Fotostory Tiefer als der Schmerz ♦ abgeschlossen ♦

Kapitel 52
Zweifel




Zuhause angekommen fühlte Tessa sich immer noch nicht besser. Zu ihren belastenden Gedanken des ganzen Tages kam nun auch noch die Verwirrung um das, was eben zwischen ihr und Joshua geschehen war. Für einen Moment starrte sie auf ihre Hand, auf der vor kurzer Zeit noch Joshuas gelegen hatte. Sie wusste immer noch nicht, ob sie das Gefühl, welches diese Erinnerung in ihr auslöste, gut oder schlecht fand.

Stöhnend ließ sie sich auf ihre weiße Couch fallen und starrte das Bild, das darüber hing, wie hypnotisiert an, als könne es ihr irgendwelche Antworten geben. Vor kurzem hatte sie einige kleine Veränderungen in ihrer Wohnung vorgenommen. Eigentlich hätte sie gerne noch mehr verändert, aber das Geld einer Studentin war trotz der großzügigen Überweisungen seitens ihrer Eltern auf ihr Giro-Konto nicht ausreichend für derartige Dinge.
Tessa rieb sich die Augen. Sie fühlte sich müde und verspannt, fast ein wenig kränklich. Sie fröstelte. Es war draußen noch warm, aber in der Wohnung hatte die Kühle der Herbstnächte bereits Spuren hinterlassen. Tessa schälte sich aus ihren Kleidern, die trotz des Kältegefühls verschwitzt waren, und tappste in Unterwäsche ins Badezimmer, wo sie sich gedankenverloren ein Bad einließ.


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Im heißen Wasser fühlte sie, wie sich ihre verkrampften Muskeln langsam entspannten. Der feine Geruch von Rose und Sandelholz hüllte sie ein, als sie das Badeöl langsam in der Wanne verteilte. Seufzend lehnte Tessa sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Der Nachmittag zog noch einmal an ihren Augen vorbei. Ihr Herz hämmerte bei diesen Gedanken seltsam schnell gegen ihre Brust. Ob das vom heißen Wasser oder von den Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, kam, blieb dabei dahingestellt.
Vor Tessas innerem Auge erschien Joshuas Gesicht. Die markanten Gesichtszüge, das hervor gestreckte Kinn, die sanften, brauen Augen… dann wechselte das Bild und wurde zu einem anderen Gesicht, nicht minder anziehend… mit funkelnden, tiefsinnig und immer traurig blickenden blauen Augen… das braune Haar, das meist etwas ungepflegt ins Gesicht fiel… die markanten Gesichtszüge der hervorstehenden Wangenknochen…

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Beide schienen nun nebeneinander zu stehen und sie fragend anzublicken. Jess auf gewohnte Weise mit seinen traurigen, aber unendlich tiefsinnig blickenden Augen… Joshua fast herausfordernd, kämpferisch…
Tessa schüttelte heftig den Kopf, und vertrieb die seltsamen Bilder so aus ihm.
„Was für ein Unsinn“, stieß sie stöhnend hervor, griff nach dem Naturschwamm, der stets am Rand der Badewanne lag und begann, das duftige warme Wasser auf ihrem Körper zu verteilen, was eine ungeheure Wohltat auslöste und sie erneut eine Zeitlang von ihren zerstreuten Gedanken abzubringen vermochte.

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Nachdem sie eine Weile im duftig-warmen Wasser entspannt hatte, stieg sie schließlich seufzend aus der Wanne, hüllte sich in frische Unterwäsche und trocknete die Spitzen ihrer Haare. Wieder wanderten ihre Gedanken zu Joshua. Was sie mit ihm vereinbart hatte, war ein Date. Empfand er wirklich mehr für sie? Eigentlich war das doch offensichtlich.
Doch wie stand es um ihre eigenen Gefühle? Tessa vermochte es nicht zu sagen. Sie wusste nur, dass sich in ihr alles wie durcheinander gewürfelt anfühlte. Und genau das war es, was sich nicht richtig anfühlte!
„Da hast du dir ja ganz schön was eingebrockt“, sagte sie zerknirscht zu ihrem Spiegelbild, als wolle sie jenes dafür verantwortlich machen.

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Sie spürte, dass die Unruhe sie nicht los ließ und entschied, dass sie dringend mit jemandem über das ganze Dilemma sprechen musste. Also griff sie zum Telefon und wählte Monikas Nummer. Sie hatte Glück, dass Freitag war, denn heute hatte ihre Freundin etwas früher Feierabend gemacht.
In wenigen Worten erklärte Tessa ihr, dass es ihr nicht gut ginge und sie heute Abend wenn möglich etwas Gesellschaft gut gebrauchen könnte.
Monika sagte sofort zu. Tessa seufzte. Vielleicht würde ihre Freundin ja helfen können, all diese widersprüchlichen Gedanken und Gefühle in geordnete Bahnen zu bringen.
Nachdem heißen Bad schien all die Kälte der Wohnung nicht mehr existent und Tessa schlüpfte rasch in eine Jeans und ein ärmelloses Top und nudelte sich ihre Haare an der Seite zusammen. Nur wenig später stand Monika vor der Tür und beide machten es sich vor dem Fernseher gemütlich. Monika spürte sofort, dass Tessa etwas auf der Seele lastete, doch sie schwieg und wartete, bis diese von selbst zu reden beginnen würde.

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„Joshua hat sich für Sonntag mit mir verabredet“, platzte es plötzlich aus dieser heraus. Moni sah sie fragend an.
„Ist das… etwas ungewöhnliches?“ fragte sie dann verwirrt. „Ich meine, ihr ward in letzter Zeit häufig gemeinsam unterwegs, oder?“
Tessa atmete tief aus und schüttelte den Kopf. „Nein, das meine ich nicht. Wir treffen uns nicht einfach nur… er hat sich mit mir ver-ab-redet…“

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Monika begriff und nickte einfach nur. Keine Überraschung war ihr ins Gesicht geschrieben, was Tessa verwirrte.
„Du findest das nicht irgendwie… erstaunlich?“
Monika lächelte. „Nein, Tessa, denn es war für mich nur eine Frage der Zeit, bis es dazu kommen würde.“
Tessa schluckte. War denn das, was zwischen ihr und Joshua war, so offensichtlich? Oder eher das, was NICHT zwischen ihnen war? Schon wieder schienen ihre Gedanken ein einziges verworrenes Knäuel zu sein.
„Ich hab es nicht so gesehen“, erwiderte sie darum nur. „Ich… ich bin furchtbar verwirrt, Moni…“


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Monika sah Tessa lange an. „Hast du wirklich nicht bemerkt, dass Joshua mehr für dich empfinden könnte als reine Freundschaft?“
Tessa zuckte die Achseln. „Ach, ich … ich weiß es nicht. Irgendwie… ja, irgendwie schon. Aber wir sind nun schon so lange befreundet, schon seit mehr als zwei Monaten gehen wir regelmäßig miteinander weg. Es war immer sehr spaßig mit ihm… aber es gab nie echte Anzeichen dafür, dass da mehr sein könnte von seiner Seite aus.“
„Vielleicht wolltest du sie nur nicht sehen?“ gab Monika sanft zu bedenken.
Tessa seufzte. „Kann schon sein…“
„Und was ist mir dir, Tessa? Ist da bei dir mehr als bloße Freundschaft?“

Im Fernsehen quäkte irgendein hässlich gekleideter Sänger einen furchtbaren Schlager vor sich hin. Tessa schluckte.

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„Ich weiß es nicht“, erwiderte sie schließlich. „Ich kann es nicht sagen, Monika… ich… ich fühle mich so unendlich verwirrt. Ich weiß nicht, was ich empfinde…“
„Oder weißt du nicht, was du empfinden DARFST?“
Tessa blickte ihre Freundin lange an und verzog dann das Gesicht.
„Es fühlt sich so falsch an, Moni… ich meine… wenn ich an Jess denke…“

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Sie seufzte tief. „Ich weiß nicht, ob ich für Joshua mehr empfinde. Ich mag ihn. Ich mag ihn sogar sehr. Und es kribbelt, wenn ich ihn sehe, ja… ob es reichen würde, um…“, sie schien das Wort gar nicht aussprechen zu können , „das weiß ich nicht… aber ich kann doch nicht… ich meine… Jess ist gerade mal seit einem guten halben Jahr verschwunden. Es ist zu früh, oder?“
Monika sah sie sanft an und erwiderte dann langsam. „Tessa – für Trauer oder Vergeben gibt es keinen Zeitrahmen, den man festlegen kann. Ob es zu früh ist, kannst nur du allein entscheiden, aus deinem Herzen heraus. Und nur von dort. Und nicht aus Gewissensbissen oder Wertvorstellungen. Jess ist erst seit einem halben Jahr verschwunden, ja. Aber du hast ein Recht auf dein Leben. Und vor allem ein Recht auf Liebe. Und Glück.“
„Aber… ich… ich kann doch nicht…“, stammelte Tessa. „Moni – hieße das nicht automatisch, dass ich Jess aufgebe? Und jede Hoffnung darauf, dass er zurückkehren wird?“
Moni schüttelte den Kopf. „Das eine hat doch nichts mit dem anderen zu tun. Selbst wenn Jess zurück käme, wüsstest du nicht, ob ihre eure Beziehung fortführen könntet. Und Menschen ändern sich nun mal mit der Zeit. Auch du!“

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„Aber – sieh dich doch an! Kevin ist seit zwei Jahren tot … und du… ich meine, du hast immer noch nicht…“
„Einen neuen Freund?“ erwiderte Monika und schnaubte. „Tessa, ich bin nicht das Maß aller Dinge! Erstens war ich viel länger mit Kevin zusammen als du mit Jess, ohne dass ich das nun als Maßstab nehmen will, dennoch… und zweitens ist Kevin tot…“
„Aber das spricht doch noch eher gegen mich!“ rief Tessa aus. „Du weißt, dass Kevin nie zurück kommen wird…“, fuhr sie dann sanft fort und drückte automatisch die Hand ihrer Freundin. „Aber ich weiß das bei Jess nicht… ich habe immer noch das Gefühl, ich bin es ihm schuldig, dass ich…“ Sie stockte.
„Auf ihn wartest?“ vollendete Monika ihren Satz. „Nein, Tessa, das bist du ihm eben nicht schuldig. Du hast ein Recht auf dein Leben… und was mich angeht… auch ich hatte schon andere Männer seit Kevin gestorben ist.“

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„Davon hast du nie erzählt…“
„Weil es nicht erwähnenswert war. Ich war noch nicht in der Lage, eine echte Beziehung einzugehen. Aber ich sehne mich danach. Und ja, am Anfang war ich in der gleichen Lage wie du. Ich fragte mich, ob es nicht ein Verrat an der Liebe zu Kevin sei, wenn ich wieder versuche, glücklich zu sein… ob im Liebesleben, im Berufsleben oder Alltagsleben ganz allgemeinhin, aber besonders im Liebesleben. Doch ich habe einsehen müssen, dass es mir Kevin nicht wieder zurückbringt, wenn ich jeder Liebe und jedem Glück entsage… ganz im Gegenteil.“
Sie seufzte. „Das heißt nicht, dass ich ihn nicht trotzdem noch fast jeden Tag vermisse. Er ist hier drin…“ Sie legte die Hand auf ihre Brust und lächelte traurig. „In meinem Herzen. Und Jess ist in dem deinem! Du weißt nicht einmal, ob er noch lebt, Tessa… und du kannst nicht ewig auf ihn warten. Wenn du also etwas für Joshua empfindest, dann darfst du dies ohne schlechtes Gewissen. Nur du allein kannst entscheiden, wann die Zeit reif ist, wieder eine neue Liebe in dein Leben zu lassen!“
Tessa schluckte und starrte nachdenklich ins Leere.

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„Ich weiß es nicht“, sagte sie dann langsam. „Du hast ja recht mit allem, was du sagst. Aber ich weiß nicht, ob ich schon bereit dazu bin. Was, wenn nicht?“
„Dann ist es eben so“, erwiderte Monika. „Du darfst dich nicht drängen. Wenn du noch ein Jahr brauchst, brauchst du noch ein Jahr. Wenn du noch einen Monat brauchst, einen Monat…“

„Aber Joshua scheint mehr für mich zu empfinden“, seufzte sie. „Ich will ihm nicht weh tun. Und er ist auch Felis Cousin. Ich meine… wenn ich ihn vor den Kopf stoße, dann stoße ich auch sie vor den Kopf… ich will nicht beide verlieren, weißt du…“
Monika nickte und sagte dann: „Joshua scheint ein lieber Kerl zu sein. Wenn du wirklich noch nicht so weit bist, dann wird er es sicher verstehen. Er kennt deine Geschichte und weiß, mit was er rechnen muss. Und Feli wird es auch verstehen. Selbst wenn Joshua danach nicht mehr mit dir zusammen sein möchte, auch nicht im freundschaftlichen Sinne. Aber vielleicht solltest du vorher noch einmal mit Feli sprechen, für alle Fälle. Es war nur fair, ihr alles zu sagen, oder?“
Tessa nickte. „Ja, du hast recht.“
„Aber du wirst zu dem Date gehen am Sonntag?“
„Ich weiß es nicht“, seufzte Tessa. „Ich bin mir furchtbar unsicher. Aber es ist bestimmt eine gute Idee mit Feli zu sprechen. Dann bin ich eine Sorge los…“

Sie griff nach ihrem Handy, das just in diesem Moment klingelte. „So ein Zufall“, lächelte sie. „Rate mal, wer das ist… hallo, Feli! Wie geht´s dir? Du, gut dass du anrufst…“

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Am nächsten Tag traf Tessa sich am Nachmittag mit Feli. Sie hatten es sich in dem kleinen Garten hinter dem Mehrfamilienhaus, in dem sich Tessas Wohnung befand, gemütlich gemacht. Man hatte hier zwar nur den Blick auf einige schnöde Hinterhöfe und Hochhäuser, aber die Oktobersonne war noch so warm und milde, dass man jeden Strahl genießen musste.
Tessa hatte zwei Becher Saft mit nach unten gebracht und die wenigen Gartenmöbel, welche die Hausverwaltung hatte aufstellen lassen, mit einem feuchten Lappen vom Schmutz befreit.
Feli reckte das Kinn genießerisch Richtung Sonne. „Hach, der Herbst ist einfach toll, findest du nicht? Ich find´s zwar schade, dass der Sommer vorbei ist, aber irgendwie ist diese Jahreszeit doch schon was Besonderes…“

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Tessa nickte. Wie besonders der Herbst für sie immer sein würde, konnte wohl niemand außer sie selbst begreifen.
„Hör mal, Feli“, begann sie zögerlich. „Ich muss mal mit dir reden, deswegen wollt ich dich auch auf jeden Fall noch heute sehen.“
Feli nickte und trank einen Schluck von dem kühlen Saft. „Ich hab mir sowas schon gedacht, als du gestern am Telefon so geheimnisvoll geklungen hast. Was ist los, Tessa? Ist was passiert?“
Tessa schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich… oder doch… ich weiß nicht so recht…“
Feli lachte. „Was ist denn mit dir? Du bist schon seit Tagen so zerstreut…“
Tessa lächelte. „Ja, ich weiß… das ist auch der Grund, warum ich mit dir reden muss…“

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„Es geht um folgendes… Joshua und haben morgen eine Verabre… ein Date.“
Feli verschluckte sich fast an ihrem Saft und keuchte zwischen zwei heiseren Hustern.
„Ja himmel, dass er sich das noch mal traut, hätt ich gar nicht mehr für möglich gehalten!“
Tessa verzog das Gesicht. „Wusste hier eigentlich jeder aus mir, dass Joshua mehr als Freundschaft empfindet?“
Feli grinste. „Nein, es gibt da schon einige Menschen, die das noch nicht begriffen haben – abgesehen von dir natürlich. Ich tippe da beispielsweise auf den Hausmeister des Universitätsgebäudes, will mich aber nicht festlegen. Definitiv im Unwissen dürften auch die Bundeskanzlerin und der Dalaih Lama sein – wobei bei letzterem bin ich mir nicht ganz sicher, der hat schließlich Fähigkeiten, von denen wir alle noch was abkucken können.“

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Tessa verzog säuerlich das Gesicht. „Lass die Scherze“, brummte sie. „Wenn du Bescheid wusstest, warum hast du mir dann nie was gesagt?“
„Süße, erstens hast du Augen im Kopf und zweitens musstest du das wohl von allein raus finden. Es war nie eine Frage, ob Joshua mehr für dich empfindet, sondern wie es um dich steht.“
Tessa seufzte. „Das ist der Knackpunkt“, sagte sie. „Hat Joshua jemals mit dir darüber geredet?“
Feli nickte. „Ja, aber nicht viel. Unser Verhältnis ist nicht so innig, weißt du. Nicht, dass wir uns nicht mögen oder so, aber wir hängen jetzt nicht ständig zusammen, nur weil wir verwandt sind… ich hab ihm damals gesagt, dass ich es nicht einschätzen kann. Und das kann ich wirklich nicht, auch jetzt…“
Es schien mehr eine Frage als eine Feststellung zu sein.

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„Naja“, sagte Tessa langsam. „Ehrlich gesagt weiß ich es auch nicht so recht, Feli… ich mag Joshua schon sehr gerne und irgendwie ist da auch schon ein bisschen mehr als Freundschaft… aber weißt du, es ist alles nicht so einfach…“
Sie seufzte. Seit dem Gespräch mit Monika hatte sie sich viele Gedanken gemacht, war sich ihrer Gefühle aber noch genauso unsicher wie am Abend zuvor.
„Ich weiß einfach noch nicht, ob ich schon bereit bin, eine neue Liebe zuzulassen“, schloss sie schließlich und sah Feli offen an. „Ich mag Joshua sehr, er ist so ein lieber Kerl…“, sie lächelte, „ und er sieht auch gut aus…“

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„Aber in deinem Herzen ist immer noch ganz viel Jess, oder?“, vervollständigte Feli ihren Satz.
Tessa nickte. „Ja, ich fürchte schon. Es ist noch nicht allzu lange her, weißt du. Es scheint mir zwar manchmal, als sei es in einem anderen Leben gewesen… weil sich alles so sehr verändert hat. Aber ich bin in mir doch noch dieselbe. Und ich weiß nicht, ob ich schon einen anderen Mann in mein Leben lassen kann… darf…“

Feli nickte verständnisvoll. „Ich hab mir das gedacht. Und Joshua bestimmt auch, er kennt die Geschichte ja…“
Sie schwieg einen Moment und blickte in die sich langsam hinter die Fassaden der Häuser herabsenkende Sonne.
„Hast du ein schlechtes Gewissen wegen Jess?“


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„Ein bisschen, ja“, antwortete Tessa. „Ich hab gestern lang mit Moni gesprochen. Sie sagte, ich solle selbst entscheiden, ob es zu früh ist oder nicht… und ich könne nicht ewig auf Jess warten.“
„Ich kann nicht aus der Erfahrung sprechen, die Moni hat“, sagte Feli. „Gott sei dank kann ich das nicht. Und doch seh ich es ähnlich wie sie, Tessa. Du bist erst zwanzig, knapp einundzwanzig… du hast noch so viel vor dir… und ob Jess jemals wiederkommt…“
„Ich weiß… das kann niemand sagen.“ Sie schaute traurig in die verfärbten Blätter der vereinzelten Bäume um sich herum. „Ich kann im Moment nicht sagen, was morgen geschehen wird. Aber ich wollte mir dir reden und dir offen sagen, dass ich mir meiner Gefühle nicht sicher bin. Bist du mir böse?“
Feli sah sie irritiert an. „Wieso sollte ich?“
„Naja – Joshua ist dein Cousin…“

„Und du eine meiner besten Freundinnen! Bande, die noch stärker sind, wie ich meinen will!“
Sie lächelte sanft. „Ich weiß, worauf du hinaus willst, Tessa. Aber ich bin dir nicht böse, wenn du nicht mit Joshua zusammen sein kannst oder willst. Das wird an unserer Freundschaft kein bisschen was ändern.“

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Tessa lächelte erleichtert. „Wirklich? Ich will Joshua nicht weh tun, Feli… und auch dir nicht.“
„Erstens identifiziere ich mich nicht mit jedem meiner etlichen Cousins“, erwiderte Feli augenzwinkernd. „Von denen es so viele gibt, dass ich nichtmal alle kenne – meine Eltern hatten jeweils acht Geschwister, wie du weißt… und zweitens glaube ich auch, dass Joshua genau weiß, worauf er sich einlässt. Wenn du noch nicht bereit bist, dann sag ihm das und erklär es ihm. Ich kenne ihn gut genug um zu wissen, dass er dir das nicht übel nehmen wird…“
Tessa sah sie erleichtert an. „Meinst du? Ich hab die ganze Zeit überlegt, ob ich mich überhaupt mit ihm treffen soll, um ihn nicht falsche Hoffnungen zu machen… aber genau das ist es ja… ich weiß nicht, ob es falsche Hoffnungen wären. Ich fühl mich so wohl in seiner Nähe, Feli… und ich mag ihn wirklich sehr.“

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Feli lächelte Tessa sanft an. „Tessa – ich geb dir jetzt mal einen guten Rat. Mach dich nicht verrückt. Triff dich morgen mit Joshua und schau einfach, was passiert. Du wirst herausfinden, ob deine Gefühle für ihn stark genug sind und ob die Zeit reif für eine neue Liebe ist. Wenn nicht, dann erklärst du es ihm… morgen um die Zeit wirst du dich klarer fühlen, so oder so… gib dich dem Ganzen einfach hin, lass dich einfach einmal fallen, Tessa. Dein Herz wird dir schon sagen, was die Wahrheit ist.“
Tessa sah Feli dankbar an. „Ja, Feli. Ja, du hast recht…“

Und während die Sonne hinter den Häusern versank und das Firmament in gold-roten Tönen färbte, verabschiedeten sich die beiden Freundinnen voneinander mit dem Gefühl, einander noch näher gekommen zu sein.

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Fortsetzung folgt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallö Innad. :)

Da hier wohl noch keiner will, dann versuch ich halt (noch) mal meine Gedanken zu dieser Fortsetzung auszudrücken. *g*

Also, erstmal: Als ich die ersten Bilder gesehen hab und den Text gelesen hab, dachte ich nur "Ich will auch in die Badewanne." :lol: ^^
Aber das ist ja nur nebensächlich. ;)

Also, es hat mich doch gewundert, wie sehr Tessa der Gedanke an ein "Date" doch noch verunsichert. Sicherlich ist es ein großer Schritt, aber bis jetzt hat sie sich doch schon häufiger mit Joshua getroffen und kennt ihn doch auch schon recht gut. Sie sollte doch eigentlich wissen, dass er sie nicht so unter Druck setzen will, egal wie seine Gefühle für sie sind. Ich glaube kaum, dass aus ihm jetzt ein Supermacho wird, der Tessa verführen will.
Natürlich ist es schwierig sich nach einer solchen Beziehung wie sie sie mit Jess hatte, wieder etwas Neues anzufangen. Aber ich muss Moni und auch Feli da recht geben, dass sie nur weiß, wie es sich anfühlt, wenn sie es probiert. Aber ich hab ja eh schon gesagt, dass sich Tessa da wirklich glücklich schätzen kann, dass sie zwei so gute Freundinnen gefunden hat. :)

Ich bin auf jeden Fall auf das "Date" gespannt und wer weiß, vielleicht wird es ja gar nicht so, wie Tessa sich das vorstellt. ;)
Ganz liebe Grüße
Llyn
 
Wieder ein sehr schönes Kapitel. Ich kann Tessas Unsicherheit gut verstehen. Wenn aus Freundschaft plötzlich mehr wird, dann ist das immer eine schwierige Situation für beide Beteiligten. Wenn dann noch, wie bei Tessa, dazu kommt, dass sie noch sehr an Jess hängt und ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber hat, wenn sie ein Date mit einem anderen hat, wird es deutlich schwieriger. Ich finde Tessa hat mit Monika und Feli zwei ganz tolle Freundinnen, die ihr beide einen guten Rat gegeben haben, nämlich auf ihr Herz zu hören und das Date auf sich zukommen zu lassen. Darauf wie dieses Date wird, bin ich sehr gespannt.
Und bevor ich's vergesse: Glückwunsch zum 2.Platz bei der Wahl zur FS des Monats :)
Liebe Grüße
 
Erst einmal....und das aus ganzem Herzen:

HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH

zum ZWEITEN Platz bei der Wahl zur FS DES MONATS!!!

