Finalkapitel 173 - Teil 1 - Die Bar am Ende des Universums
Finalkapitel 173 - Teil 1 - Die Bar am Ende des Universums
Totenstill lag der kleine Leuchtturm am Rande der Insel, weitab vom Zentrum und dessen Bewohnern. Hierher verirrte sich nur selten jemand. Auch deshalb hatte sie ihn gewählt und weil er direkte Sicht auf das Haus des Mannes bot, wegen dem sie gekommen war. Doch als sie sich auf den Weg durch das Portal gemacht hatte, hatte sie nicht einmal erahnen können, dass er sie töten würde. Zumindest hatte er es versucht. Aber er war gescheitert.
Ein leises Stöhnen entwich Naikes Mund, als sie wieder zu Bewußtsein kam und sich zu rühren begann. Es dauerte einige Momente, bis sie überhaupt erkannte, dass es ihr Sim-Körper war, der so unangenehm schmerzte, hatte sie ihn doch zuvor bereits abgeschrieben, inmitten der Flammen und dem beißenden Rauch, der jeden ihrer erzwungenen Atemzüge höllisch hatte brennen lassen.
Doch jetzt schien alles vorbei, lediglich ein wenig gereizt fühlte sich ihre Kehle noch an, als sie tief Luft holte, um Kraft zu sammeln und sich dann mühsam aufzurichten. Ihr erster Blick fiel aus dem Fenster. Es war noch immer Nacht und keine einzige Flamme erhellte mehr das Wohnzimmer, in dem das Unglück noch kurz zuvor seinen Lauf genommen hatte. Nun schien alles unberührt.
Verwirrt sah sie um sich. Nichts erinnerte mehr an das Feuer, das den Raum innerhalb kürzester Zeit in eine Flammenhölle verwandelt hatte. Wie konnte das nur sein? Nicht einmal die Gardinen waren auch nur im Geringsten angesengt, es zeigte sich völlige Unversehrtheit in jedem Winkel, den sie inspizierte. Nur einer schien es nicht zu sein.
„Adam? Oh, mein Gott, Adam! Wie kommst du hier rein?”, rief Naike entsetzt und versuchte an seinem Körper zu rütteln, prallte jedoch davon ab, als wäre er aus Stein.
Sie stieß einen Schrei aus und stob zutiefst erschrocken in die Höhe. „Adam, NEIN!! Bitte nicht!!“, schrie sie gequält und starrte auf ihren völlig leblosen Liebsten, der unnatürlich gekrümmt auf dem Fußboden lag. Sie konnte es kaum fassen, er musste versucht haben, sie zu retten. Reflexartig rief sie um Hilfe, doch dann dämmerte ihr, dass sie diese schon selbst holen mußte.
Auf dem Weg zum Telefon blieb sie im Flur ruckartig stehen, als wäre sie gegen eine Wand gelaufen und vergaß vor lauter Überraschung, was sie eigentlich gewollt hatte, denn vor ihr am Computer saß mit ausdrucksloser Miene Voodoo Mom.
„Na, endlich aufgewacht?“, fragte diese schmunzelnd. „Du … du hast es
angehalten?!“, rief Naike perplex aus. „Allerdings, das habe ich. Es war ja nicht mehr mit anzusehen, was ihr dargeboten habt.“
„Oh, Voodi!“ In tiefer Erleichterung schmiß Naike sich in die Arme der schwarzen Hexe, die die Umarmung trotz ihres Unverständnisses über soviel Dummheit warm erwiderte, denn die junge Frau, die sie schon so lange kannte, tat ihr Leid. Unmöglich war es ihr gewesen, alles so enden zu lassen, obwohl sie sich sonst grundsätzlich nie in die Angelegenheiten anderer Sims oder Menschen direkt einmischte.
Sie schob Naike, die sich regelrecht an sie klammerte, sanft von sich und sah ihr ernst in die tränenverschmierten Augen. „Du mußt es ihm sagen. Die
ganze Wahrheit, hörst du?!“
„Es war nicht er, der mir fehlte.“ Naike formulierte es als Feststellung, sah Voodoo Mom aber dennoch mit einem Restzweifel fragend an. „Korrekt. Eigentlich hättest du selbst drauf kommen können. Zu lieben ist sicher das Schönste und Höchste an unserem Dasein, egal in welcher Welt, aber es sollte niemals völlig das Denken vernebeln."
