Fotostory Tiefer als der Schmerz ♦ abgeschlossen ♦

Wow, was für ein tolles Kapitel du wieder gezaubert hast :) Jess sieht wirklich gut aus in seinen neuen Klamotten. Die Szene im Laden fand ich auch toll, besonders Tessas Satz mit den Händen, die einem aufhelfen. Das trifft es irgendwie gut auf den Punkt. Hoffentlich schafft es Jess auch in Zukunft fremde Hilfe anzunehmen.
Der letzte Teil des Kapitels war... sagen wir mal prickelnd ;)
Liebe grüße
 
Huhu,
tschuldige das ich mich so lange nicht mehr gemeldet habe.
Wir sind umgezogen und hatten einen Monat kein Internet.
Die Kapitel waren Klasse.
Es freut mich das Jess so schnell Gesund wurde
und das er einen Entzug machen will.
Ich freue mich richtig für Tessa und Jess.
Ich hoffe es wird jetzt alles gut und Jess übersteht den Entzug.
luebe grüße von sasispatz
 
@XBoux: Danke für Deinen Kommi! Klar, das ist nochmal eine ganze andere Ebene, welche beide damit beschritten haben!


@Zahlencödchen
: Hihi, Du traust mir nicht, was? :D Ich hülle mich mal in Schweigen! Danke für Deinen Kommi!



@Sexy_Lexi:
Hihi, ja prickelnd ist ein guter Ausdruck! :D Und ich war auch überrascht, wie gut der Kerle mit neuen Kleidern und Rasiert ausschaut!
Danke für Deinen Kommi!


@sasipatz:
Ich freue mich, dass DU noch mit dabei bist! Ja, ich denke, alle hoffen jetzt für Jessu nd Tessa, dass sie es hinkriegen. Aber noch haben sie einige Hürden zu nehmen...
 
Kapitel 69
Villa Sonnenschein


„Findest du diesen Namen nicht irgendwie lächerlich?“, fragte Jess nachdenklich, als er die Autotür zuschlug und gemeinsam mit Tessa den Gehweh in Richtung des großen, mit groben weißen Steinen verklinkerten Gebäudes zuging.
„Ich meine… es hört sich fast an wie aus Pippi Langstrumpf. So klischeehaft. Fast schon anbiedernd. Vor allem, wenn man weiß, was einen dort erwartet…“, sprach er missmutig weiter. „Welcher Idiot sucht dann so einen Namen aus?“
Tessa lächelte leicht und zuckte die Schultern. „Ich find ihn nicht so schlimm. Sieh es doch als ein gutes Omen, so wie ich. Wie hätte die Klinik denn sonst heißen sollen? Vielleicht Haus Schwarzseher, mh?“
Sie blieb stehen und drehte sich lächelnd zu Jess um.

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Auch dieser musste ein wenig grinsen. „Ja… ja, ist ja gut, du hast recht, ich sollte optimistischer an die Sache herangehen. Und eigentlich ist es ja ganz egal, wie diese Klinik auch immer heißen mag, wenn sie nur gut ist.“
„So ist es.“
Tessa ging einige Schritte weiter und blieb dann vor dem Eingang zum Gelände stehen. Sie und Jess blickten beeindruckt um sich. Das Gebäude wirkte mit seinen weißen groben Steinen freundlich und doch ein wenig einschüchternd. Die Fenster waren mit fast anheimelnd anmutetenden Fensterläden versehen und die davorhängenden Balkonkästen mit ersten Frühlingsblumen bepflanzt, was den einschüchternden Eindruck des Gebäudes wieder ausglich. Ein riesiger, freundlicher Garten umgab das große, helle Haus und wenngleich er noch nicht von den vorsichtigen Sonnenstrahlen einer noch recht schwachen Frühlingssonne wach geküsst worden war, konnte man sich vorstellen, dass es hier im Sommer herrlich aussehen musste.

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Sogar einen Pool gab es in einer hinteren Ecke, vor dem eine Reihe Liegestühle aus hellem Holz standen.
„Das sieht doch gut aus“, stellte Tessa fest und warf Jess einen Seitenblick zu. „Oder etwa nicht?“
„Ich kann gar nicht recht glauben, dass es das hier wirklich sein soll“, erwiderte Jess verblüfft. „Es wirkt eher wie ein Sanatorium für reiche Leute denn als eine Entzugsklinik für Junkies wie mich…“
„Jess!“, rief Tessa empört aus. „Ich hasse dieses Wort!“
„Nun ja, es ist eben so“, erwiderte dieser und musterte das Gebäude wieder erstaunt. „Das hier ist echt völlig anders als all die anderen Kliniken, Tessa. Das waren meist nur irgendwelche Abteilungen in psychiatrischen Einrichtungen, lieblos und kalt, mit ein paar demotivierten Ärzten und Psychologen darin. Das hier sieht völlig anders aus. Und du bist dir sicher, dass ich das bezahlt bekomme?“
Tessa erwiderte: „Ja, auch wenn ich selbst erstaunt bin, aber es ist so.“

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Jess ging einige Schritte den Weg entlang und blickte sich im Garten um.
„Ist das hier nicht eine herrliche Luft?“, bemerkte Tessa und schnupperte in die eben jene. Um sie herum war zum Großteil nur hügeliges Waldgebiet. Das Therapiezentrum „Sonnenschein“ befand sich etwa fünfzig Kilometer von der Stadt entfernt, in einem kleinen Ort, in dem vermutlich Hase und Fuchs einander Gute Nacht sagten. Einen Moment überlegte Tessa sich, was für einen Aufschrei es wohl unter den Dorfbewohnern gegeben haben mochte, als irgendjemand auf die Idee kam, hier eine derartige Einrichtung zu eröffnen. Für einen Augenblick bereitete ihr der Gedanke, die Patienten könnten hier eventuell von der dörflichen Verachtung gestraft werden, Bauchschmerzen, doch dann schob sie diese Gedanken beiseite. Mit Sicherheit waren dies Problematiken, die von den Leitern der Einrichtung schon längst gelöst worden waren, um den Hilfesuchenden nicht noch mehr zuzumuten als ohnehin schon nötig war.
„Lass uns reingehen“, sagte sie zu Jess. Dieser nickte zuerst noch etwas zögerlich, ging dann aber schnellen Schrittes auf die Tür zu und öffnete sie langsam.
Beide sahen sich in dem Vorraum, in den sie nun getreten waren, um. Er war liebevoll und gemütlich eingerichtet und lud zum Verweilen ein, so dass man für eine Sekunde vergessen konnte, in welcher Art von Einrichtung man sich hier eigentlich befand.

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Große Fenster boten einen Ausblick in den noch recht kahlen, aber doch schon reizvollen Garten, den man von einer gemütlichen Sitzgruppe aus Rattansesseln beobachten konnte.
Mehrere große Bögen gewährten Einblick in eine rustikal und gemütlich eingerichtete und sehr große Küche. Doch bevor Tessa und Jess sich weiter umschauen konnte, tauchte die Gestalt einer kurzhaarigen Frau, die in Arztkleidung gehüllt war, an der Treppe auf und lächelte beide freundlich an.
„Herr Berger, nehme ich an?“, fragte sie und schüttelte erst Jess und dann Tessa die Hand.
Dann wand sie sich wieder Jess zu und sagte freundlich: „Herzlich Willkommen in der Villa Sonnenschein!“
Tessa grinste, als sie sah, wie Jess sich ein Lachen verkneifen musste, weil er diesen Namen offenbar immer noch völlig lächerlich fand. Doch Jess wurde schnell wieder ernst, als die Ärztin weitersprach: „Ich bin Doktor Habsburg, ich betreue Sie in den nächsten Tagen und während des kalten Entzugs. Erst einmal möchte ich Ihnen meinen Glückwunsch aussprechen, dass Sie diesen Schritt wagen, Herr Berger. Dazu gehört viel Mut und Charakterstärke und ich werde alles tun, um Sie diesen Weg so unbeschadet und erfolgreich wie möglich hinter sich bringen zu lassen.“

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Jess lächelte verunsichert. „Danke, das ist nett von Ihnen“, sagte er langsam. „So herzlich hat man mich bisher in noch keiner Einrichtung begrüßt.“
„Gut, dass Sie das ansprechen“, erwiderte Doktor Habsburg. „Ich habe mir schon Ihre Akten, die uns das Krankenhaus geschickt hat, durchgesehen. Sie haben bereits drei Entzugsversuche hinter sich?“
Jess nickte betreten. „Ja, einer erfolgloser als der andere.“
Doktor Habsburg lächelte traurig. „Ja, das ist keine Seltenheit. Allerdings, vielleicht wird Sie das aufmuntern, weist unser Haus eine sehr gute Erfolgsstatistik auf. Wir unterscheiden uns ein wenig im Therapieansatz von den meisten anderen Einrichtungen“, erklärte sie. „Wir sind der Meinung, dass eine solche Heilung – und nichts anderes ist es – viel, viel Zeit und Aufmerksamkeit braucht. Sie haben von daher wirklich Glück gehabt, einen Platz auf der Warteliste ergattert zu haben, und das haben Sie auch nur den guten Verbindungen Ihrer Ärztin zu verdanken.“ Sie zwinkerte, wurde dann aber wieder ernst. „Da wir auf die Zeit und deren Wirkung setzen, halten wir nichts davon, Sie direkt nach dem Entzug wieder ins Leben zu schicken, denn wir sind davon überzeugt, dass dies in den allermeisten Fällen zum Scheitern verurteilt ist. Sie müssen erst erkennen, was genau Sie zur Sucht geführt hat und wo überall Sie Ihnen auch später immer wieder auflauern wird. Darum ist unser Programm auch so ausgelegt, dass Sie in der Regel ein halbes Jahr hierbleiben werden.“
Jess schluckte und starrte die Ärztin verdattert an. „Ein… ein halbes Jahr?“, stammelte er. „Die anderen Entzüge haben meist nur drei oder vier Wochen gedauert…“

