Kapitel 76
Der Japanische Garten
Es war ein heller, freundlicher Samstag. Die Junisonne strahlte vom Himmel, es war jedoch nicht zu schwül oder warm, ein kleines Lüftchen umspielte die Blätter der Bäume und in deren Ästen zwitscherten hunderte von Vögeln.
Tessa und Monika sogen die sommerliche Luft tief ein, als sie die Straße entlang gingen. Es war noch nicht ganz Mittagszeit und in der Stadt waren viele Leute unterwegs, um Besorgungen zu machen. Auch Tessa und Monika hatten sich schon um zehn Uhr zum Shoppen getroffen, denn laut Monika war es dringend Zeit, die Sommergarderobe etwas aufzufrischen.
Nun waren sie mit ihren Einkäufen fertig, hatten die schweren Tüten in Tessas Auto verstaut und beschlossen, etwas essen zu gehen, denn Shopping machte schließlich hungrig.
„Es gibt einen tollen Essensstand in dem neuen japanischen Garten“, schlug Monika vor. „Da kann man an der frischen Luft sitzen, es soll toll dort sein. Mein Kollege Adrian hat mir vor ein paar Tagen davon erzählt.“
„Dann lass uns das doch probieren“, erwiderte Tessa und gemeinsam schlugen sie den Weg zum nicht weit entfernten japanischen Garten ein, der erst vor wenigen Wochen fertig gestellt worden war.
„Es sieht wirklich toll aus“, stellte Tessa fest, als beide durch das kleine Tor in den Garten spazierten.
Man hatte hier eine echte grüne Oase mitten im Stadtinneren erschaffen. Große und kleine Bäume reckten ihre Äste gen Himmel, kleine Zierbrunnen plätscherten sanftmütig vor sich hin, asiatische Statuen starrten die Besucher mit weitaufgerissenen Mäulern an, in einem kleinen Teich schwammen Fische und Frösche umher und von dem Essenstand, der mitten zwischen all dem Grün stand, wehte ein verführerischer Bratduft herüber, der den Frauen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
„Hast du auch so einen Hunger?“, fragte Monika lächelnd und sah Tessa an, die in Gedanken versunken neben ihr stand.
„Ja sicher“, erwiderte diese. „Ich hab nur gerade an den Park der Villa Sonnenschein denken müssen. Da ist es auch so schön grün. Hier in der Stadt sieht man so was viel zu selten. Jess wird das sicher vermissen, wenn er entlassen wird.“
„Na, dann kannst du ja hierher fahren“, lachte Monika. „Und irgendwann werdet ihr vielleicht vermögend und kauft euch ein Häuschen außerhalb. Deine Eltern wohnen doch auch am Stadtrand und haben Garten, oder?“
Tessa nickte und lachte dann: „Ja, aber nicht vergleichbar mit dem hier. Sie haben beide keinen grünen Daumen und das meiste macht ein Gärtner ein oder zweimal im Monat, aber sie legen nicht viel Wert auf den Garten. Sind ja eh nie da, um draußen zu sitzen.“
Monika warf ihr einen Blick zu. „Stänkere nicht schon wieder, Tessa. Lass uns den Tag lieber genießen.“ Tessa lächelte. „Das ist wahr, Moni. Und ich hab Hunger, also komm, probieren wir diesen Asiaten mal aus.“
Beide gingen zielstrebig auf den Essensstand zu und nahmen auf den Barhockern Platz.
Rasch hatten beide etwas gefunden und bestellt.
„Und, Tessa, wie fühlst du dich inzwischen in der neuen Wohnung?“, fragte Monika, während sie den Koch beobachtete, der gekonnt die Zutaten in der Pfanne schwenkte und mit großartigen Gesten Gewürze über das Essen streute.