Naike nickte einsichtig. „Ich weiß das doch!", jammerte sie kläglich. "Aber bei ihm war … wie soll ich es ausdrücken … einfach irgendwie alles zu mächtig. Ich schrieb damals noch gar nicht lange an meiner Geschichte für ein Projekt und brauchte einen Nebencharakter. Er faszinierte mich vom ersten Augenblick an, und irgendwann stand ich plötzlich in seinem Haus und war gleichzeitig immer noch in meinem. Ich mein’, wie verrückt war das, bitte?!“
„Tja, so ist das mit der Anziehung, Naike. Was man sich von Herzen wünscht, kann wahr werden, manchmal ganz plötzlich und auf äußerst kuriose Weise, sobald man sich dafür öffnet. Einen Weltenübertritt habe ich dabei allerdings noch nie mitbekommen, aber ganz offensichtlich ist es ja möglich, deine Wunschkraft muß immens gewesen sein.“
„Und du bist eine … eine Weltenwanderin?“, riet Naike. „Ja, wie du. Nur mit dem Unterschied, dass ich bewußt reisen kann und nicht plötzlich irgendwo lande, weil mich ein Kerl über alle Maßen antriggert.“ Voodoo Mom grinste spöttisch und Naike kratzte sich verlegen am Kopf. „Nur wäre alles halb so schlimm“, fuhr sie weiter fort, „hätte dein Adam nicht Lunte gerochen, was sicher einerseits auf sein Interesse an einschlägiger Thematik zurückzuführen ist, schließlich ist er Philosophie-Professor, andererseits an deiner Unvorsicht lag, die Spuren deiner Kontakte zu deinem anderen Teil nicht ausreichend zu schützen. Aber selbst das alles erklärt noch nicht, wie er dazu kommen konnte, seine Existenz derart in Zweifel zu stellen, dass er darüber beinahe verrückt zu werden begann, das geschieht hin und wieder auch Menschen und ist ein Mysterium. Ich sehe ihn noch vor meinem Haus stehen, bleich und zitternd, ich saß gerade mit deinem Alter Ego in meinem Arbeitszimmer. Zum Glück konnte ich ihn dazu bewegen zu gehen, aber wohl war mir nicht dabei. Ich denke, er ist etwas Besonderes, Naike. Kein Weltenwanderer wie wir, deren Bewußtsein sich auf verschiedene Existenzen aufteilen kann, aber er scheint zumindest über eine Art von Wahrnehmung zu verfügen, die es möglich macht, sich im Gegensatz zu den anderen Simulationen selbst zu reflektieren. Aber es ist nur eine Vermutung, um Näheres herauszufinden, müßte ich die Version von ihm finden, in der sich sein Bewußtsein generell befindet. Theoretisch könnte es sogar ebenfalls geteilt sein, wie bei dir. Aber das ist jetzt wirklich nur Spekulation“, betonte Voodoo Mom.
„Du meinst, er lebt in irgendeiner Parallelwelt
richtig?“, rief Naike überrascht. Voodi kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. „Das ist nicht das passende Wort, Naike, er lebt überall „richtig“, wie wir auch, aber jede Schöpfung hat sein Bewußtsein normalerweise nur in einer Welt, lebt aber gleichzeitig in Parallelexistenzen andere Versionen seiner selbst. Verstehst du das?“ – „So etwas dachte ich mir schon mal“, erwiderte Naike und schüttelte über die Unfaßbarkeit der ganzen Sache den Kopf.