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„Nun… genau hier ist der springende Punkt“, erwiderte die Ärztin freundlich. „Natürlich werden wir Sie nicht dazu zwingen… es ist nur eine Empfehlung. Manchmal geht es schneller, manchmal nicht…“
„Nein – nein, das ist schon in Ordnung“, sagte Jess rasch und warf Tessa einen Blick zu, die sich ein Lächeln abrang, auch wenn sie ob der Tatsache, dass dies hier so lange dauern würde, ebenso überrumpelt aussah.
„Ich tu alles, um wieder gesund zu werden und… dann ein normales Leben mit meiner Freundin zu führen“, sagte Jess und lächelte Tessa liebevoll an, was diese erwiderte.
Die Ärztin drehte sich nun zu Tessa um und lächelte ebenfalls. „Es ist immer gut, jemanden zu haben, der einen unterstützt und auf einen wartet“, sagte sie dann und ging auf Tessa zu. „Sie sind Herr Bergers Freundin? Frau Wagner, richtig?“
„Ja“, antwortete Tessa. „Und ich bin wirklich froh, dass Jess hier bei Ihnen untergekommen ist.“

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Die Ärztin lächelte wieder und sagte dann: „Frau Wagner, Sie wissen, dass Ihr Freund während der ersten vier Wochen keinen Kontakt mit Ihnen haben wird?“
Tessa schluckte. Etwas in der Art hatte man im Krankenhaus schon angedeutet.
„Nun… ich hab es mir gedacht“, erwiderte sie und versuchte, den Kloß im Hals krampfhaft wegzuschlucken. „Aber ich dachte, es handle sich nur um die Zeit des kalten Entzugs… also vierzehn Tage in etwa…“
Die Ärztin schüttelte den Kopf. „Auch hier haben wir eine andere Meinung. Jede Störung von außerhalb sollte in den ersten vier bis fünf Wochen vermieden werden, damit Herr Berger sich auf sich konzentrieren kann. Abgesehen davon ist es oft ohnehin schwer, in dieser Zeit soziale Kontakte zu pflegen, weil der Körper und vor allem die Psyche noch zu sehr unter den Entzugserscheinungen leiden…“
Tessa nickte langsam und dachte mit Grauen an die Zeit des kalten Entzugs im Vorjahr zurück und auch daran, dass die Rückfälle selbst noch nach Tagen auftraten.
Jess lächelte ihr zu, als wolle er ihr sagen: „Das schaffen wir schon.“
„Wie wäre es, wenn ich Ihnen beiden erst einmal alles hier zeige“, versuche die Ärztin die Stimmung aufzulockern. „Folgen Sie mir doch bitte.“

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Tessa warf Jess einen Blick zu und er kam rasch zu ihr und drückte ihre Hand, dann folgten sie der Ärztin durch den Vorraum in die helle Küche.
„Das ist, wie unschwer zu erkennen, unsere Küche und der Speisesaal“, erklärte Doktor Habsburg freundlich. „Unsere Patienten kochen sich so oft es geht selbst etwas, wir essen dann in der Gruppe, das ist Bestandteil des Therapieprogramms, aber auch einfach praktischer so.“ Sie zwinkerte und fügte dann ernster hinzu:. „Aber wir haben natürlich auch eine Köchin, die für diejenigen kocht, denen es nicht gut genug geht, um herunter zu kommen.“

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Sie durchschritten die große Küche mit den robusten Möbeln und die Ärztin zeigte auf den angrenzenden Raum, der gemütlich mit einigen Bücherregalen, Couchs, Sesseln, einem Fernseher und Schachbrett bestückt war, an dem gerade eine Frau im Rock und Pulli saß und über den Figuren brütete.
„Hier ist der Aufenthaltsraum“, erklärte die Ärztin.

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Sie verließen den Raum erneut, die Ärztin beschrieb ihnen kurz den Garten, dann folgten sie ihr in die oberen Stockwerke, in denen es noch einige Räume für Therapiestunden, zwei Arztzimmer mit allen nötigen medizinischen Einrichtungen, einen Fitnessraum, einen Kunstraum und eine hübsche kleine Bibliothek gab. Danach brachte Doktor Habsburg Jess und Tessa zurück in den ersten Stock, wo sie in der Mitte eines Gangs stehen blieb und eine der Türen mit den Worten „Hier befindet sich Ihr Zimmer, Herr Berger!“ öffnete.
Tessa folgte Jess und der Ärztin in den überraschend großen, freundlich und recht gemütlich eingerichteten Raum.
„So, Herr Berger, nun haben Sie ja alles gesehen“, sagte die Ärztin. „Ich werde sie beiden nun allein lassen, damit Sie sich verabschieden können. In einer halben Stunde wird Ihr Therapieprogramm mit dem Aufnahmegespräch in Arztzimmer zwei beginnen. Das Ersatzmittel auf dem Sie zurzeit gehalten werden, wird sofort abgesetzt. Sie werden damit rechnen müssen, dass die ersten Entzugserscheinungen schon während der Nacht oder spätestens morgen einsetzen dürften. Nach vier oder fünf Wochen können Sie sich dann telefonisch bei Frau Wagner melden.“
Sie ging einige Schritte zur Tür und drehte sich dann noch einmal um.

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„Frau Wagner, wenn irgendetwas Wichtiges passieren sollte, können Sie uns natürlich jederzeit kontaktieren.“ Sie lächelte noch einmal. „Auf Wiedersehen, Frau Wagner. Und Herr Berger, Sie sehe ich ja gleich im Arztzimmer.“
Die beiden nickten ihr zu, sie drehte sich um und ging zur Tür hinaus.
Tessa und Jess blickten sich einen Moment unsicher an und versuchten dann beide, schwach zu lächeln.
„Tja…“, sagte Tessa gedehnt und Jess erwiderte: „Ja…“

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Tessa holte tief Luft und sah sich dann noch einmal im Zimmer um. „Ist doch ganz nett hier, oder? Da hinten hast du sogar ein kleines Badezimmer für dich.“
„Ja, es ist regelrecht luxuriös“, erwiderte Jess ohne eine Spur von Sarkasmus. „Wenn ich an die anderen Einrichtungen denke, da hatte man manchmal nur ein Bett im Viererzimmer…“
„Anscheinend hat diese Klinik nicht umsonst ihren guten Ruf“, gab Tessa zögernd zurück.
„Ja, es ist zu hoffen.“ Jess blickte sie nervös an.
Tessa schluckte schwer und sprach weiter, als wolle sie den unvermeidlichen Moment des Abschieds noch zur Seite schieben. „Es ist bestimmt gut für dich, wenn du dich hier ein bisschen zurück ziehen kannst, wenn dir alles zu viel wird…“
„Ja… sicher…“
Tessa verschränkte die Arme und lächelte gequält. „Ach komm, Jess… mach nicht ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter…“

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„Das mach ich doch gar nicht“, verteidigte dieser sich. „Ich… ich mach mir nur Sorgen um dich.“
„Um mich?“, fragte Tessa erstaunt. „Wieso denn?“
„Ich hab doch gesehen, wie geschockt du warst, als die Ärztin von vier bis fünf Wochen sprach. Du hast mit einer kürzeren Zeit gerechnet, nicht wahr?“
„Du etwa nicht?“
„Doch…“, gab Jess zu. „Aber offen gestanden halte ich diese Einstellung für sinnvoll. Tessa, ich werde in den nächsten Tagen und Wochen nicht ich selbst sein… und… ja, vielleicht würde ich dich nur verletzen oder entmutigen, wenn wir dann Kontakt hätten… ich denke, es ist vielleicht besser so. Auf der anderen Seite habe ich ein schlechtes Gewissen dir gegenüber…“
„Wieso denn?“, erwiderte Tessa verwirrt.
„Nun… du warst so lange alleine und nun lass ich dich schon wieder alleine. Ich würde so gerne auch einmal für dich da sein können… und dir nicht immer nur Leid und Schmerz zufügen, so wie ich es jetzt wieder durch diese lange Abwesenheit tun werde.“

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Tessa schüttelte den Kopf und ging einige Schritte durchs Zimmer. Ihre Absätze klapperten dumpf auf dem robusten Holzboden.
„Das ist Unsinn“, sagte sie dann schnell. „Wir haben beide gewusst, dass diese Phase jetzt noch einmal sehr schwer wird. Für dich viel mehr als für mich. Erst wenn das alles hier vorbei ist, können wir unser gemeinsames Leben anfangen… in der Form, in der wir es uns wünschen zumindest. Du brauchst kein schlechtes Gewissen haben. Ich komme klar. Aber was mit dir?“
Jess seufzte. „Ach, Tessa, genau das meine ich doch. Du denkst nie an dich. Ich komme auch klar. Ich bin hier in den besten Händen. Und ja, ich habe Angst vor dem, was auf mich zukommen wird. Aber ich muss da alleine durch, und ich werde es schaffen – diesmal schaffe ich es sicher“, sagte er entschlossen und sah Tessa dann liebevoll an. „Aber was ist mit dir? Ich wünschte, du hättest nie gesehen, wie es mir bei einem Entzug geht. Du wirst zu Haus sitzen und ständig daran denken, was ich hier durchmache. Du wirst mich nicht kontaktieren können, nicht fragen, wie es mir geht. Du wirst Angst haben, dass etwas schief geht.“
„Ach…“, wollte Tessa beginnen, doch Jess unterbrach sie: „Ich kenne dich, Tessa. Ich mache mir Sorgen um dich, darum wie du diese Zeit überstehst. Du bist so sensibel und mitfühlend. Du wirst leiden, und das tut mir weh.“
Tessa schluckte und schwieg. Wieder einmal hatte Jess ihr bis in die tiefsten Tiefen ihrer Seele geschaut.

