Aufhänger @ KANG, Rest allgemein: "Verhätschelt von der Wohlstandsgesellschaft", so so... in tristen, endlosen Mietsilos hausen bei 40% Arbeitslosenquote, ohne jede Perspektive, dafür mit dem ständigen Gefühl, unerwünscht zu sein, ist also "verhätschelt von der Wohlstandsgesellschaft"? Interessante Vorstellung...
Natürlich entsteht vieles dieser Gewalt eben aus dem Mix aus Aussichtslosigkeit, Monotonie und nicht zuletzt Langeweile - aber wo kommt die denn her? So einen Kommentar wie Deinen gibt man als Außenstehender und nicht Betroffener natürlich schnell. Ich würde aber mal behaupten, dass auf 99,9% der Besucher dieses Forums das Attribut "verhätschelt von der Wohlstandsgesellschaft" eher zutreffen würde als auf die Jugendlichen in den französischen Satellitenstädten. Auf die trifft eher "Vergessen und im Stich gelassen von der Wohlstandsgesellschaft" zu. Hast Du Bilder aus den feinen Eckchen gesehen, wo die leben? Wohlstandsgesellschaft sieht für mich irgendwie anders aus...
Stell Dir mal vor, Du würdest jetzt in ein arabisches Land einreisen... die Leute würden von Dir verlangen, dass Du eine Kopfbedeckung trägst und Dich nicht in Badeklamotten am Strand sehen lässt, Du fändest nicht so recht Anschluss und würdest in eine Wohnsiedlung gesteckt, in der 90% Deutsche wohnen. Du hättest keinen Job (und so gut wie keine Aussicht auf einen), und viele Araber würden Dich schief angucken - die einen, weil Du Ausländer bist, die anderen,
weil Du keinen Job hast. Du hättest aber Sat-TV mit deutschen Kanälen, deutsche Cafés im Erdgeschoss Deines Wohnblocks, und auch einen kleinen deutschen Supermarkt - nicht zu vergessen um Dich herum lauter andere Deutsche, denen es genauso geht wie Dir. Leute aus Deiner Heimat, Deinem Kulturkreis - Leute, die Dich in jeder Hinsicht (also nicht nur rein sprachlich) verstehen. Würdest Du Dich freudestrahlend in einen Schleier hüllen, kein Wort mehr deutsch sprechen und Dich über diese wunderbare neue arabische Welt freuen?
Es hilft alles nix, ein Staat muss Integrationsleistung bringen: Sprachkurse, gezielte Förderung usw. usf. Und versuchen, die Leute zu verteilen - eben zum Schutz vor diesen Parallelgesellschaften, die sich dann irgendwann einschleichen. Das kostet Geld und Aufwand. Aber was passiert, wenn es unterbleibt, das sehen wir jetzt.
Die hässlichsste Seite daran ist, dass vermutlich nur ein kleiner Teil der ersten Ausschreitungen von der "Kerngruppe" ausgeht. 80% der jetzigen Taten dürften auf das Konto von Trittbrettfahrern und notorischen Randalierern gehen, die die Gelegenheit nutzen, irgendwelche diffusen Aggressionen rauszulassen. Auch da sollte man aber sehr vorsichtig sein, ehe man mit dem Finger auf Leute zeigt. In Spanien habe ich es mal erlebt, dass ein kompletter Stromausfall in der Stadt war. Keine fünf Minuten, und ich hörte irgendwo in einer Seitengasse das erste Schaufenster klirren... und das war mitten in der Innenstadt, nicht in einem Problembezirk. So etwas steckt sehr schnell an.
Und dann stellt sich noch ein Herr Sarkozy hin und erklärt nicht etwa den eigentlichen Vorfall in Ruhe, spricht den Freunden und Angehörigen sein Mitgefühl aus und sagt etwas zu dem Polizisten, der offensichtlich wusste, dass die jugendlichen sich im Trafohäuschen versteckt hatten (zugegebenermaßen eine rekordverdächtige Dummheitsleistung), aber nichts unternahm. Nein, sondern er kloppt noch große Sprüche von "Pack" und "Gesindel", das man "mit dem Kärcher" (Hochdruckreiniger) mal eben wegspülen würde - als wäre es nur ein bisschen Dreck. DEM könnten sie auch ruhig mal das Auto anzünden.
Hoffentlich wird das wenigstens die Debatte zum Thema Integration europaweit ein wenig in Schwung bringen und dafür sorgen, dass sich etwas tut. Wenn es hier bei uns losgeht, dass Einwanderer in der zweiten Generation nicht genug Deutsch können, um in der Schule mitzuhalten => sich ausgegrenzt fühlen & unter sich bleiben => keinen guten Abschluss machen => schlechte Chancen auf einen Job haben => sich keinen anderen Wohnort als ihr "Ghetto" leisten können => weiter unter sich bleiben und immer mehr abdriften => Kinder großziehen, die noch weniger in der Gesellschaft sind als sie selber, dann steuern wir nämlich auf das gleiche Problem zu. Vielleicht nicht in der Größenordnung, aber in der Essenz.