„Ich muß jetzt gehen“, sagte Voodoo Mom dann, „mehr kann ich euch nicht helfen. Löse die Pausentaste und alles wird wieder seinen Gang gehen. Beeinflusse alles positiv und sage ihm die Wahrheit, bitte! Ich kann dir nicht sagen, warum ich das für das Beste halte, aber ich weiß es einfach.“ - „Er wird mir nicht glauben!“ – „Doch, das wird er müssen, wenn du mit ihm an den Rand dieser Welt fährst. Einfach immer geradeaus, laßt euch von nichts und niemanden abhalten. Und wenn er dann noch immer Zweifel hat, was ich bei diesem Sturkopf fast zu erwarten ist, dann führe ihn danach zurück in sein Haus, es ist alles vorbereitet.“
Voodoo Mom fütterte sie noch mit einigen weiteren Informationen, und nun fühlte Naike sich etwas erleichtert, denn jetzt hatte sie wenigstens einen Plan. Aber was kam danach?
„Und wie soll es dann weitergehen, Voodi?“ Voodoo Mom rollte die Augen. Na, wie wohl? Du verbindest sich wieder mit dem abgespaltenen Teil deines Bewußtseins und kehrst in deine Welt zurück, und das war es dann.“ – „Das war es dann?!“, hakte Naike ungläubig nach. „Das
war es dann?!“, wiederholte sie laut. „Aber Adam … und meine Familie?!“ - „Hier lebt nur deine Parallelexistenz, du gehörst nicht hierher“, sprach Voodi klar und deutlich aus, was ihr Gegenüber längst wußte. Naike begann zu weinen. Zärtlich legte ihr die schwarze Hexe ihre warme Hand auf die Schulter und murmelte Abschiedsworte.
„Aber kann ich nicht wie du eine echte Weltenwanderin sein?“, rief Naike verzweifelt hinter ihr her. Voodoo Mom drehte sich noch einmal um. „Dazu braucht es etwas mehr als nur die Liebe zu einem Mann“, antwortete sie in einem Ton, der jegliche weiteren Nachfragen bereits im Ansatz zunichte machte.
Für einen Moment stand Naikes Kopf vollkommen leer. Dann drangen Gedanken an das, was ihr bevorstand, in ihr noch immer geteiltes Bewußtsein. Sie würde gehen müssen. Ohne ihn. Und ohne alle anderen, die ihr lieb und teuer waren. Sicher, sie würde sie weiterhin sehen können, jederzeit, als Polygon-Kreaturen an ihrem Rechner, aber dies war noch nie das gleiche gewesen, wie selbst anwesend zu sein. Niemals wieder würde sie ihn berühren können, ihn riechen und schmecken, mit ihm gedeihen oder ins Verderben gehen. Sie würden zusammen alt werden, stets getrennt durch eine Scheibe aus Glas, eine ganze Dimension von einander entfernt. Offenbar schien dies ihr Schicksal zu sein.
Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht und betrachtete das geronnene Blut auf ihrem Handrücken, das sie aufgeweicht hatten. Ein Blick in den Spiegel demonstrierte ihren Zustand. So wollte sie ihm in den letzten gemeinsamen Stunden nicht gegenübertreten. Auf keinen Fall! Wie gut, dass es in der Simwelt diese seltsamen Spiegel gab. Eine andere Frisur oder das tollste Make-up innerhalb von Sekunden - sie würde diese Möglichkeiten daheim sehr vermissen.
Nachdem die Wunden rückstandslos entfernt waren, setzte sie sich an den Computer, atmete noch einmal tief ein und löste dann die Pausentaste.
An der Wohnzimmertür blieb sie stehen und beobachtete mit wild klopfendem Herzen, wie Adam sich aufrappelte und sein Blick verwirrt kurz durch den Raum schwenkte, um sich anschließend überfordert vor der kruden Situation zu verstecken, die er genauso wenig verstand, wie schon so viele seltsame Momente zuvor. Er hob seinen Kopf erst wieder, als er leise Schritte hörte.