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„So schlimm wird es schon nicht werden“, erwiderte sie dann unsicher. „Es geht nicht um mich, Jess, sondern um dich und…“
„Nein, Tessa“, unterbrach Jess sie abermals. „Es geht nicht immer nur im mich. Du bist auch wichtig, verstehst du. Für mich.“
Tessa schluckte wieder gerührt.
Jess sah sie ernst an: „Versprich mir, dass du dir nicht zu viele Gedanken machst. Wenn irgendetwas schief gehen sollte, wird man dich anrufen. Und wenn du nichts hörst, ist alles in Ordnung. Das musst du dir immer klar machen, hörst du? Bitte mach es dir nicht schwerer als es sein muss, ja? Pass auf dich auf, geh mit deinen Freunden aus, hab Spaß, soweit du kannst. Du musst nicht die ganze Zeit zu Haus sitzen, nur weil ich hier bin. Ich möchte, dass du dein Leben genauso weiterlebst wie vorher.“
Tessa seufzte und fragte sich insgeheim, wie er sich das vorstellte, doch sie sah, wie ernst es ihm war und nickte dann.
Jess lächelte. „Gut. Das ist gut.“

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Tessa warf einen raschen Blick zur Uhr.
„Es wird Zeit“, stellte sie dann fest. „Du musst schon in knapp zehn Minuten bei der Ärztin sein. Wir sollten… wir sollten es jetzt hinter uns bringen.“
Jess nickte. „Ja, du hast vermutlich recht.“
Einen Moment standen sie unsicher voreinander, dann zog er sie in die Arme und drückte sie an sich. „Vergiss nicht, was du mir versprochen hast“, sagte er leise. „Ich verlasse mich auf dich.“

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Tessa nickte. „Ja, okay… ich tu mein bestes.“
Sie ließ ihn los und versuchte sich ein Lächeln abzuringen. „Aber du… du musst auch gut achtgeben, ja? Sei stark.“
Jess nickte. Tessa zog sein Gesicht lächelnd noch einmal heran, um ihn zu küssen.
„Ich bin mir sicher, dass du es schaffst“, sagte sie dabei.

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Sie küsste ihn noch einmal kurz, dann wandte sie sich ab und sagte: „Ich gehe jetzt. Bis… in ein paar Wochen.“
Jess wollte noch etwas sagen, doch Tessa spürte, wie ihre innere Stärke langsam dahin schmolz, als ob es sich um einen Eisklotz in der prallen Sonne handele.
„Ich muss los“, sagte sie darum recht harsch, drehte sich um und ging zur Tür. Im Rahmen blieb sie noch einmal einen Moment stehen und kämpfte gegen den dringenden Wunsch an, sich noch einmal umzudrehen. Dann jedoch ging sie schnellen Schrittes aus der Tür.

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Ihre Füßen trugen sie schneller als gewollte, sie rannte schon fast den Gang entlang, die Treppe hinunter und zur Tür hinaus. Erst als sie die frische und kühle Luft des Gartens umgab, blieb sie stehen. So schnell sie sich eben hatte von diesem Ort entfernen wollten, so wenig schien sie nun endgültig dazu in der Lage zu sein.
Ihr Atem ging schwer und sie schaute sich wie hilfesuchend im Garten um.
„Wir haben das doch beide gewusst“, flüsterte sie verzweifelt. „Wieso tut es nur so sch-ei-sse weh?“

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Eine Frau ging langsam an ihr vorbei und warf ihr einen fragenden Blick zu, doch Tessa wandte sich ab und schauderte zusammen. Es war nicht kälter geworden als zuvor, doch nun fror sie. Sie wusste genau, dass sie hätte gehen sollen. Es brachte nichts, weiterhin hier herumzustehen wie angewurzelt. Je schneller sie verschwand, desto einfach würde es werden…oder? Sie ging mühsam einige Schritte und blieb am Eingang zum Garten noch einmal stehen. Noch konnte sie sich nicht recht überwinden, endgültig zu gehen. Es schien etwas so endgültiges zu haben.
Sie schluckte hart gegen die Tränen an, die in ihr aufstiegen, was jedoch recht erfolglos zu sein schien. Schon rann ihr ein kleiner salziger Bach über die rechte Wange, den sie missmutig mit dem Handrücken wegwischte.
„Tessa?“
Erschrocken fuhr die Angesprochene herum.

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„Jess“, stammelte sie und fühlte sich seltsam ertappt und gleichzeitig froh, ihn hier vor sich stehen zu sehen. „Was…was machst du hier? Du … solltest du nicht bei der Ärztin sein?“
„Doch, gleich jedenfalls. Aber ich konnte dich nicht so hier stehenlassen.“
„Ich... ich wollte nur…“
„Ich hab dich vom Fenster aus gesehen“, erklärte Jess und lächelte leicht.
Tessa schluckte. „Entschuldige…“, flüsterte sie und schauderte erneut zusammen. „Ich wollte dir keinen Ärger machen. Du solltest wieder hineingehen… die Ärztin wartet und…“
„Schhhh“, sagte Jess sanft und griff nach ihren Händen. „Mein Gott, du zitterst ja. Ist dir kalt?“
Tessa zuckte mit den Schultern. „Vermutlich…“

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„Hör zu“, sagte Jess sanft. „Du musst nicht immer stark sein, okay? Es ist in Ordnung, wenn du weinst oder wenn du mir zeigst, dass es dir nicht gut geht.“
„Aber… du hast genug mit dir selbst zu tun“, sagte Tessa leise.
„Tessa… gestern hast du mir lange erklärt, dass ich bereit sein muss, Hilfe anzunehmen. Das gilt für dich aber genauso. Das alles kann nur funktionieren, wenn wir uns nicht mehr verstellen. Ich kenne dich, Tessa, ich weiß, dass du nicht immer stark sein kannst und wie sehr dich das mitnimmt. Und das ist okay so.“
Er lächelte sie aufmunternd an. „Also… spiel nicht immer die Heldin, Tessa. Du brauchst das nicht… nicht für mich, nicht für dich, nicht für sonst wen. Okay?“
Tessa rang sich ein Lächeln ab und starrte verlegen auf ihre Schuhspitzen.
„Ja, Herr Psychologe“, presste sie dann hervor. „Du hast ja recht…“

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„Na also, das gefällt mir schon viel besser“, erwiderte Jess und lächelte sie noch einmal an. „He, Kleines, komm, es sind nur fünf Wochen, es ist nicht die Welt. Das wird schneller vergehen als du denkst.“
Tessa nickte langsam und sagte dann: „Du musst gehen, Jess…“
„Tessa“, mahnte dieser. „Was hab ich gesagt? Nicht stark sein … ich schaff das schon. Jetzt bist du mir erstmal wichtig. Bevor ich dir nicht noch etwas wichtiges gesagt habe, kann ich nicht gehen.“
„Und was wäre das?“
Jess lächelte und griff nach ihrer Hand. „Was wohl, Dummerchen? Ich wollte dir noch sagen, dass ich dich liebe.“
Tessa lächelte Jess gerührt an. „Und ich liebe dich.“

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Jess seufzte zufrieden und strich ihr über die Wange.
„Gut, jetzt kann ich gehen“, sagte er dann langsam. „Pass gut auf dich auf, Tessa, ja?“
Tessa nickte. „Klar doch. Und du auf dich.“
„Selbstredend.“
Er zwinkerte und sah sie dann wieder ernster an, zog sie an sich heran und küsste sie noch einmal.

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„Und nun muss ich los“, sagte er und zwinkerte. „Sonst krieg ich direkt am ersten Tag einen Eintrag ins Klassenbuch oder so.“
Tessa musste gegen ihren Willen lachen. „Das kann gut passieren“, sagte sie dann und löste sich langsam aus seiner Umarmung. „Also solltest du dich…“
„…lieber sputen, ich weiß“, vervollständigte dieser ihren Satz. „Ich geh auch schon. Bis in vier Wochen, Tessa.“

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Er drückte ihr noch einen schnellen Kuss auf den Mund und sagte dann: „Und du solltest jetzt auch gehen, bevor du dich noch erkältest, ja?“
Tessa nickte.
„Gehst du jetzt auch wirklich? Ich will dich nicht heute Abend hier halb erfroren finden.“
Tessa grinste schief. „Nein, ich gehe. Versprochen.“
Jess lächelte nocheinmal, winkte ihr zu und ging schnellen Schrittes zurück ins Haus.
Tessa seufzte und blickte noch einmal am Gebäude hinauf, aber jetzt fühlte sie sich auf seltsame Weise leichter als zuvor. Sie wandte den Blick ab, drehte sich um und ging ohne noch einmal zurück zu schauen zurück zum Auto, startete den Motor und ließ die Villa Sonnenschein und das kleine verschlafene Örtchen hinter sich

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Fortsetzung folgt.
 
Zuletzt bearbeitet:
ein sehr schönes, sehr gefühlsbetontes kapitel.
vor allem das ende, das wieder klar macht, wie nahe jess und tessa sich sind, geht wirklich unter die haut.
auch sehr schön, dass jess nun etwas aktiver wird.
ich bin sehr gespannt auf den jess nach dem entzug.
 
Das ist ja wirklich eine richtige Luxus-Klinik, in der Jess jetzt ist. Hoffentlich geht diesesmal alles gut, ein halbes Jahr ist ja schon eine recht lange Zeit, aber erstmal müssen Tessa und er die 4 Wochen ohne einander überstehen.
Der Schluss hat mir total gut gefallen, endlich war Tessa mal nicht die Starke, sondern Jess hat sie aufgebaut. Vielleicht ist das ja schon ein gutes Zeichen? Naja, das wird sich sicher bald zeigen. Freue mich wie immer auf die Fortsetzung.

Liebe Grüße

PS: Müsste es hier nicht "Herr Berger" heißen? Sie sind Frau Bergers Freundin? Frau Wagner, richtig?
 
Also, ich muss jetzt einfach mal mein Kompliment aussprechen,
in bis jetzt keiner FS habe ich so viel geweint wie hier,
und das mag eigendlich schon was heißen... :eek:
Und dieses Gefühl, ich versetzte mich in jedem Kapitel in jede einzelne
Person rein.... %)
Ach, und den 2. Platz hast du dir verdient !!!
Total, muss ich jetzt einfach mal sagen.
Kannst du mich bitte bitte benachrichtigen ??
und die klinik ist ja wirklich ein vollkommener Luxusladen,
gebe ich allen recht !
Maccaroni
 
Zuletzt bearbeitet:
Wow,
das Kapitel war toll.
''Villa Sonnenschein"da musste ich lachen.
Die Klinik finde ich toll sie sieht gar nicht aus wie eine Klinik.
Ich hoffe Jess übersteht den Entzug und Tessa macht sich nicht so viele sorgen.
 