Ich freu mich so wahnsinnig für dich - ich kämpfe schon so viele Monate dafür, dass deine Story endlich mal auf dem Treppchen landet. Klar, es waren "nur" drei Storys zur Auswahl. Aber dafür sehr hochwertige. Und in die Wahl an sich muss man schließlich auch erst einmal kommen.
Du hast es dir irre verdient und ich bin happy, dass es meine Lieblings FS endlich geschafft hat.

Nun zum letzten Kapitel...Ich fands wie immer total schön. Richtig stimmig und abgerundet. Durch deine ganze Story zieht sich wunderschön ein roter Faden, der niemals abreisst oder den man verliert. Es passt alles so schön zusammen, wirkt auf mich wie gesagt stimmig und passend zum Thema. Ich kann immer wunderschön mitfiebern, weil man genau versteht was du ausdrücken willst.
Tessas Leben wird für mich immer interessanter. Durch das Auftauchen von Joshua hast du die richtige Brisanz hinein gezaubert. Der Konflikt, in welchem Tessa jetzt steckt, wird von dir toll durchleuchtet. Kluger Schachzug ;-). Es ist natürlich für sie nun doppelt schwer, ihren Gefühlen zu trauen bzw. sich auf selbige erst einmal einzulassen. Sie fühlt sich an Jess gebunden und hat auf so viele Fragen immer noch keine Antworten. Sie weiss ja bis heute nicht, was mit Jess passiert ist, wo er sich befindet, ob er überhaupt noch lebt...da ist es nochmals so schwer, sich auf etwas neues einzulassen. Monika hat es da, so grausam das auch klingt, "leichter". Ich denke, du weisst was ich meine. Natürlich ist es irre schwer, wenn ein Mensch stirbt und mit nix zu vergleichen. Aber sie konnte irgendwie abschließen und hatte die Möglichkeit, zu akzeptieren. Doch wie etwas akzeptieren, wenn man nicht weiss was los ist? Die Ungewissheit ist schlimm, schlimmer noch als etwas Endgültiges.
Ich finde es toll, wie Feli reagiert hat. Eine tolle Freundin und ich mag sie immer mehr. Ein irre liebes Mädel, aufgeschlossen und mit dem Herz am rechten Fleck. Die Personen sind einem alle so vertraut, dass gefällt mir total. Tessa hab ich richtig lieb gewonnen, ihre Wandlung vom ersten Kapitel bis jetzt ist faszinierend. Wäre auch nicht wirklich normal, wenn sie immer noch so unbeschwert leben würde wie früher. Es ist doch klar, dass all dies Tessa prägt und zeichnet. Das bringst du toll rüber - also nie mehr zweifeln, ja??? ;) Musst du nämlich gar nicht, deine Story ist einfach toll. Ich freu mich irre aufs nächste Kapitel. Dickes Lob an dieser Stelle auch mal für deine Schnelligkeit. Das ist auch nicht selbstverständlich und ich find es klasse, wie du hinter dieser Geschichte stehst und dich dafür rein hängst. Es ist angenehm, so oft weiterlesen zu können. Gerade, wenn man so ungeduldig ist wie ich. :lol:

Viele liebe Grüsse
Chrissy
 
Hallo,
tut mir leid das ich mich lange nicht mehr gemeldet hab,
hatte nicht sehr viel Zeit um vorbeizuschauen.
Das Kapitel war sehr schön.

Ps:Herzlichen Glückwunsch,
zum 2.Platz zur Wahl der Fs des Monats.
lg
sasispatz
 
Llynya: Hihi, bist Du dann in die Wanne gegangen? :)
Also, ich glaube, Tessa verunsichert an dem Date nicht unbedingt das Date an sich in Hinblick auf irgendwelche Dinge, die dort passieren könnten. Vielmehr ist damit das "Werben" Joshuas um sie sozusagen offiziell geworden. Durch die kleinen, aber doch recht bedeutsamen berührungen in der Uni, die einfach einen anderen Charakter hatten als sonst, ist ihr nun endgültig klar, welche Gefühle Joshua hat. Damit stellt sich für sie nun eben auch ernsthaft die Frage, welche Gefühle sie für Joshua hat und ob sie es sich vorstellen könnte, eine Beziehung mit ihm einzugehen.

Ich denke, das ist es, was sie so wegen des Dates verunsichert. Dass SIE selbst jetzt eine Entscheidung treffen muss in allererster Linie.

Und ja, sie kann froh sein, Moni und Feli zu haben, weil es so viel einfacher ist.

DAnke für Deinen Kommi hier! :)



@Sexy_lexi
: Danke für Deine Gratulation! :) Ja, Du hast recht, Tessa hat genau diese Problematik, weil sie nicht weiß, was sie selbst empfindet.
Und ja, dass tessa und Moni da sind, ist gut und ihr Rat ist sicher auch richtig.
Dennoch belastet Tessa das alles sehr, was man am heutigen Kapitel nochmal sehen wird.
Danke für Deinen Kommi!



@FunnyChrissy
: Herrjeh, ich werd ja rot, so wie Du mich lobst. Aber es ist echt lieb und tut gut. Und ja, irgendwie hast Du recht, Moni hat es schon einfacher im Hinblick auf "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende." Es ist abgeschlossen, richtig. Tessa läuft ja prinzipiell immer noch durch die Stadt mit dem gedanken im Hinterkopf, dass Jess ja noch irgendwo an einer Ecke auftauchen KÖNNTE. Das muss schon schwierig sein.
Auf der anderen Seite behält sie eben doch auch noch die Hoffnung. Schwer zu sagen, was schwieriger ist. Auf jedenfall Fall ist beides schlimm.
Und ob sie nun Joshua ihr Herz öffnen kann, ist natürlich die große Frage.
Danke für Deinen Kommi!



@sasispatz
: Auch danke für Deinen KOmmi und die Glückwünsche!




Viel Spaß mit Kapitel 53!
 
Kapitel 53
Wie deine Liebe




Tessa sah auf. Vor ihr stand ein junger Mann, in halb zerrissenen, äußerst strapazierten Kleidern. Seine braunen Haare fielen ihm strähnig und leicht ungepflegt ins Gesicht, doch als er sich umdrehte, erblickte sie zwei funkelnde und sagenhaft schöne, tiefsinnige blaue Augen, die ihr bis in die tiefsten Winkel ihres Herzens zu blicken schienen.
Beinahe meinte sie, über das ausgemergelt wirkende Gesicht des jungen Mannes fliege ein zartes, sanftes Lächeln. Dann drehte er sich wieder nach vorne in Richtung Kasse, während ihre Handinnenflächen schweißig geworden waren und den Griff des Klappkorbs, den sie in der Hand trug, fester umschlossen.


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„Du weißt, dass du mich unendlich glücklich machst, Tessa“, tönte Jess´ warme Stimme in ihrem Ohr, während seine Arme sie fest umschlossen. „Noch kein Mensch hat mich so vorbehaltlos geliebt wie du.“

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Ein ohrenbetäubender Schrei hallte durch den Raum. „Hilf mir! Gib mir endlich das, was ich brauche! Du liebst mich nicht wirklich, Tessa! Wenn du mich lieben würdest, dann könntest du niemals zulassen, dass ich so leide! Du hasst mich in Wahrheit! Ja, du hasst mich! Sonst würdest du das nicht zulassen! Ich brauche diesen Stoff! Brauche ihn! Gib ihn mir! Gib ihm mir!“

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„Tessa, du bist ein wunderbarer Mensch. Ich weiß, dass du viel erleidest wegen mir. Und für mich. Dafür bin ich dir unendlich dankbar. Du bist so stark. Ich bin so froh, dass ich dich habe, Tessa. Seit du da bist, hat mein Leben wieder einen echten Sinn. Geh nie fort von mir. Ich bitte dich…“

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„Ich hab dich gesehen, Jess! Als du dieses Zeug genommen hast! Wieso hast du nur zugelassen, dass ich es sehe? Begreifst du denn nicht, dass all die Zeit, so lang ich nur nicht mit eigenen Augen sehen konnte, noch alles gut werden hätte können? Dass wir es weiter hätten ignorieren können, so lange es ging. Doch nun ist es in unserem Leben, endgültig. Aus allen Schatten befreit. Ich weiß, dass ich dich verlieren werde, Jess! Ich werde dich verlieren! ich kann nichts dagegen tun!“

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„Doch vielleicht gibt es doch eine Chance, glücklich zu werden… vielleicht einen Weg aus der Misere heraus? Was denkst du, Jess? Sind wir beiden stark genug dafür?“

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„Nein, Tessa! Du hast mich verleugnet! Du hast nicht zu mir gestanden! Wo sollte hier ein gemeinsamer Weg sein, wenn du ihn nicht von Anfang an mit mir zusammen gehen willst?!“

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Dieses Bett ist so leer und kalt. Ich wünschte, da wäre jemand, der mich hält. Ich wünschte, da wäre jemand, der mich wärmt.

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„Komm her, Tessa. Ich bin nie wirklich weggegangen. Ich bin immer noch hier. Ich bin bei dir. Ich will dich halten. Ich will dich wärmen. Ich will für dich da sein. Immer.“

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„Lass diese Nacht die unsere sein. Denk nicht darüber nach, was kommen mag. Du und ich, wir gehören zusammen. Wir sind eins. Wir waren es schon immer. Wir werden es immer sein. Tessa…“

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(Anm. Herrjeh, ist Amerika prüde - leider hat mit Photobucket das Bild weggelöscht, weil ein bißchen nackte Brust drauf zu sehen war. Ich hab es jetzt ausgetauscht. Das originalbild findet ihr hier http://www.dannis-sims2.de/assets/images/54.10.jpg)


„Bist du wirklich, Jess? Ich kann dich spüren. Deinen Atem, deinen Duft. Ich kann dich hören, ich kann dich fühlen.“
„Ich bin so wirklich wie deine Liebe zu mir. Ich liebe dich, Tessa. Ich liebe dich.“

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„Ich will dich für immer festhalten, Jess. Für immer. Ich will dich nicht mehr verlieren.“

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„Aber ich bin nur so wirklich wie deine Liebe zu mir, Tessa. Du allein kannst entscheiden, ob du mich verloren hast oder nicht. Und egal wie du dich entscheidest, ich werde dich für immer lieben.“

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„Jess…. Jess… wo bist du…“

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„Nein!“ Mit einem schrillen Schrei fuhr Tessa aus dem Schlaf nach oben. Der Schweiß rann an ihrem Rücken herunter. Es dauerte einen Moment, bis sie sich zurecht fand, begriff, dass sie alleine in ihrem Schlafzimmer war, schwer atmend im Bett saß.

Noch immer meinte sie den Geruch von Jess um sich zu erkennen, ihre Arme noch um ihn geschlungen zu haben.
Doch es war nur ein Traum gewesen.

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Ein Traum, der kaum realer hätte sein können.
Tessa stöhnte leise auf und richtete ihren Blick zum Fenster. Draußen war es schon hell.
Und bald würde Joshua auf sie warten. Doch in diesem Moment gab es diesen Namen nicht in ihrem Kopf. Noch weniger in ihrem Herzen.
Denn alles in ihr schien sich nur nach einem Menschen zu sehnen, so sehr, dass es weh tat.
„Oh Jess“, flüsterte sie. „Wo bist du nur? Wo…“


Fortsetzung folgt.
 
Zuletzt bearbeitet:
:(:(:( Mir tut Tessa so sehr leid. Ihre Träume zeigen überzeutlich, dass sie immer noch mit ganzem Herzen an Jess hängt. Er war ihre erste grosse Liebe - so schnell kann man das nicht vergessen. Vorallem dann nicht, wenn es nie wirklich aus war. Wenn es nie zu einem klärenden Gespräch kam. Wenn es kaum Gründe gibt, die man nachvollziehen kann. Ich glaube, auf Dauer hilft nur eine erneute Konfrontation mit ihren Gefühlen. Es hlift nichts, wenn sie diese leugnet. Ich glaub auch nicht, dass sie sich Joshua je ganz öffnen kann. Bzw. ihn aus vollem Herzen lieben....Wie, wenn doch in ihr so viel gestorben ist?
Der Traum war sehr realistisch dargestellt, super hast du das gemacht. Die Fotos fantastisch. Auch von der Bearbeitung her....Riesen Lob, ehrlich!
Ich freu mich auf eine Fortsetzung!

Küsschen,
deine Chrissy
 
Oh,
Tessa tut mir leid,ich hoffe ihr Traum wird erfüllt.
Schon von Anfang an wollte ich das Jess und Tessa zusammen kommen.
MAch biitttteeee schnelll weiter.

lg
sasispatz
 
Ihr Lieben


Nonuna hat mir einen tollen Award für den 2. Platz zur FS Dezember gebastelt, den ich hier präsentieren möchte, und mich dabei nochmal ganz DOLL bei Nonuna bedanken, die das echt klasse gemacht hat.

Den Award platziere ich auch auf der ersten Seite.


Vielen Dank nochmal an alle Wähler/innen! :hallo:


 
Na, das Kommi-Beantworte geht diesmal ja fix....


@FunnyChrissy:
Danke für Deinen lieben Kommi! Ja, man sieht nochmal deutlich, dass Tessa doch noch sehr an Jess hängt. Oder ist es ihr Unterbewusstsein, dass ihr jetzt durch eins chlechtes gewissen einfach einen Streich spielt und alte Gefühle aufwirbelt? Ob sie sich trotzdem Joshua hingeben kann, ist da natürlich noch fraglicher, aber Du wirst es sehen!


@sasispatz: Danke für Deinen Kommi! Du musst noch etwas Geduld haben, was die Frage, ob Jess nochmal zurückkehrt, betrifft. In einigen Kapiteln werdet ihr es wissen.... schätze noch so 3-4, dann werdet ihr näheres darüber erfahren, wo Jess ist und was mit ihm passiert... ob er jedoch zurückkommt, ist immer noch die Frage.
 
hey innad,

ich habe dein neues kapitel gar nicht gesehen... umso mehr freue ich mich über den inhalt! :)
das lässt hoffen, dass tessa nicht doch diesen komischen kerl, den ich irgendwie nicht ganz mag, nicht weiter in ihr herz schließt.
aber du wirst sicher noch die ein oder andere überraschung für uns haben.

schön, dass du den 2. platz belegt hast, herzlichen glückwunsch!!
 
Kapitel 54
Liebe ohne Gegenwert




Nervös warf Tessa die Autotür des kleinen Fiats hinter sich zu, dass dieser nur so wackelte.
Joshua kräuselte die Stirn und warf ihr einen fragenden Blick zu. Sie wandte das Gesicht ab und betrachtete die im Park umherlaufenden Menschen. Das Wetter war herrlich, der Oktober hatte offenbar noch einmal die letzten Kraftreserven der Sonne aufgebracht. Es war ungewöhnlich mild, so dass man noch nicht einmal mehr eine Jacke benötigte. Ein leichtes Lüftchen bewegte die braungefärbten Blätter der Bäume, so zart, dass es nur reichte, um wenige Blätter abzuschütteln.
Doch die ersten Stürme würden bald kommen, das wussten alle hier, und genau darum genossen noch so viele Menschen die Kraft der Sonne an diesem wunderbaren Herbstnachmittag.
„He, Tessa – was ist los?“ hörte sie Joshuas Stimme neben sich. Sie drehte sich langsam zu ihm. „Nichts“, gab sie dann zurück. „Ich… sagen wir mal so, ich hab heute Nacht schlecht geschlafen.“
„Das tut mir leid“, sagte Joshua und sah sie besorgt an. „Wollen wir das Ganze lieber verschieben?“
„Nein – ist schon okay.“

„Na, dann mach auch nicht so ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Sonst nehm ich das noch persönlich. Und abgesehen davon weiß ich, wie man deine Stimmung ändern kann!“
Ehe sie sich versehen hatte, begann er sie heftig durchzukitzeln – wie er wusste, eine sichere Methode, um sie unweigerlich zum Lachen zu bringen.

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„Hör auf, sofort!“ keuchte Tessa zwischen zwei Lachanfällen.
„Nur wenn du mir versprichst, ab sofort gute Laune zu haben!“ zwinkerte Joshua.
Tessa lachte auf. „Ich versprech´s, ich versprech´s ! Nur hör auf, mich zu kitzeln, ich bitte dich!“
Grinsend nahm er Abstand von ihr. „Na bitte, so gefällst du mir schon viel besser.“
Tessa musste ebenfalls grinsen. Es war, als habe das heftige Lachen ihr die Anspannung der Nacht aus den Muskeln förmlich herausgeschüttelt.
Sie sog die frische Luft tief ein und musste zugeben, dass es schwer war, an einem solchen Sonnentag schlechte Laune zu haben. Joshua zwickte sie freundschaftlich in die Seite. Sie lächelte ihn an. Die Stimmung zwischen ihnen war ungewöhnlich gelöst. Vielleicht hatte sie sich doch geirrt und Joshua versprach sich von diesem Treffen nicht mehr oder weniger als von allen vorherigen? Er wirkte zumindest in keiner Weise anders als sonst und Tessa merkte, dass diese Tatsache ihr half, sich in seiner Gegenwart zu entspannen und seine Gesellschaft wie all die Wochen zuvor zu genießen. Er schien ihr wie ein Lichtblick in ihren düsteren Gedanken, wie ein Stück Leichtigkeit, dessen der Traum der Nacht sie fast wieder beraubt hätte.
Sie schob die Gedanken an jene Bilder beiseite und folgte Joshua in Richtung des kleinen Sees, der sich in der Mitte des Parks befand.
„Wie wär´s mit Schaukeln?“ fragte er unbekümmert und wies auf die rote-blau lackierte Schaukel, die in der Nähe des Ufers aufgestellt worden war. Tessa grinste.
„Das ist was für Kinder, meinst du nicht, wir sind zu alt dafür?“
Joshua lachte. „Ist man jemals zu alt für etwas, das Spaß macht? Los, nun setz dich, ich schubbs dich an!“

Zögerlich nahm Tessa auf der roten Schaukel Platz und bedachte die knirschenden Ketten mit einem skeptischen Blick. „Ich weiß nicht…“, setzte sie an, doch da hatte Joshua schon mit einer überraschenden Kraft nach den Ketten gegriffen und die Schaukel in die Höhe gezogen. Nur eine Sekunde später flog Tessa durch die Luft und ohne dass sie es verhindern konnte, entwich ihrem Mund ein fast kindliches Jauchzen, das wie eine Befreiung wirkte.

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Joshua schubbste sie sanft erneut an. Über ihr erhob sich der blaue Himmel wie ein großes, gigantisches Gebäude. Sie spürte die Wucht der Fliegkraft als leises Kribbeln ihrem Magen und warf ausgelassen lachend den Kopf zurück.
„Höher?“ hörte sie Joshuas lachende Stimme hinter sich. Sie sah ihn nicht, aber sie wusste, dass er da war. Und dieses Gefühl war mit einemmal von unbeschreiblicher Wärme. Sie fühlte seine starken und doch sanften Hände in ihrem Rücken, als er sie erneut mit Kraft anschubbste.
Ihre Beine flogen in die Höhe, so dass sie die Spitzen ihrer schwarzen Schuhe sehen konnte. Wieder musste sie lachen, ohne es steuern zu können. Und es tat so gut!
Sie hörte Joshua hinter sich lachen. Immer und immer wieder schubbste er sie an, immer höher schwang die Schaukel in die Luft, bis er irgendwann rief: „Jetzt reicht´s, Tessa, sonst fliegst du mir noch von der Schaukel!“
Tessa streckte die Beine weit nach vorne, wie sie es als Kind immer getan hatte, um sich anzutreiben.
„Ach was!“ rief sie lachend. „Sei kein Mädchen!“ Auch Joshua lachte wieder auf und gab ihre einen erneuten sanften Schubbser.

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Nach und nach pendelte sich die Schaukel langsam aus. Mit einem scharrenden Geräusch streiften Tessas Schuhe schließlich über die abgewetzte Sandfläche unter ihren Füßen.
Leicht schwindelnd erhob sie sich von der Schaukel und war immer noch am Kichern.
„Das war einfach herrlich“, lachte sie. „Ich hab das seit Jahren nicht mehr gemacht.“
Joshua lächelte und wurde plötzlich ernster. „Das hab ich mir gedacht“, sagte er langsam.
Tessa wischte sich die Lachtränen aus den Augen und nickte. „Vermutlich viel zu lange, was?“
Joshua lächelte sie nur vielsagend an und schlenderte in Richtung der kleinen Holzbrücke davon, die über den See führte. Tessa folgte ihm langsam. Gemeinsam lehnten sie sich in der Mitte der Brücke über das Geländer und beobachteten die Fische im Teich.
„Es ist ein herrlicher Tag“, sagte Joshua irgendwann. Tessa nickte. „Kaum zu glauben, dass wir schon Oktober haben, oder?“
„Nun fang du nicht auch noch von der globalen Erwärmung an“, stöhnte Joshua. „Mein Prof reicht mir und die Medien auch, ich kann´s nicht mehr hören.“

Tessa lachte auf. „Keine Bange, ich hab nicht vor, mit dir über irgendwelche Klimakatastrophen zu diskutieren, schon gar nicht, wenn die Auswirkungen davon so angenehm wären wie dieses Wetter es heute ist.“
Sie lächelten sich an und schwiegen dann eine Weile. Tessa merkte, wie das Gefühl leichter Beklemmung zurückkam, weil Joshua mit einemmal so ernst schien.
Dieser warf ihr einen Seitenblick zu und schien ihre Gefühle zu erraten, denn er richtete sich auf und drehte sie sanft zu sich.

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„Tessa – ich… nun… ich denke, du weißt inzwischen, dass du mir sehr viel bedeutest…“
Sie wollte etwas erwidern, doch er hinderte sie daran, indem er schnell weiter sprach: „Ich will nur, dass du weißt, dass ich dich in keiner Form zu etwas drängen werde… ich… ich mag dich einfach sehr und genieße es, heute hier zu sein… mit dir…“
Er sah sie lange an. „Ich wünsche mir doch einfach nur, dass du wieder glücklich bist, Tessa. Dass du so ausgelassen sein kannst wie eben auf der Schaukel. Das Leben genießen kannst. Und verstehen, dass es so etwas wie Glück tatsächlich gibt. Was ich dafür tun kann, werde ich tun, Tessa…“
Er streichelte ihr sanft über die Wange und über ihr Gesicht flog ein leichtes Lächeln.

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„Joshua… das… das hast du so lieb gesagt…“, erwiderte sie leise. „Weißt du, es ist so… ich mag dich auch und…“
Doch Joshua legte ihr sanft den Finger auf die Lippen. „Nein – du brauchst mir jetzt nichts erklären. Lass uns einfach den schönen Tag genießen, ja?“
Für einen Moment schossen Tessa Feli´s Worte durch den Kopf: „Lass dich einfach einmal fallen, Tessa, und schau, was geschieht.“
Tessa musste wieder lächeln und nickte. Gemeinsam schlenderten sie weiter über die Brücke zurück und ließen sich schließlich auf der Bank hinter der Schaukel nieder.
Joshua reckte sich und streckte das Gesicht gen Sonne. „Es ist herrlich“, brummte er zufrieden.
Auch Tessa tat es ihm nach. „Ja, das ist es. Ich wünschte, so könnte es ewig bleiben…“
Sie dachte mit einem leichten Schaudern an den Winter, der bald kommen würde. Kälte, Eis und Schnee… graue, dunkle, schwarze Nächte… der letzte Winter hatte nichts als Schmerz gebracht, wohin gegen Frühling und Sommer ihr so leicht und bunt und froh dagegen standen.
Joshua sah Tessa lange an und griff nach ihrer Hand.
„Es muss wohl beides geben im Leben, Tessa… Licht und Schatten… doch jetzt gerade, hier und in diesem Moment, ist Licht…“
Tessa erwiderte den Druck seiner Hand, ohne weiter nachzudenken.

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„Ja“, flüsterte sie. „Licht im Überfluss... nicht wahr?“
Er sah sie an und nickte. „Ja – so viel du brauchst und willst. Und manch ein Licht wird wohl nie aufhören zu brennen. Nicht jeder Mensch wird dich verlassen, Tessa…“
Er schwieg, fast als habe er Angst, etwas Falsches gesagt zu haben. Doch Tessa verstand, was er ihr damit zu verstehen geben wollte und nickte. Joshua hob seinen Arm und ohne dass weitere Worte nötig waren, rutschte Tessa ein Stück zu ihm und lehnte sich dankbar an ihn.
Sie wusste nicht mehr, ob ihr von der Sonne so warm war, die mit voller Kraft auf ihre dunklen Kleider fiel und regelrecht von ihnen aufgesaugt zu werden schien. Oder aber vielmehr von der Wärme des menschlichen Körpers neben sich. Sie realisierte, dass es schon lange her war, seit sie einem anderen Menschen auf diese Weise so nah gekommen war.
Und doch war es anders. Hier fühlte sie sich so geborgen und geschützt wie noch nie. Regelrecht eingelullt in eine sichere, warme Umarmung.
Tessa lehnte ihren Kopf an den ihres Gegenübers. Beide lächelten sich sanft an, ohne ein Wort zu sprechen. In der Nähe sang ein Vogel der Sonne sein Abschiedslied.

