihr Lächeln wurde breiter. “Nun, du weißt ja, wie die Regeln sind, Liebes. Uns ist es verboten zu lieben, aber absolut gar nichts spricht dagegen, dass du dich zwanglos vergnügst.”
Willows Herz stolperte ein weiteres Mal, als sie realisierte, in welche Richtung sich dieses Gespräch bewegte.
“Ähm, also nein, so ist das überhaupt ni- …”, versuchte sie zu protestieren, aber Iris sprach auch schon weiter.

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“Das da …” Iris machte eine abfällige Bewegung auf ihre Hose und ihren Kaputzenpulli. “Das ist ein Outfit mit dem man sich vielleicht einen netten, freundlichen Mann zum Verlieben anlachen kann. Viel zu gefährlich. Lebensgefährlich! Dein Outfit muss für dich sprechen. Du suchst keine Liebe, sondern ein zwangloses, flüchtiges Tête-à-Tête.”
“Oh mein Gott, Iris! Nein! So ist das wirklich nicht!”, protestierte Willow nun entsetzt. Sie hatte keine Lust jetzt ein solches Gespräch mit ihrer Tante zu führen. Lieber würde sie hier an Ort und Stelle nochmal mit dem Sensenmann höchstpersönlich streiten, als von ihrer Tante eine Lektion darüber zu hören, wie Willow mit dem Fluch der Familie Ambrose umgehen sollte.
Doch Iris schnaubte und machte eine wegwerfende Handbewegung, als wollte sie damit Willows Protest einfach beiseite wischen.
“Ihr jungen Menschen seid ja so unglaublich bieder und prüde”, seufzte sie dramatisch.

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“Es ist absolut nichts verkehrt daran, wenn man seine Bedürfnisse direkt kommuniziert und für sie einsteht. Nicht lieben zu dürfen ist eine ungeheure Last. Insbesondere, wenn man jung ist. Das bedeutet aber nicht, dass man sich allem entsagen muss. Du bist eine junge Frau mit Bedürfnissen und du solltest lernen, dir direkt zu holen, was du begehrst. Das fängt schon mit dem richtigen Outfit an. Sei eine Verführerin! Sei eine Sirene!”
“Tante Iris, nein, wirklich …”

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“Nichts da, keine Widerrede! So lasse ich doch meine Nichte nicht aus dem Haus gehen, wenn sie feiern geht. Du kannst von Glück reden, dass du eine Tante hast, die sich damit auskennt und ich werde dich heute in all meine kleinen Geheimnisse und Tricks einweisen, wie man zur Verführerin wird! Ich verspreche dir, du wirst heute mehr als nur ein Herz zum Schmelzen bringen, meine Liebe, während dein Herz schön kalt bleibt wie Eis - so wie es sich gehört und es sicher ist. Husch, husch! Steh da doch nicht wie angewachsen, zieh endlich diese fürchterlichen, fürchterlichen Lumpen aus!”
2227 Wörter
 
LOL, das Techelmechtel-Gespräch mal etwas anders aufgezogen.🫣🤭
"Sirene, ja das passt sehr gut." - So könnte (Frau) 😉 ohne die Regeln zu brechen und somit den Fluch verhindern.👍
Gefällt mir sehr gut wie du die verschiedenen Mythen- und Sagenwelten miteinander hier zu verweben versuchst.

Nun das es doch nicht ganz so einfach werden wird für Willow war ja irgendwie klar.😖
Also ich würde mich jetzt tatsächlich umziehen, der Tante den Glauben lassen, das es gut so ist.
Allerdings würde ich auch gleichzeitig irgendwie schauen die anderen Kleidungsstücke trotzdem irgendwie mitzubekommen.
Zwiebellook? Wahrscheinlich nicht möglich, weil es zu sehr auftragen würde und zu wenig Haut zeigt.
Die Kleidung als Päckchen verschnüren und irgendwie außerhalb des Hauses deponieren? Wird wahrscheinlich ebenfalls zu auffällig, womöglich vereitelt dann Bone Hilda ihre Pläne und sammelt das Kleidungspäckchen wieder ein.
Umziehen in einer öffentlichen Toilette oder einer Gasthaustoilette wäre da dann, falls es ihr doch gelingen würde das Kleidungspäckchen unbemerkt mitzunehmen, wohl das kleinere Problem.

Hm, vielleicht gibt es da auch noch Alina die hier aushelfen könnte? Willow hat doch ihre Handynummer. Könnte sie ihr so dann auch eine Nachricht zukommen lassen, das sie dringend sich nochmals umkleiden müsste.
Vielleicht kann ihr Alina dafür dann auch was ausleihen?
Denn um ihre eigene Kleidung irgendwie ungesehen heraus zu schaffen wird es doch sehr schwierig werden.
 
  • Danke
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