@Zahlencödchen: Danke für Deinen Kommi! Ich bin froh, dass es rüber kam, dass Jess´ Verhalten sich schon langsam zu ändern beginnt und auch er einiges übernimmt und Tessa nicht alles auf ihren Schultern tragen muss (müsste...). Und ja, die beiden sind sich wirklich nahe. :)


@Sexy_Lexi:
Ja, ich hab einen Tipfehler drin, mit den beiden Namen komme ich immer wieder durcheinander (warum musste ich auch so ähnlich klingende nehmen?) :lol:
Die Klinik ist wirklich sehr hübsch und verhältnismässig luxuriös, wobei ich denke, dass relativ neue Kureinrichtungen auf dem Land oft so aussehen und trotzdem von der Kasse bezahlt werden. Man muss halt nur wissen, wo man so was findet...
Die nächsten Wochen und Monate steht Jess und Tessa noch viel bevor, da hast Du recht. Und man weiß ja auch noch nicht, ob Jess diesmal wirklich durchhält... auch wenn er so weit draußen ist.
Danke für Deinen Kommi!



@Maccaroni:
Ich freue mich, dass Du auch mitliest und bedanke mich sehr für Dein Kompliment, das tut natürlich sehr gut und ich find es toll!
Ja, ich benachrichtige Dich gerne!



@Sasispatz:
Ja, der Name ist schon ziemlich lächerlich :lol:! Die Klinik ist ja auch gar nicht wirklich eine "klinik" im Krankenhaus-Sinne, sondern eine Art "Kur"-Einrichtung, darum sieht sie auch gottseidank nicht so medizinisch-kalt aus.
Danke für Deinen Kommi!



@ALL:
Es gibt heute wieder viel zu lesen, ich hoffe, ihr habt Zeit, trotz dieses traumhaft sonnigen Wetters ;)
 
Kapitel 70
Ausgebrannt



Unruhig wälzte sich Tessa im Bett hin und her. Über ihre Stirn rannen feine Rinnsale von Schweiß. Sie stöhnte und ihre Hand krallte sich in ihr Kopfkissen.
Ihre Brust hob und senkte sich schnell und ungleichmäßig, es schien, als kämpfe sie gegen etwas an, das viel stärker und mächtiger als sie selbst war.
Bilder schossen durch ihren Kopf, surreal und doch so echt, als geschähen sie vor ihren wachen Augen.

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„Jess!“
Mit einem schrillen Schrei fuhr sie aus den Laken nach oben. Es dauerte einige Sekunden, bis sie sich zu Recht fand und begriff, dass es nur ein Traum gewesen war, sie zu Hause in ihrem weichen Bett lag und sie nichts umgab als die Stille der ruhigen Aprilnacht.
Immer noch zitternd tastete ihre Hand nach dem Lichtschalter und das Zimmer wurde in freundliches, helles Licht gehüllt.
Tessa schauderte zusammen und fuhr sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es erst drei Uhr in der Nacht war. Sie hatte kaum mehr als zwei Stunden geschlafen. Stöhnend rieb sie sich die Augen und überlegte, ob sie sich wieder in ihre Kissen kuscheln sollte. Doch die Bilder des Traumes trieben durch ihren Kopf und wurden nicht im Geringsten durch das Wissen darum, dass sie nur bedingt der Traumwelt entsprungen sein mochten, entschärft.
Seufzend schob Tessa die Bettdecke beiseite und setzte sich erschöpft auf die Bettkante. Sie fühlte sich krank und schwach, schon seit Tagen. Ihr war übel, ihr Kopf brummte und das Zimmer schien sich langsam aber stetig und das flaue Gefühl im Magen verstärkend zu drehen, der Boden zu schwanken.

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Langsam tappte sie durch das Schlafzimmer und fühlte sich dabei wie eine Betrunkene. Sie durchquerte das dunkle Wohnzimmer und schaltete das Licht in der Küche ein, wo sie sich ein Glas Wasser holte. Während sie trank schweiften ihre Gedanken zu Jess und den Bildern aus ihren Träumen ab. Das Glas in ihrer Hand begann zu zittern.
Die Unsicherheit, was mit ihm geschah, wie es ihm ging, wie er sich fühlte, schien ihre letzten Nerven zu rauben. Schon seit Tagen konnte sie an nichts anderes mehr denken, nichts anderes mehr fühlen. Sie hätte nie gedacht, dass es so schwer sein würde. Eigentlich, so ging ihr durch den Kopf, war es schwerer als damals, als sie bei ihm gewesen war während des kalten Entzugs. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, hätte sie nicht genau gewusst, was er nun durchstand. Doch die Bilder aus jenen Tagen hatten sich in ihr eingebrannt und spielten sich jetzt verschärft und vor anderem Hintergrund wie eine auf „Repeat“ eingestellte Kassette immer und immer wieder ab.

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Unwirsch schüttelte sie den Kopf, um das erneut aufsteigende Gefühl von Hilflosigkeit abzuwehren.
Ihr Blick schweifte wieder zur Uhr. Sie hätte längst schlafen müssen. Nie in ihrem Leben hatte sie sich derartig übermüdet und schwach gefühlt. Jess war nun seit rund zwei Wochen in der Klinik. Zwei Wochen ohne jedes Lebenszeichen. Wie auch, es war ja vorhersehbar gewesen. Und sie hatten nur in etwa die Hälfte der Zeit überstanden.
Moni hatte sie zu trösten versucht, indem sie ihr klar machte, dass alles in Ordnung war, so lange sich niemand meldete. Doch das vermochte Tessa nur bedingt zu beruhigen.
Jess schlief jetzt vielleicht auch nicht. Vielleicht litt er immer noch unter den Entzugserscheinungen. So wie damals.
Tigerte in seinem Zimmer auf und ab, ohne Pause. Von Schmerzen, Gedanken, Gefühlen, grausigen Visionen geplagt.
Doch vor einem Jahr war sie da gewesen, um ihn zu halten. Um ihn zu schützen.
Wer war nun bei ihm? Kümmerte man sich in der Klinik denn auch genug um ihn? Oder schloss man die Tür ab und überließ ihn seinem Schicksal?

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Tessa seufzte und stellte das Glas Wasser beiseite. Sie hatte seit Nächten schon nicht mehr als zwei oder drei Stunden geschlafen. In den ersten Tagen hatte sie den Schlaf wenigstens sporadisch am Tag nachholen können, doch seit einer Woche waren die Semesterferien zu Ende, und sie hatte morgen wieder um zehn Uhr eine Vorlesung, die sehr wichtig war. Schon die ganzen letzten Tage war sie fast den ganzen Tag auf den Beinen gewesen und der Schlafmangel steckte ihr deutlich in jedem Knochen.
Noch dazu musste sie in wenigen Tagen ein Referat halten, und das auch noch bei „Professor Miesepeter“, wie ihn seine Studenten gerne nannten. Dieser Schein war wichtig für sie, und sie durfte sich keine Fehler erlauben. Müde rieb sie sich die Augen und tapste zurück ins Schlafzimmer. Eisern versuchte sie, die Gedanken an Jess aus ihrem Kopf zu drängen. Sie konnte nichts für ihn tun, und er hatte sie gebeten, sich nicht vor lauter Angst um ihn zu verlieren. Tapfer löschte sie das Licht und zog die Decke bis ans Kinn. Eine Weile lag sie still da und konnte nicht in den Schlaf finden. Draußen hörte man nur ab und an ein Auto vorbei brummen, sonst war es still. Nach einer Weile merkte Tessa, wie ihr die Lider schwer wurden und schließlich glitt sie erneut in den Schlaf.
Jess starrte mit weitaufgerissenen Augen auf die zwei Gestalten, die ins Zimmer geschwebt waren.
„Was wollt ihr?“, stammelte er mit hoher, von Angst erfüllter Stimme.
„Dich holen“, raunte der Tod.
„Dich erlösen“, raunte der Engel.
„Tessa! Wo bist du? Hilf mir doch! Tessa!!“

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Tessa stöhnte leise auf, öffnete widerwillig die Augen und realisierte erst jetzt, dass das Klingeln des Weckers sie aus ihrem wirren Traum gerissen hatte. Müde setzte sie sich auf. Sie fühlte sich verspannt und völlig unausgeruht. Doch es half alles nichts, sie musste in einer Stunde an der Uni sein.
Die Morgentoilette fiel heute kurz aus, nicht einmal zum Schminken nahm sie sich mehr Zeit, band sich das Haar nur rasch zum Zopf und machte sich dann einen starken Kaffee.
Während das bittere Getränk ihre Kehle hinab lief und in ihrem leeren Magen zu rebellieren begann, fragte Tessa sich, wie sie noch weitere zwei oder drei Wochen auf diese Weise durchstehen sollte.