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Tessa schloss die Augen und sog den Geruch des Mannes neben sich tief ein.

Dieser verstärkte den Griff um ihre Schultern noch etwas und drückte sie seufzend etwas näher an sich. Seine Finger strichen zart über ihren Handrücken.
Die Sonne schien Tessa warm ins Gesicht. Durch halbgeöffnete Augen sah sie, wie sich die Blätter im Wind sanft hin und her wiegten.
Es war alles so vertraut. Alles hier – so vertraut. Wieder schloss sie die Augen.
Und mit einemmal wurde ihr klar, was ihr daran so vertraut war.
Und ohne dass sie etwas tun konnte, stiegen Bilder vor ihren Augen auf…

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„Ich kann nicht!“ stieß sie plötzlich hervor und rückte von Joshua ab, als habe sie eine Tarantel gestochen.
Dieser sah sie erstaunt an. „Was… was ist los, Tessa?“
„Ich… mir geht das alles zu schnell…“, stammelte diese, von der Flut der Bilder, die in ihr aufgestiegen waren, und noch viel mehr von den Empfindungen, die sie mit sich gebracht hatten, völlig aufgelöst.

„Tessa… ich… es tut mir leid, wenn es dir zu schnell ging“, sagte Joshua hilflos. „Ich wollte nicht… ich meine… ich dachte, du magst es auch…“
Tessa sah ihn mit aufgerissenen Augen an. Die Verwirrung in seinem Gesicht tat ihr in der Seele weh. Ein Teil von ihr hätte ihn gerne in die Arme genommen und getröstet. Der andere jedoch wäre am liebsten davongelaufen.
„Joshua… ich… ich kann nicht…“
Sie merkte, wie sie schwach wurde, ihr alles zuviel. Sie ertrug es nicht mehr, seine fragenden Augen auf sich gerichtet zu fühlen. Als er ein Stück auf sie zurückte und erneut nach ihrer Hand greifen wollte, wohl nur um ihr Trost und Ruhe zu spenden, sprang Tessa auf und schüttelte heftig den Kopf.
„Es tut mir leid, Joshua – ich… ich kann das einfach nicht!“
Und mit diesen Worten drehte sie sich um und rannte davon.

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Schwer atmend blieb sie einige Meter entfernt stehen. Tränen waren ihr in die Augen gestiegen. Der sonnige Tag schien auf einmal düster zu sein, auch wenn sich äußerlich nichts geändert hatte.
In ihr schien alles zu brennen. So als hätte man eine alte Wunde aufgerissen und über Sandpapier gezogen.
Es war alles so nah gewesen. Jener Nachmittag vor etwa einem Jahr – auch im Park, wenngleich anderswo in der Stadt. Es war, als sei sie in der Zeit zurückgereist und der Mann an ihrer Seite war mit einemmal nicht mehr Joshua sondern Jess gewesen.
Eine einzige Sekunde dieser so realen Illusion hatte gereicht, um ihr klarzumachen, wem ihr Herz gehörte – immer noch. Dieser winzige Moment, in dem sie wahrhaft das Gefühl vereinnahmt hatte, dieser Mensch neben ihr sei Jess – hatte ihn und alles, was mit ihm zu tun hatte wieder greifbar gemacht.
„Tessa?“ ertönte die zittrige Stimme Joshuas hinter ihr. Tessa wusste nicht, ob sie sich umdrehen sollte… oder vielmehr konnte.

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Sie wusste, sie war es ihm schuldig. Langsam wandte sie sich zu ihm und sah ihm fest in die Augen. Er war etwas blass um die Nase und sah sie fragend an. Die Verwirrung war ihm ins Gesicht geschrieben. Tessa sah ihn traurig an.
„Es tut mir so leid, Joshua“, sagte sie dann leise. „Ich wollte und will dich nicht verletzen. Aber ich kann nicht.“
Joshua schluckte. „Tessa… wenn es dir zu schnell geht, du musst mir glauben, ich kann warten, ich bin ein geduldiger Mensch. Du hast alle Zeit, die du brauchst.“

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Tessa schüttelte traurig den Kopf. „Das ist es nicht…“
„Also… empfindest du nichts für mich?“
Tessa sah ihn gequält an. Wieso musste das alles nur so kompliziert sein?
„Doch, Joshua. Ich empfinde etwas für dich. Ich mag dich, sogar sehr. Aber ich… ich kann einfach nicht mit dir zusammen sein, verstehst du?“
Joshua schwieg einen Moment, als müsse er sich ihre Worte erst durch den Kopf gehen lassen. Dann sagte er offen: „Warum, Tessa? Wegen damals? Wegen… ihm…?“

Es schien ihm fast unmöglich, in diesem Moment den Namen Jess auszusprechen. Kein Wunder, stand doch dieser eine Name unweigerlich zwischen ihm und Tessa. Und irgendetwas in ihm wusste in diesem Moment schon, dass sich dies wohl nie ändern würde.

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Tessa nickte langsam und schwerfällig und beobachtete Joshua ganz genau. Dieser schwieg einen Moment und starrte zu Boden. Dann sagte er langsam: „Ich kann dich verstehen, Tessa… und doch auch wieder nicht. Das Glück liegt vor dir, und du schaffst es nicht zuzugreifen. Wenn der Grund dafür, dass du nicht mit mir zusammen sein kannst, wirklich nur … er… ist, dann… frage ich mich, wie du jemals wieder glücklich werden willst… ich meine, aus ganzem Herzen… wenn du ewig auf ihn wartest…“
Er sah auf. „Auf einen Mann, der das wohl beste Mädchen, das ein Mann bekommen kann, freiwillig verlassen hat. Ich will nicht darüber urteilen, was er dir alles angetan hat. Aber ich weiß, dass des falsch ist, auf ihn zu warten… weil er vermutlich nie zurück kommt!“ Mit einemmal sah Joshua ärgerlich aus. „Tessa… du… du hast es etwas besseres verdient, verstehst du?“

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Tessas Gesicht verzog sich. „Moment mal- was willst du damit sagen? Fängst du jetzt auch noch so an? Dass ich was Besseres verdient hab, als einen kleinen dreckigen Junkie, oder was? Einen Jungen wie dich, aus gutem Hause, mit einem Studium in der Tasche und all so ein Mist! Darum geht es aber nicht!“
Sie funkelte ihn wütend an.

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Doch Joshua schüttelte nur müde den Kopf. „Du solltest mich eigentlich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich so nicht denke, Tessa. Ich meine mit etwas Besserem nichts, was mit der gesellschaftlichen Stellung von ihm zu tun hat… ich meine damit, du hast jemanden verdient, der deine Liebe mehr wertschätzen würde als er es getan hat… als er in der Lage dazu war… bedingt durch seine Situation.“
Er sah Tessa offen und liebevoll an. „Du bist ein wunderbarer Mensch, Tessa. Das bist du schon für mich, wie musst du erst auf ihn gewirkt haben? Es muss gewesen sein, als habe die Königstochter ihr Herz dem Bettler geschenkt. Wie im Märchen fast. Und nicht nur dass du alle Standesunterschiede einfach ignoriert hast, nein – du hast zu ihm gehalten, obwohl er dir nie das geben konnte, was du gebraucht und verdient hast. Er war kein Mann, der dich in den Arm genommen hat, wenn es dir schlecht ging, der dich getröstet hat, wenn du traurig warst. Wenn sich jemand angelehnt hat in eurer Beziehung, dann hat er sich immer nur an dich angelehnt. Und du hast dem standgehalten, immer und immer wieder. Du hast sogar die allergrößte Gefahr auf dich genommen, nur um ihn zu schützen. Ich glaube nicht, dass er sich wirklich bewusst war, was für einen unermesslichen Schatz diese Liebe darstellte. Vielleicht oder sehr wahrscheinlich bedingt durch die Drogen… die sein Bewusstsein und seine Fähigkeit zu fühlen und zu lieben derart getrübt haben müssen. Wenn ich mir all das vor Augen führe, begreife ich, dass es keinen Weg in dein Herz geben kann, Tessa…“, er seufzte. „Denn wer so etwas durchhält, muss diesen Menschen unermesslich lieben.“

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Tessa schluckte. Sie hatte mit vielem gerechnet, mit Wut, Empörung, Enttäuschung… aber nicht hiermit.
Eine Weile standen sie stillschweigend voreinander, dann sagte Tessa leise: „Ich war mir die letzten Monate nicht mehr sicher, ob ich Jess noch liebe, Joshua. Ich habe den Schritt gewagt und mein Leben wieder in die Hand genommen. Alles hat sich geändert. Und vermutlich ist es so, dass der Mensch gewisse Dinge nach einer Weile vergisst… nein, nicht vergisst, aber irgendwo in den Tiefen seines Unterbewusstseins begräbt. Schau dir diese Bäume an… wenn der Winter zu Ende geht, werden wir uns kaum noch wirklich vorstellen können, wie es ist, wenn sie voller Blätter sind. Wir haben es nicht vergessen, aber es erscheint so weit weg, dass es fast irreal ist. So ist es für mich mit Jess. Alles, was damals gewesen ist, scheint so weit fort. So weit, dass ich manchmal wirklich nicht mehr genau weiß, ob es wirklich geschehen ist oder ich das alles nur geträumt habe…“
Sie sah Joshua traurig an. „Aber ich hab nicht nur geträumt. Und manchmal gibt es Situationen in meinem Alltag, da kommt mir diese Zeit mit einemmal wieder so nahe, dass ich wieder weiß, dass es sie wirklich gegeben hat. Ich war mir lange nicht sicher, wie viel Gefühl da noch in mir ist für Jess. Ich weiß, was mein Verstand mir sagt, nämlich, dass es Wahnsinn ist, auf ihn zu warten. Ich… ich weiß nicht, wo er ist, nicht einmal ob er… lebt… aber… mein Herz kann das nicht begreifen, noch nicht. Ja, ich liebe Jess. Immer noch. Obwohl ich nicht weiß, wo er ist… ob er überhaupt noch ist… aber ich liebe ihn. Ich weiß nicht, ob es jemals aufhört. Und wenn, wann. Aber im Moment ist noch kein Platz für jemanden anderen, Joshua. Aber glaub mir, wäre der Platz da, dann wärst du in meinem Herzen.“
Joshua sah sie an und ein dankbares Lächeln überflog sein Gesicht.

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„Das ist schön zu wissen, Tessa.“ Er seufzte. „Auch wenn es mir schwer fällt, das zu akzeptieren. Aber ich will dir nicht weh tun, ich will dich nicht drängen. Nur weißt du – ich glaube nicht, dass du jemals aufhören wirst, Jess zu lieben. Die Frage ist nur, ob du nicht irgendwann jemand anderen, der noch da ist, mehr lieben kannst. Ich glaube, das menschliche Herz ist so groß, dass es so viel mehr Liebe zu geben und fühlen fähig ist, als wir jemals denken würden.“
Tessa lächelte. „Das hast du wunderschön gesagt, Joshua. Trotzdem ist es noch nicht soweit…“
„Ich weiß, Tessa“, unterbrach er sie. „Ich weiß, und du brauchst dich nicht rechtfertigen.“
Tessa nickte und schwieg einen Moment unbehaglich. Dann sah sie Joshua wieder an.
„Bleiben… bleiben wir denn trotzdem… Freunde?“
Joshua sah sie überrascht an. „Wieso sollten wir keine Freunde bleiben? Nur weil ich mehr für dich empfinde als du für mich?“
„Ja… ich meine, wird es nicht schwer für dich werden?“
Joshua lächelte. „Ich bin hart im Nehmen, Tessa… und wie ich sagte, ich glaube, das menschliche Herz ist fähig, sehr viel Liebe zu empfinden, auch wenn nicht jede davon erfüllt ist. Vielleicht sollte das auch einfach nicht der Anspruch sein, den wir stellen. Liebe ist Liebe, ob erwidert oder nicht…. es gibt dafür keinen Gegenwert.“
Er sah sie an und grinste schief. „Nun mach nicht so ein Gesicht, es ist niemand gestorben. Darüber werde ich schon wegkommen, keine Bange. Ich hab damit gerechnet, auch wenn meine Hoffnung nie gestorben ist. Aber hör zu, ich will dich nicht verlieren, auch nicht als Freundin. Okay?“
Tessa nickte. „Danke, Joshua“, stieß sie erleichtert hervor. „Darf ich dich jetzt mal drücken… rein freundschaftlich, mein ich?“
Joshua schüttelte den Kopf. „Nein, darfst du nicht… weil ich das gerade vorhatte!“

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Tessa drückte ihn feste an sich. „Ich bin so froh, jemanden wie dich gefunden zu haben“, sagte sie.
„Und ich erst“, erwiderte Joshua.
Und neben ihnen schwang sich das singende Vögelchen in die Luft und machte sich auf den Weg in den Süden.

Denn es wurde Winter.










Fortsetzung folgt.
 
WOW!!!! Ohne zu übertreiben, aber dieses Kapitel war das beste deiner gesamten FS. Bei keinem Kapitel habe ich so mitgefühlt (und ich habe schon oft mit Tessa mitgefühlt, aber nicht so intensiv wie heute).
Ich konnte die Unbeschwertheit und das aufsteigende Glück zu Beginn förmlich spüren. Wie sehr hätte ich Tessa gewünscht, dieses Glück festhalten zu können. Joshua ist so ein lieber Kerl, er hätte Tessa bestimmt glücklich gemacht. Aber ihre Liebe zu Jess ist stärker, wahnsinn wie du das in dem späteren Gespräch zwischen ihr und Joshua geschildert hast. "Denn wer so etwas durchhält, muss diesen Menschen unermesslich lieben.“ Dieser Satz trifft es auf den Punkt. Man kann es schwer nachvollziehen, wieso Tessa immer noch auf Jess wartet, und scheinbar weiß sie selbst, wie sinnlos das ist. Und doch ist da diese Hoffnung und Tessas große Liebe, einfach schön das zu lesen. Ach ich bin hin und weg von diesem Kapitel. Die ganze Stimmung ist einfach wunderschön, auch wenn es mir für Joshua leid tut. Ich weiß selbst wie schwierig das ist, wenn aus Freundschaft plötzlich für einen Liebe wird, und ich hoffe für ihn und Tessa, dass sie wirklich Freunde bleiben können. Und ganz besonders wünsche ich mir für Tessa, dass eines Tages das Glück wieder in ihr Leben einkehren wird.
 
Ich muss Sexy_Lexi recht geben. Dieses Kapitel war unwahrscheinlich ausdrucksstark. Eines der besten der gesamten Story. Ich hab echt mit den Tränen gekämpft, so emotional war es. Du schreibst so unglaublich stark, dass man dir echt ALLES glaubt. Wohl auch deshalb, weil man selbst schon ähnlich gefühlt hat.

Schau dir diese Bäume an… wenn der Winter zu Ende geht, werden wir uns kaum noch wirklich vorstellen können, wie es ist, wenn sie voller Blätter sind. Wir haben es nicht vergessen, aber es erscheint so weit weg, dass es fast irreal ist.

Schon allein diese Stelle hat mich tief beeindruckt. Ich war heute nachmittag draussen und hab das herrliche Vorfrühlingswetter genossen. Da ging mir auch durch den Kopf, wie unvorstellbar es doch ist. Bald sind wieder alle Bäume grün, so direkt komisch kam einem das vor. Du hast das so irre lebendig und real rüber gebracht...meinen dicksten Respekt, den ich habe, bekommst du dafür! Ich finde es faszinierend, was du aus dieser Story machst. Wie du ihr immer mehr Tiefe verleihst, immer mehr Gefühl und Faszination. Ich glaub, wäre diese Story ein Buch...ich würds gar nicht mehr weg legen.
Ich fand die Szene zwischen Tessa und Joshua so herzergreifend. Zuerst diese zarte Annäherung...man hat diese Gefühlswirrungen echt gespührt. Es war so zart wie eine Blume, die im Frühling ihren Kopf aus der Erde streckt und langsam beginnt, zu wachsen. Doch dann wurde alles zerstört, weil es eben doch noch viel zu kalt ist. So kam mir das vor. Irre lebendig! Grosse klasse Innad, aus ehrlichem Herzen!
Dann Tessas Erinnerungen, die wie eine Lawine auf sie herabgestürzt sind und echt alles unter sich begraben haben. Ich hab ihre Verzweilfung regelrecht gespührt und man kanns so gut nachempfinden. Du hast das sehr schön auch mit den Fotos untermalt. Wobei ich die nicht unbedingt bräuchte, dass weisste ja. Für mich lebt deine Story durch den Text. Ein Buch könnte nicht besser sein. Deine Fotos weiss ich aber auch zu schätzen - ich find sie klasse. Sie sind das Tüpfelchen auf dem i.
Ich finde es einfach irre, wie Joshua darauf reagiert hat. Ich glaub, er liebt Tessa wirklich von Herzen. Das ist wahre Grösse und bitte, wer hätte die schon aufbringen können an seiner Stelle? Ich befürchte, die meisten wären enttäuscht, beleidigt oder sonst etwas. Vielleicht auch wütend, weil alles umsonst war....Er reagiert verständnisvoll und begreift, dass er nicht weiterkommt. Aber er akzeptiert das und ist zufrieden mit dem, was er bekommen kann. Wow, was für ein Mann!!! Ich glaub, da würde ich mich sofort auf ihn einlassen. Weil das ist ein Gefühl, wie du es nicht hättest echter und schöner rüber bringen können.
Ich bin überwältigt, du hast mir damit den Tag gerettet. Er war nämlich nicht so besonders....und da kann so etwas die Seele streicheln.
Kino....vergiss es! Fernsehen...wozu noch? Es gibt doch "Tiefer als der Schmerz".
Weiter so meine Innad. Der Award ist übrigens klasse. Ich find ihn sehr gelungen und er ist absolut verdient. Grosses Kompliment auch an die Bastlerin - das hat Nonuna super gemacht. Irre!

Weiter so!
 
@SexyLexi: Ich bin ganz überrascht, dass Dir das KApitel so gut gefallen hat. Ich selbst fand es beim Schreiben nämlich nur mittelprächtig :lol: So kann man sich irren. Es freut mich darum umso mehr, dass es so gut ankommt und die Stimmung im Park so schön transportiert werden kann.
Ob Tessa und Joshua es jetzt noch schaffen, Freunde zu bleiben, ist natürlich eine Frage. Es ist ja immer sehr schwer, wenn da so eine Sache zwischen einem steht. ICh denke aber, bei Joshuas Charakter ist die Chance dafür ganz gut. DAnke für diesen tollen, aufbauenden Kommi!


@FunnyChrissy:
Du Arme, ich hoffe, Deine Woche wird besser als es der Sonntag gewesen zu sein scheint. Ich werde mal wieder rot bei deinem Lob (ha, und das reimt sich auch noch! :D) Wie ich bei SexyLexi schon schrieb, fand ich das Kapitel gar nicht sooo toll, umso mehr überrascht es mich, wie es bei euch ankam.
Ich glaube aber, dass Joshuas Reaktion gar nicht unbedingt nur etwas mit tiefer Liebe zu tun hat, sondern viel mehr einfach damit, dass er einfach einen starken und auch irgendwie nicht schwermütigen Charakter hat, so dass er es schafft, immer das Beste einer Situation herauszuziehen und für sich zu verwerten. Solche Menschen finde ich auch unglaublich bewunderswert, denn ich schaffe das idR nicht immer so gut, auch wenn ich eher ein Optimist als Pessimist bin.
Daher find auch ich Joshuas Reaktion echt bewunderswert und habe beim Schreiben überlegt, ob sie nicht fast schon unrealistisch ist, mich aber ganz optimistisch dazu entschieden, dass es solche Menschen mit Sicherheit gibt, man sie nur zu selten trifft ;)
Die beschreibung mit der aus der Erde hervortretenden Knopse trifft es unheimlich gut. Und was Du über die Bäume schreibst, trifft auch zu, denselben Gedanken hegte ich beim Schreiben auch, als ich mir die Bäume aus meinem Fenster aus anschaute und mir vorzustellen versuchte, wie sie da so puffig und fluffig voll grünem Blattwerk im Sommer, oder rot-gelb verfärbt im Herbst dastanden und jetzt nur ihre kahlen Äste gen Sonne recken. Das kam mir fast surreal vor.
Danke für Deinen Kommi!
 
Kapitel 55
Wiedersehen





Die Luft war schneidend kalt. Vor drei Tagen hatte der erste Schneefall eingesetzt. Die Bäume reckten ihre kahlen Äste gen Himmel, nun von den ersten Eiskristallen des Himmels sanft gepudert.
Als Tessa aus dem Auto stieg, knirschte der Schnee unter ihren Schuhen. Dieses Geräusch in Verbindung mit jenem Gebäude, welches sich vor ihr erhob, jagte ihr automatisch eine Gänsehaut über den Rücken. Es erinnerte sie immer wieder an jene Nacht, in der sie wie von Sinnen durch die Straßen gewandert war, auf der Suche nach Jess.
Sie rieb sich die kalten Hände und blieb zögerlich vor dem grauen Gebäude stehen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Halse.

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Sie hatte diesen Ort lange gemieden, und vermutlich hätte sich diese Tatsache nicht geändert, wäre da nicht dieser unerwartete Anruf vor wenigen Tagen gewesen… und die wenigen Worte, die er beinhaltet hatten: „Ich komm zurück, Tessa...“
Ein warmes, aufgeregtes Gefühl durchlief sie, wenn sie daran zurückdachte. Sie hatte es doch kaum mehr zu hoffen gewagt… nun versprach es endlich, Wahrheit zu werden.
Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen und schritt die grauen Steinstufen zum Eingang des Bahnhofs nach oben. Wenn sie daran dachte, wie oft sie diese vor etwa einem Jahr fast täglich nach oben gegangen war… in der freudigen Erwartung, den Menschen zu sehen, den sie liebte.
Es war jetzt wieder so… und doch ganz anders…
Tessa blieb im Inneren des Gebäudes stehen und sah sich um. Es wirkte alles so vertraut… und doch fremd. Dieses Gefühl in ihr, es war schon fast paradox. Sie meinte, jeden einzelnen Stein in den alten Mauern zu kennen… und doch fühlte sie sich hier so fremd und fehl am Platz wie nie zuvor.

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In all dem hier steckten so viele Erinnerungen. Eigentlich hatte ihre Beziehung nur hier stattgefunden. Es gab keinen anderen Ort, der so unweigerlich damit verbunden war. Mit allem – Schmerz und Leid wie Glück und Liebe.
Tessa schloss für einen Moment die Augen und lauschte dem sanften Plätschern des Springbrunnens hinter ihr. Sie konnte sich noch gut an jenen Tag erinnern, als sie sich zum allerersten Mal mit Jess getroffen hatte… sie waren sich an genau dieser Stelle begegnet.

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Wie konnte es nur sein, dass der Brunnen immer noch in derselben, sanften Gleichmut vor sich hin plätscherte wie zu jener Zeit? Es war so viel geschehen seitdem… als hätten sich Welten neu erschaffen und andere seien vergangen. Doch er stand immer noch, pumpte das Wasser aus dem Becken in stoischer Ruhe von unten nach oben und spuckte es dort aus seinem Fischmaul wieder aus, so dass es tröpfelnd und rinnend nach unten sickern konnte.
Tessa seufzte und öffnete ihre Augen wieder. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie jemanden von außerhalb, wo die Gleise verliefen, auf sich zukommen sah.
Die Tür öffnete sich und die vertraute Person beschleunigte ihren Gang, als sie Tessa sah.
„Tessaaa!“ rief sie fröhlich aus. Nun lief auch Tessa auf sie zu und Sekunden später waren beide in einer herzlichen, innigen Umarmung versunken.

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„Tru!“ sagte Tessa glücklich und sah ihre Ziehmutter liebevoll an, als sie sich aus ihrer Umarmung löste. „Ich bin so froh, dass ich dich endlich wiedersehe. Ich hab dich furchtbar vermisst.“
Tru lächelte. „Und ich dich erst, Tessa, das kann ich gar nicht sagen.“ Sie sah sich um und sog die Luft tief ein, als ob das Bahnhofsgebäude unverkennbar nach Heimat rieche.
„Es tut so gut, wieder mal Heimatluft zu schnuppern“, sagte sie glücklich und sah Tessa dann aufmerksam an.

