10.Kapitel
Laut drang Stellas Lachen durch meine kleine Wohnung im Norden Simcitys. Sie saß an meinem Küchentisch und schlug mit der flachen Hand auf den Holztisch, dass die Gläser in meinem Schrank vibrierten.
„Du meine Güte, ich hätte zu gerne dein Gesicht gesehen“, sagte sie und wischte sich die Lachtränen aus ihren Augenwinkeln.
„Ich war sauer. Was sonst? In diesem Moment hätte ich ihn umbringen können! Tristan hat wirklich alles dafür getan diesen Abend perfekt zu machen, und dann bringt er so einen unmöglichen Spruch“, sagte ich und trank einen großen Schluck von dem warmen Pfefferminztee.
„Na ja, sei doch mal ehrlich: eigentlich hat er ja nur die Wahrheit gesagt. Du wolltest sicherlich, dass er dich küsst, stimmt’s?“, hakte Stella nach.
„Natürlich. Der Abend war perfekt, das wäre sozusagen die Krönung gewesen. Und sicherlich hatte er auch Recht damit, aber das sagt man in solch einer Situation nicht einfach kopflos. Er macht mich manchmal wirklich vollkommen sprachlos!“
„Das muss Liebe sein“, seufzte Stella und sah mich verträumt an.
„Unsinn, das nennt man Unfähigkeit sich einem weiblichen Wesen gegenüber richtig zu benehmen“, sagte ich energisch und stellte die Tasse ab. Stella war in der Frühe gleich bei mir aufgetaucht, um alles über mein Date mit Tristan zu erfahren. Sie hatte Brötchen mitgebracht und außerdem geschworen es nicht gleich überall rumzutratschen. Ich wusste, dass im Laufe des Tages noch Svenja und Tina bei mir anrufen würden. Das war sicherlich keiner der ruhigen Sonntage, die man sich normalerweise so vorstellte.
„Und nun?“, fragte Stella und griff nach einen Brötchen aus der Tüte.
„Was soll nun sein?“
„Na, ihr könnt ja nicht so einfach tun, als wäre nichts passiert zwischen euch.“
„Aber es ist nichts passiert“, erwiderte ich und schüttelte den Kopf. Stella legte ihr Messer hin und sah mich schräg an.
„Immerhin hattet ihr ein Date! Du hast ihm nachgegeben gehabt, also weiß er jetzt zumindest, dass du Interesse an ihm hast, auf welche Art auch immer. Das wird euer Verhältnis zueinander stark verändern.“
„Das macht mir alles Kopfschmerzen, Stella. Allein, dass ich einem einzigen Date zugesagt habe wird unser ganzes Miteinander doch nicht verändern“, sagte ich fest und biss herzhaft in mein Brötchen.
„Wenn du das sagst“, flötete Stella und biss ebenfalls in ihr Brötchen, doch der Unterton war mir nicht entgangen. Sie glaubte mir kein Wort.
*
Am nächsten Tag sah ich Tristan nicht im Reitstall, und ansonsten war der Montag nach dem Wochenende auch überraschend ruhig. Der Unterricht hielt keine unangenehmen Überraschungen für mich parat, und auch Stella überschüttete mich nicht mit übertriebenen Sprüchen zu der ganzen Tristan-Sache. Doch in den vielen, kleinen Pausen bemerkte ich kaum, wie oft mein Blick zu der Koppel hinüber wanderte, auf welcher Castello in Ruhe stand und an den kalten Grasbüscheln nagte. Es war ein sonniger Tag, aber es war ebenso kalt und kleine Winde ließen die Natur rauschen und wanken.
In diesen Momenten sah ich immer Tristan den Weg von der Koppel zum Stall laufen..... und realisierte dann schnell, dass er gar nicht da war, dass ich mir all dies nur einbildete. Erst am Ende des Arbeitstages wusste ich, dass ich es mir nicht nur eingebildet sondern auch erhofft hatte.
Am nächsten Tag begann es zu schneien. Weiße, dicke Flocken bahnten sich ihren Weg zum Boden, und als ich im Reiterhof ankam war alles schon mit einem dünnen, weißen Film überzogen. Ganz im Gegensatz zur Innenstadt, wo der Schnee zu braunem Matsch geworden war, wirkte die Umgebung des Reitstalls wie eine kleine Traumwelt, wie eine Welt aus schemenhaften Gestalten und alles wirkte so herrlich rein und klar. Ich war glücklich, wenn es wenigstens schneite, anstatt dass es nur kalt war - es war als erfüllte die Kälte für diesen Moment einen tieferen Sinn.