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Sie fühlte sich wie gerädert. „Heute Abend muss ich mir all diese Gedanken aus dem Kopf schlagen“, murmelte sie wie zu sich selbst. Sie brauchte Schlaf. Dringend.
Der Tag an der Uni zog sich wie ein Kaugummi und Tessa ertappte sich mehrmals dabei, in der Vorlesung fast einzuschlafen.
Als sie am Abend völlig erschöpft nach Haus kam, wäre sie am liebsten sofort ins Bett gegangen. Doch das Referat schrieb sich nicht von alleine und sie wollte wenigstens mit einigen Stichpunkten anfangen.
Nach einer Weile jedoch sah sie ein, dass es zwecklos war. Ihr Kopf schien wie leergefegt. Müde zog sie sich darum aus und schlüpfte erneut ins Bet, in der Hoffnung, wenigstens heute etwas besser zu schlafen.
Jess verbog sich fast vor Schmerzen. Seine Eingeweide glühten, als habe man sie mit der heißen Zange zerquetscht.
„Tessa!“, wimmerte er. „Ich brauche dich! Wo bist du?“

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Stöhnend fuhr Tessa aus dem Schlaf und rieb sich die Augen. Sie zitterte, ob vor Kälte, Schlafmangel oder von den Folgen des Traumes, konnte sie selbst nicht sagen.
Müde warf sie einen Blick auf den Wecker. Es war sieben Uhr morgens.
„Na, immerhin schon einmal etwas“, murmelte sie. Zwar war die Nacht erneut unruhig und ihr Schlaf alles andere als wirklich erholsam gewesen, gerade nachdem sie dieser erneute Albtraum herausgerissen hatte. Aber wenigstens hatte sie nun einige Stunden mehr oder weniger durchgehend geschlafen, die vielen kleinen Momente, in denen sie kurz hoch geschreckt, aber sofort wieder eingeschlummert war, ausgenommen.
Wesentlich frischer fühlte sie sich dennoch nicht, aber wenigstens waren Übelkeit und Schwindel, die der Schlafmangel mit sich gebracht hatte, an diesem Morgen erträglich.

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Müde tapste Tessa ins Badezimmer und hielt sich den schmerzenden Magen. Diese Nervosität schlug ihr nicht nur aufs Gemüt, sondern ließ auch ihren Körper verrückt spielen.
„Wenn ich doch nur ein paar Minuten mit ihm sprechen könnte“, raunte sie ihrem Spiegelbild zu. „Ich wünschte, ich könnte ihm Mut zu sprechen.“

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Für einen Moment meinte sie, Jess verzweifeltes Gesicht in ihrem eigenen Spiegelbild erkennen zu können. Er starrte mit leerem Blick in das Glas vor sich, als habe er aufgegeben.
Tessa hielt die Luft an. Begann sie nun zu fantasieren?

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Heftig schüttelte sie den Kopf und hielt sich für einen Moment am Waschtisch fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie spürte, wie sich ihr Magen hob und schwankte zur Toilette, wo sie sich übergab.
„Ich kann nicht mehr“, wimmerte sie dann ins leere Bad. „Wieso hat mir niemand gesagt, dass es so schwer werden wird?“
Und weinend sank sie in die Knie.
So saß sie fast eine Stunde reglos und schluchzend, bis ihr die Kälte in die Knochen stieg.
„Du musst nicht immer stark sein“, hallten Jess´ Worte in ihr wieder. Nein, sie war nicht stark. Während er dort, so weit entfernt, allein gegen seine Dämonen ankämpfte, war sie die Schwache von beiden. Wie gut, dass er sie nicht sehen konnte.
„Es hilft ja alles nichts“, murmelte sie und wischte sich die letzten Tränen von der Wange. „Noch zwei oder drei Wochen, dann sehen wir uns wieder. Und dann wird sicherlich alles gut.“
Sie stand langsam wieder auf, schälte sich aus ihrem Schlafanzug und sprang unter die Dusche. Während das warme Wasser über ihren Körper rann, spürte sie, wie sich allmählich wieder ihre Lebensgeister zu regen begannen.

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Obwohl sie sich immer noch müde und kränklich fühlte, zog sie sich nach der warmen Dusche wie automatisch an und nahm sich sogar ein paar Minuten, um sich ein wenig zu schminken. In der Küche nahm sie sich ein Zwieback, denn mehr ließ ihr gereizter Magen nicht zu. Dann machte sie sich auf den Weg zur Uni.
Am Nachmittag hatte Tessa das Gefühl, gänzlich am Ende ihrer Kräfte zu sein, doch sie wusste, dass sie nicht umhin kam, in der Bibliothek noch einige Quellen für ihr Referat zusammen zu suchen. Missmutig machte sie sich also auf den Weg dorthin und suchte sich müde und unkonzentriert durch die Regale.

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Die Stunden vergingen langsam und zäh, und bald merkte Tessa, dass sie jeden Satz mindestens zwei- bis dreimal lesen musste, um ihn auch nur ansatzweise zu verstehen.
Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, und es kostete Kraft und Mühe, sie wieder auf einen Punkt zu fokussieren.

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„Ach verdammt“, stieß sie schließlich hervor und ließ einen hilflosen Blick über ihre bruchstückhaften Notizen schweifen. „Das hat doch gar keinen Wert so!“
Missmutig stand sie auf, um die Bücher wieder zurück zu bringen. Als sie gerade das letzte ins Regel gestellt hatte, hörte sie eine Stimme sagen: „He, Tessa. Was ist denn los?“
Sie horchte auf.

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„Hier bin ich“, hörte sie die Stimme sagen und als sie um das Regal herum ging, entdeckte sie Joshua an einem der Tische. Er hielt ein Buch in der Hand und hatte den Zeigefinger auf eine Stelle des Blattes gelegt, sah Tessa aber fragend an.
„Ist alles in Ordnung?“

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Tessa sah ihn an und lächelte. Sie fühlte sich mit einemmal froh und befangen zugleich. Froh, weil sie spürte, wie gut es ihr tat, Joshua hier zu sehen, weil er ihr ein Gefühl von Ruhe und Vertrauen einflösste, allein nur dadurch, dass er im selben Raum war. Befangen jedoch, weil sich beide seit dem Treffen im „Friends“ nur noch einmal kurz in den Gängen des Literaturgebäudes über den Weg gelaufen und nicht viele Worte gewechselt hatten.
Joshua betrachtete Tessa aufmerksam und schlug dann sein Buch zu, stellte es ins Regal und bedeutete ihr mit dem Kopf, dass er sich zu ihr setzen wollte. Sie nickte und ging zurück zu ihrem Arbeitstisch, auf dem noch die wild durcheinander gekritzelten Notizen lagen. Joshua folgte ihr und nahm neben ihr Platz.

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Er warf einen Blick auf den beschriebenen Block auf dem Tisch und sagte dann: „Mh – Referat für dein Politologieseminar, mh?“
Tessa nickte. Joshua betrachtete die Zeilen genau und stellte dann fest: „Bist heute nicht so ganz bei der Sache, was?“
Tessa seufzte. „Nicht nur heute, fürchte ich…“
Joshua nickte verständnisvoll und starrte dann einen Moment aus dem Fenster.
„Wie geht´s dir?“, fragte er dann unvermittelt.
Tessa wich seinem Blick aus. „Naja… ganz ok…“, murmelte sie dann.
„Mh, so siehst du zumindest mal nicht aus“, erwiderte ihr Sitznachbar und blickte sie offen an. „Also, was ist los mit dir? Ist was mit… Jess?“
Sie spürte genau, dass es ihn immer noch Überwindung kostete, diesen Namen in den Mund zu nehmen.

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„Joshua…“, erwiderte sie darum langsam. „Ich… ich weiß nicht, ob du der richtige bist, um darüber zu reden…“
Sie sah sein Erstaunen und sagte dann schnell: „Nicht weil ich dir nicht vertraue oder… nein, gar nicht, nur… ich meine… du hast dich, seit ich euch das mit Jess erzählt habe, nicht mehr gemeldet und…“
„Ich bin ein Idiot“, unterbrach Joshua sie mit schuldbewusster Miene. „Ein totaler Idiot.“
„Nein, nein.“ Tessa schüttelte den Kopf. „Sag doch so was nicht.“

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Sie schwieg einen Moment und fuhr dann fort: „Ich kann mir vorstellen, wie schwierig das alles für dich sein muss…“
Joshua seufzte. „Naja… ich glaube, ich war einfach verblendet, Tessa. Völlig verblendet. Aber ich hätte dich anrufen sollen. Ich meine, wir sind immerhin Freunde. Wir waren nie mehr und wir werden auch nie mehr sein. Aber ich meine… unsere Freundschaft ist so viel wert. Ich wollte sie nicht aufs Spiel setzen, nur weil ich mich gekränkt gefühlt hab oder so was…“
Er fummelte betreten an seinem Pullover herum. „Es tut mir ehrlich leid, Tessa. Ich bin echt so ein Egoist. Ich meine, dir geht´s offenbar auch nicht gerade rosig. Du machst sicher auch keine leichte Zeit durch, oder?“
Tessa zuckte mit den Schultern. „Naja… ich… es geht so…“
Joshua blickte sie ernst an. „Tessa, wenn du mir nicht böse bist, wieso sagst du mir dann nicht, was los ist?“

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Tessa seufzte hilflos. „Na… ich will dich nicht verletzen.“
„Das tust du nicht. Ich hab´s jetzt endlich begriffen“, versprach Joshua ihr und als sie ihn zweifelnd anschaute, lächelte er und sah sie dann erst an. „Ehrlich.“
„Sicher?“
„Ja, wirklich, Tessa. Wir sind nur Freunde. Nicht mehr und nicht weniger. Und das ist okay für mich.“
Tessa war nicht ganz sicher, ob sie ihm glauben konnte. Joshua jedoch sah sie derart offen und treuherzig an, dass sie weich wurde. Außerdem drängte sie es danach, mit ihm zu reden, und zwar genau mit ihm. Jemanden zu haben, der ihr wieder Gelassenheit und Freude vermitteln konnte. Genau das war immer Joshuas Part gewesen. Mit Moni konnte sie ernsthafte und tiefgehende Gespräche führen. Feli war immer für jeden Spaß zu haben, aber Joshua – gab ihr ein Gefühl von Sicherheit und Lebensfreude.
„Jess ist zurzeit im kalten Entzug“, platzte es darum aus ihr heraus, ehe sie noch weiter darüber nachdenken konnte. „Seit gut zwei Wochen. Und ich darf ihn weder sprechen noch sehen. Ich… weiß gar nichts.“