„Nun, neue Wohnung ist ja zu viel gesagt“, lachte Tessa. „Aber ich fühl mich pudelwohl nach der Renovierung. Ich bin euch echt dankbar, und auch Joshua. Und was Feli mir erzählt hat, scheint zu stimmen. Er hat Andeutungen gemacht, die in genau diese Richtung gehen.“
Monika lachte. „Hat es auch gestimmt, dass sie dich für eifersüchtig hält?“
Tessa schnaubte. „Natürlich nicht! Nun fang du auch noch damit an! Ich hab Jess, wieso sollte ich eifersüchtig auf Joshua sein? Dass er in mich verliebt war, hat unsere Freundschaft die ganze Zeit unglaublich belastet.“
„Joshua ist schon ein besonderer Kerl“, erwiderte Monika. „Es ist selten, dass man es nach so einer Sache schafft, befreundet zu bleiben. Ohnehin ist es selten, dass sich Mann und Frau befreunden.“
Tessa nickte und dachte an Niklas. Wie immer, wenn sie sich daran erinnerte, wie ihre Freundschaft zerbrochen war, versetzte es ihr einen Stich.
„Ich hoffe, es geht nicht so aus wie das letzte Mal, dass ich mit einem Mann befreundet war“, sagte sie zerknirscht.
Monika schwieg, bis der Koch die dampfenden Schüsseln vor sie gestellt hatte.
„Mh, sieht das lecker aus“, stellte Tessa fest und griff nach den Stäbchen.
Monika betrachtete ihr Essen und sagte: „Du redest von diesem… diesem Typen, mit dem du mal zusammen warst früher?“
Tessa nickte kauend. „Ja, Niklas“, sagte sie dann mit halbvollem Mund und schluckte das heiße Essen hinunter. „Das ist lecker.“
Monika nickte. „Ja, es ist echt lecker. Guter Tipp.“
Sie sah Tessa an. „Aber das war doch etwas ganz anderes mit diesem Niklas. Und es hätte dir auch mit jedem anderen Menschen passieren können. Also auch mit einer Frau. Wenn man eben engstirnig ist, dann ist man es. Manche Menschen sind so.“
Tessa seufzte. „Ja. Aber es erschreckt mich noch heute, dass man jahrelang so gut mit jemandem befreundet sein kann, ohne das zu merken. Ich meine, wir haben uns gekannt, uns vertraut. Ich dachte, ich kenne ihn in- und auswendig.“
Monika nickte. „Ich weiß, das ist wirklich das krasse daran gewesen. Schade, dass ihr euch nie mehr habt aussprechen können.“
Tessa schüttelte den Kopf. „Was hätte man da noch besprechen sollen? Er hatte eine klare Meinung, für ihn waren Menschen wie Jess sozialer Abfall, mehr nicht!“
Monika seufzte. „Ich weiß, ich kenne das ja auch. Es gibt so wenige, die hinter die Fassade schauen. Wer begreift schon, dass dieses Schicksal jedem passieren kann? Es gibt so viele abhängige Menschen, man braucht nur die VIPs anzuschauen, die bei irgendwelchen Galaveranstaltungen schön und toll wirken. Die Hälfte davon wirft irgendetwas ein. Nur dass die genug Geld haben, um nicht völlig abzustürzen. Obwohl das auch schon genug von ihnen passiert ist.“
Tessa nickte und betrachtete nachdenklich ihr Essen.
„Aber ich glaube, das war es noch nicht einmal. Die Abhängigkeit, meine ich. Ich weiß genau, dass Niklas selbst schon mal eine geraucht hat. Also ich meine gekifft. Früher zumindest.“
„Das ist was anderes“, warf Monika ein. „Nicht dass es gut zu heißen ist. Aber das ist noch keine Abhängigkeit. Außerdem ist es ein ganz anderes Kaliber als Heroin, Tessa.“
„Natürlich!“, stimmte diese sofort zu. „Aber wo fängt es an, wo hört es auf? Wer hätte ihm beispielsweise, Niklas mein ich, garantiert, dass es ihm nicht auch passieren kann? Es hätte nur etwas Schlimmes geschehen müssen und schon wäre er vielleicht auch in diesem Teufelskreis gewesen.“
„Klar“, erwiderte Monika. „Das ist korrekt. Und manchmal muss nicht mal etwas offensichtlich schlimmes passieren. Manchmal rutscht man auch einfach ab, verliert die Kontrolle, den Weg aus den Augen, ohne dass etwas passiert.“
Tessa nickte. „Ich denke, es ist einfacher, schlecht über Menschen wie Jess oder Kevin zu urteilen… als sich wirklich damit auseinander zu setzen, wie es zu so etwas kommt.“
„Ja, das ist es“, stimmte Monika ihr zu. „Vor allem auch, weil es vielen Menschen Angst macht. Weil sie in sich drin genau wissen, dass das so oder ähnlich jedem von uns passieren kann. Dass man abrutscht, warum auch immer. Die Kontrolle verliert. Davor ist niemand geschützt. Und das macht vielen Angst, darum ist es einfach zu verurteilen und sich abzugrenzen.“
Schweigend aßen die beiden Frauen auf. Dann rieb Monika sich genießerisch den Bauch und sagte: „Ach, das war gut.“
Tessa nickte. „Superlecker. Aber jetzt bin ich total voll.“
„Lass uns ein bisschen die Füße vertreten“, schlug Monika vor.