Ich parkte mein Auto und stellte den Motor ab.
Einen Moment saß ich still im Auto und starrte auf das Lenkrad, so ganz in meine Gedanken versunken. Doch schon im nächsten Moment wurde ich unsanft aus meinen Gedanken über den heutigen Tag gerissen, als jemand an die Scheibe klopfte. Ich blickte hinaus in die großen braunen Augen von Tristan, dessen verschmitztes Grinsen durch die Seitenscheibe zu erkennen war. Langsam ließ ich die Scheibe hinunter, und ein frischer Wind fegte in das Auto hinein und ließ mich frösteln.
„Musst du heute arbeiten?“, fragte er und stützte sich mit den Ellenbogen auf die Kante des nun geöffneten Fensters.
„Ich bin bestimmt nicht aus Spaß hierher gefahren“, gab ich ihm zur Antwort und spürte wie mein Herz plötzlich schneller zu schlagen begann. Durch die helle Umgebung wirkte Tristan noch schöner als sonst, ebenso klar und rein wie die Welt um ihn herum.
„Du kannst dich nicht irgendwie freimachen?“
„Wie stellst du dir das vor? Wer soll denn sonst die Stunden geben?“
„Und wie wär’s, wenn du früher Schluss machst?“, fragte er ohne meine Frage zu beantworten.
„Tristan! Worauf willst du hinaus?“
„Ich dachte wir könnten ein wenig spazieren gehen oder ähnliches. Ich meine: sieh dich mal um, die Welt sieht heute wunderschön aus“, grinste er und steckte seinen Kopf etwas in das Fenster hinein, wobei er mehr in die Hocke ging. Sein Gesicht kam meinem somit näher, und etwas in meinem Inneren begann sich aufzubäumen. Das gleiche Spiel also noch einmal, doch dieses Mal würde ich nicht darauf reinfallen. Ich lehnte mich ein Stück zurück und entkam somit seinem Mund, der so verführerisch grinsen konnte. Und er tat es in eben diesem Moment!
„Das fällt heute garantiert flach. Und nun solltest du mich lieber aussteigen lassen, sonst komme ich zu spät“, sagte ich entschlossen. Doch er spürte wohl, dass ich mit meinem eisernen Willen nur Einiges zu vertuschen versuchte. Er sagte nichts, trat einen Schritt zurück und ließ mich aus meinem Auto aussteigen. Als ich den Kofferraum öffnete, um meine Tasche rauszukramen, stellte er sich neben mich.
„Hilft es, wenn ich dir sage, dass du heute wunderschön aussiehst?“, hakte er nach. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und schloss die Kofferraumtür mit Schwung.
„Nein“, sagte ich kurz angebunden, doch innerlich schmerzte es mich ihm eine solche Abfuhr zu erteilen. Aber ich wollte einfach nicht zulassen, dass er mich so leicht um den Finger wickeln konnte. Aber das konnte er wirklich - besser als jeder Andere den ich kannte.
„Leila, komm schon! Soll ich etwa betteln?“
Ich blieb abrupt stehen und grinste breit. Dann hob ich erwartungsvoll die Augenbrauen und blickte ihn weiter an. Er schüttelte nur lächelnd den Kopf.
„Du bist keinen Deut besser als ich, Lady“, seufzte er, worauf ich leise lachte und meinen Weg zum Stall fortsetzte. Doch das flaue, angenehme Gefühl in meinem Bauch blieb bestehen. Er hatte mich tatsächlich getroffen und erreicht - und das mit einer Art, die mir so vollkommen fremd war. Tristan war immerhin ehrlich, redete nicht um irgendetwas herum, und auf eine gewisse Art und Weise war er durchaus charmant.
Der weitere Tag verstrich ruhig, und ich ertappte mich immer wieder dabei wie ich sehnsüchtige Blicke zur Koppel hinüber warf, wo Castello in der winterlichen Stille stand, doch Tristan war wohl wieder nach Hause gegangen. Was sollte er hier auch noch? Er hatte so viele Körbe von mir gesammelt, dass er damit bereits ein Geschäft aufmachen konnte. Ich nippte an der Tasse Tee und sah auf meinen Plan: die nächste Reitstunde war in einer knappen Stunde. Ich hatte also noch genug Zeit meinen Tee in Ruhe zu genießen. Doch schon wenige Sekunden später musste ich einsehen, dass ich falsch gedacht hatte.