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„Oh je“, erwiderte Joshua und sah sie mitfühlend an. „Das muss furchtbar für dich sein, oder?“
Tessa nickte. „Ich hätt´s mir nicht so mies vorgestellt“, erwiderte sie dann leise. „Ich… ich schlafe nicht mehr richtig. Und ich… ich muss dieses blöde Referat hier fertig kriegen bis nächste Woche. Und ich krieg keinen einzigen Satz in meinen Kopf!“
Sie stöhnte und rieb sich die Augen. „Ich höre erst wieder in zwei oder drei Wochen von Jess… und auch danach ist es nicht ausgestanden… er muss ein halbes Jahr in dieser Klinik bleiben… Ich weiß nicht, was ich tun soll, Josh… ich…ach, ich würde am liebsten alles hinschmeißen.“
Joshua starrte sie erschrocken an. „Tessa! Was meinst du denn damit?“
„Ich weiß auch nicht“, erwiderte diese müde. „Mir wird gerade einfach alles zu viel…“

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„Ach, Tessa“, sagte Joshua mitfühlend. „Du bist ja echt total fertig. Und du siehst auch wirklich müde aus. Wie lange schläfst du schon nicht richtig?“
„Seit Jess weg ist“, erwiderte Tessa leise. „Kaum mehr als zwei oder drei Stunden in der Nacht, zumindest meistens.“
„Und da wunderst du dich, dass du dich leer und ausgebrannt fühlst?“, erwiderte Joshua, griff beherzt nach ihren Notizen und räumte sie zusammen.
„Was machst du?“, fragte Tessa verwirrt. „Ich muss noch mindestens drei Bücher schaffen…“
„Du schaffst heute gar nichts mehr“, erwiderte Joshua halb belustigt, halb besorgt. „Außer vielleicht am Tisch einzuschlafen. Wir beiden gehen jetzt erstmal an die frische Luft und ich besorg uns einen Espresso. Und dann reden wir. Okay?“
Tessa sah ihn gerührt an und nickte dann langsam.
„Okay…“

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Gemeinsam gingen sie die Treppen hinunter und auf den Hof zur kleinen Café-Bar, wo Joshua ihnen beiden einen doppelten Espresso bestellte.
Tessa sog die Luft in ihre Lungen und merkte, wie langsam wieder etwas Lebensgeist in ihr wach zu werden schien.
„Es riecht nach Frühling“, stellte Joshua fest und ließ den Blick über die noch kahlen Bäume schweifen. „Noch ein oder zwei Wochen und alles wird grün sein, das wette ich.“ Er lächelte Tessa zu und drückte ihr den Espresso in die Hand. „Komm, wir suchen uns ein Plätzchen hier draußen. Die Luft tut dir gut.“
Tessa lächelte. „Ja, du hast recht.“

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„Und, sieht die Welt nicht schon ganz anders aus, hier draußen und mit ein bisschen Koffein im Blut?“, fragte Joshua lächelnd, als sie auf den Bänken vor dem Hauptgebäude des Literaturtraktes Platz genommen hatten.
„Ja, schon“, erwiderte Tessa und dachte daran, dass ihr zu Hause wieder dieselbe Nacht bevor stände wie die vorherigen. „Aber das ändert nichts daran, dass ich das alles nicht mehr schaffe, Joshua.“
„Aber Tessa, nun komm. Das wird schon wieder“, versuchte dieser sie aufzumuntern.

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„Nein, ich weiß nicht“, seufzte Tessa. „Ich meine… mir wird das alles zu viel. Nicht nur weil Jess jetzt nicht erreichbar ist. Unser Leben wird auch danach nicht leicht werden und… ich weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll. Vielleicht sollte ich einfach eine Auszeit nehmen.“
Joshua blickte sie irritiert an. „Wie meinst du das?“
Tessa zuckte mit den Schultern. „Vielleicht sollte ich dieses Semester einfach abhaken. Ich wäre doch nicht die erste, Joshua! Andere fahren einfach mal ein Semester in die Ferien! Und… ich wollte mir auch noch einen Job suchen. Und ich weiß gar nicht, wie ich das auch noch schaffen soll…“
Tessa starrte vor sich hin. „Ich will nicht ewig von meinen Eltern abhängig sein…“

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„Tessa, hör mir mal zu“, erwiderte Joshua sanft. „Wie wäre es, wenn du jetzt mal tief durch atmest und dann Schritt für Schritt denkst, mh? Nun musst du erstmal noch die Zeit überstehen, bis du Jess wiedersiehst. Und die Uni weitermachen. Ja, Tessa, kuck nicht so. Du bist nicht eine von den Studentinnen, die einfach mal ein Semester sausen lässt. Und eine Arbeit suchen kannst du dir immer noch. Ich kann verstehen, dass du eigenes Geld haben willst. Aber Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.“
Tessa seufzte. „Das stimmt ja, aber… ach… ich… ich hab einfach so Angst vor allem.“
„Ach, Tessa, das ist doch normal“, sagte Joshua und lächelte sie an. „Also, hör mal zu. Wie wäre es, wenn wir uns morgen nach der Uni treffen und zusammen das Referat machen, mh? Ich hab dieses Seminar letztes Jahr auch schon belegt und kann dir sicher helfen.“
Tessa lächelte ihn an. „Das ist lieb, Joshua. Aber wenn ich heute Nacht wieder so schlecht schlafe, nehme ich vermutlich gar nichts mehr auf“, prophezeite sie düster und dachte an die vergangenen Nächte. Ein unglaubliches Gefühl von Leere und Hilflosigkeit erfüllte sie. „Ich würde mich am liebsten irgendwo verkriechen“, sagte sie dann. „Irgendwie ist mir alles egal.“
„Tessa!“, sagte Joshua ernsthaft. „Du bist ja fast schon depressiv. Hör mal, du darfst dich jetzt nicht hängen lassen, ja? Das wäre in niemandes Sinne… also… was machst du denn so abends? Du sitzt doch nicht nur zu Haus und grübelst nach…“

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Tessa schluckte und Joshua erkannte, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
„Dann ist es klar, dass du nicht in den Schlaf findest“, sagte er entschieden. „Also, pass auf. Ich hab heute Abend keine Zeit, sonst würd ich vorbeikommen. Aber versprich mir, dass du zu Feli oder Moni gehst und ein bisschen mit denen quatscht. Dann, wenn du richtig müde bist, gehst du nach Haus, trinkst einen warmen Tee, nimmst noch ein warmes Bad und legst dich ins Bett und wirst sicher schlafen wie ein Stein.“
„Schön wär´s“, seufzte Tessa.
„Wieso nicht wenigstens versuchen?“, half Joshua nach.
Tessa lächelte ihn an. „Na gut, wenn du meinst… ich kann ja mal bei Moni vorbei schauen.“
„Prima“, sagte Joshua und leerte seine Tasse. „Und morgen treffen wir uns im halb fünf bei dir und dann bringen wir dein Referat zu Ende, frisch und ausgeschlafen, ok?“
Er stand auf und warf einen Blick auf die Uhr. „Ich muss los, ich habe heute Abend Schicht. Aber versprich mir, dass du nicht allein zu Hause hockst heute Abend, ja?“
Tessa stand ebenfalls auf, nickte und folgte ihm durch den Hof.
„Danke, Joshua“, sagte sie dann und lächelte ihn herzlich an. „Ich bin froh, dass zwischen uns soweit wieder alles okay ist… das ist es doch?“
Joshua nickte. „Ja, das ist es. Komm, lass dich mal drücken. Und wenn was ist, ruf an, ja?“

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„Ja, das mach ich… bis dann, Joshua!“
Lächelnd sah sie ihm nach und stellte fest, dass sie sich nun tatsächlich etwas leichter fühlte.
Aber trotzdem war immer noch eine unendliche Müdigkeit in ihr.
Sie beschloss, heute Abend wirklich bei Moni vorbei zu schauen. Vielleicht konnte sie ihr sagen, was sie tun sollte. Der Gedanke, einfach für ein Semester die Uni auszusetzen, erschien Tessa von Minute zu Minute attraktiver. Doch was würde Jess dazu sagen?
Hatte er nicht selbst gesagt, sie müsse nicht immer stark sein?

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Mit flauem Gefühl im Magen machte Tessa sich auf den Nachhauseweg.






Fortsetzung folgt.
 
tja, der kapitelname triffts dann ja wohl.
ich wüsste selbst nicht, was ich tessa raten würde! irgnedwie denke ich, hat sie nicht ganz unrecht wegen job und so - vor allem bei ihrer momentanen verfassung.
was bringt es, wenn jess geheilt wird und sie danach völlig am ende ist?

aber joshua hat umgekehrt ebenfalls nicht unrecht. vielleicht kann tessa ja noch bis zur bewertung des referats warten mit ihrer entscheidung...


tolles kapitel, wie immer, auch das wiedersehen mit josh sehr schön, wenngleich ich etwas komisch finde wie weit sie auseinandersitzen ;)
 
wenngleich ich etwas komisch finde wie weit sie auseinandersitzen ;)


:lol::lol: Jaaa, da hast Du recht. Daran sind aber die blöden Angewohnheiten der Sims schuld, und ich hatte keine Lust, die armen nochmal etliche Espressos trinken zu lassen, bis sie sich endlich mal richtig hinsetzen :scream::scream:

Du hast übrigens auch recht, ja, es bringt nichts, wenn Tessa total ausgebrannt ist. Aber das Semester einfach so zu schmeißen ist natürlich auch schon eine weitreichende Entscheidung... immerhin geht ihr damit so viel Zeit verloren... aber noch ist ja nichts entschieden ;)

Danke für Deinen Kommi!
 
Ha! Ihr ist übel? Ich sag Dir, sie ist schwanger! *froi*
Das fänd ich gut. Noch ein Lebenszweck mehr für Jess. Und wenn es mit Jess doch noch ein böses Ende nehmen sollte (was natürlich keiner hofft), bliebe für Tessa ein großer Trost. *WildSpekulier*

Ich lese hier schon lange still mit, die Geschichte ist unglaublich. Leider komme ich seltener zum Kommentieren, als mir lieb ist.
Bei Deiner Geschichte ist es auch oft so, dass ich erst mal in Ruhe darüber nachdenken muss. Und dann ist es oft schon weiter gegangen.
Aber auch wenn ich nicht viel kommentiere, hast Du eine treue, begeisterte Leserin in mir.
 