„Ach, und da bist ja auch wieder du“, bemerkte er trocken und bemühte sich dabei, die Mundwinkel zu heben, was ihm nicht so recht gelang. Naike hockte sich zu ihm auf den Boden und traute ihren Augen kaum, als er sich ohne Umschweife in ihren Schoß gleiten ließ, um wenigstens ein klein wenig Halt in seiner Welt zu finden, in der Ursache und Wirkung offenbar endgültig außer Kraft gesetzt waren. „Mein Engel“, sagte er leise, bevor seine Stimme in ein Krächzen überging: „Sag, leben wir oder sind wir tot?“
Naike strich ihm sanft das feuchte Haar aus der Stirn und hauchte einen Kuss darauf. "Wir leben“, flüsterte sie. „Aber nichts ist so, wie es scheint, und es gibt sogar noch viel mehr als das." Adam öffnete die Augen und sah sie entspannt an. „Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages einen Engel sehen werde, wenn ich endgültig verrückt geworden bin, da waren immer bloß diese blöden Affen.“ Naike lachte verwundert auf. „Vorhin war ich noch die böse Sirene, jetzt plötzlich ein Engel?“ Adam nickte glückselig. „Ich mache mir die Welt, so wie sie mir gefällt. Denkst du so, Ad?“ – „Genau“, grinste er und kuschelte sich zwischen ihre Beine, als hätte er diesen Ort für immer als sein neues Zuhause gewählt.
Naike war überrascht über sein ungewohntes Gebaren. Wo war der Adam geblieben, der die unbedingt Wahrheit erfahren wollte, wenn nötig sogar mit Hilfe von Gewalt? Der um jeden Preis verstehen wollte, was mit ihm und um ihn herum geschah? „Ad? Ich muss dir was sagen.“ – „Ich will es nicht wissen.“ Adam richtete sich auf und gähnte ausgiebig.
„Es tut mir furchtbar leid, dass ich es dir nicht schon früher gesagt habe. Spätestens, als es dir begann schlecht zu gehen, hätte ich handeln müssen. Aber ich hatte Angst, echt voll Schiss vor deiner Reaktion, und die habe ich auch jetzt noch.“ Dann lass es halt, wollte Adam sagen, aber dann gewann doch seine natürliche Neugier, wie seine Augen verrieten. Naike rang nach Worten. Wie zum Geier sollte man
sowas vermitteln? Wie so oft entschied sie sich nach kurzem Nachdenken für den direkten Weg.
„Deine Welt hier ist eine Simulation, Adam, und du bist darin eine Einheit unter vielen. Es gibt unzählige solcher Welten verschiedenster Art, aber alle haben sie gemeinsam, dass dessen Einheiten glauben, sie seien tatsächlich existierende Einzelindividuen, die Zeit und Raum unterworfen sind.“
„Oha. - Und was soll der Sinn des Ganzen sein?“, unterbrach er ungläubig. „Das kannst du dir aussuchen. Einfach nur zu leben, um des Lebens Willen. Erfahrungen in einem bestimmten Rahmen zu machen, ohne den sie sonst nicht möglich wären. Zu lieben und alles mit anderen zu teilen. Oder einfach um zu spielen und dabei über sich selbst hinauszuwachsen.“
„Also, das große Ganze quasi, das expandiert?“ – „So könnte man es sehen, ja.“ Adam lächelte amüsiert. „Interessant. Dann beweis mir das doch bitte mal, dass das hier eine, wie du behauptest, Simulation ist!“, forderte Adam sie auf und erwartete von vornherein, dass dies nicht möglich war. Naike fielen Voodoo Moms Anweisungen ein, die sie ihr zuvor gegeben hatte, und sie hoffte bang, dass sie damit auch wirklich in der Lage war, den Wunsch ihres Mannes zu erfüllen.
Sie erhob sich vom Boden, reichte Adam ihre Hand und zog ihn hoch. „In Ordnung, zieh’ dich an, dann fahren wir direkt los. Nimm dir bitte die warme Lederjacke und die schwarze Jeans aus dem Kleiderschrank, die du bei dem Friseurbesuch mit Gerd Gieke anhattest. Ach, und wundere dich nicht, dass sie da drin sind!“
Völlig verdutzt starrte er sie an, wie sie ihm auffordernd zuzwinkerte und dann als erste den Raum verließ, während er wie angewurzelt stehen blieb. „Aber … aber wohin fahren wir denn?“ – „Ans Ende der Welt!“, rief sie beinahe fröhlich aus dem Schlafzimmer.