„Sauwetter! Es ist so kalt, dass mir mein Hintern beinahe abfriert“, rief Stella und kam polternd in die kleine Aufenthaltsküche gestürmt.
Mit ihr zusammen kam ein frischer Windzug herein und brachte eisige Kälte mit, so dass ich meine Jacke ergriff und sie mir überzog.
„Wusstest du, dass Tina und Patrick heiraten?“, fragte sie mich, während sie sich auch eine Tasse Tee einschenkte.
„Ja, sie haben es mir erzählt. Ich freue mich für beide, immerhin sind sie schon sehr lange zusammen.“
„Und das soll ein Garantieschein dafür sein, dass es ewig halten wird?“, schnaufte Stella und ließ sich mir gegenüber nieder.
„Das nicht, aber eine Ehe ist es ja ebenso wenig. Beide trauen es sich zu, und ich tue es auch. Wenn sie denken, dass es das Richtige für sie ist, warum dann nicht heiraten?“, fragte ich und zog die Jacke fester um meinen Körper, ganz langsam drang wieder Wärme in meine Knochen.
„Ich weiß ja nicht, irgendwie scheint mir das alles so plötzlich zu gehen. Sie haben es erst letzte Woche beschlossen und nun stecken sie anscheinend schon mitten im Stress der Planung. Weißt du was ich glaube? Dahinter steckt noch ein weiteres, süßes Geheimnis, das darauf wartet enthüllt zu werden“, sagte Stella leise und trank mit hochgezogenen Augenbrauen einen Schluck von ihrem Tee, stellte ihn aber sogleich wieder ab, da er noch viel zu heiß war.
„Was meinst du genau?“, fragte ich interessiert.
„Na, sie ist schwanger und will noch ins Hochzeitskleid passen, warum sonst die plötzliche Eile? Die beiden wollen doch den Rest ihres Lebens miteinander verbringen, da drängt es doch jetzt nicht“, schlussfolgerte sie und sah mich triumphierend an. Ich lehnte mich zurück und dachte darüber nach.
So weit hergeholt war das gar nicht, jedoch verstand ich nicht wieso Tina uns das nicht einfach sagen könnte, wenn es nun doch so war.
„Möglich wäre es, aber wir sollten jetzt keine voreiligen Schlüsse ziehen, solange Tina es uns nicht selbst gesagt hat“, versuchte ich Stella wieder auf den Boden zu bekommen. Sie war berühmt für ihre überstürzten Handlungen, die meistens nicht nur für sie peinlich endeten.
„Wir bekommen ein Baby. Ist das nicht toll?“, fragte diese jedoch und strahlte beinahe so glücklich, als würde sie selbst Mutter werden.
„Tina bekommt es, wenn überhaupt, und du solltest wirklich aufpassen was du sagst, noch ist nichts sicher, also behalte es für dich und mach dich jetzt lieber dran die restlichen Boxen auszumisten“, wies ich sie grinsend an.
„Apropos, was machst du eigentlich noch hier?“, fragte sie und stellte ihre Tasse in die Spüle. Ich blickte sie irritiert an.
„Ich habe gleich noch eine Stunde.“
„Ben hat sie doch übernommen - er meinte eben, dass du heute noch Anderes zu tun hast“, sagte Stella verwirrt.
„Das muss ein Irrtum sein, ich habe heute nichts vor! Moment mal…“ Mit ein paar Schritten trat ich an das kleine Fenster und blickte hinaus auf den Parkplatz, wo Tristan doch tatsächlich an meinem Auto gelehnt dastand und suchend nach allen Seiten sah.
„Dieser Typ. Manchmal macht er mich ganz verrückt…“, fluchte ich. Stella war an mich heran getreten und hatte ihre Hand auf meine Schulter gelegt.
„Bewahre dir dieses Gefühl. Nicht Viele erleben es so schnell und lass dir eins sagen: mit Tristan hast du einen klasse Fang gemacht. Wenn du ihn dir entgehen lässt, werde ich dich persönlich dafür leiden lassen.“ Ich blickte sie an und lächelte leicht, sie erwiderte das Lächeln und nickte dann eifrig in Richtung Tür „Jetzt lass ihn nicht so lange warten, du weißt wie verdammt kalt es draußen ist.“