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„Mein Gott, Tessalein, ich hätte dich eben fast nicht erkannt. Du hast dich unglaublich verändert seit letztem Jahr. Aus dir ist eine richtige Frau geworden, und wie hübsch du aussiehst! Was ein Jahr aus einem Menschen machen kann, nicht wahr?“
Tessa lächelte schweigend und dachte bei sich, dass Tru nicht erahnen konnte, wie viel ein Jahr ausmachen konnte… wie viel dieses Jahr ausgemacht hatte.
„Du siehst aber auch verändert aus, und das sehr zu deinem Vorteil“, erwiderte Tessa nach einem Moment des Schweigens und lächelte. „Deine Haare sind toll, Tru. Eine klasse Frisur, du siehst richtig jugendlich aus. Amerika scheint dir gut zu bekommen.“

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„Danke“, lachte Tru. „Das tut in meinem Alter besonders gut zu hören. Wobei ich eher glaube, dass es nicht Amerika ist, das mich auf Trab hält, sondern das kleine Monster, das ich mehrmals wöchentlich versorgen muss.“
Tessa lachte auf. „So schlimm?“
„Ach was – ich mache nur Scherze. Aber Kinder halten einen wirklich in Bewegung. Das wirst du schon auch noch herausfinden“, sie zwinkerte ihr zu. „Und nun hab ich einen Bärenhunger nach dieser langen Reise. Wollen wir etwas essen gehen, Tessalein? Ich lade dich ein!“

Tessa lachte. „Ich habe eigentlich gehofft, endlich einmal wieder in den Genuss deiner Kochkünste zu kommen, aber das hat ja noch Zeit, bist ja noch ein paar Tage hier. Lass uns in die Stadt fahren.“
Beide gingen nach draußen und Tru sah sich schwärmerisch um. „Ach, wie schön, dass hier schon Schnee liegt. Das macht alles irgendwie noch heimatlicher, auch wenn es bei uns in Amerika natürlich auch Schnee gibt…“
Sie lachte und gemeinsam stiegen sie in Tessas Auto.

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Wenig später waren sie in einem kleinen, gemütlichen Restaurant in der Stadt angekommen. Tessa wusste, dass Tru gerne hier war, denn schon früher hatten sie manchmal zusammen hier gegessen.
„Hier hat sich fast nichts verändert“, seufzte Tru dann auch zufrieden, als beide an einem Zweiertisch Platz genommen hatten.

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„Außer dir, Tessa…“, sagte sie dann und sah ihr Gegenüber noch einmal bewundernd an. „Ich kann es immer noch nicht fassen, wie sehr du dich verändert hast.“
„Ach“, erwiderte Tessa leichthin. „Das ist nur, weil meine Haare jetzt länger und dunkler sind…“
„Nein, das ist es nicht“, gab Tru entschieden zurück. „Es sind nicht nur deine Haare. Irgendetwas ist völlig anders an dir als letztes Jahr. Als sei in dieser Zeit etwas Entscheidendes geschehen…“

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Dankbar warf Tessa dem Ober einen Blick zu, der eben an ihren Tisch getreten war. Als beide Frauen ihr Essen bestellt hatten, lenkte Tessa das Thema schnell um: „Und nun erzähl mal, Tru – wie ist es so in Amerika? Kann man es sich denn wirklich so vorstellen, wie man es aus dem Fernsehen kennt? Wie kommst du zurecht? Und wie geht es deinem kleinen Schützling?“
Tru lachte. „So viele Fragen auf einmal! Vergiss nicht, ich bin nicht mehr die Jüngste…“
Tessa lachte mit. „Du siehst so jung und frisch aus, das glaub ich dir nicht.“
„Nun ja – wie gesagt, ein Kind hält einen auf Trab. Und damit kann ich auch gleich deine erste Frage beantworten, dem kleinen Racker geht es sehr gut. Er ist jetzt fast ein Jahr alt und entwickelt sich einfach wunderbar. Ich hab ihn etwa drei bis viermal die Woche mehrere Stunden bei mir, und wir sind sozusagen dicke Freunde geworden. Amerika selbst gefällt mir immer besser, auch wenn es wirklich ganz anders ist als alles, was man von hier gewohnt ist. Es ist eben ein ganz anderes Land. Vor allem in Hinblick auf das Essen musste ich mich schon umstellen, was mir nach wie vor nicht ganz leicht fällt…“
In diesem Moment stellte der Ober den bestellten Kuchen vor Tru auf den Tisch.
„Oh wie herrlich, endlich mal wieder typisch deutscher Kuchen. Ich konnte dieses Süßzeug in Amerika nicht mehr sehen! Wie gut, dass ich selbst backen kann.“

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Einen Moment aßen beide schweigend. Tru schien jeden Bissen zu genießen und Tessa amüsierte sich heimlich ein wenig darüber, wie sehr Tru sich nach dem deutschen Essen gesehnt zu haben schien.
Irgendwann sah Tru sie an und sagte: „Und was ist bei dir geschehen, Tessa? Ich kann mich nur wiederholen – wenn ich mir dich so ansehe, muss viel passiert sein in diesem Jahr. Also nun erzähl du mal.“
„Ach – du weißt das meiste doch schon aus unseren E-Mails und den Telefonaten“, wich Tessa aus und stocherte in ihrem Kuchen herum. „Was soll schon noch großartig gewesen sein.“

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Tru sah sie nachdenklich an. „Ich weiß nicht – ich finde dich verändert. Und von dem, was du mir erzählt hast, kann das eigentlich nicht sein. Abgesehen davon, dass ich so viel gar nicht weiß. Du hast erzählt, dass dir die Uni gut gefällt und du nette Leute kennen gelernt hast. Dass deine Noten recht gut sind… und du im Sommer viel unterwegs warst. Eigentlich alles ganz normale Dinge für eine junge Frau in deinem Alter. Aber all das erklärt nicht deine Veränderung. Erzähl mir mehr. Wie geht es deinen Eltern?“
Tessa zuckte mit den Schultern. „Es ist alles beim Alten. Mutter ist vollauf mit ihrer Kosmetik beschäftigt und Vater jettet durch die Weltgeschichte und wälzt Gesetzbücher.“
Sie versuchte schief zu grinsen, was ihr nur halbseiden gelang.

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„Also ist euer Verhältnis immer noch nicht besser?“, seufzte Tru. „Ich hatte gehofft, jetzt, wo ich nicht mehr da bin, würdet ihr euch vielleicht doch noch näher kommen…“

Tessa lachte und konnte nicht verhindern, dass es bitter klang. „Nein, Tru – unser Verhältnis ist wie immer… nur dass wir seit du weg gegangen bist, noch viel mehr unser eigenes Leben gelebt haben, ohne viel voneinander mitzubekommen. Aber das ist eben so, und nicht zu ändern. Ich will es auch nicht ändern. Ich hab mit meinen Eltern einfach nicht viel gemein und es steht inzwischen viel zu viel zwischen uns…“
Tru horchte auf und sah Tessa fragend an. „Was steht zwischen euch, Tessa? Gab es Streit?“

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„Nein, nicht wirklich“, erwiderte Tessa und schob ihren halb leer gegessenen Teller dem Kellner zu, der gerade Tru´s leeren Teller abräumen wollte.
„Nun… und… was ist mit deinen Freunden? Mit ihnen läuft alles gut? Wie geht´s Niklas?“
Tessa schluckte. „Ich weiß nicht. Wir haben keinen Kontakt mehr.“
Tru zog überrascht die Brauen nach oben. „Ihr habt keinen Kontakt mehr? Wie ist das denn gekommen? Ihr ward doch so lange befreundet und habt immer aneinander gehangen wie die Kletten…“
„Das ist schon lang vorbei, Tru…“, seufzte Tessa. „Und die Gründe dafür sind kompliziert…“
„Erklär sie mir…“

Tessa starrte auf ihre Fußspitzen. „Das ist alles nicht so einfach…“

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Sie fühlte, wie Tru ihre Hand sanft drückte. „Tessa… irgendetwas bedrückt dich doch? Wieso magst du es mir nicht erzählen? Nur weil ich weit weg wohne, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht für dich da bin…“
Tessa hätte für einen Moment am liebsten ironisch aufgelacht.
„Doch, genau das heißt es schon…“, flüsterte sie leise und war sich nicht sicher, ob Tru es gehört hatte oder nicht. Sie sah ihre Ziehmutter lange an. „Es ist eine lange Geschichte, Tru… und ich weiß nicht, ob du sie wirklich hören willst…“

Tru sah sie bestürzt an. „Tessalein – so kenn ich dich gar nicht. Was ist denn los? Natürlich will ich sie hören…“

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„Ich… ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, erwiderte Tessa unsicher.
„Tessa – ich bin immer für dich da. Und ich werde dich nie allein lassen.“

Tessa schnaubte. „Die Geschichte hat aber viel mit Einsamkeit zu tun“, sagte sie dann langsam und starrte auf die Tischkante vor sich. „Denn ich war sehr einsam, Tru… sehr einsam… und allein… und hilflos…“

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Sie schluckte hart und spürte, wie Tru´s Hand den Druck um ihre verstärkte. Dann geschah etwas seltsames. Es fühlte sich an, als platze in ihr ein kleiner Knoten… der sich um ihr Herz gelegt zu haben schien, und den so trotz all der Fortschritte der letzten Monate nie bemerkt hatte. Nun, in der Gegenwart jener Person, die ihr so lange Jahre ihres Lebens die meiste Wärme und Mütterlichkeit entgegengebracht hatte, schien sich etwas zu lösen, was sich vorher nie hatte lösen können. Und ehe Tessa etwas dagegen tun konnte, waren ihr die Tränen in die Augen getreten und ungeachtet der Tatsache, dass sie sich in einem Restaurant befand, begann sie zu weinen.

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„Aber… Tessalein… ist ja gut, schhh, ist ja gut…“, flüsterte Tru, die offenbar etwas schockiert über den Gefühlsausbruch ihres Gegenübers war.
Nach einer kleinen Weile schaffte Tessa es dann auch, ruhiger zu werden und wischte sich traurig die Tränen aus dem Gesicht.
„Weißt du, Tru … du hast recht, es ist vieles geschehen in diesem einen Jahr… und ich glaube, ich sollte es dir endlich erzählen.“

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Und so begann sie zu erzählen. Sie berichtete von ihrem Treffen mit Jess, darüber, wie sie sich verliebt hatten, über den Streit mit ihren Eltern und Niklas, ihre Verleugnung von Jess und ihrer Beziehung, den harten Tagen, an denen Jess unter Entzugserscheinen kaum erträglich gewesen war, sowie den schönen, an denen sie ihre Liebe in vollen Zügen hatten genießen können. Als sie zu jener Nacht kam, in der sie ihn gesucht hatte, kürzte sie ein wenig, um Tru nicht noch mehr zu schockieren, als diese es nach ihrem Gesichtsausdruck zu schließen ohnehin schon war. Auch die Tage des Entzugs beschrieb sie nicht in ihrem Detail, sondern schloss nur mit dem Satz: „Jedenfalls hat Jess den Entzug, den er begonnen hat, nicht durchgehalten. Er ist gegangen. Das war im Februar. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört… er ist jetzt schon fast zehn Monate wie vom Erdboden verschluckt…“
Sie wischte sich noch einmal die Tränen, die während des Redens unaufhörlich weiter geflossen waren, aus dem Gesicht und schnäuzte sich kräftig. Dann sah sie Tru an. „Ich habe mich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen und dort meine Freundin Monika kennengelernt, die ein ähnliches Schicksal hat wie ich… nur dass ihr Freund den Kampf gegen die Drogen schon vor langer Zeit verloren hat… und gestorben ist… während ich noch immer nicht weiß, wo Jess steckt und ob er noch lebt.“
Sie schluckte und sah Tru eine Weile an. Als diese weiterhin beharrlich schwieg, fragte Tessa bang: „Was ist los? Ich hätte es dir besser nicht gesagt, oder?“

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Tru atmete tief aus und schüttelte dann den Kopf, den sie die ganze Zeit gesenkt hielt. Als sie ihre Stimme wieder erhob, erschrak Tessa, denn sie klang brüchig und zittrig.
„Doch, Tessa – ich bin froh, dass du es mir gesagt hast. Ich… ich mache mir nur unsagbare Vorwürfe.“

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Tessa sah sie überrascht an, und nun war sie es, die nach Trus Hand griff und diese sanft drückte. „Tru – das brauchst du nicht. Es war meine Entscheidung, mich niemandem anzuvertrauen. Ich wollte dich damals nicht belasten, du hättest mir von Amerika aus ohnehin nicht viel helfen können.“
„Das ist es ja“, erwiderte Tru und sah Tessa mit feuchten Augen an. „Begreift du das nicht, Tessa? Du bist für mich wie ein eigenes Kind. Dass ich nicht da war, als du die wohl schlimmste Zeit deines Lebens durchgemacht hast, schmerzt mich unsagbar.“
Tessa schüttelte den Kopf. „Ich glaube, in dieser Zeit hätte mir niemand helfen können. Vielleicht sollte es so sein, Tru – dass ich alleine bin, meine ich.“ Sie sah Tru offen an. „Jetzt, wo ich es dir erzählt habe, scheint es mir fast so zu sein. Ich weiß, dass mich die Zeit mit Jess reifer hat werden lassen. Es hat mir unendlich viel zurückgegeben, auch wenn ich gelitten habe. Das einzige, was heute noch wirklich schlimm daran ist, scheint die Tatsache zu sein, dass ich nach wie vor nicht weiß, wo er ist und was mit ihm geschah. Doch auch dabei kann mir niemand helfen. Entweder ich erfahre es doch noch einmal oder ich muss mich eben irgendwann damit abfinden. Also mach dir bitte keine Vorwürfe.“

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„Du hattest Angst, ich würde dich dafür verurteilen, dass du dich in einen Menschen wie Jess verliebt hast?“ fragte Tru nach einer Weile und sah Tessa offen an.
Diese nickte langsam. „Nach den Reaktionen von Niklas und meinen Eltern – die ja nicht einmal wussten und bis heute nicht wissen, was zwischen Jess und mir wirklich war – glaubte ich wohl, jeder Mensch, der ein normales Leben führt, müsse so reagieren. In den letzten Monaten habe ich gelernt, dass dem nicht so ist. Natürlich verurteilen viele Menschen es trotzdem, aber es gibt auch einige, die es verstehen und es respektieren… manchmal sogar schätzen.“
„Das tu ich auch“, erwiderte Tru und sah Tessa mit einem wehmütigen Lächeln an. „Ich weiß aber nicht, ob ich vor einem Jahr aus Angst nicht auch anders reagiert hätte. Nicht so wie Niklas oder deine Eltern… aber ich hätte dir vermutlich auch abgeraten. Und nicht daran gedacht, dass ich dich damit noch mehr in die Enge treibe.“
Sie sah Tessa liebevoll an. „Dabei hätte ich mir gar keine Sorgen machen müssen, denn du bist so eine erwachsene Frau geworden, dass du sehr gut auf dich selbst aufpassen konntest. Und was du da getan hast, zeugt von einem sehr guten Charakter. Ich denke, du kannst stolz auf dich sein, Tessa. Das kannst du.“


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Tessa lächelte. „Schön, das von dir zu hören.“
„Und was ist mit deinen Eltern? Sie wissen immer noch nichts?“

Tessa schüttelte den Kopf. „Nein – vielleicht sollte ich es ihnen sagen… aber unser Verhältnis ist einfach so abgekühlt. Und so lange Jess kein Bestandteil meines Lebens mehr ist, weiß ich, dass ich mir das Leben damit wohl nur schwer machen würde…“
„Sei dir da nicht so sicher“, erwiderte Tru und sah Tessa fest an. „Deine Eltern lieben dich sehr, Tessa, auch wenn sie es nicht so zeigen konnten wie ich. Ich glaube, dass sie ebenso betroffen wären wie ich es bin, wenn sie hören, was dir geschehen ist… noch dazu waren sie vor Ort und es ist praktisch vor ihren Augen geschehen, ohne dass sie es realisiert haben. Ich denke, es wäre gut, es ihnen zu sagen… irgendwann jedenfalls.“

Tessa nickte. „Irgendwann… ja, irgendwann werde ich das sicherlich tun. Aber noch ist die Zeit wohl nicht reif dafür.“
Tru nickte. „Und wie geht es dir heute mit allem?“
„Meist gut“, erwiderte Tessa und sah Tru offen an. „Aber die Angst um Jess und die Unsicherheit sind mein ständiger Begleiter… doch es wird immer weniger. Ich habe begriffen, dass ich mein Leben weiterleben muss und nicht auf ihn warten kann. Trotzdem bin ich noch nicht bereit für eine neue Liebe…“ Mit einem Hauch Wehmut dachte sie an Joshua.


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„Wäre da denn jemand?“ fragte Tru lächelnd nach.
Tessa nickte. „Ja – Joshua… ich hab mal von ihm erzählt… er empfindet mehr für mich und beinahe wären wir vor einigen Wochen auch zusammengekommen. Aber ich konnte noch nicht.“
„Wie hat er es aufgenommen?“
„Sehr gut. Natürlich ist es nicht mehr so wie früher zwischen uns. Aber vielleicht braucht es auch einfach Zeit. Wir sehen uns trotzdem häufig und ich kann mit ihm über fast alles reden.“

„Das ist gut. Du bist also nicht mehr alleine.“
„Nein – ich hab Monika, Feli und Joshua, und ich weiß, dass sie alle drei zu mir halten. Mehr brauch ich gar nicht.“

Tru nickte. „Drei gute Freunde sind schon sehr viel und wertvoll. Meine Mutter sagte immer, besser einen guten Freund als zehn schlechte.“

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Eine Weile schwiegen beide Frauen, dann sagte Tru ernst: „Bitte versprich mir trotzdem, Tessa, dass du mich in Zukunft in deine Sorgen einweihst und um Hilfe rufst, wenn du sie brauchst. Auch wenn ich weit weg bin – du bist nach wie vor der wichtigste Mensch auf Erden für mich, und ich werde immer einen Weg finden, bei dir zu sein.“
Gerührt sah Tessa sie an. „Das ist lieb, Tru…“
„Versprich es mir, Tessa.“
Tessa nickte. „Ich verspreche es, Tru. Wenn ich das nächstemal Hilfe brauche und allein bin, werde ich es dir sagen.“
Die beiden sahen sich fest in die Augen. Dann lächelte Tessa. „Und nun lass uns mal von was anderem reden. Wie sind die alleinstehenden älteren Männer in Amerika so?“

Tru schnaubte. „Tessa! Du bist unmöglich!“
Tessa grinste. „Ich weiß…“

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Beide lachten leise auf. Die nächste Stunde verbrachten sie noch in angeregtem Gespräch miteinander, dann merkte Tessa, dass Tru von der langen Reise doch müder und abgespannter war als sie zugeben wollte.
„Komm, Tru. Ich fahr dich zum Hotel, ich muss ohnehin noch mal zur Uni und was in der Bib nachschauen.“
Beide erhoben sich von ihren Stühlen. „Ich bin ja auch noch eine ganze Woche da“, erwiderte Tru lächelnd. „Dieses Jahr verpasse ich deinen Geburtstag um nichts in der Welt.“
Tessa lächelte. „Das ist schön. Denn ohne dich ist ein Geburtstag gar nicht wirklich ein Geburtstag.“

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Tru lachte. „Was wohl vor allem mit meinen Torten zusammenhängt, nehme ich an?“
Tessa grinste. „Du hast es erraten.“

Und als Tessa im Auto saß und Tru nachsah, die mit ihrem Koffer die Treppen zu der Pension, in der sie sich eingemietet hatte, nach oben stieg, erfüllte sie ein warmes Gefühl.
Es hatte sich vieles in diesem Jahr geändert.
Zum Guten.




Fortsetzung folgt.
 
Wow,
ich hätte nicht gedacht das Tru zurück kommen wird.
Tru hat sich ja voll verändert.
Ich freu mich auf das nächste Kapitel
und bin gespannt wie es weiter geht.
lg
sasispatz
 
Puh, ich komm gar nicht mehr hinterher mit meinem Unikram. :lol:
Da hast du uns ja ganz schön veräppelt mit dem Anfang des neuen Kapitels. Ich hab echt zuerst geglaubt, dass Jess zurückkommt. Tz...
Schön, dass Tessa sich nun endlich Tru anvertraut hat und dass auch diese genauso verständnisvoll reagiert wie Feli und Joshua. Jetzt muss nur noch Jess zurückkommen und ich bin happy. :)
 
Wie gemein von dir ;) Ich dachte am Anfang wirklich, dass Jess zurück kommt. Aber Tru ist natürlich auch eine Überraschung gewesen. Sie sieht echt ganz anders aus, die Frisur steht ihr wirklich gut. Ihre Reaktion auf Tessas "Geständnis" fand ich sehr schön. Tru ist wirklich eine gute Seele. Besonders schön finde ich, dass Tessa die Erfahrung machen konnte, dass nicht alle Menschen Jess und ihre Liebe zu ihm verurteilen. Dies zu wissen ist sicher wichtig für Tessa. Denn wer weiß, vielleicht kommt Jess ja doch eines Tages zurück, und dann muss Tessa ihn nicht mehr verheimlichen, weil es Menschen in ihrem Leben gibt, denen sie vertrauen kann.
 
Also ich habe anfangs auch gedacht, dass Jess zurückkommt. Ich habe mich aber auch sehr gefreut, dass Tru gekommen ist.
Ich finde Tru's neues Erscheinungsbild auch sehr schön; so jugendlich und frisch!
Schön, dass Tessa sich ihr anvertraut hat und dass Tru so wunderbar reagiert hat.
Bin auch gespannt, ob es für Tessa eine Überraschung gibt zum Geburtsteg!?
Liebe Grüße
Chrissy
 
*mahnend den Zeigefinger erheb* Schade, dass ich dafür kein Smiley habe. :lol: Jedenfalls solltest du dich schämen, mir solche Hoffnungen zu machen. Ich bin wie gebannt vor dem PC gehockt und warte die ganze Zeit darauf, dass ich irgendwo den Namen Jess lese. Ausser jetzt während der Unterhaltung von Tessa und Tru. *g*
Ich dachte mir noch, wenn Jess jetzt so plötzlich zurückkommt....das wäre mir zu plötzlich vorgekommen. Es hätte nicht so gut gepasst und ich hab mich schon gewundert, dass du plötzlich das so ratz fatz machst. Aber ich hätte es doch wissen müssen, dass meine Innad uns wieder auf den Arm nimmt. *g* Aber gelogen hast du ja nicht, es war nur die Rede von einem "Wiedersehen". Was für eins....das lag im Dunkeln. *g*
An Tru dachte wohl zuerst kaum jemand. Aber auch über dieses Wiedersehen hab ich mich gefreut. Sie wirkt direkt erfrischend gerade und jugendlich....die Frisur macht sie deutlich jünger. Ich mochte sie schon immer und wusste doch, dass Tessa sich auf Tru verlassen kann. Es ist schön, dass sie so zu Tessa hält und diese nicht verurteilt. Ich fand es so wichtig, dass Tessa sich alles von der Seele gesprochen hat. Du hast dieses Gespräch sehr schön dargestellt....wen wundert das aber??? *g* Es fügt sich schön mit ein und untermalt alles perfekt. Die Fotos sind klasse geschossen, spiegeln schön auch im Hintergrund das Leben in einem Cafe wieder. Ich kanns nur immer wieder sagen....an deiner Story passt alles.
Und wehe, du nimmst mich nochmals so auf den Arm. *bösekuck* :mad:
Ich befürchte, du nimmst mir das eh nicht ab. :lol::lol::lol:

Viele liebe Grüsse

Deine Chrissy :hallo:
 
@sasispatz: Ja, schön, dass ich Dich überraschen konnte mit Trus Wieder-erscheinen im Rahmen der Story :) Und ja, sie hat sich verändert. Vielen Dank für Deinen Kommi


@Zahlencödche
n: Mh .... :) Ich verrate mal nicht, ob es eine besondere Geburtstagsüberraschung gibt.


@Chaotin: Ja - das war Absicht mit dem Titel ;) Und ich hab nicht mal gelogen!!! Wieso also veräppelt? :D Soso, Du plädierst also immer noch für eine Rehabilitation der Figur Jess? :) Ich seh mal, was ich machen kann, aber versprechen tu ich nix. :ohoh:


@SexyLexi:
Ja, stimmt, Tru hat sich ordentlich verändert. Und ihre Reaktion war wohl auch nur so, weil da ein gewisser Abstand war. ich denke, hätte Tessa sich ihr ein Jahr zuvor anvertraut, wäre das anders gewesen.
Danke für Deinen KOmmi!