Hallo,
Zwischen Joshua und Tessa ist alles wieder Okay.
Das finde ich tolll.
Die arme Tessa,bei solchen Vorstellungen,da kann doch keiner schlafen.
Ich hoffe es hilft Tessa bei Moni vorbeizuschauen
und Abends dann totmüde ins Bett zu fallen.
Ich hoffe das Tessa das Semester nich abbricht.
lg sasispatz
 
@julsfels: Oh, das freut mich aber, dass Du auch hier mitliest!
Hihi, sie ist schwanger? :idee: Mh... ich hülle mich mal in Schweigen. Aber grundlegend denke ich eher, das wäre eine mittelschwere Katastrophe für die beiden... ich meine, Tessa ist noch zu jung, Jess mittellos, psychisch labil sind beide... dann noch ein Kind... au wei, das wäre echt schlimm. Oder aber es wäre wie Du sagst, ein Antrieb für Jess und ein Trost für Tessa... :cool: mh... mal schaun, vielleicht ist ihr ja auch nur von dem vielen Stress schlecht.
Danke für diesen schönen Kommi und Dein Lob, das freut mich tierisch!



@sasispatz: Ja, ich würde bei sowas auch nicht schlafen können. Ob Tessa das Semester abbricht oder nicht, werdet ihr heute erfahren. Vielen Dank für Deinen KOmmi!
 
Kapitel 71
Auf dem Prüfstand


Es war draußen bereits dunkel, als Tessa in den warmen, hellen Flur von Monikas Wohnung trat.
„He Tessa“, lächelte Monika sie an. „Ich hab uns einen Salat gemacht, für mehr hat die Zeit nicht mehr gereicht, sorry.“
Tessa lächelte zurück und hängte ihre Jacke auf. „Ach Moni, ich bitte dich. Ich habe dich ja schließlich so überfallen mit dem Besuch, obwohl du heute gearbeitet hast. Du hättest überhaupt nichts kochen müssen.“
„Hab ich ja auch nicht“, zwinkerte Monika. „Es ist ja nur Salat. Oder kochst du den etwa?“
Tessa lachte leise auf und folgte Monika in ihr gemütliches Wohnzimmer, wo beide an dem kleinen Esstisch Platz nahmen, auf dem bereits zwei Teller mit Salat standen.
Tessa spürte, wie ihr Magen knurrte und fing sofort zu essen an, während Moni den Salat noch nachdenklich anstarrte. „Ich hoffe, es ist reichlich“, murmelte sie.

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„Nun mach dir keine Gedanken“, beruhigte Tessa sie und biss auf die knackigen Blätter, und Moni tat es ihr nach.
„Was ist los, Tessa?“, sagte sie nach einigen Bissen und sah ihre Freundin aufmerksam an. „Du siehst ziemlich fertig aus. Hast du zu wenig geschlafen?“
Tessa nickte. „Das kannst du laut sagen“, murmelte sie dann und schluckte den Salat hinunter. „Ich fühl mich gar nicht gut, Moni. Deswegen bin ich auch her gekommen. Ich habe heute Mittag Joshua getroffen…“
„Ach, darum also?“, fragte Monika und sah ihre Freundin überrascht an. „Das nimmt dich so mit?“
„Nein“, erwiderte Tessa schnell. „Nein, wenn es nur das wäre.“

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„Dann ist es wegen Jess?“, fragte Monika weiter.
Tessa nickte. „Ja… ach, Moni, es ist so schwer… ich meine, nicht zu wissen, was mit ihm geschieht. Wie es ihm geht, was er macht…“
Monika seufzte. „Ich kann mir das gut vorstellen“, sagte sie dann langsam. „Aber ich hab dir doch schon ein paar Mal gesagt, deine Sorgen sind sicher unbegründet. Wenn etwas wäre, würde man dich benachrichtigen.“
Tessa schluckte und sah sie schuld bewusst an. „Ich gehe dir sicherlich auf die Nerven, dir ständig die selbe Litanei herunter zu beten. Tut mir leid. Es war Joshuas Idee, dass ich heute zu dir oder Feli gehen soll, um mich abzulenken…“
Moni schüttelte schnell den Kopf und beeilte sich zu sagen. „Aber nein, Tessa, so meine ich das nicht. Natürlich fällst du mir nicht auf die Nerven! Und Joshua hat gut daran getan, dir diesen Tip zu geben, denn bestimmt sitzt du sonst nur zu Haus und deine Gedanken fahren Karussell, oder?“

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Tessa nickte. „Ja… das stimmt schon. Aber ich verstehe mich selbst nicht mehr, Moni. Ich… ich meine… eigentlich sieht doch alles so gut aus. Und Jess wird das schon schaffen. Ich müsste ihm vertrauen. Und ich hab ihm versprochen, mich nicht irre zu machen…“
Sie sah Monika hilflos an. „Aber ich schaff das nicht. Ich träume von ihm. Immer wieder hab ich Albträume, was alles passiert. Ich sehe die Bilder von damals wieder vor mir. Ich weiß, wie schlimm so ein Entzug sein kann. Und das ist es, was mich nicht los lässt. Ich wäre so gerne bei ihm. Würde ihm helfen. Und komme mir schäbig dabei vor, ihn ausgerechnet jetzt allein zu lassen.“
„Er ist nicht allein“, warf Monika vorsichtig ein. „Er wird betreut, professioneller und besser als du es je könntest.“
Tessa seufzte. „Ja, ich weiß… aber dennoch. Ich meine, wenn wir krank sind, wollen wir auch, dass liebe Menschen bei uns sind, oder? Ich meine… ach, ich weiß auch nicht…“

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Sie ließ die Schultern hängen und legte die Gabel beiseite, als fehle es ihr plötzlich an Appetit.
„Ich fühl mich so leer, Moni. Ich bin so müde. Ich kann nicht mehr schlafen und ich kann irgendwie auch kaum noch essen. Mir ist alles zu viel. Die Uni vor allem… ich… muss dieses blöde Referat fertig kriegen und weiß nicht, wie. Ich hab keine Konzentration mehr. Auch wenn Joshua mir helfen will, ich schaff das in dieser Situation nie. Ich brauch eine Pause.“
Sie schluckte. „Ich brauch einfach eine Auszeit.“
Moni sah sie irritiert an. „Was meinst du damit?“
Tessa schwieg und starrte auf ihren Teller.
„Es dauert schon noch etwas bis zu den nächsten Ferien“, begann Monika vorsichtig. „Aber das schaffst du schon. Und bis dahin sieht die Welt ganz anders aus.“
„Das meine ich nicht“, erwiderte Tessa. „Ich kann jetzt nicht mehr. Jetzt in diesem Moment. Ich überlege, ob ich nicht ein Semester pausiere…“
Sie wagte es nicht, Moni anzublicken, als sie wieder zur Gabel griff und schnell weiter sprach. „Weißt du, ich will mir doch auch noch einen Job suchen… ich will nicht von meinen Eltern leben… das geht nicht lange gut und… das ist mir alles zu viel auf einmal.“
Sie wandte den Blick ab und starrte zum gegenüberliegenden Fenster hinaus.

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Moni sagte einen Moment nichts, dann erwiderte sie ruhig: „Tessa… du armes Ding. Du bist ja völlig fertig.“
Sie sah ihre Freundin gütig an. „Hör mal… ich sag dir jetzt mal was, auch wenn´s dir nicht gefallen mag. Ja, du bist ausgebrannt. Und ja, ich kann gut verstehen, wenn du jetzt an eine Pause denkst. Und wenn du gar nicht mehr kannst, dann steht dir das auch zu. Aber manchmal gibt es auch Durststrecken, das brauche ich dir nicht zu sagen. Vergiss erstmal den Job. Du hast genug mit der Uni zu tun. Verschieb es bis zu den Ferien, schau dich dann nach einem Ferienjob um, das ist schon mal ein Anfang. Du hast im Moment genug anderes zu tun. Geh in kleinen Schritten.“
„Hast du zufällig mit Joshua gesprochen?“, murmelte Tessa und Moni sah sie verständnislos an, redete dann aber unbeirrt weiter: „Du machst einen riesigen Fehler, Tessa. Du verstehst Jess´ Bitte an dich, dich nicht gehen zu lassen, falsch. Hat er nicht auch gesagt, dass du nicht immer stark sein musst? Das hat er nämlich. Nur gehst du falsch damit um, wenn du mich fragst. Du darfst weinen. Du darfst dich auch leer fühlen und erschöpft. Aber du fühlst dich deswegen so, weil du dich schuldig fühlst. Weil du denkst, dass du ihn im Stich lässt, nur weil du nicht bei ihm bist. Wie unsinnig das ist, brauche ich dir nicht zu sagen. Jess meinte, du sollst dich nicht völlig verrückt machen, aber du darfst auch schwach sein. Das bedeutet für mich, er hat dich darauf aufmerksam machen wollen, dass du dich in diesen Wochen der Trennung vor allem um DICH kümmern sollst. Und nicht um ihn. Denn das tun andere.“

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Tessa schluckte und sah Moni verwirrt an. „Was meinst du denn damit?“
„Ich meine damit nur, dass du keine Verantwortung für ihn trägst. Das versuchst du nämlich schon die ganze Zeit. Das hast du früher auch versucht. Aber er ist nicht dein Kind, Tessa. Er ist ein eigenständiges Wesen, eine Person. Er hat es in die Hand genommen, also lass es ihn tun. Hilf ihm, wo du kannst, ja. Sei für ihn da – ja. Alles völlig in Ordnung soweit. Aber klammer dich nicht an die Vorstellung, dass du ihn retten musst.“
„Das tu ich doch gar nicht“, rief Tessa trotzig. „Ich mache mir nur Sorgen, das ist alles. Wer würde das nicht?“
„Jeder würde das“, beschwichtige Moni sie. „Es ist natürlich. Aber du machst dir nicht nur Sorgen, du machst dich verrückt, weil du nicht da sein kannst. Weil du denkst, die Kontrolle zu verlieren. Weil du Angst hast, es könnte doch noch etwas schiefgehen und du kannst es aufgrund der Trennung nicht beeinflussen. Aber das könntest du ohnehin nicht. Das weißt du. Entweder er hat die Kraft oder nicht.“
„Das sagt sich so leicht“, murmelte Tessa.
„Ja, das tut es. Aber ich wünschte, ich hätte diese Perspektive gehabt“, gab Moni leicht verbittert zurück und Tessa sah sie schuldbewusst an. „Es tut mir leid“, sagte sie leise. „Aber denkst du wirklich, ich klammere?“