Gemeinsam schlenderten beide durch den japanischen Garten und ließen sich dann schließlich müde und satt auf einer der Bänke am Teich nieder.
„Boah, was für ein herrlicher Tag“, stellte Tessa fest und reckte das Gesicht gen Sonne. „Shopping, gutes Essen, Sonne… was will man mehr“, fügte Monika hinzu.
Tessa lächelte. „Morgen besuche ich Jess wieder. Ich freu mich wahnsinnig.“
Monika grinste. „Das glaube ich. Hast du noch mal mit ihm gesprochen?“
„Ja, gestern. Ihm geht´s ganz gut. Letzte Woche war er ziemlich launisch. Am Telefon, und auch als ich dort war.“
„Es ist nicht so einfach für ihn“, sagte Monika. „Er ist immer noch süchtig.“
„Ja, das wird er immer bleiben“, erwiderte Tessa ernst. „Es ist sozusagen eine unheilbare Krankheit.“
Monika nickte traurig. „Ich weiß. Ich hoffe wirklich für euch, dass ihr es schafft. Alles, was noch vor euch liegt.“
Tessa sah sie mitfühlend an. „Es ist bestimmt nicht leicht für dich, das alles mit mir und Jess, oder? Ich meine… du hast es dir doch so sehr auch gewünscht für dich und Kevin und…“
Monika zuckte mit den Schultern und betrachtete ihre Fußspitzen.
„Ja, es ist nicht immer einfach. Aber ich gönne es euch von Herzen, wirklich. Für Kevin war es einfach zu spät. Es war wohl unser Schicksal. Ich hätte nichts tun können, um es zu verhindern, auch wenn ich lange gebraucht habe, um das zu einzusehen.“
Sie betrachtete nachdenklich einen Fisch im Teich, der mit seinen großen Lippen nach Fliegen schnappte.
„Aber ich denke, es wird für mich auch Zeit, damit abzuschließen. Es ist schon so lang her“, sagte sie dann ernst und sah Tessa an. „Das Leben geht weiter.“
Tessa nickte langsam.
„Aber geht das so einfach? Damit abzuschließen? Ich meine, mir ist es bei Jess nie gelungen… heute weiß ich natürlich, dass es gut so war. Was wäre gewesen, wenn ich mich Joshua damals geöffnet hätte und Jess nun zurück gekehrt? Ich will gar nicht darüber nachdenken…“
Monika seufzte. „Brauchst du ja auch nicht. Es kam ja nicht so. Aber die Sache bei Jess war anders. Erstens war es noch nicht so lang her, wie es das bei mir ist. Und dann habe ich Sicherheit. Ich weiß, Kevin wird nie wiederkommen.“
Nachdenklich beobachtete Tessa zwei Kinder, die auf der anderen Parkseite Seilhüpfen spielten. „Du denkst also, du bist darüber hinweg, kannst es vergessen?“
Monika schüttelte den Kopf. „Nein. Ich weiß nicht, ob man je darüber hinweg kommt, den Menschen, den man liebt, zu verlieren. Und dann auch noch so… und vergessen kann man es sowieso nicht.“
Sie streckte ihre Beinen aus, fuhr sich durchs Haar und fuhr dann fort: „Aber abschließen, irgendwie, das kann man damit wohl. Weitermachen, sich davon lösen… in Liebe darin zurück denken, nicht in Gram und Schmerz. Ich glaube, das kann ich langsam.“
Tessa lächelte. „Das ist schön, Moni.“
Sie überlegte einen Moment und lachte dann: „Wie wäre es, wenn wir das heute Abend feiern gehen? Ich hätte mal wieder Lust, tanzen zu gehen!“
Monika zuckte mit den Schultern. „Warum nicht?“
„Gut, dann kannst du deine neuen Klamotten auch direkt einweihen“, zwinkerte Tessa. „Aber nicht so lange heute Abend, ich will morgen nicht zu spät raus, weil ich zu Jess muss.“
Moni lachte. „Ihr Studenten! Was ist denn bei dir *nicht zu spät raus*?“
„Naja… so um zehn oder elf“, lächelte Tessa und Moni lachte hell auf.