@Chrissy1709
: Wie ich bei Zahlencödchen schon schrieb ... ob´s da eine Überraschung gibt, verrate ich noch nicht. Ihr seht´s aber im nächsten Kapitel! :)



@FunnyChrissy:
Jaja, ich gebs zu... ich hab ein bißchen mit der Rhetorik gespielt in meiner PN ;) Aber umso schneller seid ihr alle an de PC gerannt, das wars wert :lol:



ALL:
Sorry, dass meine Re-Kommis heute so kurz ausfallen, aber ich hab noch wahnsinnig viel zu tun heute, weil´s morgen bei uns auch eine Feier gibt :) - ausnahmsweise passt das Thema der Story sogar mal zur Jahreszeit, zumindest für mich :D - und deswegen nur schnell das neue Kapi!
 
Kapitel 56
Eine überraschende Begegnung





Der Winter hatte endgültig Einzug gehalten. Der November war mit wenig Schneefall, aber eisigen Herbststürmen vorbei gezogen.
Der Dezember jedoch hatte starke Schneefälle und eisige Temperaturen gebracht. Seither war die Stadt in ein weißes, bauschiges Kleid gehüllt.

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Weihnachten war vorbeigezogen, ein weißes Weihnachten – wie auch schon im Jahr zuvor.
Tessa spürte den Schnee unter ihren Schuhen knirschen. Inzwischen hatte sie sich wieder an das Geräusch gewöhnt, die unangenehmen Empfindungen, die sie damit in Verbindung gebracht hatte, zurück gedrängt.
So sehr sie sich auch vor dem Winter gefürchtet hatte – nun, da er gekommen war, genoss sie ihn.
Tessa sog die klare, kalte Luft tief ein. Es war der Neujahrstag, und auf den Straßen war es ungewöhnlich ruhig. Doch sie hatte es hinaus getrieben an die Luft.

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In den letzten Wochen war der Schnee ihr wie ein alter Vertrauter geworden. Jemand, der sie verstand. Auch wenn sie natürlich wusste, dass derartige Gedanken unsinnig waren – Schnee war nichts als gefrorene Wassertropfen, die sich zusammenbauschten und das Licht der Sonne reflektierten. Und doch war der Schnee ihr vertraut, er erinnerte sie an eine Zeit, an die sie inzwischen immer seltener mit Wehmut und Trauer zurückdachte und dafür immer öfter mit liebevoller Sehnsucht und dankbarer Zuneigung.
Tessa steckte die Hände in ihre Manteltaschen, um sie vor der stechenden Kälte zu schützen. Sie ließ die letzten Wochen vor ihrem inneren Auge Revue passieren.
Weihnachten war ereignislos vorüber gezogen. Sie hatte nur am Heiligen Abend einige Stunden mit ihren Eltern verbracht. Und selbst diese hätte sie sich fast sparen können, dachte Tessa bei sich. Es schien, als stände alles, was ihr in den letzten anderthalb Jahren widerfahren war, zwischen ihr und ihren Eltern. Sie war ein anderer Mensch und diese begriffen es nicht. Es fehlte jegliche Basis, um sich näher zu kommen.
Umso wärmere Gedanken hatte sie an ihren Geburtstag, den sie gemeinsam mit all ihren Freunden und Tru verbracht hatte.

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Natürlich hatte Tru ihre eine Torte gebacken und eine Menge brennender Kerzen darauf gesteckt. Als Tessa zum Pusten ansetzen wollte, hatte sie gerufen: „Denk dran, du musst dir etwas wünschen!“ Tessa hatte die Augen geschlossen und genau gewusst, was sie sich wünschte…

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Der Abend war entspannt und fröhlich verlaufen, mit viel Spaß, Musik und Tanz. Sogar Tru hatte ein flottes Tanzbein bewiesen, was Tessa ehrlich erstaunt hatte. So hatte sie ihre Ziehmutter bisher selten zu sehen bekommen.

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In Gedanken daran flog ein Grinsen über ihr Gesicht. Ihre Eltern waren an jenem Abend nicht zugegen gewesen – Tessa hatte ihnen gesagt, sie feiere mit ihren Freunden und darum hatten sie sich nur am Nachmittag kurz blicken lassen. Sie hatten seltsamerweise nur sehr wenig gefehlt…
Auch Joshua war natürlich da gewesen und hatte sie irgendwann im Laufe des Abends fest in seine Arme gezogen. Das war fast ihr schönstes Geschenk gewesen, war er die zwei Monate zuvor doch verständlicherweise recht sparsam mit jedweder Annäherung gewesen.

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Doch diese Umarmung war gewesen wie jene, die am Anfang noch normal zwischen ihnen gewesen waren – herzlich, innig… aber ohne Erwartung. Freundschaftlich.
Ohne wahre Freunde war ein Geburtstag eben nur ein Datum auf dem Kalender. Mit guten Freunden jedoch war er das, was er sein sollte – ein besonderer, glücklicher Tag, an dem man das Leben an sich feierte.
Tessa musste zugeben, dass zwar auch im vorigen Jahr einige Namen in ihrem Adressbuch gestanden hatten, aber sie kaum jemand an ihrem Geburtstag angerufen oder auch nur eine simple E-Mail geschrieben hatte. Sie konnte sich nur gut an das Gefühl der Einsamkeit in jenem Jahr erinnern und musste wieder feststellen, wie sehr zum Guten sich ihr Leben doch gewendet hatte.

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Wie anders war es doch in diesem Jahr gewesen. Sie hatte Feli irgendwann im Laufe des Abends erzählt, wie ihr Geburtstag im Vorjahr gewesen war. Diese hatte sie traurig angesehen und dann wieder gelächelt. „Das wird jetzt nie wieder so sein“, hatte sie dann gesagt und Tessa gedrückt. „Jetzt hast du ja uns alle. Und weißt du, gerade an solchen Tagen erkennt man oft, wer die wahren Freunde sind und wem man wirklich wichtig ist.“
Tessa musste ihr zustimmen. Sie hatte in diesem Jahr wahrlich gelernt, wer ihre wahren Freunde waren und wer nicht. Und dieser Tag schien dies noch einmal besonders deutlich widerzuspiegeln. Eben auch weil er in seinem so wundervollen Kontrast zum Vorjahr stand.
Nach diesem ernsten Gespräch war die Stimmung sofort wieder lockerer geworden und die Mädchen hatten ausgelassen gelacht und getanzt.

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Als Tru sich dann nach einigen Stunden verabschiedete, da sie müde war, hatte sie Tessa in eine warme Umarmung gezogen.
„Ach, mein Mädchen – ich bin so froh, dass ich hier sein konnte an diesem besonderen Tag!“

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Tessa lächelte erneut. Ja, sie war glücklich. Sie hatte Menschen um sich, die sie liebten, zu ihr hielten und sie nicht im Stich ließen. Wer konnte das schon so ohne weiteres von sich behaupten?
Völlig in Gedanken versunken wechselte sie die Straßenseite.

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Sie dachte weiter nach. Über das, was dieses Jahr ihr bringen mochte. Bald war sie schon seit einem Jahr an der Uni. Allein das schien ihr unvorstellbar. Noch drei weitere Jahre und sie würde ihr Diplom in den Händen halten, sofern denn alles gut und glatt liefe.
Was sie danach machten wollte, wusste sie noch nicht. Sie wusste nur mit immer größer werdender Sicherheit, dass sie nicht wieder zurück in ihre alte Redaktion gehen würde.
Sie wollte etwas anderes tun, etwas nützlicheres…
Tessa war so in ihre Grübeleien vertieft, dass sie kaum merkte, wie jemand ihr auf dem schmalen Gehweg entgegenkam und sie fast streifte.

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„Tessa? Tessa, bist du das?“ riss eine Stimme, die ihr seltsam vertraut, im ersten Moment dennoch fremd erschien, aus ihren Gedanken.
Tessa drehte sich zu der Person, die eben an ihr vorbeigegangen und nun kurz hinter ihr zum Stehen gekommen war, um und musterte sie einen Moment verwirrt.
Dann überzog verblüffte Überraschung ihr Gesicht, als sie ihr Gegenüber endlich wieder erkannte.

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„Du?“ rief sie verblüfft aus. „Mein Gott… ich… ich hätte dich kaum mehr erkannt!“
Die junge Frau ihr gegenüber lächelte milde und erwiderte: „Ich weiß – ist ja auch viel Zeit vergangen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben.“
Tessa stand wie vom Donner gerührt und suchte nach Worten. Sie konnte nicht fassen, dass sie ihr wahrhaftig gegenüber stand.
Die beiden Frauen musterten sich eine Weile schweigend und blieben unbeweglich voreinander stehen. Um sie herum nichts als das knisternde Geräusch der zum Himmel sinkenden Schneeflocken und die feierliche Stille des Neujahrstages.

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Fortsetzung folgt.
 
Erste^^
Was gibt es viel zu sagen... ich schreibe schon alleine deswegen kaum Kommentare, weil es bei den Stories, wo sich ein Kommi lohnt, kaum etwas zu sagen gibt außer: wundervoll. Und das ist deine Story wirklich. Du schreibst fantastisch, die Bilder sind gelungen, die Charaktere sympathisch, jeder mit seiner eigenen Geschichte...
Ich genieße es jedes Mal wieder, ein weiteres Kapitel zu lesen, also beeil dich mit dem nächsten, ja?

lg, Cenwen
 
Oh,
wer das wohl ist also sie ist eine Frau,
vielleicht die eine.
Wie heißt sie noch mal die Drogenfreundin von Jess.
Sonst würde mir jetzt keine andere Einfallen.
Ich dachte erst Jess wäre die Person
aber der hat ja nicht schwarze Haare
und dann habe ich weiter gelesen
und dann stand da ja:die junge Frau.

Naja,
dann werde ich wohl bis zum nächsten Kapitel warten müssen.

lg
sasispatz
 
Ich hab den Namen auch vergessen, aber ich glaube auch, dass es Jess' Freundin ist. Jasmin oder so? Irgendwas mit J auf jeden Fall. Hach, wir sollten uns alle schämen. :D
Weißt du was? Ich finde immer deine Beschreibungen der Jahreszeit und des Wetters ganz toll. Ich glaube, ich würde von dir auch eine FS lesen, die sich nur um Schnee, Wind und Hitze dreht. :lol: Die Bilder von Tessas Spaziergang sind auch sehr, sehr schön geworden.
Ich bin gespannt, ob wir mit unserer Vermutung recht haben. Wenn ja, dann hat Janet sich aber sehr verändert. Vielleicht weiß sie, wo Jess ist? *hoff* Ich lasse nicht locker. *gg*

Ach, ich hab letztes Mal übrigens total vergessen, dir zum 2. Platz zu gratulieren, ich Trulla. Das hole ich also hiermit nach: herzlichen Glückwunsch, du hast es verdient. Ich hab auch für diese FS gestimmt. :)
 
@Cenwen: Oh vielen Dank für diesen lieben Kommi. Ein "wunderbar" Kommi ist doch auch wunderbar :) Vielen Dank!


@sasipatz:
Ja, es ist eine junge Frau. Ob es Jasmin - so heißt die alte Freundin von Jess - ist, werdet ihr heute erfahren.
Danke für Deinen Kommi.


@Zahlencödchen:
Ich hoffe, Dein Wochenende war schön :) Und die alte Freundin von Jess heißt Jasmin, aber ob sie´s ist???


@Chaotin:
Danke noch für Deine Gratulation :) Ja, Jasmin ist richtig, Du hast schon recht gehabt :) Ob sie´s ist... einfach weiterlesen.
Hihi, ich glaube, eine FS nur um Wind und Schnee usw. wäre eher dei Wettervorhersage (wobei wäre ja mal ne Idee, hihi), aber trotzdem danke. Ich mag das Wetter aber auch, egal welches, jedes hat so tolle und blöde Seiten, die ich gerne bewusst erlebe und vermutlich schreib ich deswegen so gern drüber :)
Und wenigstens war ich jetzt mit den FS so schnell, dass ich noch im Winter übern Winter schreib :D
Danke für Deinen Kommi!
 
Kapitel 57
Clean




Die beiden Frauen standen einige Sekunden schweigend und bewegungslos voreinander, dann löste sich ihre überraschte Anspannung in einem leichten Lachen und sie umarmten sich herzlich, fast wie alte Freundinnen.

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„Meine Güte, Jasmin“, stieß Tessa dann hervor und musterte ihr Gegenüber erstaunt. „Ich hätte dich wirklich kaum wieder erkannt. Du siehst völlig verändert aus… viel besser als vor einem Jahr.“
Jasmin lächelte. „Ja, es ist auch viel passiert in diesem Jahr, weißt Du. Aber auch du hast dich sehr verändert, Tessa. Ich hätte dich ebenfalls kaum erkannt.“

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„Was ist in diesem Jahr geschehen?“
Die beiden schauten sich einen Moment verblüfft an und mussten dann ob der Tatsache, dass aus ihren beiden Mündern dieselbe Frage zeitgleich gedrungen war, laut auflachen.
„Sag du zuerst“, kicherte Tessa dann und sah Jasmin fragend an. Sie versuchte, ihr wild klopfendes Herz zu beruhigen. Dass Jasmin ausgerechnet jetzt auftauchte – und so verändert… der einzige Mensch, den sowohl sie als auch Jess gekannt hatte…
Die Fragen in ihrem Kopf ließen sich kaum nach hinten drängen… wusste sie etwas über Jess? Konnte sie ihr vielleicht sogar sagen, wo er sich aufhielt?
Doch Tessa drängte das Bedürfnis, Jasmin sofort mit ihren Fragen zu bestürmen, zurück und hörte ihr so aufmerksam wie möglich zu, als sie zu erzählen begann.

„Ich habe Ende Februar eine Erziehungskur angefangen“, begann Jasmin und sah Tessa offen an. „Es war hart, aber ich hab diesmal durchgehalten.“
„Das find ich wunderbar“, erwiderte Tessa aus vollem Herzen, auch wenn irgendein stachliges, kleines Ungeheuer in ihr schrie: „Warum du und nicht Jess?“
Schnell schleuderte sie diese ungebührlichen Gedanken ab und wandte sich wieder Jasmin zu.
„Wie ist es dazu gekommen?“

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„Irgendwann im Februar kam plötzlich ein Sozialarbeiter auf mich zu, ein Streetworker“, erklärte Jasmin ruhig. „Er war ganz nett und verständnisvoll und hat eine Weile bei uns in der Gruppe verbracht. Irgendwann hat er mich zur Seite genommen und mir gestanden, dass er mich gesucht habe… weil meine Mutter diese wohltätige Firma, für welche die Streetworker arbeiten, kontaktiert hat.“
Tessa sah Jasmin erstaunt an. Sie konnte sich noch gut an deren Geschichte erinnern, von der schwachen Mutter, die gegen ihren neuen und offenbar alkoholsüchtigen Freund nicht ankommen konnte, so dass Jasmin das Weite gesucht hatte.
Jasmin beobachtete ihren Gesichtsausdruck und nickte. „Ja, ich war ähnlich erstaunt, hat es meine Mutter doch so lange offenbar nicht wirklich gekümmert, was aus mir geworden ist. Aber sie hat sich geändert, Tessa. Ihren alkoholsüchtigen Freund endlich in die Wüste geschickt, ihr Leben in die Hand genommen und nun wieder eine Arbeit gefunden und eine hübsche neue Wohnung. Ihr tat es so leid, dass sie mich damals im Stich gelassen hat. Sie sagte, sie habe immer an mich gedacht und einige Male auf eigene Faust versucht, mich zu finden. Aber ihr war ja klar, dass ich nicht zurück komme, so lange er noch da ist… und offenbar stand auch sie in unter seinem Scheffel und musste Angst haben… aber irgendwann war der Mut wohl groß genug, und sie hat ihn angezeigt, nachdem er sie einmal geschlagen hatte…“
Tessa schluckte. Immer wieder schockierte sie es zu hören, wie furchtbar der Alltag mancher Menschen war. Ihr eigenes Leben erschien ihr in diesem Moment einmal mehr wie das Leben im Schlaraffenland.

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„Naja – jedenfalls hat meine Mutter mich dann also mithilfe der Streetworker-Gemeinschaft gesucht. Und einer von ihnen hat mich gefunden und ein Treffen mit ihr organisiert. Sie hat sich so verändert, Tessa… und mir all ihre Hilfe angeboten. Ich glaube, das hat mir letztlich die Kraft gegeben, noch einen Entzug zu versuchen. Ich bin in eine Klinik gegangen und habe dort ein Vierteljahr verbracht. Danach bin ich wieder zu meiner Mutter in ihre neue Wohnung gezogen und seither besuche ich weiterhin einmal wöchentlich eine Therapeutin. Manchmal kommt Mama mit, denn auch sie hat eingesehen, viele Fehler gemacht zu haben. Ich bin jetzt also seit fast einem Jahr clean.“
Tessa lächelte sie herzlich an. „Mein Gott, Jasmin, das freut mich so für dich, dass sich alles so zum Guten entwickelt hat… wirklich. Wie geht es jetzt weiter?“
Jasmin zuckte mit den Achseln, lächelte aber. „Weißt du, im Moment genieße ich einfach nur mein neues Leben. Endlich wieder ein warmes, weiches Bett zum Schlafen, schöne Kleider und eine ordentliche Frisur“, sie wies auf ihre kurzgeschnitten, mit einem Haarband zurückgehaltene Haare. „Gerade anfangs erschien mir all das einfach nur paradiesisch.“

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„Wir sind auf einem guten Weg, Mama und ich“, fuhr sie dann fort. „Ich werde im Sommer wohl anfangen, meinen Realschulabschluss nachzuholen und versuche danach, irgendwo eine Lehre zu machen, ich hoffe, ich werde noch genommen, aber ich bin ja noch nicht so alt… nur meine Vergangenheit könnte halt ein Problem werden.“
Tessa ergriff spontan Jasmins kalte Hände und drückte sie. „Das wird schon, Jasmin. Ich bin da guter Dinge. Es wird Menschen geben, die sehen, was du durch den Entzug und die Rückkehr ins Leben geschafft hast, und nicht, was du nicht geschafft hast. Bestimmt…!“
Jasmin lächelte. „Du bist so lieb, Tessa. Das warst du schon immer. Und ich hoffe, du hast recht, bin aber selbst ganz optimistisch. Mama verdient inzwischen ganz gut, und ich denke, ich kann zur Not auch noch ein paar Jahre bei ihr wohnen, wenn alles so läuft. Irgendwann finde ich schon eine Lehrstelle. Aber nun mal genug von mir. Was ist mir dir geschehen? Wie geht es Jess?“
Tessa schluckte und sah Jasmin betroffen an. „Ich… ich hab gehofft, dass du mir das sagen könntest…“, stammelte sie hilflos.

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Jasmin sah sie verwirrt an. „Oh… ich? Nein, Tessa, ich war doch schon seit fast einem ganzen Jahr nicht mehr in der Szene… ich habe Jess schon so lange nicht mehr gesehen… aber ich dachte, er wäre bei dir, habe es auch geschafft…“
Tessa schüttelte traurig den Kopf. „Nein… nein… hat er nicht. Er hat es versucht…“
Jasmin sah sie mitfühlend an. „Ich weiß nur noch, dass ich dich damals im Bahnhof gefunden hab und du nach ihm gesucht hast. Nachdem du weggelaufen bist, hab mich mir große Vorwürfe gemacht. Aber die beiden Jungs, mit denen Jess bei den Hellows untergetaucht ist, sind einen Tag später zurück gekommen und haben erzählt, dass ein fremdes Mädchen, das ganz sicher nicht der Szene angehört, in den Unterschlupf der Hellows eingedrungen ist und es dort Ärger gab und dass Jess etwas davon gesagt habe, sie sei seine Freundin und mit ihr abgehauen wäre… die Jungs konnten sich irgendwie aus der Sache heraus schlängeln, sind danach aber dann doch lieber untergetaucht… mit den Hellows war nie zu spaßen. Jedenfalls hab ich eins und eins zusammengezählt und wusste natürlich, dass du das warst, da bei den Hellows.“ Sie sah Tessa angsterfüllt an. „Mensch, Tessa, wenn ich geahnt hätte, dass du dahin gehst, hätte ich dir nie was gesagt. Das war verrückt!“
Tessa nickte. „Ich weiß“, seufzte sie und dachte mit Schaudern an jene Nacht zurück, die, wie sie heute wusste, eigentlich nur der Anfang vom Ende gewesen war. „Es war eine Kurzschlussreaktion…“

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Jasmin nickte und sah sie fragend an. „Da Jess nicht zurück kam, bin ich also davon ausgegangen, dass er bei dir untergetaucht ist… vermutlich sogar entzogen hat, denn um an Drogen zu kommen, hätte er ja irgendwann doch wieder in die Szene zurückkommen müssen… vermutlich zumindest.“
Tessa schüttelte erneut traurig den Kopf. „Nein, Jasmin. Du hast insofern recht, dass dieses Ereignis ihn für eine Weile wachgerüttelt hatte und er beschlossen hat zu entziehen… allerdings nicht in einer Klinik, sondern bei mir zu Haus.“
Jasmins Augen weiteten sich und sie sah Tessa beklommen an.
„Du hast ihn doch hoffentlich von diesem Wahnsinn abgebracht?“

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Tessa seufzte. „Ich dachte, wenn ich ihn dazu zwinge, in eine Klinik zu gehen, überlegt er es sich womöglich doch noch anders. Naja – lange Rede, kurzer Sinn… es hat nicht funktioniert und eines Morgens war er fort…“ Sie sah Jasmin traurig an. „Ich hab ihn seitdem nicht mehr gesehen.“
Die beiden schwiegen einen Moment betroffen. Dann hob Jasmin wieder die Stimme.
„Und wann war das?“
„Jess ist am dreizehnten Februar abgehauen“, erwiderte Tessa mit fester Stimme.

Jasmin seufzte. „Ich habe am fünfundzwanzigsten Februar mit der Entziehungskur begonnen“, sagte sie. „Solange habe ich mich noch in der Szene aufgehalten, aber ich hab Jess nie mehr gesehen…“
Tessa schluckte beklommen. „Was denkst du, was das heißt?“

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Jasmin seufzte. „Ich weiß es nicht. Im Bestfall war er schlau genug, sich nur den ersten, nötigen Vorrat an Drogen in dieser Stadt zu besorgen und dann irgendwo unterzuschlüpfen, am besten in einer anderen Stadt, am besten so weit weg wie möglich. Denn auch in den Nachbarstädten haben die Hellows oft Spitzel.“
Tessa nickte. „Das hab ich mir auch gedacht…“
Jasmin sah sie aufrichtig an. „Aber vielleicht ist er auch zurück gegangen und sie haben ihn gefunden, Tessa…“
„Denkst du denn, sie haben ihn umgebracht?“ erwiderte Tessa mit zittriger Stimme.
Jasmin zuckte die Schultern. „Denen ist alles zuzutrauen. Sie sind brutal. Aber umbringen tun sie nur in den seltensten Fällen… trotzdem… ich meine, es war Winter, Jess war nicht gerade in der besten Verfassung… es würde schon reichen, wenn sie ihn nur zusammengeschlagen und irgendwo liegen lassen haben. Er wäre nicht der erste, der erfroren ist.“
Sie sah Tessa mitfühlend an. Diese schüttelte jedoch den Kopf und berichtete von ihren Nachforschungen in der Drogenbehörde.
Jasmin seufzte. „Das ist ein Hoffnungsschimmer, Tessa, aber die wissen auch nicht über jedes Opfer Bescheid… manchmal verschwinden Menschen sozusagen einfach“ Sie schwiegen wieder einen Moment, dann fiel Tessa etwas ein.
„Jasmin – du sagtest, deine Mutter habe dich durch einen Streetworker gefunden. Wäre das nicht auch eine Idee, um Jess zu finden?“

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Jasmin schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, Tessa… ich denke nicht, dass die was rausfinden würden. Weißt du… meine Mutter wusste sehr viel über mich… sie hatte Fotos und all sowas. Aber was wüsstest du schon über Jess, außer dass er Heroin nimmt, wie er heißt und dass er gut malen kann… ich habe mich mit den Streetworkern unterhalten und sie sagen, dass sie nur eine Chance haben, die Leute zu finden, wenn sie sehr, sehr viel über sie wissen und sie sich dazu noch in derselben Stadt und in der öffentlichen Szene aufhalten. Aber wenn Jess irgendwo untergetaucht ist, wird ihn kein Streetworker finden können. Schon gar nicht mit den wenigen Informationen, die du über ihn hast. Und ich kann dir auch nicht helfen, denn ich weiß auch nicht viel mehr von Jess.“
Tessas Herz sank, dann fiel ihr noch etwas ein. „Aber er hat doch eine Großmutter, oder? Im Altersheim…“
Jasmin schüttelte den Kopf. „Sie ist vergangenes Jahr gestorben, kurz vor Weihnachten. Hat er das nicht erzählt?“

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„Was? Nein… nein, das hat er nicht…“, stammelte Tessa schockiert. „Aber wieso nur nicht?“
Jasmin sah sie ratlos an. „Vielleicht wollte er dich nicht damit belasten. Sie hat ihm nichts hinterlassen… ich glaube, er hat eine Weile darauf gehofft, dass sie ihm irgendetwas vererbt oder so… vielleicht hätte er dann eine Hoffnung auf ein neues Leben gehabt. Aber sie war wohl am Ende selbst schon ein Sozialfall. Und Jess hat nur von ihrem Tod erfahren, weil er sie vor Weihnachten immer besucht hat… einmal im Jahr. Obwohl sie ihn natürlich gar nicht mehr wirklich erkannt hat…“
Tessa fühlte einen scharfen Stich in ihrer Brust. Wieso hatte Jess ihr das nicht erzählt? Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie wenig sie wirklich von ihm gewusst zu haben schien. Alles an ihrer Beziehung war seltsam gewesen, fast verquer.
„Wenn wir noch mal von vorne anfangen könnten, würde ich alles anders machen“, seufzte sie leise.