„Hast du in der Simlane angerufen?“ – „Ja, es ist alles in Ordnung. Ich habe mit Nai … äh, also mit dir … ja, also ich weiß auch nicht, mit deiner Doppelgängerin oder was es auch immer sie ist …“ Adam unterbrach sich selbst. „Willst du mir das jetzt nicht mal langsam erklären?“ – „Später, steig’ ein!“, wiegelte Naike ab und ließ sich auf den Sitz ihres Jaguar fallen, während Adam sich fragte, wie dieser hierher gekommen war.
„Wer weiß, wo du mich abladen wirst, sicher irgendwo in der Pampa, wo ich verhungern muß, und das ist dann „mein“ ganz persönliches Ende der Welt. Das hast du eben gemeint, nicht wahr?!“, vermutete er zögerlich, wurde jedoch sogleich von einer weiteren seiner tausend Fragen abgelenkt, als er Naike aufmerksam ins Gesicht sah. Seine Miene verdüsterte sich plötzlich. „Ich … ich hatte dich verletzt, nicht wahr?! Doch, ich weiß es genau. Aber du bist völlig unversehrt.“ Seine Lippen begannen zu zittern und er stockte. „Es tut mir so furchtbar leid“, brachte er halb erstickt hervor, „und ich verstehe das alles nicht.“
Naike nahm sein Gesicht in beide Hände „Hey! Alles ist okay. Mir geht es gut, wirklich. Ich hatte dich falsch eingeschätzt. Ich wußte, dass du unter Druck standest, hatte aber nicht damit gerechnet, dass du mich für eine bloße Erscheinung halten würdest. Aber ich kann es dir weiß Gott nicht verübeln.“
„Das entschuldigt mein Verhalten nicht“, sagte Adam bitter. „Und meines ist erst recht nicht zu entschuldigen“, ergänzte Naike trocken und dachte dabei blitzartig an vieles, dass sie ihm bloß für eine gute Geschichte angetan hatte. „Und dass ich nicht mehr verwundet bin, ist übrigens der erste Beweis für die Simulation dieser Welt. Oder siehst du etwa zig Schichten Make-up auf meinem Gesicht?“
Adam seufzte. „Dann fahr’ mal los, ich lass mich überraschen. Was habe ich mehr zu verlieren, als meine eh verkorkste Existenz?!“ – „
Nicht-Existenz!“, korrigierte Naike und grinste. „Aber verkorkst ist sie nun wirklich nicht, denk doch an unsere Familie!“
Ihre Reise begann am Hafen. Sie setzen mit der letzten Fähre über und durchquerten die schwach beleuchtete, fast simleere Stadt. Schweigend dachte Adam über sein Leben nach, als sie nach und nach diverse Schlüsselorte passierten, wie die Oper, in der sein Sohn bereits zahlreiche Auftritte gehabt hatte …
… oder das
Dome, in dem er viel zu viel Zeit und Geld gelassen hatte, was er im Nachhinein jetzt bedauerte, auch wenn es sowieso nicht mehr rückgängig zu machen war.
Mit der Zeit wurde die Gegend immer ländlicher und fremder, und das leise, gleichmäßige Fahrtgeräusch des Jaguars ließ ihn vorübergehend in den Schlaf sinken. Sein Kopf kippte auf Naikes Schulter und sein gleichmäßiger Atem streifte ihre Wange.
Immer wieder küsste sie seine Schläfe, bis er schließlich wieder wach wurde, als es aus der Ferne donnerte. „Halt an“, hauchte er begehrlich und begann nun seinerseits sie zu küssen, ohne zu bemerken, dass sich um ihn herum einiges verändert hatte. „Ad, mir wird langsam kalt. Wir müssen jetzt weiter, es ist nicht mehr weit.“ Adam lächelte, ließ von ihr ab, rückte seine Jacke zurecht und zog deren Reißverschluß ein Stück höher, denn erst jetzt bemerkte er am eigenen Leibe, dass sie verdammt Recht hatte, plötzlich herrschte strammer Wind und der Himmel zeigte sich derart verhangen, wie er es zuvor noch nie gesehen hatte. Beklemmung legte sich auf seine Brust. „Wollen wir nicht kurz hier was trinken gehen und uns aufwärmen?“ – „Später“, sagte Naike und startete den Wagen wieder. Adams Blick fiel auf das Schild über der Eingangstür des kleinen Bistros, vor dem sie vor ein paar Minuten angehalten hatten, um wie ein Teenagerpaar zu knutschen: Die Bar am Rande des Universums. Erfolglos versuchte er den Frosch in seinem Hals durch bemühtes Schlucken in den Magen zu befördern.