„Tessa? Bist du das?“
Verwirrt sah Tessa sich um und riss dann die Augen auf, als sie erkannte, von wem diese Frage stammte.
„Du???“
Verwirrt blickte Monika von dem jungen Mann, der vor ihrer Bank stand und Tessa betreten anlächelte und ihrer Freundin, die diesen mit bewegtem Gesicht anstarrte, hin und her.
Schließlich räusperte sich der junge Mann, versuchte unbekümmert zu wirken und sagte: „Lange nicht gesehen…“
Tessa fing sich und versuchte, ebenfalls betreten zu lächeln.
„Nun… ja, kann man wohl so sagen…“
Monika blickte zu dem jungen Mann auf und sah Tessa dann fragend an, da diese ihr Gegenüber jedoch immer noch irritiert lächelnd ansah, ohne sich zu rühren, lächelte auch Monika und sagte schlicht. „Hallo auch.“
Niklas schien sie erst jetzt zu bemerken und lächelte sie freundlich an.
„Hallo“, erwiderte er unsicher.
Tessa derweil hatte ihren Schrecken so weit verwunden, dass sie aufstand und Monika vorstellte: „Monika, das ist Niklas… ein… alter Bekannter aus meiner Schulzeit.“
Sie spürte, wie sein Blick sie bei diesen Worten traf und schluckte, sagte jedoch fest: „Niklas, das ist Monika, meine beste Freundin.“
Monika begriff nun die betretene Situation, stand auf und schüttelte Niklas lächelnd die Hand. „Hallo, Niklas“, sagte sie jetzt und musterte den jungen Mann genau, der sich unter ihrem wissenden Blick zwar unwohl zu fühlen schien, es jedoch nicht zeigte. „Freut mich, Sie mal kennen zu lernen.“
Die beiden standen einen Moment schweigend voreinander, dann wandte Niklas sich wieder Tessa zu und sagte: „Du schaust gut aus, Tessa. Wie… wie geht´s dir?“
Tessa zuckte mit den Schultern und sagte: „Ganz gut. Und dir?“
Niklas räusperte sich und sagte dann: „Auch gut, danke. Tessa… ich… nun… ich bin ganz froh, dich hier zu treffen.“
Tessa sah ihn erstaunt an. „Ach ja?“
„Ja, ich… ich wollte dich schon lange mal anrufen. Oder irgendwie Kontakt aufnehmen. Aber ich hab mich nicht getraut…“
Tessa sah ihn skeptisch an. „Aha.“
Niklas seufzte betreten und sagte dann ernst: „Hör zu, Tessa. Es ist einiges schief gelaufen zwischen uns… also ich meine… damals… und… nun… ich find´s schade, dass wir gar keinen Kontakt mehr haben. Es tut mir leid, was ich damals alles gesagt habe, das war so nicht ganz richtig. Ich… naja… ich meine einfach nur… ich fänd´s schön, wenn wir irgendwie wieder miteinander reden könnten.“
Tessa sah ihn verunsichert an und musste feststellen, dass sie sein offenes Geständnis berührte. Sie musterte ihn langsam. Auch er hatte sich verändert. Seine Haare waren dunkler und länger geworden. Er schien zu trainieren, denn unter seinem engen Shirt sah man deutlich, wie sich die Muskeln abzeichneten.