„Was sagst du?“
Tessa sah Jasmin traurig an. „Ach nichts … ich glaube nur, ich hab nicht genug über Jess gewusst.“

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Jasmin sah Tessa offen an. „Tessa – ich hoffe, du weißt trotzdem, was du Jess bedeutet hast. Er hat dich wirklich über alles geliebt, Tessa. Das hat er mir so oft gesagt, und das hat man auch gespürt. Ich habe wirklich für ihn gehofft, dass er in dir die Perspektive findet, die ihn aus allem herausbringt. Aber der Kampf gegen die Drogen ist hart…“, sie seufzte. „Und er hört niemals auf.“
Tessa nickte abwesend. „Und offen gestanden, Tessa… ich weiß, dass dir das weh tun wird, aber ich muss es sagen. Jess war schon eine Weile bevor ihr euch getroffen habt, heroinsüchtig… es ist nun ein weiteres Jahr vergangen und… ich will damit nur sagen, dass…“, ihr fiel es schwer, die Wahrheit auszusprechen. „Tessa… die wenigstens überleben das so lange.“ Es herrschte eine Weile Schweigen zwischen beiden, Tessa starrte auf den Boden und sah wie versteinert aus. Sie wusste, dass Jasmin recht hatte. Darüber nachgedacht hatte sie selbst schon so oft. Langsam nickte sie und flüsterte leise. „Ich weiß… ich käme wohl ohnehin zu spät.“
„Hör zu, Tessa“, fuhr Jasmin fort und sah sie fest an. „Mach dir bitte keine Vorwürfe, dass Jess abgehauen ist. Und stell nicht seine Liebe in Frage deshalb. Es hat nichts miteinander zu tun, wirklich nicht. Ich spreche da aus Erfahrung…“
Sie lächelte Tessa mitfühlend an. „Was hast du gemacht, nachdem er fort war? Geht es dir inzwischen besser? Du siehst eigentlich sehr gut aus… ganz anders als im Vorjahr.“

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„Nun, nach einer Weile hab ich wohl eingesehen, dass ich irgendwie weiterleben muss“, seufzte Tessa und sammelte sich wieder, ehe sie mit fester Stimme weiter sprach: „Ich vermisse ihn immer noch und wünschte so sehr, er käme zurück oder ich wüsste wenigstens, was mit ihm geschehen ist, damit ich es abschließen kann. Aber noch geht das nicht. Trotzdem lebe ich mein Leben und bin eigentlich recht glücklich. Ich hab viele neue Freunde gefunden und studiere jetzt schon fast seit einem Jahr, auch das macht mir viel Freude.“
Jasmin lächelte. „Du bist ein wirklich starker Mensch, Tessa.“
Tessa seufzte. „Das sagen mir so viele, aber ich fühl mich meist nicht so.“
Sie lächelten sich an und schwiegen eine Weile.
Es schien, als sei nun alles gesagt worden, jetzt, da beide ihre Gefühle so nach außen gekehrt hatten. Nach einer Weile fröstelte es Tessa, was Jasmin bemerkte. Sie lächelte und sagte: „Mir wird auch kalt. Es ist nicht unbedingt das geeignete Wetter, um lange draußen zu stehen und zu quatschen, fürchte ich.“ Sie lachte und Tessa stimmte ein.
„Da hast du wohl recht…“
„Also, Tessa … wollen wir in Kontakt bleiben?“
„Aber sicher“, antwortete diese schnell. „Ich mag dich nicht noch mal aus den Augen verlieren.“

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Sie zog ein Stück Papier aus ihrer Jackentasche und wie sich herausstellte, fand sich in Jasmins Mantel auch ein Stift, so dass beide ihre Telefonnummern austauschten.
Danach sahen sie sich lächelnd an und umarmten sich nocheinmal.
„Mach´s gut, Tessa. Wir telefonieren. Und mach dir nicht so viele Gedanken wegen Jess. Du hast alles für ihn getan, was du tun konntest.“

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Tessa nickte. „Ich weiß….“
Lächelnd lösten sie sich voneinander und winkten sich noch einmal kurz zu, dann setzten sie ihren Weg fort. Tessa drehte sich an der Straßenecke noch einmal herum und sah Jasmin als kleinen, schwarzen Punkt im stärker werdenden Schneefall um eine Ecke biegen und verschwinden.
Tessa rieb sich die eiskalten Hände und starrte in den Himmel. In ihr schmerzte es, als habe sie ihre Seele über ein Stück Sandpapier gezogen. Obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte, hatte die Begegnung mit Jasmin sie innerlich sehr aufgewühlt. Es war, als sei ihr ein Stück Vergangenheit über den Weg gelaufen.

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Tessa seufzte und starrte auf ihre vom Schnee weiß gepuderten Fußspitzen. Die Kälte drang inzwischen schneidend durch ihre Kleider. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und als habe diese Berührung etwas in ausgelöst, befreite sich plötzlich ein leiser Schluchzer aus ihrem Mund. Sie stand da, hielt sich selbst umschlungen und weinte. Sie weinte, weinte um den letzten Funken Hoffnung, den sie durch Jasmins Schilderungen verloren hatte.
Denn sie wusste, dass diese recht hatte. Jess war nicht mehr hier, und egal, wo er hingegangen war und egal, ob er in jenem Februar der Vergeltung der Hellows entkommen war… vermutlich war er längst schon nicht mehr Bestandteil dieser Welt… und wenn doch, dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich diese Tatsache ändern würde. Eine Zeit, in der sie ihn nicht erreichen konnte, ihm nicht helfen… ihn nicht bei sich spüren.
Er war für sie verloren. Endgültig und für immer.

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Sie richtete ihr tränennasses Gesicht gen Himmel. Sanfte Schneeflocken fielen um sie herum zu Boden. Es war vorbei, das wusste sie nun mit schmerzlicher Endgültigkeit.




Fortsetzung folgt.....
 
Und schon wieder Erste, ich glaube bei dieser FS wird das eine Gewohnheit von mir...
*verstohlen eine kleine Träne wegwisch* ich gestehe, ich habe gehofft dass sie etwas über Jess weiß...
Aber bevor ich hier vollends in Tränen ausbreche, du hast wunderschöne Bilder gemacht, dein Schreibstil saugt einen quasi wieder in Tessa hinein, so dass man jedes kleine bisschen Trauer mitfühlen kann...
*verzweifelt nach Taschentüchern auf dem Tisch such*
Bis zum nächsten Kommi dann :ciao:

lg, Cenwen
 
Oh,
dann wird sie also doch nicht Jess wieder finden.
"HEUL"
Aber es geht weiter.
Deine Bilder waren wieder klasse und ich hatte recht es war Jasmin.
lg sasispatz
 
Oh wie traurig... Ich hatte so gehofft, dass Jasmin etwas über den Verbleib von Jess weiß. Es ist zwar schön, dass sie den Absprung von den Drogen geschafft hat, aber warum sie und nicht Jess?
Langsam stirbt auch meine Hoffnung, dass Jess jemals wieder zurück kommen wird. Du hast das so traurig beschrieben, wie Tessa diese Endgültigkeit wahrnimmt, ich bin selbst richtig traurig geworden dabei.
Aber eigentlich möchte ich gar nicht immer nur schreiben, dass Jess zurück kommen soll. Ich finde, deine Story hat sich sehr verändert, was vermutlich gewollt ist, da Tessas Leben ohne Jess viel stärker in den Mittelpunkt gerückt ist. Die Zeit mit Jess scheint schon so weit weg zu sein, auch wenn sie in bestimmten Momenten immer wieder durchkommt. Was ich damit sagen will: Ich finde es toll, wie du Tessas Leben beschreibst. Das es weiter geht und irgendwie auch nicht weiter geht, jedenfalls nicht in ihrem Herzen. Anfangs dachte ich, deine FS wird gut enden, Jess macht einen Entzug und alle sind glücklich. Aber so, wie sie jetzt weiter läuft, finde ich sie viel besser. Weil sie so realistisch ist und weil sie von einer ganz tiefen Liebe erzählt, die doch keine Chance hat.
 
Ich kann Sexy_Lexis Kommentar eigentlich nichts hinzufügen, sie hat genau das geschrieben, was ich auch dachte. Irgendwie dachte ich sogar beim Lesen des Kapitels (besonders beim letzten Absatz), dass dies jetzt der Schluss sei. Keine Ahnung, warum. Darum frage ich mich jetzt, was noch kommt? Entweder erhält Tessa die endgültige Gewissheit schwarz auf weiß oder aber Jess kehrt doch noch mal zurück? Ach, ich weiß es nicht, ich lasse mich einfach mal überraschen. Du machst es aber auch spannend... %)
 
Als allererstes einmal....

HERZLICHEN
GLÜCKWUNSCH

nachträglich zu deinem Geburtstag. Ich weiss, ich bin spät dran. :-( Das tut mir auch wirklich sehr leid. Ich bin seid Ende letzter Woche krank und habe einen ganz bösen Reizhusten erwischt, der mich echt alle Nerven und Kraft kostet. Arbeit geht grad so, man boxt sich halt mit Medikamenten und Tee durch. Abends nur noch totmüde ins Bett und schlafen. So langsam gehts mir besser. Aber das sind ganz kleine Schritte. Vergessen habe ich dich auf gar keinen Fall. Ich weiss, ich hätte eine SMS schreiben können...irgendwie hab ich das verschwitzt. Tut mir echt leid. Ich hoffe, du freust dich trotzdem über die Grüsse. Bleib gesund und so wie du bist!

Zu den letzten zwei Kapitel diesmal nur ein kurzes Statemant. Hoffe, du nimmst mir auch das nicht übel. Ich muss leider gleich wieder los. Wie stets hast du klasse geschrieben. Die Fotos sind natürlich und passend.
Ich fand es toll, dass du jetzt Jasmin wieder mit einbaust und dann auf solch positive Art und Weise. Das hat mich beeindruckt und ich fand es stark, wie du das ausgesdrückt und mit einfliessen hast lassen. Mach so weiter, ganz klasse. Ehrlich.

Deine Chrissy
 
@Cenwen: Oh danke, für diesen wirklich rührenden Kommi, ich wurde selbst ganz traurig... ich hoffe, Du hast ein paar Taschentücher übrig ...


@sasispatz:
Jaa, Du hattest recht, es war Jasmin. Gut erraten! Und heute geht es auch wieder weiter, vielen Dank für Deinen kommi!


@Sexy_Lexi
: Ich find es nicht schlimm, dass Du Dir eine Rückkehr von Jess wünschst. ich meine, irgendwie war das ja auch ein ganz großer Punkt in der Storyline. Aber ich freu mich auch so sehr, dass Du die Story auch ohne ihn gut findest und dabei nochmal deutlich wird, dass es viel auch um Tessa geht und dass es auch so dargestellt sein soll, dass diese Liebe sehr schwierig war und ist und wenig Chancen hatte und hat...


@Chaotin: Ja, ich hatte auch beim Schreiben gedacht, ich könnte jetzt ebenso gut "The End" drunter schreiben. Aaaaber so weit sind wir noch lange nicht, ein paar Kapitelchen hab ich schon noch... wie viele genau verrate ich noch nicht... auch wenn der Großteil der Story natürlich schon "geschafft" ist, bei so vielen Kapiteln.
Danke für Deinen Kommi und lass Dich überraschen, wie es weitergeht... ich denke heute wird sich das ein wenig mehr klären...


@FunnyChrissy:
Danke für Deinen Kommi. Freut mich, dass Jasmins Rückkehr Dir so gut gefallen hat, auch wenn man erstmal nicht mehr so viel von ihr hören wird. Gute Besserung noch weiterhin.




@ALL:
Viel Spaß´bei dem Kapitel....... ich schreib dazu jetzt gar nix mehr. Lest einfach selbst... *selbstganzaufgewühltbin*
 
Kapitel 58
Winternacht




Die stillen Wintertage vergingen, der Februar kam und damit die Semesterferien. Diesmal war es völlig anders als im Sommer – die meiste Zeit verbrachte Tessa entweder in der Bibliothek, um sich den zwei oder drei Hausarbeiten zu widmen, die sie bis zum nächsten Semesterbeginn fertig stellen musste, zum anderen in ihrer gemütlichen Wohnung, eingemummelt in eine Decke und mit einem guten Buch und einer heißen Tasse Tee oder Kaffee. Manchmal gesellte sich Feli zu ihr und sie schauten sich eine DVD an oder machten es sich einfach beim Quatschen gemütlich.
Hin und wieder traf sie sich gemeinsam mit Susanne, Feli und oft auch Joshua in der Eishalle zum Schlittschuhlaufen oder in einem der vielen In-Bistros in der Stadt.
Die meiste Zeit verbrachte sie jedoch mit Monika. Sie hatte ihr von der Begegnung mit Jasmin erzählt und auch von der bitteren Erkenntnis, die jene ihr gebracht hatte. Monika konnte sie von all ihren Freunden immer noch am besten verstehen.
Auch an diesem kalten Winterabend im späten Februar hatten beide sich getroffen und waren gemeinsam zu ihrem Lieblingsitaliener gegangen, um sich dort mit Pizza und Pasta und einem Glas guten Rotweins auf den Beginn des Wochenendes einzustimmen, denn heute war wieder Freitag.
An einer Straßenkreuzung verabschiedeten sie sich voneinander und gingen dann zu Fuß jeweils in verschiedene Richtungen.
Tessa war recht froh, nicht mit dem Auto gefahren zu sein. Erstens war die Straße immer noch dick mit Schnee bedeckt und zum anderen war ihr der Chianti wohl doch etwas zu Kopf gestiegen.

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Da gab es nichts besseres, als in der frischen, kalten Luft zu sein und sich die Beine zu vertreten. Auch wenn ihr immer noch oft mulmig war, wenn sie nachts allein durch die Straßen ging. Zwar wohnte sie durchaus in einem besseren Viertel der Stadt, aber trotzdem schielte sie immer wieder beklommen in die ein oder andere Einfahrt oder dunkle Nische und beschleunigte ihren Schritt, wann immer ihr etwas seltsam vorkam.

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Tessa war froh, als sie um die Ecke ihrer Straße bog und das Mehrfamilienhaus, in dem sie nun schon seit mehr als anderthalb Jahren zu Hause war, in der Ferne auftauchen sah.
Sie schauderte etwas zusammen, die Nacht war wirklich eisig kalt. Vor etwa zwei Wochen war ein Hoch über das Land gezogen und hatte milde, fast schon frühlingshafte Temperaturen gebracht. Man hatte an manchen Tagen, wenn die inzwischen doch wieder recht kräftige Sonne spendabel ihre Energie auf die Erde gerichtet hatte, sogar ohne dicke Jacken draußen sein können.
Die Krokusse und Narzissen hatten sich bereits vorsichtig aus der Erde gewagt und ihre noch geschlossenen Köpfe gen Sonne gewandt.
Doch dann war das Wetter plötzlich wieder umgeschwungen und hatte erneute, eisigkalte Temperaturen und Schnee gebracht. Der Frühling schien mit einemmal wieder furchtbar weit entfernt zu sein.
Tessa rieb sich die Hände und schaute sich nervös um, als habe sie den Eindruck, jemand sei ihr gefolgt. Doch die Straße war menschenleer. Sie seufzte. Irgendwie fühlte sie sich heute Nacht besonders nervös und beklommen.

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Sie beschleunigte ihren Gang noch etwas mehr, was mit den hohen Absätzen, die sie heute trug, gar nicht so einfach war. Aber sie war es gewohnt, mit solchen Schuhen weite Strecken zu gehen. Das war wohl eine Marotte, die sie von ihrer Mutter übernommen hatte … so ungern sie sich das auch eingestehen wollte. Die Liebe zu schönen Kleidern und trendigen Schuhen musste tatsächlich in irgendeiner Form genetisch bedingt sein, denn sie konnte sich dieser genauso wenig entziehen wie ihre Mutter… und das, obwohl sie doch eigentlich bei weitem nicht so oberflächlich war. Ein Lächeln huschte Tessa über das Gesicht. Neulich hatte sie das einmal Feli erzählt und diese hatte laut und schallend gelacht und zwinkernd erwidert: „So lange es nicht schlimmeres ist, Tessa, würde ich sagen, dass sowohl du als auch der Rest der Welt das ganz gut verkraften werden.“
Tessa war inzwischen fast zu Hause angekommen und stellte halb seufzend fest, dass es just in diesem Moment schon wieder zu schneien begann.
„Es würde mal reichen für diesen Winter“, seufzte sie in die Stille der Nacht hinein.

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Dann wandte sie ihren Blick von den sanft zur Erde schwebenden Flocken ab und sah wieder nach vorne, wo sich das Mehrfamilienhaus, in dem sie wohnte, vor ihr erhob. Sie stockte. Ihre Füße blieben derartig abrupt stehen, dass sie fast aus dem Gleichgewicht geriet.
Vor dem Eingang zum Haus, nur ein kleines Stück neben der vorm Haus stehenden Mülltonne, lag etwas…
Tessa spürte, wie ihr Atem schneller ging und sie ängstlich ein Stück zurück wich. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, um in der Dunkelheit und durch die vom Himmel tanzenden Flocken hindurch besser sehen zu können.
Da lag nicht etwas… da lag JEMAND!
Tessa blieb einen Augenblick unschlüssig und ängstlich stehen. Offensichtlich war dort vor der Haustür jemand zusammengebrochen… bei dieser Kälte konnte sie ihn nicht dort liegen lassen, man konnte binnen kürzester Zeit erfrieren. Dennoch wagte sie es nicht, sich zu bewegen. Was, wenn es ein betrunkener Penner war, der sich nicht unter Kontrolle hatte? Die Erinnerungen an jene Nacht im „5th Scene“ waren noch allzu lebendig.
Tessa entschloss sich gerade, direkt den Notruf zu alarmieren, als ihr das Handy, nach welchem sie in ihrer Jackentasche gegriffen hatte, plötzlich kraftlos aus der Hand fiel.
Sie fixierte den leblosen Punkt vor dem Haus nocheinmal und sog die Luft dann scharf und tief ein. Diese Jacke… sie kannte diese Jacke….
Bevor sie noch weiterdenken konnte, hatten sich ihre Füße wie aus einem Automatismus in Bewegung gesetzt und plötzlich war es egal, welche Art von Schuhe sie trug oder ob sie eben noch Angst gehabt hatte… sie rannte wie der Teufel auf das Haus zu.


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Atemlos blieb sie vor der leblosen Person stehen.
„Jess!“
Sie fiel kraftlos auf die Knie, betrachtete das ihr so lange so sehnsüchtig vermisste und so geliebte Gesicht, ohne zu begreifen, was sie sah, was dies bedeutete.
„Jess…“
Ihre Hände fuhren über seine Wangen, die eiskalt waren, geronnenes Blut klebte an ihnen und bald auch an ihren Fingern.
„Jess… Jess… wach auf! Sag etwas… Jess… Jess…“
Ihre Worte klangen fast einem atemlosen Wimmern. Sie berührte seine Haare, seine Arme, seine Hände, als wolle sie sich vergewissern, nicht nur wieder in einem dieser verrückten Träume zu sein.
Doch die Kälte, die ihre Haut traf, machte ihr nur allzu deutlich klar, dass sie nicht träumte.
„Jess… hörst du mich! Mach die Augen auf!“

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Sie starrte den reglosen Mann vor sich an. Ihr Herz schien einen Moment auszusetzen. Kam sie zu spät?
„Jess….“, flüsterte sie, es klang flehentlich. „Komm schon, enttäusch mich nicht. Sag was!“
Sie rüttelte noch einmal mit Nachdruck an seiner Schulter, doch er blieb weiterhin völlig reglos.
Ihre Augen fuhren über seine aschfahle Haut. Er war übel zugerichtet worden. Was war nur mit ihm geschehen?

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Tessa Augen fuhren hektisch hinab zu seinem Brustkorb und ein Seufzer der Erleichterung entwich ihren Lippen, als sie eine schwache Bewegung ausmachte. Er lebte – noch.
Sie sprang auf und sah sich hilfesuchend um. Es schien, als herrsche in ihrem Kopf nichts als ein einziges Chaos wirrer Gedankengänge. Ihre Beine zitterten so sehr, dass sie sich kaum aufrecht halten konnte.
Einen Moment schien sie völlig ratlos zu sein, was sie tun sollte.

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Und dann folgte sie einfach völlig kopflos dem ersten Impuls, der sich durch das paralysierende Gefühl des Schocks und der Verwirrung zu bahnen vermochte.
„Hilfe!!“ schrie sie aus Leibeskräften. „Ich brauche hier Hilfe!!!“
Es dauerte keine Sekunde, da wurde die unterste Balkontür aufgerissen und der ältere Mann aus der Erdgeschoßwohnung streckte mit weit aufgerissenen Augen den Kopf ins Freie.
„Frau Wagner?“, rief er aufgeregt. „Sind Sie das?“
„Ja, ich bin es… ich… ich brauche hier Hilfe! Hier ist ein schwerverletzter Mann!!“

Es dauerte keine fünf Sekunden, da war der ältere Mann auf die Straße gestürzt gekommen und hatte mit einem kurzen Blick die Situation erfasst.
„Rufen Sie den Krankenwagen, Frau Wagner!“, sagte er in aufgeregtem, aber festem Ton. Die Kraft seiner Stimme und seine ruhige Überlegenheit schienen Tessas Betäubung endgültig aufzulösen.
„Soll ich hineinlaufen und anrufen?“, hörte sie eine weibliche Stimme auf der Vortreppe, die von der Ehefrau des Mannes stammte.
„Nein!“ beeilte sie sich zu sagen und hatte schon das Handy am Ohr. „Ich hab ein Handy, ich ruf an.“
Sie schaffte es, ihre Finger so weit unter Kontrolle zu bringen, um die Tasten „112“ zu treffen und während sie atemlos den Notruf absetzte, beobachtete sie, wie der ältere Herr in die Knie ging und nach Jess sah, während seine Frau bestürzt neben ihm stand und das Geschehen beobachtete.

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Als sie die Rettung alarmiert hatte, rannte Tessa zurück zu der Stelle, an der Jess nach wie vor reglos lag und starrte Herrn Ebert, dessen Name ihr jetzt auch wieder eingefallen war, an.
„Er lebt noch, oder?“, stammelte sie atemlos.
Herr Eber nickte, sah aber sehr ernst aus. „Vorläufig noch“, erwiderte er besorgt und tastete erneut nach Jess Puls. „Er ist furchtbar unterkühlt und scheint böse verschlagen worden zu sein. Ich werde schnell nach drinnen laufen und eine Decke holen.“ Er verschwand wieder ins Haus.