“Interessanter Zufall”, sagte Adam zu Naike und deutete mit einen Kopfnicken Richtung Bar-Eingang. „Oder steckst du mit dem Besitzer unter einer Decke, um mich zu necken?“ – „Nein, ich war noch nie zuvor hier“, erklärte Naike ernst, und Adam erkannte in ihren weit geöffneten Augen, dass sie die Wahrheit sprach.
Sie ließen die kleine, quietschbunte Bar hinter sich und Naike fuhr weiter geradeaus, als sich am Horizont in der Ferne eine Straßensperre abzeichnete, der sie schnell näher kamen. Das Donnergrollen war immer leiser geworden und nur noch sanft wehte der kalte Wind um ihre Nasen. „Ich fürchte, hier geht es ins Nirgendwo“, bemerkte Adam, „da vorn kommen wir nicht weiter." Naike sah konzentriert nach vorn. „Komm, chérie, bitte! Mein ehrliches Kompliment für die tolle Idee, hier war ich wirklich auch noch nie, und alles wirkt wahrhaft und wirklich wie das Ende der Welt, aber jetzt ist es mir nach einem heißen Tee mit Rum oder so etwas. Erzähl’ mir in der guten Stube von eben weiter, was es mit allem auf sich hat, okay? Ich verspreche auch, alles sehr ernst zu nehmen!“
Naike antwortete weiterhin nicht, verlangsamte aber für einen Moment das Fahrttempo. „Adam, schnall dich an!“, befahl sie dann mit einer Vehemenz in der Stimme, die ihn aufschrecken ließ, schnappte sich ihren eigenen Gurt und schickte noch ein harsches „Mach jetzt!!“ hinterher, als er sich nicht ebenfalls umgehend regte. Völlig irritiert faßte er hektisch nach dem Gurt, von dem er sich zuvor befreit hatte, um sie zu küssen, und ließ ihn blitzschnell einschnappen. Naike holte sichtbar tief Luft, starrte geradeaus und trat dann derart brutal in die Eisen, dass der Motor jaulend aufheulte. Adam wurde blass. „Verdammt!! Bist du wahnsinnig geworden?! Halt an!!"
Mit inzwischen fast einhundert Sachen raste der Jaguar auf die Blockade zu. Adam schrie auf und schlug sich reflexartig die Arme schützend vor sein Gesicht. Das war’s jetzt, dachte er noch panisch, dann brach der Wagen mit ohrenbetäubendem Krachen durch die dicken Holzbretter und die Warnlampen schossen nach allen Seiten in die Luft davon.
Noch circa ein- bis zweihundert Meter rollte das Auto unbeschadet aus, bis Naike es endgültig zum Stehen brachte. Das Paar atmete beinahe synchron stoßweise, um sich von dem Schock des Aufpralls zu erholen, doch als sich ihre Blicke dann schließlich aufrichteten, war mit einem Mal alles vergessen. Kein einziges Geräusch war vernehmbar, auch kein Lüftchen wehte mehr, als befänden sie sich plötzlich in einem Vakuum. Es war nur kalt, schrecklich kalt.
Unbewegt starrten sie in die Ferne auf das, was keiner von beiden je erwartet hätte. Seinen Blick am Horizont ununterbrochen festgeheftet, öffnete Adam die Beifahrertür, ließ sich aus dem Wagen gleiten und ging wie paralysiert einige Schritte in Richtung des gleißenden Wahnsinns, der nur ein Traum sein konnte. Aber es war kein Traum, direkt vor ihm offenbarte sich die Wahrheit seiner Welt.
"Oh, mein Gott", entströmte es seinem Mund, "das kann nicht sein!"