Er wirkte reifer, und doch jünger als damals.
Tessa schluckte und musste zugeben, dass sie nun, da er hier vor ihr stand, spürte, dass sie Niklas trotz allem, was gewesen war, manchmal vermisst hatte.
Dass er nun so reuig hier stand, war zumindest ein Anzeichen, dass es ihm nicht anders ergangen war. Doch war nicht viel zu viel zwischen ihnen geschehen, als dass man nun wieder „normal miteinander reden könnte“?
Tessa zuckte mit den Achseln als Antwort. „Niklas… es ist viel passiert“, sagte sie dann. „Ich weiß nicht, ob…“
Niklas unterbrach sie vorsichtig: „Tessa, ich… ich wollte nur wissen, ob ich dich mal anrufen darf… damit wir uns unterhalten können. Ich möchte dich nicht unter Druck setzen…“
Tessa nickte. „Ich weiß“, sagte sie dann und lächelte, diesmal ehrlich.
„Gut, natürlich kannst du anrufen. Du hast meine Nummer noch?“
Er nickte. „Klar… hab ich nie gelöscht.“
In diesem Moment fing Tessas Handy lautstark zu klingeln an.
„Ach je“, sagte die schnell und sah Monika und Niklas an. „Feli… ihr entschuldigt mich.“
Sie ging einige Schritte zur Seite und nahm ab. „Feli? Was ist los?“, wollte sie wissen und warf einen Blick über die Schulter, wo Monika und Niklas beisammen standen und offenbar zu plaudern anfingen.
„Tessa!“, krisch eine aufgeregte Stimme am anderen Ende des Hörers. „Du musst vorbei kommen! Sofort!“
Erschrocken antwortete diese: „Feli, was ist denn los? Nun bleib mal ruhig!“
„Hauser!“, rief diese nur atemlos. „Das Abgabedatum ist heute!“
„Was?“ Tessa verstand nur Bahnhof. „Was meinst du denn?“
„Das Referat! Das Referat!“, schrie Feli in den Hörer.
„Welches Referat?“
„Tessa, mach mich nicht irre!“
„Das bist du schon.“
„Nein! Ich meine das Referat für Hauser, das wir zusammen machen!“
„Feli, der Abgabetermin ist erst nächste Woche. Du hast es dir doch aufgeschrieben, 15. Juni.“
„Nein! Das ist es eben!“, rief Feli am anderen Ende der Leitung atemlos. „Ich hab mich vertan! Ich war vorhin in der Bib, da habe ich ihn zufällig getroffen und er sagte mit gehässigem Grinsen, dass wir schon wissen, dass bis nachher um 18 Uhr das Referat auf seinem Tisch liegen muss, sonst können wir den Schein vergessen!“
Tessa stieß einen erschrockenen Laut aus.
„Soll das heißen, wir müssen bis heute Abend alles fix und fertig haben?“
„Genau das, du Schnellmerkerin!“
„Aber… uns fehlt noch einiges!“
„Ich weiß, deswegen ruf ich ja an! Ich bin schon dabei, zu ergänzen, was noch fehlt. Aber allein schaff ich das nicht, du musst herkommen! Wir müssen das Ding unter Dach und Fach bringen, Tessa! Noch ein Semester mit diesem Ekel halte ich nicht aus!“
„Ich auch nicht“, erwiderte Tessa aufgeregt. „Aber was machen wir jetzt?“
„Was schon! Du kommst so schnell es geht her! Wir müssen das heute irgendwie fertig kriegen! Es sind nur noch vier Stunden!“
„Oh Feli, wie hast du das nur durcheinander bringen können!“, rief Tessa ärgerlich aus.
„Sorry, sorry, tausendmal sorry!“, quiekte es vom anderen Ende der Leitung. „Aber ich hab statt 05. Juni 15. geschrieben! Tut mir leid! Ein Versehen!“
Tessa gab einen genervten Laut von sich.