Tessa zitterte und beugte sich zu Jess.
„Jess… du musst durchhalten, hörst du… ich will dich nicht noch einmal verlieren…“

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„Kennen Sie diesen jungen Mann, Frau Wagner?“, fragte Frau Ebert sie da.
Tessa stand auf, um ihrem Ehemann Platz zu machen, der mit einer dicken, braunen Wolldecke in der Hand aus der Wohnung gerannt kam und Jess vorsichtig und ohne ihn zu bewegen darin einhüllte.
„Ja“, antwortete sie fest. „Er ist mein Freund.“
Überraschung zeichnete sich auf dem Gesicht Frau Eberts ab, aber dann trat sie zu Tessa und strich ihr sachte über den Arm.
„Wie furchtbar für Sie. Haben Sie keine Angst, der Krankenwagen bist bestimmt gleich da.“

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Tessa lächelte gequält.
„Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte, Frau Ebert…“
Sie starrte erneut zu Jess und spürte, wie sich ihr Hals zuschnürte, als sie ihn dort so leblos und aschfahl liegen sah. Ihr Herz zog sich zusammen und schien zu einem Eisklumpen zu werden. Sie wandte den Blick wieder ab, weil sie meinte, es nicht länger ertragen zu können und wanderte mit den Augen gen Himmel.
„Oh bitte…“, flüsterte sie, wie betend. „Bitte… bitte… nimm ihn mir nicht noch einmal…“

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Sie starrte die dunkle Straße hinab, doch nichts regte sich. „Wieso dauert das nur so lange?“
„Sie haben den Notruf erst vor knapp vier Minuten abgesetzt“, beruhigte Herr Ebert sie. „Aber sie werden bestimmt gleich kommen.“
Angespannt starrten alle drei Menschen die Straße hinab und hofften auf das erlösende Geräusch des Martinhorns.
Herr Ebert erhob sich aus seiner knienden Position und sagte: „Er atmet, flach aber regelmäßig…“
Seine Ehefrau nickte und sagte: „Ihr Freund ist bestimmt ein Kämpfer… er wird das schaffen, da bin ich mir sicher…“
„Oh, ich glaube, ich höre die Sirene!“ rief Tessa aus und horchte angestrengt in die Stille der Nacht.

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Und tatsächlich, nur wenige Sekunden später brausten Notarzt- und Krankenwagen die Straße hinab und kamen mit Blaulicht und quietschenden Reifen vor dem Haus zum Stehen.
Mit wenigen Worten hatte Tessa dem Notarzt erklärt, was geschehen war. Sie sagte ihm Jess´ Namen und alles, was für wichtig erachtet wurde. Währenddessen hatten sich die Sanitäter schon eifrig an ihm zu schaffen gemacht und ihn in eine Decke gehüllt in den Krankenwagen geschoben.
„Chef – er will uns entwischen!“, hörte sie plötzlich die aufgeregte Stimme eines der Sanitäter.
Sie schluckte und ihre Hand ballte sich zur Faust, als sie zusah, wie die drei Männer sich nun hektisch an Jess zu schaffen machten.

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Das viel zu schnell und hektisch piepsende Geräusch des EKG-Monitors wurde wie ein Echo aus dem Krankenwagen in die Stille der Nacht geworfen. Inzwischen waren um sie herum mehrere Lichter in den Häusern angegangen und die Menschen zogen vorsichtig die Vorhänge zur Seite, um einen Blick auf das ungewöhnliche Treiben vor ihren Häusern zu erwischen. Tessa realisierte nichts davon, auch nicht, dass das Ehepaar Ebert wie selbstverständlich zu ihr herangetreten war, um sie zu stützen.

Die Bilder der hektischen Sanitäter, die Jess voller Verzweiflung am Leben zu halten versuchten, die angespannten Rufe seitens der Männer, die sich medizinische Fachbegriffe und Medikationen zu schrien, die sich öffnenden Fenster und Türen um sie herum, nahm sie kaum noch wahr. Ihre Augen starrten ins Leere, ihr Herz tönte in ihren Ohren wie eine Trommel… aber auch das nahm sie kaum noch wahr.

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Sie stand einfach da, unbeweglich, wie in Salz gegossen, und wusste nicht mehr, was sie fühlen und denken sollte.
Die Sekunden schienen sich unerträglich zu ziehen. Immer noch riefen sich die Männer im Wagen Dinge zu, die sie nicht verstand.
Einzelne Fetzen des Geschehens schafften es, sich in ihr Bewusstsein vorzudrängen und wurden dort mit solch einer stechenden Klarheit von ihr aufgenommen, dass es sie fast erschreckte… das besorgte Gesicht Herrn Eberts, der seiner Frau einen verheißungsvollen Blick zu warf… die Schneeflocken, die sich in ihrem Haar verfingen… das Geräusch von schlagenden Türen… und dann nahm sie als letztes mit grausamer Klarheit das eintönige, lineare Geräusch des EKG-Monitors aus dem Krankenwagen wahr…

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Und da wusste sie, dass Jess den Kampf verloren haben musste.
Was danach folgte, war ein schwarzes Loch, in das sie zu fallen schien. Sie konnte später nicht mehr sagen, was in jenen Minuten geschehen war.
Sie wusste es nicht. Sie wusste gar nichts mehr. Nur halb bewusst realisierte sie, wie ihre Knie mit einemmal weich wurden. Sie fühlte sich von erstaunlich starken Armen gefasst und ins Haus gebracht. Draußen schlugen die Türen des Krankenwagens laut zu und das Geräusch des aufheulenden Motors zerriss die Nacht.
Tessa realisierte es kaum mehr.
Nur ein einziger Gedanke hatte Platz in ihrem Kopf und ihrem Herzen – Jess´ Herz hatte aufgehört zu schlagen.

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Fortsetzung folgt...
 
Uwaaaaaah! Innad, was tust du uns an?

Ich hab ja jetzt lange nichts mehr gesagt (du bist aber auch furchtbar fix mit deinen Kapiteln und ich musste erstmal alles nachlesen, was ich verpasst hatte), daher weiß ich jetzt gar nicht so recht, was ich sagen soll. Die Entwicklungen haben mir auf jeden Fall gefallen (naja, mehr oder weniger *g*) und ich habe mir schon die ganze Zeit gedacht, dass Jess doch nochmal in irgendeiner Form auftauchen muss, weil Tessa sonst einfach nicht abschließen kann. Aber doch nicht so! Im Fernsehen machen die doch sonst auch so Wiederbelebungsmaßnahmen und so, können die sich nicht ein bisschen mehr anstrengen? Zumindest will ich doch wissen, was mit ihm passiert ist und das nicht durch einen Brief, der in seiner Jacke gefunden wird oder so, nenene... Joshua mag ich übrigens nicht so, der ist mir zu brav und zu lieb *lol* Ich mag die etwas bösen Jungs ;). Wobei Jess ja eigentlich auch ein ganz lieber ist.

Ach so, das einzige, was ich jetzt noch so konkret in Erinnerung habe, was ich etwas unlogisch fand, ist diese Liste der Drogenopfer. Die Frau möchte Tessa keinen Einblick geben von wegen Datenschutz und so und zeigt sich sehr zögerlich, aber dann liest sie die Namen vor, die darauf stehen? Fand ich etwas merkwürdig, aber zum schmunzeln :lol:

So, jetzt mach schnell weiter und lass ihn leben! Armer Kerl, der hat doch echt schon genug durchgemacht *bibber*

LG Kuona

*EDIT: Ich habe wohl nicht genau genug gelesen... Wenn sie schon wieder wegfahren, dann MUSS er ja tot sein... Oh nein *heul* Du bist echt ne fiese Socke... *schnüff*
 
Ohhhhhhhhhh neinnnn.
Das kannst du doch jetzt nicht tun.
Du kannst Jess nicht sterben lassen "heul"
Biiittteeeeee niichchchtttt.
 
Bitte nicht. Mir ist eben fast das Herz stehen geblieben, als ich gelesen habe, dass Jess vor Tessas Haustür liegt. Erst gibst du ihn uns wieder, und dann nimmst du ihn gleich wieder weg :( Das kannst du doch nicht machen. Die arme Tessa. Sie wird sich bestimmt Vorwürfe machen, dass sie nicht zu Hause war. Herrje, ich bin noch völlig aufgewühlt vom Lesen. Vielleicht schaffen es die Sanitäter, Jess wiederzubeleben. Aber daran glauben kann ich kaum. Das wäre so unendlich traurig, wenn Jess jetzt einfach so tot wäre....
 
Hallo Innad!
Boah - wie spannend! Ich wusste doch, dass Jess wieder auftaucht. Du hast die Situation derart dramatisch und packend erzählt...da bekam man echt Gänsehaut und fing zu zittern an. Das hat einen echt ergriffen und man konnte sich die beklemmende Situation regelrecht vorstellen...Etwas, dass man wohl nie erleben will.
Man fühlt sich so hilflos und es ist unvorstellbar, was in solch kurzen Sekunden alles in einem vorgeht. Das bringst du echt real und gekonnt rüber. Die Dramatik steht im Vordergrund und ist super dargestellt.
Ich bin mir allerdings sicher, dass Jess nicht stirbt. ;-) Sie werden ihn schon wieder belebt haben *ganz sicher bin*. Sonst hättest du ihn nicht so gekonnt erneut mit eingebunden. *nicht glaube*
Mach schnell weiter *flehend blicke*.

Kuss
Deine Chrissy
 
nur weil tessa das "lineare" geräusch als letztes gehört hat, muss das ja nicht heißen, dass der krankenwagen - und warum sollte er mit vollgas losfahren, wenn er nur leichentransport ist - unverrichteter dinge wieder fährt.
ich hoffe einfach mal, dass du uns noch schön überraschst! die betonung liegt auf *schön* =)

klasse kapitel, ich freu mich schon sehr auf die folgenden...
 
Oh nein, das kannst du uns doch net antun.....
Da taucht Jess endlich dann wieder auf und dann sowas...
Bitte lass ihn net sterben *fleh und auf Knie fall*
Das Kapitel war wirklich sehr ergreifend. Man konnte mit Tessa richtig mitfühlen.
Mach bitte ganz schnell weiter!

Liebe Grüße
Chrissy
 
Kuona: Wie schön, dass Du noch mitliest, das freut mich! Auch wenn ich furchtbar fix bin :D (zu Chaotin tät ich jetzt sagen "alte-Tanten-Power" =)).
Wegen der SAche mit der Drogenopferliste - jau, das war ein kleiner Logikfehler, aber mir gefiel das Runterzählen der NAmen rhetorisch so gut.:rolleyes:
Ob Jess tot ist oder nicht, ist ja noch nicht raus. Der Krankenwagen ist weggefahren - aber ob mit einem lebenden oder toten Jess ist ja die Frage... :cool: Danke für Deinen Kommi und einen lieben Gruss an Dich! :)


sasispatz
: Abwarten und tee trinken! Was mit Jess geschehen ist und ob er tot ist oder nicht, erfahrt ihr noch!


SexyLexi:
Auch bei Dir kann ich nur sagen ... abwarten, ob Jess lebt oder nicht. Evtl konnte man ihn ja doch wiederbeleben... auch wenn das natürlich auch keine GArantie für ein Weiterleben wäre. Und was Tessa angeht, ob sie sich letztlich Vorwürfe macht, dass sie nicht zu Haus war, kann man so ja noch nicht sagen. Vielleicht erfährt sie ja doch noch, wie es zu Jess Auftauchen kam... und wenn sie in ihrer Wohnung gesessen hätte und er nicht geklingelt haben sollte, was ja sien kann, hätte sie ihn vermutlich GAR NICHT gefunden und er wäre sicher gestorben.


FunnyChrissy:
Grundlegend könnte es ja aber auch sein, dass Tessa Jess nur wiedergefunden hat, um abschließen zu können, seinen Tod mit eigenen Augen zu sehen. Ob er nun aber schon tot ist oder nicht, erfahrt ihr heute in dem Kapitel!



Zahlencödchen:
Gute Theorie mit dem Krankenwagen... warten wir ab, ob ich euch überrasche und ob die Überraschung vor allem "schön" wird... :ohoh:



Chrissy1709
: Hihi, Flehen und Betteln wirkt bei mir nicht :lol: die Storyline steht schon fest ;) und daher kann ich auch nichts mehr an der Tatsache, dass Jess lebt oder stirbt ändern - also einfach abwarten.
 
Kapitel 59
Schwebend



Das monotone Ticken der alten Standuhr in der Ecke hatte etwas Beruhigendes, fast einschläferndes an sich. „Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack…“, tönte der anschlagende Pendel durch den Raum. Ansonsten war es still.
Tessa fühlte etwas warmes aus Porzellan in ihrer Hand und die sanfte Stimme der alten Frau bat sie, etwas davon zu trinken, es würde ihr gut tun.
Fast mechanisch führte sie die Tasse zum Mund und trank in kleinen Schlucken von dem heißen Getränk. Eine wohlige Wärme, die in ihrer Kehle brannte, erfüllte ihren Körper und sie spürte, wie ihre Lebensgeister langsam wieder zu erwachen schienen. Erst jetzt realisierte sie, dass sie vor Kälte gezittert hatte… oder war es doch eher vor Angst und Aufregung? Sie wusste es nicht. Man hatte ihr aus ihrem Mantel geholfen und ihre Beine auf einem weichen Sofakissen gebettet, das auf dem kleinen Wohnzimmertisch vor ihr lag.
Erst langsam begann sie ihre Umgebung wieder bewusst wahrzunehmen. Es war, als helfe das heiße Getränk ihr, die Schleier, die sie umgeben hatten, allmählich zu lüften. Sie war alleine in dem freundlichen Wohnzimmer, in das man sie gebracht hatte. Es war still, nur das Ticken der alten Standuhr leistete ihr Gesellschaft.

Erneut ließ sie ihren Blick zu ihr schweifen. Es war kurz nach zehn Uhr.

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Die Tür öffnete sich und das Ehepaar Ebert betrat den Raum. Frau Ebert ließ sich neben Tessa auf der Couch nieder und griff vorsichtig nach ihrer Hand, während ihr Mann sich auf den Sessel vor dem kleinen Tisch setzte.
„Wie geht es Ihnen, meine Liebe? Fühlen Sie sich etwas besser?“, fragte Frau Ebert einfühlsam.
Tessa nickte. „Ja – ich denke schon… ich…“
Sie schluckte. Je klarer sie wurde, desto klarer wurden auch die Bilder der vergangenen Minuten in ihr… und ihre Bedeutung.
Was war dort draußen geschehen? Wie lange war sie hier drinnen? Sie wusste es nicht. Sie hatte nicht das Bewusstsein verloren, aber ihre Orientierung. Aber eine Wahrheit stand ihr schmerzlich vor Augen: Jess war tot.
Tessas Augen füllten sich mit Tränen, sie hatte das Gefühl, diesen Gedanken keine Sekunde länger mehr ertragen zu können. Ihre Kehle zog sich zu, als habe jemand ihr ein Seil darum geschlungen und zöge mit aller Kraft daran, die ein Mensch nur aufbieten konnte. Das Atmen fiel ihr schwer und ihre Hände begannen wieder zu zittern. Fast wünschte sie sich wieder zurück in den nebligen Zustand, in dem sie sich vor wenigen Minuten befunden hatte… zu heftig und schmerzlich war die Realität, in der sie sich befand.
„Frau Wagner… ist alles in Ordnung?“, hörte sie die besorgte Stimme Herrn Eberts an ihr Ohr dringen.

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Sie nickte, obwohl dies eigentlich den reinsten Hohn darstellte. Nichts war in Ordnung… nichts. „Ich… ich muss wohl einen kleinen BlackOut gehabt haben“, sagte sie schließlich mit dünner und trockener Stimme. „Was ist geschehen? Ist… Jess… ist er …“
Sie brachte es nicht über sich, das Wort auszusprechen. Diese eine Wort, das so unbedeutend schien, mit seinen drei simplen Buchstaben, von hinten und vorne gleich zu lesen, ein unbedeutendes Wörtchen – das so viel Bedeutung hatte. Es bedeutete Welten, es bedeutete Leben, Dimensionen … es bedeutete mehr als ein menschliches Herz fassen, ertragen, dulden konnte. Das alles schoss Tessa in diesem Moment durch den Kopf, und auch dies erschien ihr einfach nur bizarr.
„Ihnen ist nur ein bisschen schlecht geworden“, beruhigte Frau Ebert sie und sah sie freundlich an. „Wir haben sie lieber hereingebracht, bevor sie da draußen ganz zusammengeklappt wären… wir konnten ohnehin nichts tun als zu hoffen und zu beten. Trinken Sie noch einen Schluck Tee, meine Liebe, der hilft Ihnen, wieder auf die Beine zu kommen. Wenn Sie wieder einigermaßen hergestellt sind, können wir Sie ins Krankenhaus fahren, wenn Sie möchten.“
Tessa starrte die Frau neben sich verwirrt an und stammelte dann: „Aber… Krankenhaus… wieso?“
Erst jetzt schienen die beiden zu begreifen, worauf Tessa hinaus wollte. „Ihr Freund lebt, Frau Wagner“, erklärte Frau Ebert ruhig. „Wir dachten, Sie hätten mitbekommen, dass der Krankenwagen losgefahren ist.“

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Tessa fühlte sich schummrig verwirrt und brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu sortieren. Das Geräusch des EKG… Herzstillstand… sie hatte es genau gehört… dann das Losfahren des Krankenwagens…
„Das heißt… er ist… nicht tot?“, stammelte sie, wie um es sich selbst begreiflich zu machen.
„Der Notarzt hat es geschafft, ihn wiederzubeleben“, erklärte Herr Ebert nun ruhig. „Es war wohl ein hartes Stück Arbeit, sie haben es mehrmals versucht, bis er wieder da war. Dann sind sie sofort losgefahren. Man sagte uns, sie bringen ihn in die Weststadtklinik.“
Tessa saß für einen Moment starr und still, ohne ein Wort zu sagen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Halse. Jess lebte – er hatte nicht aufgegeben!

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In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken, aber sie zwang sich zur Ruhe und richtete das Wort wieder an Herrn Ebert: „Hat der Arzt etwas gesagt, wie seine Chancen sind?“
Sie hatte mit der Antwort gerechnet, die Herr Ebert ihr mit bekümmertem Gesicht gab: „Nein, meine Liebe – das konnte er beim besten Willen nicht. Es ging auch alles ganz schnell, aber ich habe gehört, dass er seinen Kollegen zurief, dass Ihr Freund wohl noch weiterhin in größter Gefahr schwebe…“
„Anton!“, brummte seine Ehefrau entrüstet, doch dieser winkte energisch ab. „Es nutzt nichts, wenn ich Ihnen nicht die Wahrheit sage, Frau Wagner. Ich war selbst einmal Sanitäter und im Rettungsdienst tätig und weiß darum ein wenig Bescheid, auch wenn es schon eine Weile her sein mag. Die Chancen für Ihren Freund sind nicht besonders gut… wenn er schon einen Herzstillstand hatte, lässt das nichts Gutes hoffen.“
Tessa schluckte.
„Aber man hört immer wieder von Wundern“, erklang die tröstende Stimme Frau Eberts neben ihr. „Und Ihr Freund hat schließlich bewiesen, dass er ein Kämpfer ist, nicht wahr? Ich bin mir sicher, dass er es schaffen kann…“

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Tessa lächelte gequält. Sie fand es sehr nett von der alten Dame, dass sie versuchte, sie zu trösten, aber wenn sie ihrem Mann in die Augen sah, wusste sie, dass dieser mit dem Schlimmsten rechnete und irgend etwas in ihr glaubte eher seiner Sachlichkeit als ihrer Hoffnung. Dennoch – auch sie würde weiterhin beten und hoffen, so lange, bis es keine Hoffnung mehr geben würde. Tessa atmete tief ein und sortierte sich noch einmal, dann stand sie auf und sagte mit fester Stimme: „Ich werde eine Freundin anrufen, damit sie mit mir ins Krankenhaus fährt… ich bin Ihnen beiden schon genug zur Last gefallen und möchte mich herzlich für Ihre Hilfe bedanken, wirklich…“
Und sie schickte sie an, ihre Jacke zu nehmen. „Warten Sie, Frau Wagner – wollen Sie jetzt ganz alleine nach oben in Ihre Wohnung? Wieso rufen Sie ihre Freundin nicht von uns aus an und warten hier, bis sie gekommen ist? Ich denke nicht, dass Sie jetzt alleine sein sollten. Sie sind immer noch recht blass um die Nase…“, gab Herr Ebert zu bedenken.
Tessa lächelte leicht. „Nun ja – ich kann sie auch von hier anrufen, wenn Ihnen das recht ist, natürlich…“
Sie wollte nicht zugeben, dass ihr der Gedanke, nach oben in die leere Wohnung zu gehen, von der Stille erdrückt zu werden und an jene Tage zu denken, als Jess vor etwa einem Jahr hier bei ihr gewesen war, nicht behagt hatte. So war sie recht froh über das Angebot, hier warten zu können.
Schnell schritt sie darum zum Telefon und wählte ohne eine Sekunde nachzudenken Monis Nummer.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis diese sich am anderen Ende der Leitung meldete.
„Moni? Hier ist Tessa…“

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Monika realisierte sofort anhand Tessas Stimme, dass etwas geschehen sein musste.
„Tessa? Was ist los? Wo bist du?“
„Moni, hör zu… es ist etwas furchtbares geschehen“, ihre Stimme zitterte, „Jess ist zurückgekommen…“
Sie warf einen verlegenen Blick auf das Ehepaar Ebert, das sich dezent im Hintergrund mit gedämpfter Stimme unterhielt. „Ich… ich erklär dir alles später, nur… er ist verletzt… er … sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht und ich muss zu ihm, so schnell es geht. Kannst du kommen und mich hinfahren?“
„Ich bin fünf Minuten da“, erwiderte Monika sofort und ohne weiter nachzufragen. „Wo bist du genau?“
„Bei mir zuhause, nur nicht in meiner Wohnung. Unteres Stockwerk, die linke Wohnung, wenn man vorm Haus steht. Die Familie heißt *Ebert*.“

„Ich bin unterwegs!“, rief Monika in den Hörer und hatte schon aufgelegt.

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Tessa seufzte und fühlte etwas wie Erleichterung in sich aufsteigen. In wenigen Minuten würde Moni da sein, was ihr gerade wie ein Rettungsanker vorkam.
Sie setzte sich mit einem schiefen Lächeln wieder zurück auf die Couch und starrte auf das Wandtelefon. Einen Moment schoss ihr durch den Kopf, dass sie ja genauso gut ihr Handy hätte nutzen können... aber das war ja eigentlich auch völlig gleich.
„Ihre Freundin ist unterwegs?`“ fragte Herr Ebert.
Tessa nickte. „Ja – sie wird gleich da sein.“
„Wo wohnt sie denn? Weit?“
„Nein, nur ein paar Blocks weiter“, antwortete Tessa und starrte dann auf ihre Fußspitzen. Ihre Gedanken wanderten zu Jess. Was geschah gerade mit ihm? War er schon im Krankenhaus angekommen? Sie realisierte plötzlich, dass sie immer noch keinen echten Zeitbegriff hatte und warf einen erneuten Blick zu der Standuhr. Es war inzwischen halb elf und sie erinnerte sich daran, sich etwa kurz nach neun Uhr an der Straßenkreuzung verabschiedet zu haben. Es lagen nicht einmal anderthalb Stunden zwischen jener Zeit und dieser und doch schien es, als sei der ganze Abend, das Lachen, die Pizza, der Rotwein – ihre Gedanken über ihren Schuhfimmel, die stille der Winternacht, durch die sie gegangen war… das alles schien so weit entfernt, als sei es vor Jahren geschehen und nicht erst vor Stunden.

„Wann ist der Krankenwagen losgefahren?“, wollte Tessa an Herrn Ebert gewandt wissen.
„Etwa um zehn Uhr“, erwiderte dieser ruhig. „Vielleicht auch ein paar Minuten später.“
Tessa nickte und starrte wieder schweigend geradeaus.

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Wieder wanderten ihre Gedanken zu Jess. Seit er in die Klinik gebracht worden war, schien also etwa eine halbe Stunde vergangen zu sein. Was machten sie dort gerade mit ihm? Unweigerlich schossen ihr Bilder von seinem leblosen Körper durch den Kopf, wie er von in steril-grüne Umhänge gehüllte Ärzte auf einen OP-Tisch gehievt wurde, ihm ein Schlauch in den Hals geschoben oder sonst etwas … sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, als wolle sie sich gegen diese gruseligen Vorstellungen schützen, doch es gelang ihr nicht. Sie dachte an das Gesicht, das sie so liebte und dessen hässliche Entstelltheit durch Blut und Schwellungen. Sie konnte nicht darüber nachdenken, wie es dazu gekommen sein konnte, ihre Gedanken waren zu sehr mit Angst erfüllt.
Sie sehnte sich mit jeder Faser ihres Körpers danach, jetzt bei ihm zu sein, zu erfahren, wie es ihm ging, ob er es schaffen würde. Sie wollte ihn halten, ihn sehen, ihn berühren… aber sie wusste nicht einmal, ob er noch lebte.
Das Klingeln an der Haustüre riss sie aus ihren bedrückenden Gedanken. Nur wenige Sekunden später stand Monika im Zimmer, die Haare wuschelig und zerrauft, ganz so als ob sie schon geschlafen habe, in dieselben Kleider gehüllt wie anderthalb Stunden zuvor. Sie sah Tessa aufgeregt an und zog sie dann in ihre Arme.
Tessa klammerte sich an ihrer Freundin fest wie an einem Rettungsring. Sie war noch nie in ihrem Leben so froh gewesen, ein vertrautes Gesicht zu sehen.

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Denn so nett die Eberts sie auch behandelt hatten, umso wichtiger war es in jener Situation, vertraute Menschen um sich zu haben, denen man nichts erklären und keine Fragen beantworten musste – die einfach nur da waren.
Monika lächelte den Eberts höflich zu und sagte dann ohne Umschweife: „Wo müssen wir hin, Tessa?“
Tessa warf einen hilfesuchenden Blick zu Herrn Ebert. In ihrem Kopf schien immer noch zu viel Chaos zu herrschen, sie wusste nicht mehr genau, in welche Klinik man Jess gebracht hatte.
„Weststadtklinik“, half dieser ihr denn sofort auch weiter. Monika nickte und drückte Tessa die Jacke in die Hand. Sie drehte sich noch einmal zu dem Ehepaar und sagte: „Danke, dass Sie sich um Tessa gekümmert haben.“
Auch Tessa lächelte den beiden noch einmal zu. „Ja – vielen Dank nocheinmal.“
„Das war doch selbstverständlich“, erwiderte Herr Ebert. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, und wenn Sie etwas wissen, kommen Sie doch einfach mal vorbei und sagen uns Bescheid, ja?“
Sie nickte und Frau Ebert fügte hinzu: „Wir denken an Sie und beten für Ihren Freund, Frau Wagner.“

„Vielen Dank“, erwiderte Tessa mit zittriger Stimme, dann folgte sie Monika hinaus in die kalte Nacht.
Nur wenige Sekunden später hörten die beiden Eheleute das hektische Zuschlagen von Autotüren und dann entfernte sich das Motorengeräusch und wurde immer leiser. Und nichts blieb als die Stille der verschneiten Nacht.

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Fortsetzung folgt.
 
Huch, was für Wendungen! Und: jaaaaaa, Jess ist wieder da. *hüpf* Okay, ich sollte mich vielleicht nicht zu laut freuen, sonst ist er gleich wieder weg und eigentlich gibt seine Rückkehr ja auch nicht wirklich Anlass zur Freude. Meine Güte, du hast mit diesem einen Kapitel so viele Fragen aufgeworfen. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen.
Das vorletzte Kapitel hat mir übrigens äußerst gut gefallen, das war super geschrieben. :)
 
Kapitel 60
Geh nicht!





Schweigend fuhren die beiden jungen Frauen durch die Nacht. Es hatte immer noch nicht zu schneien aufgehört, einzelne Eiskristalle verfingen sich auf der Scheibe und wurden alle paar Sekunden hartnäckig von den quietschenden Scheibenwischern des kleinen Wagens zur Seite gewischt und verklumpt und achtlos von ihm auf die Straße geworfen.
Tessas Hände krampften sich in ihrer Hose fest. Sie warf Monika einen kurzen Seitenblick zu, doch diese war zu sehr darauf konzentriert, den kleinen Wagen so schnell wie möglich aber so sicher wie nötig durch die Straßen zu lenken. Hin und wieder fuhren andere Wagen an ihnen vorbei, einmal eines voller Jugendlicher, aus den Bassboxen dröhnte laute Musik und die kichernden Mädchen auf dem Rücksitz winkten den beiden Insassinnen des weißen Kleinwagens amüsiert zu, als ob man sich kennen würde.
Tessa musste unwillkürlich daran denken, wie sie früher mit ihrer Clique an Freitagabenden kichernd und bei lauter Musik in die Discotheken gefahren war, oft erst zu später Stunde. All das schien Jahrtausende her zu sein.
Endlich tauchte das Krankenhaus auf und Monika parkte den kleinen Wagen direkt neben dem Eingang, wo glücklicherweise ein Parkplatz frei war.

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Dann blieben beide einen Moment regungslos sitzen. Tessa schluckte schwer. Sie schien sich kaum bewegen zu können, ihre Glieder erschienen ihr fast wie gelähmt. Sie wusste, dass sie dort drinnen vermutlich eine furchtbare Nachricht erwarten würde. Eine Nachricht, die sie irgendwie würde verkraften müssen… oder erwartete sie vielleicht doch Hoffnung? Was verbarg sich hinter diesen Wänden? Leid oder Freude?
So sehr sie sich die ganze Zeit hierher gesehnt hatte, so sehr sie Monika die ganze Zeit am liebsten zum Beschleunigen gedrängt hatte, so widersprüchlich waren ihre Gefühle in diesem Moment. Einen Augenblick verspürte sie sogar den Impuls, wieder umzudrehen und fortzufahren… egal wohin, nur weg – weit weg von der Wahrheit, die sie hier warten würde, jener Wahrheit, auf die sie so lange gewartet und mit der sie nicht mehr gerechnet hatte… doch sollte es wirklich so sein?
Auch Monika schien wie angewurzelt, hatte die Hände weiterhin auf dem Lenkrad liegen und sprach kein Wort. Das hatte sie die ganze Zeit nicht getan.

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Schließlich war es aber doch sie diejenige, welche die Stille durchbrach und fest sagte: „Wir müssen reingehen, Tessa.“
Sie sah ihre Freundin an. Tessa fiel auf, dass auch Monika blass und erschrocken aussah, fast als durchlebe sie etwas, das sie schon fast vergessen hatte, erneut. „Wenn wir hier draußen bleiben, ändert das auch nichts. Meinst du, dass du es schaffst?“ Ihre Stimme klang sanft.
Tessa nickte. „Ich muss. Für Jess…“
Monika nickte und gemeinsam öffneten sie die knarrenden Autotüren.

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Tessa blieb für einen Moment stehen und atmete die eiskalte, klare Luft tief ein. Dann schob sie all ihre Angst beiseite. Sie musste jetzt zu Jess – wo immer er auch sein mochte…
Ihre Beine setzten sich fast wie von selbst in Bewegung, als seien auch sie aus der Starre, die Tessa eben noch fest umklammert gehalten hatte, erwacht.
Monika folgte ihr, gemeinsam rannten sie auf den Haupteingang der Klinik zu. Der inzwischen knöcheltiefe Schnee knirschte unter ihren Schuhen und stob zu ihrer Rechten und Linken auf, als sie ihn durchquerten.

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Gemeinsam betraten sie das Krankenhaus. Der sterile Geruch schlug ihnen sofort in die Nase, doch sie ignorierten ihn alle beide. Tessa war als erstes an dem Empfangstresen auf der linken Seite des großen Foyers angekommen. Dort saß gerade eine Schwester oder Ärztin und sah einige Akten durch. Es war still in der Klinik, das große, mächtige Gebäude schien regelrecht zu schlummern.
Atemlos blieb Tessa vor dem Tresen stehen und wartete, bis die Ärztin aufsah und freundlich fragte, ob sie ihnen helfen könne.
„Ich hoffe“, erwiderte Tessa mit zittriger Stimme und warf Monika einen hilfesuchenden Blick zu, die ihr aufmunternd zu nickte. „Es geht um meinen… meinen Freund… er ist vor kurzem hier eingeliefert worden…“

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Die Ärztin erhob sich und kam auf die beiden jungen Frauen zu.
„Sein Name ist Jess Berger“, fügte Tessa rasch hinzu.
Die Frau nickte. „Ja, ich weiß, von wem sie sprechen – ich war dabei, als er eingeliefert wurde. Aber sie sind beide keine Verwandten, nicht wahr?“
Tessas Herz sank. Die Bürokratie hätte sie fast vergessen. Vage meinte sie sich daran erinnern zu können, dass man normalerweise nur Verwandten Informationen über Unfallopfer gab. Aber Jess hatte keine Verwandten mehr… sie war die einzige Person, die noch in irgendeiner Verbindung zu ihm stand.
„Nein“, sagte sie darum wahrheitsgemäß und sah die Ärztin fest an. „Zumindest wohl nicht in dem Sinne, den Sie meinen dürften.“

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Die Ärztin seufzte und schüttelte bedauernd den Kopf. „Wir dürfen nur Verwandten genaue Auskunft geben. Wenn Sie mir sagen, wenn ich noch benachrichtigen könnte…?“
Tessa seufzte und schüttelte den Kopf. „Niemanden“, erwiderte sie. „Es gibt niemanden außer mir. Er hat keine lebenden Verwandten mehr. Er ist schon lange Waise und hatte nur noch eine Großmutter, aber auch diese ist vor mehr als einem Jahr verstorben.“
Sie sah die Ärztin offen an. „Sie können von mir aus auf der Polizei anrufen oder sonst wo und seine Personalien überprüfen lassen… Sie werden feststellen, dass ich die Wahrheit sage. Er hat niemanden mehr außer mich. Ich bin die einzige Person, die noch in irgendeiner Verbindung zu ihm steht.“
Argwöhnisch blickte die Ärztin sie an. „Sind Sie sicher?“
Tessa spürte, wie ihre Geduld an ihre Grenzen stieß. Sie wollte endlich wissen, was mit Jess war! Lebte er noch, wie ging es ihm, wie standen seine Chancen? Vielleicht würde sie nur noch wenige Minuten haben, um ihn wenigstens noch einmal zu sehen, ihn zu sprechen oder ihn zu berühren… und sie verplemperte hier ihre Zeit mit dieser elenden Bürokratie, nutz- und zwecklos.
„Ich sage es Ihnen, es ist die Wahrheit!“, sagte sie ärgerlich und funkelte die Ärztin an. „Jess hat keine Verwandten mehr! Wenn Sie mir also nichts sagen, wird niemand anders mehr kommen, um nach ihm zu fragen… es gibt einfach niemanden mehr!“

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Die Ärztin schluckte. „Wie ist Ihr Name?“ fragte sie dann.
„Theresa Wagner. Ich hab ihn auch gefunden und den Notarzt gerufen“, erwiderte Tessa.
„Und Sie?“
Die Ärztin blickte Monika fragend an.
„Ich bin nur Tessas Freundin“, erklärte diese. „Ich bin nur mitgekommen, um ihr Beistand zu leisten.“
Die Ärztin ging zurück zum Tresen und sah sich eine Akte an, dann nickte sie. „Sie scheinen die Wahrheit zu sagen, zumindest hat der Notarzt hier genau die gleichen Angaben eingetragen wie Sie mir sagten.“
Tessa hätte am liebsten aufgestöhnt und sarkastisch erwidert, dass der Notarzt die Details über Jess´ Identität schließlich nicht im Internet recherchiert sondern von ihr selbst erfahren hatte, aber sie schwieg und nickte nur.
„Herr Berger ist gerade noch im OP“, erwiderte die Ärztin. „Ich kann Ihnen nicht viel mehr sagen, da mein Kollege den Fall übernommen hat. Aber ich werde ihm Bescheid geben, dass Sie sich nach Herrn Berger erkundigt haben und wir könnten Sie dann anrufen…“
Tessa schüttelte den Kopf. „Nein – nein, ich will hier warten! Ich… ich möchte sofort zur Stelle sein, falls…“
Sie schluckte und sagte dann leise: „Fall er es nicht schafft…“

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Die Ärztin wehrte jedoch ab. „Frau Wagner – es kann Stunden dauern, bis wir genaueres wissen. Sie sollten nach Haus gehen und eine Runde schlafen..“
Nun trat Monika nach vorne und legte die Hand auf Tessas Schulter. Diese fürchtete schon, sie würde ihr nun dasselbe sagen, doch stattdessen sah sie die Ärztin fest an und sagte: „Ich denke, wir sollten hier bleiben. Soweit ich das verstanden habe, steht es nicht allzu gut um Herrn Berger und wenn wir jetzt fahren, wird sich meine Freundin das nie verzeihen können. Verstehen Sie das denn nicht? Es könnte jede Sekunde zählen – denn es könnte die letzte sein. Oder irre ich mich etwa und er ist in einem derart stabilen Zustand, dass diese Sorgen unbegründet sind?“
Die Ärztin seufzte und schüttelte den Kopf. „Nein – nein, ich fürchte nicht.“

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Tessa sah sie flehend an. „Wenn Sie noch mehr wissen, so sagen Sie es doch bitte… Sie brauchen uns nicht zu schonen, weil die Wahrheit zu bitter ist… ich… ich möchte nur wissen, wie seine Chancen sind. Sie sagten, er wird operiert? Wieso wird er operiert? Am Unfallort sagte man, er sei nur stark unterkühlt…“
Die Ärztin nickte. „Ja – das auch… er hatte mehrere Herzstillstände und wir haben festgestellt, dass er offenbar innere Blutungen hat… darum musste er in den OP.“
Tessa schluckte. Ihre Kehle war so trocken wie ein Stück Sandpapier. Das Schlucken tat regelrecht weh. Sie hatte auf dem Herweg eigentlich gedacht, es könnte kaum schlechter für Jess stehen… aber nun war sogar von inneren Blutungen die Rede. Woher sollten diese nur kommen.
„Wird… er es denn schaffen?“, flüsterte sie leise.

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Die Ärztin seufzte. „Ich kann es Ihnen nicht sagen, Frau Wagner… ich habe ihn nur aufgenommen und sofort an meinen Kollegen übergeben, der ihn nun auch operiert. Es stand nicht allzu gut um ihn, aber ich habe auch schon schlimmere Fälle gesehen. Sie müssen jetzt einfach warten und hoffen.“
Sie kratzte sich am Kopf und deutete dann in Richtung der Besucherecke am anderen Ende des Foyerflügels. „Wenn Sie unbedingt hier warten möchten, dann tun Sie das. Sie können da vorne Platz nehmen. Ich sage im OP Bescheid, dass Sie hier sind. Sobald man mehr weiß, wird man Sie informieren.“
Tessa nickte dankbar und ging gemeinsam mit Monika langsam in Richtung der Besucherecke. Es war still im Krankenhaus. Auch die Ärztin verschwand und nun war niemand mehr zu sehen, außer der mürrischen Nachtschwester, die anstatt der Ärztin am Tresen Platz nahm, Tessa und Monika jedoch keines Blickes würdigte.
Die beiden jungen Frauen saßen eine Weile schweigend nebeneinander. Draußen fiel weiterhin sanft der Schnee zu Erde.
„Was ist eigentlich genau geschehen?“, durchbrach Monikas Stimme irgendwann die Stille.

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Tessa schüttelte den Kopf, fast so, als wolle sie das, was sie erlebt hatte, immer noch nicht begreifen. „Ich weiß es nicht genau“, erwiderte sie dann leise. „Ich… bin nach unserem Essen nach Haus gegangen und sah von weitem, dass da etwas lag… jemand… dachte zuerst, ein Obdachloser… Betrunkener… doch dann realisierte ich, dass es Jess war… er lag da… halb erfroren im Schnee… reglos…“
Sie schwieg einen Moment und sah Monika lange an. Sie sah, wie sich die Erinnerung in ihrem Gesicht zeigte, die Erinnerung an eine ganz ähnliche Nacht vor langer Zeit…
„Ich… die Eberts kamen nach draußen, als ich um Hilfe rief… und dann hab ich den Notarzt gerufen… sie kamen und schoben Jess in den Krankenwagen… dann irgendwann schien etwas nicht mehr zu stimmen… sein Herz… es… hörte einfach zu schlagen auf…“
Tessas Stimme zitterte. „Ich weiß nicht so recht, was dann war… ich war wie in einen Nebel gehüllt. Offenbar haben die Eberts mich nach drinnen gebracht. Ich… ich dachte wirklich, er sei tot…“, flüsterte sie und sah Monika wieder an. „Aber dann erfuhr ich, dass er es nicht war… und hab ich angerufen… mehr weiß ich auch nicht.“

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Monika nickte und schwieg erneut eine Weile. Die Stille im Krankenhaus schien erdrückend zu sein, wie ein schweres Tuch, das sich um beide hüllte und ihnen die Luft abschnüren wollte.
„Die Ärztin sagte, er sei verschlagen worden“, sagte Monika nach einer Weile. „Glaubst du das auch?“
Tessa sah sie überrascht an und bemerkte dann erst, dass sie nichts von Jess´ Aussehen erzählt hatte, das Bände sprach. „Ja, auf jeden Fall“, nickte sie dann. „Er wurde ganz offensichtlich verprügelt… er sah furchtbar aus…“
Sie atmete tief ein. „Es waren bestimmt diese Hellows, diese Schweine!“ stieß sie dann aus, und stellte fest, dass dies der erste klare Gedanken an diesem Abend zu sein schien.
„Aber wieso ist er nur zurückgekommen?“
Fragend sah sie Monika an. „Wieso hat er sich in solche Gefahr gebracht?“


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Monika erwiderte nichts und sah Tessa nur ratlos an. „Ich weiß es nicht…“, sagte sie dann langsam. „Ich weiß es wirklich nicht…“
Wieder verfielen beide in Schweigen. Tessa spürte, dass sie fror, aber sie ignorierte es. Draußen fuhr ein Auto vorbei, das dumpfe Motorengeräusch durchbrach die Stille für wenige Sekunden auf angenehme Weise. Tessas Blick schweifte aus dem Fenster. Es waren noch einige Fenster der Hochhäuser erleuchtet. Sie dachte daran, welche Menschen wohl dahinter sein mochten… die meisten von ihnen waren wohl gefangen in ihrem Alltag, sie gingen vielleicht gerade zu Bett, putzten sich die Zähne, schauten sich einen Film im Fernsehen an, vielleicht küssten sie sich gerade oder stritten sich… vielleicht suchten sie in Chaträumen nach neuen Bekanntschaften, lasen ein gutes Buch oder die Zeitung…
In diesem Moment spürte Tessa, dass sie Welten dafür gegeben hätte, in den Alltag dieser Menschen eintauchen zu können… zu tauschen… sie wäre gerne dort gewesen, hinter einem dieser Fenster… gemeinsam mit Jess… was hätte sie gegeben, um sich dort mit ihm zu streiten oder sich neben ihm die Zähne zu putzen…
Für einen Moment entschwand er aus ihren Gedanken… und sie dachte daran, dass auch sie noch vor weniger als vierundzwanzig Stunden in diesem Alltag gesteckt hatte… zwar alleine, aber doch im Alltag… vermutlich hatte sie sich vierundzwanzig Stunden zuvor gerade selbst die Zähne geputzt, sich über die Flecken auf dem Badezimmerboden genervt, die sie nicht schon wieder wegwischen wollte oder über einen schlechten Witz der Late-Night-Show gelacht, die sie sich meist anschaute…

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Plötzlich tauchte eine Erinnerung in ihr auf… wie aus dem Nichts sah sie sich wieder in jener lauen Sommernacht im Auto sitzen, gemeinsam mit Niklas, der damals noch – wie sie heute feststellen musste – der Mittelpunkt ihrer Welt gewesen zu sein schien, ihr Freund, ihr Mentor, ihr Vertrauter, ihr großes Vorbild und vermutlich auch eine heimliche, stetige Liebe… sie hatten dort gesessen und waren durch die Nacht gefahren und wie waren ihre unbedachten Worte zu ihm gewesen in jener Sommernacht?

In meinem Leben ist zur Zeit einfach keine Abwechslung. Es plätschert einfach nur so vor sich hin. Und ich warte darauf, dass etwas entscheidendes passiert. Ich wünschte nur, mein Alltag wäre irgendwie… inniger… lebendiger.“
Und auch an Niklas Worte erinnerte sie sich, als stände er in diesem Moment neben ihr und flüsterte sie ihr zu: „Aber Alltag ist doch nicht schlechtes. Schlag dir diesen Traum von einem entschiedenen, welterschütternden Ereignis aus dem Kopf, so etwas geschieht nur zu selten und ist meistens nichts positives. Normalität bedeutet Stabilität und Beständigkeit und das ist etwas sehr gutes, Tessa.“

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So wenig sie ihm heute auch recht geben mochte… sie wusste, dass seine Worte der Wahrheit entsprochen hatten, auch wenn niemand von ihnen an jenem Abend geahnt hätte, wie viel Gewicht diese lose dahin geworfenen Sätze eines Tages für Tessa haben würden.
Sie erinnerte sich an jenen Tag nur wenig später, als sie Jess getroffen hatte… und angefangen hatte, ihn zu lieben… und es kam ihr vor, als springe sie in einen Strudel, der sie hinab zog, immer tiefer und tiefer.
Sollte das wirklich alles gewesen sein? Sollte das Ende, das sie sich heimlich gewünscht hätte in den letzten Wochen, jener dringend benötigte Abschluss heute und hier geschehen? Sollte es wahrhaftig vom Schicksal so geplant sein, dass sie Jess nur wiederfand, um ihn erneut und diesmal für immer zu verlieren?
Sie schloss die Augen und sah sein Gesicht vor sich auftauchen. Fast meinte sie, ihn sprechen zu hören, ihn zu fühlen, ihn zu spüren. Ein Gedanke ging in ihrem Kopf hin und her, ohne Unterlass, er wurde fast zu einem Mantra.
„Geh nicht, Jess … geh nicht… geh nicht…“

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Sie wusste nicht, wie lange sie dort saßen, schweigend, unbeweglich. Irgendwann stand Monika auf und sagte: „Ich brauch einen Kaffee, Tessa. Willst du auch einen haben?“
Tessa schüttelte den Kopf. „Nein, danke- Moni…“
Doch auch sie erhob sich und während Monika um die Ecke verschwand, um sich eine Tasse Kaffee zu besorgen, ging sie nervös auf und ab. Ihre Schritte hallten im leeren Foyer auf und ab. Als die Nachtschwester ihr irgendwann einen mürrischen Blick zuwarf, setzte Tessa sich wieder und griff verzweifelt nach einer der herumliegenden Zeitschriften. Sie starrte auf die bunten Bilder von Stars und Sternchen, die sich in Escada, Gucci und Dior auf irgendeinem der etlichen roten Teppiche der Weltgeschichte im Blitzlicht gebadet hatten und nahm nichts davon wirklich wahr. Immer wieder ging ihr der Satz durch den Kopf, der für sie inzwischen wie eine Verbindung zu Jess geworden war... „Geh nicht!“.

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Schließlich kam Monika mit einem Becher heißen Kaffees zurück und setzte sich neben ihrer Freundin auf die Bank. Tessa warf die Zeitschrift entnervt zur Seite und trommelte nervös mit den Fingern auf ihren Beinen, während Monika in stoischer Ruhe ihren Kaffee trank.
„Wieso dauert das nur so lange?“, rief Tessa aus und sah Monika an. „Was machen die nur mit ihm?“
Monika sah sie ruhig an und sagte: „Du musst Geduld haben… wir können nichts tun als zu warten…“
„Aber ich will bei ihm sein, Moni!“, rief Tessa und ignorierte den warnenden Blick der Schwester. „Ich… halte das nicht mehr aus!“


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Monika stellte den Becher zur Seite und griff sanft nach Tessas Hand.
„Tessa – hör mir zu. Wir können gerade nichts für ihn tun, außer zu hoffen, zu beten und hier zu warten. Du musst jetzt stark sein, stark für Jess und für dich selbst. Also bitte beruhige dich, bevor dieser Drache da hinten uns noch rausschmeisst.“
Sie deutete auf die Nachtschwester, die grimmig herüber blickte.
Monikas ruhige Nüchternheit entspannte Tessa, sie lächelte gequält und nickte.
„Du hast ja recht… ich wünschte nur, ich könnte mehr tun als nur hier zu sitzen...“. Tessa sprang wieder auf und ging - bedacht auf besonders leise Schritte - erneut auf und ab.
„Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben", sagte Monika und sah sie ernst an.


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Tessa nickte und setzte sich langsam wieder zu ihr auf die Couch. Monika griff erneut nach ihrem Kaffee und trank ihn langsam aus. Dann ging sie den Becher zurück bringen und Tessa sah ihr seufzend nach.
Draußen hatte es aufgehört zu schneien. Nachdenklich blickte Tessa aus dem Fenster und dann schweiften ihre Augen durch das Foyer und über die Decke. Irgendwo hier lag Jess und kämpfte um sein Leben.
Seufzend griff sie erneut nach der Zeitschrift. Es würde eine lange Nacht werden.


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Fortsetzung folgt.
 

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