„Du Chaostante!“, fluchte sie. „Mit dir mach ich nix mehr zusammen!“
„Ach Tessa, nun stänker nicht rum, davon wird´s nicht anders. Komm lieber her! Wann kannst du da sein?“
„Ich weiß nicht! Ich bin mit Moni in der Stadt! Ich klär es ab und komm dann!“
„Komm so schnell es geht! Wir haben nicht mehr viel Zeit!“
„Ach nee… sag nur! Ich seh, was ich tun kann!“
Entnervt drückte sie das Handy aus und griff sich an den Kopf. „Diese Feli!“, stöhnte sie. Es war pures Glück, dass sie beide letzte Woche schon ungewöhnlich viel vorgearbeitet hatten und das Referat darum fast fertig war. Sonst wäre es nicht im Ansatz möglich gewesen, den Termin jetzt noch einzuhalten. Dennoch fehlten noch einige Angaben und Zusätze, und dies in weniger als vier Stunden zu vervollständigen, auszudrucken, zu binden und abzugeben, glich einem Wettlauf gegen die Zeit.
Tessa drehte sich um und sah erstaunt, dass Monika und Niklas immer noch angeregt miteinander plauderten.
Schnell ging sie zu ihnen. „Entschuldigt“, sagte sie. „Feli… diese Chaotin! Moni, ich hab ein Problem!“
Monika drehte sich zu ihrer Freundin und sah sie erstaunt an. „Du bist ja ganz aufgeregt. Was ist denn?“
Rasch erklärte Tessa, was geschehen war.
„Moni, es tut mir leid, aber ich muss sofort los. Ich fahre dich noch schnell zu Haus vorbei und dann direkt zu Feli.“
Monika jedoch winkte ab. „Ach was, Tessa, lass gut sein. Wenn du erst noch zu mir fährst, hast du doch einen riesigen Umweg. Feli wohnt doch am ganz anderen Ende der Stadt! Oder musst du noch mal nach Haus?“
„Eigentlich nicht“, gab Tessa zu. „Feli hat alles zu Haus bei sich, was wir benötigen.“
„Dann mach den Umweg nicht“, sagte Monika entschieden. „Das kostet dich locker eine halbe Stunde, die habt ihr nicht!“
„Nein, eigentlich nicht… aber wie kommst du nach Haus?“
„Ach, ich laufe oder ich nehm den Bus, irgendwie geht das schon. Ist doch schönes Wetter!“, beruhigte Monika sie.
„Wo wohnen Sie denn?“, mischte Niklas sich da vorsichtig ins Gespräch ein.
„Ganz in der Nähe von Tessa“, antwortete Monika. „Nur ein paar Straßen weiter.“
„Ich will nicht aufdringlich sein, aber ich kann Sie auch schnell mitnehmen, bin mit dem Auto da und muss ohnehin auch in diese Richtung.“
Er sah Tessa an und sagte dann wie zu Erklärung: „Ich bin ausgezogen zu Haus, und auch aus dem Studentenwohnheim. Ich wohne jetzt in einer kleinen Wohnung in der Weststadt.“
„Also genau unsere Richtung“, stellte Monika fest. „Macht Ihnen das auch wirklich nichts aus?“
„Nicht doch, ich fahre da ja sowieso lang“, sagte Niklas lächelnd.
Verunsichert blickte Tessa von einem zum anderen. „Macht das wirklich nicht aus?“, fragte sie dann noch einmal.
„Aber nein!“, riefen beide wie aus einem Mund und lachten dann.
Tessa zuckte mit den Schultern.
„Na dann! Ciao, Moni! Die Tüten bring ich dir nachher vorbei, treffen wir uns um acht bei dir?“
„Ja, gute Idee. Machen wir es so!“
Sie wandte sich Niklas zu und schüttelte ihm förmlich die Hand zum Abschied.
„Aufwiedersehen, Niklas.“
„Ich ruf dich an, ja?“
„Ja, mach das…“, sagte sie ausweichend. „Ich muss jetzt los, entschuldigt.“
Und schnellen Schrittes verließ sie den grünen Garten und machte sich auf den Weg zu Feli, um zu retten, was noch zu retten war.
Fortsetzung folgt.