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„Nun, nicht im herkömmlichen Sinn“, gab Moni versöhnlich zur Antwort. „Aber irgendwie schon. Du fühlst dich für ihn verantwortlich, obwohl du es nicht bist. Du darfst ja Angst haben, dich sorgen und sehnsüchtig sein. Es ist keine leichte Situation, in der du bist. Aber du darfst dich nicht in etwas hinein steigern, Tessa. Denn wie soll eure Beziehung danach weitergehen, wenn du immer alles für ihn übernehmen willst? Er ist ein Mann, vergiss das nicht. Er will auch stark sein dürfen, dich schützen.“
Tessa schluckte. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen“, gab sie dann zu. „So kenne ich Jess irgendwie nicht. Ich meine… ich habe mich immer um ihn gesorgt und er… er war nie genug bei sich, um…“
„Ja, ich weiß“, erwiderte Monika. „Aber wenn alles glatt läuft, wird sich eure Beziehung komplett neu ordnen müssen. Und es ist wichtig, dass du lernst, ihm genauso viel Verantwortung zuzugestehen, wie du auch ihm gegenüber hast. Und damit musst du jetzt anfangen. Jess hat dich da schon richtig eingeschätzt, seinen Worten an dich nach zu schließen. Das meinte er damit, dass du dich nicht aufgeben sollst oder verrennen und trotzdem schwach sein darfst. Lass deine Gefühle zu. Weine, wenn dir danach ist, ja. Aber nicht aus Kummer darüber, nicht genug für ihn da sein zu können, sondern aus Angst oder Sehnsucht.“

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Tessa atmete tief ein. „Ich weiß nicht…“
„Denk einfach in Ruhe darüber nach“, erwiderte Monika sanft. „Und lass dir auch mit der Entscheidung wegen der Uni Zeit. Sowas entscheidet man nicht so hoppla-hopp. Wenn ich du wäre, würde ich jetzt erst einmal versuchen, weiter zu machen. Und wenn es gar nicht mehr geht, dann nimm dir ein paar Tage Auszeit und schau danach weiter. Es geht doch um deine Zukunft, Tessa. Und vielleicht brauchst du das Semester mal ganz dringend, weil du im Laufe des Studiums von anderen Dingen aufgehalten wirst. Was, wenn du mal richtig krank wirst und deswegen aussetzen musst? Solche Entscheidungen müssen gut bedacht werden.“
Tessa nickte. „Ja, du hast wohl recht.“
„Und jetzt“, sagte Moni und lächelte. „Essen wir auf und dann schauen wir uns einen Film an. Ich hab vorhin ein paar DVDs mitgenommen, weil ich mir schon sowas dachte, dass du Ablenkung brauchst. Und wenn wir den Film geschaut haben, gehst du nach Haus, lässt dir ein heißes Bad ein, trinkst einen Tee und dann ab ins Bett. Und dann schläfst du bestimmt besser heute Nacht.“
Tessa lächelte. „Du könntest wirklich mit Joshua gesprochen haben“, sagte sie dann.

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Zwei Stunden später verließ Tessa Monikas Wohnung und spazierte langsam durch die klare Nacht nach Haus.
Sie fühlte sich nun wirklich etwas entspannter und beruhigter.
Immer wieder gingen ihr aber Monikas Worte durch de Kopf. Ob diese recht hatte?
Hatte sie selbst sich vielleicht wirklich schon so an ihre Beschützer- und Sorgenrolle in ihrer Beziehung gewöhnt, dass sie nicht mehr hinausfinden würde?
Zum ersten Mal dachte Tessa an diesem Abend ernsthaft daran, wie es sein würde, wenn Jess den Entzug schaffen sollte und ein „normales“ Leben beginnen konnte.

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Wie würde ihre Beziehung dann werden? Sie hatten nie etwas Vergleichbares erlebt, ihre Beziehung war in einer Ausnahmesituation entstanden und nichts anderes gewöhnt.
Würde sie den normalen Alltag überhaupt überstehen?
Alles hatte sich dann neu zu sortieren.
Tessa fröstelte plötzlich.
Was wäre, wenn sich irgendwann heraus stellte, dass all die Mühen umsonst gewesen waren, weil ihre Beziehung im normalen Alltag nicht funktionieren konnte.
Und wie gut kannte sie Jess eigentlich, wie gut kannte dieser sie?
Sie hatten sich in all den Monaten ihrer Beziehung nur selten gesehen und immer nur an öffentlichen Plätzen. Die wenigen Tage während des Entzugs, die man nur schwerlich als normale Tage bezeichnen konnte, ausgenommen, hatten sie nie alltägliche Dinge erlebt.
Keine gemeinsamen Festtage, Feiern, Ausflüge. Nicht einmal gemeinsame Mahlzeiten, keine Kinobesuche, keine Fernsehabende.
Nichts, was für jede andere Beziehung normal war. Keine einzige Nacht unter dem Sternenhimmel, keine Grillpartys, keine lauen Sommernächte, keine Schneeballschlachten zu zweit.

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Tessa schluckte. Was, wenn ihre Beziehung enden würde, bevor sie anfing? Was wussten sie voneinander. Wusste sie, was Jess gerne aß? Trank? Welche Musik mochte er? Welche Art von Büchern las er gerne?
Sie wusste es nicht. Wusste er es von ihr? Hatten sie sich je darüber unterhalten? Vielleicht, am Rande jedoch nur. Diese Dinge waren immer völlig unwichtig, fast realitätsfern gewesen.
Doch war dies nicht das Leben. Das ganz normale Leben.
Waren sie überhaupt fähig ein solches zu führen?

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Tessa sah auf, und stellte mit Erstaunen fest, dass sie bereits vor ihrer Haustüre stand. Völlig in Gedanken versunken hatten ihre Füße sie fast wie von selbst zurück getragen. Sie schloss auf, ging die Treppen hinauf, schälte sich aus ihrer Jacke und schritt ohne Licht zu machen zum Fenster, wo sie ihren Blick über die Dächer der Stadt streifen ließ.
Monika hatte recht mit ihren Worten. Wenn sie all dies schaffen wollten, mussten sie sich neu sortieren. Jess war dies wohl schon vorher klar gewesen, sonst hätte er nicht so zu ihr gesprochen. Abgesehen davon hatte er zurzeit mit größeren Dämonen zu kämpfen. Sie selbst aber, sie konnte sich ändern und ihre eigenen Werte hinterfragen.

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Tessa wand sich vom Fenster ab. Sie würde das Semester nicht aufgeben, das stand nun für sie fest. Sie musste ihr Leben so normal weiterleben wie möglich. Denn wenn alles gut ging, erwartete sie und Jess nach dem Entzug eben nichts anderes… als eben jene Normalität, die sich beide all die Jahre doch so sehnlichst gewünscht hatten.



Fortsetzung folgt.
 
*stiller Leser meldet sich zu Wort*

Ich bin schon von Anfang an dabei, aber ich glaube, kein Kapitel hat mich so beeindruckt wie dieses, so realitätsnah und so in ihren Gedanken... Jetzt bin ich ganz nachdenklich geworden... Toll gemacht!
 
Huhu, toll geworden das neue kapitel!
Gut, dass tessa eine so gute freundin wie Monika hat. Denn mit allem was Monika zu Tessa gesagt hat, hat sie recht! Klar, dass sich Tessa Gedanken und Sorgen macht, weil sie im Moment in der Ungewißheit lebt! Aber Jess wird es bestimmt schaffen!

Liebe Grüße
Chrissy
 
@Celly-R: Oh, das freut mich, dass Du Dich als stille Mitleserin outest, und auch, dass Du das Kapitel so magst! :hallo:


@Chrissy: Das stimmt, Monika ist mmer wieder Gold wert, nicht wahr? Sie schafft es sehr gut, tessa zurecht zu rücken!! Danke für Deinen kommi!


@ALL: Ich bin fix, ich weiß, aber ich habe gerade Schreibwut gehabt und darum gibts schon das nächste Kapitel!
 
Kapitel 72
Wohnen nach Wunsch
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Der April neigte sich dem Ende zu. Die ersten zarten Triebe an den Bäumen hatten sich nach außen gedrängt, um ihre feingliedrigen Blätter den sanften Strahlen einer milden Frühlingssonne entgegen zu recken.
Nachdem die ersten Apriltage noch kalt und nass gewesen waren, zeigte sich zum Ende dieses launischen Monats der Frühling von seiner Bilderbuchseite. Der Himmel war azurblau und die Bäume schmückten sich immer üppiger mit ihrem grünen Blätterkleid.
Noch zeigten sich meist nur Knospen auf den Wiesen, kleine Köpfe, die sich vorsichtig gen Sonne reckten, um die Welt zu erkunden.
Tessa schloss die Haustüre auf, warf ihre Bücher achtlos auf die Küchentheke und hastete ins Wohnzimmer.
„Mist!“, fluchte sie, als sie feststellte, dass das mobile Telefon mal wieder nicht auf seiner Station zu finden war. Fast über ihre eigenen Füße stolpernd hastete sie von Zimmer zu Zimmer und fand es schließlich in den Laken des Betts versteckt.
Atemlos drückte sie auf den Knopf und keuchte „Hallo?“ in den Hörer.

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„Hallo, Tessa“, tönte eine wohlbekannte Stimme ihr entgegen.
Tessa sog die Luft tief ein und jauchzte dann: „Jess! Mein Gott, ich hab so gehofft, dass du es bist! Schon seit Tagen bin ich bei jedem Anruf gespannt gewesen!“
Sie hörte, wie Jess auf der anderen Seite wohlklingend lachte und ihr Herz machte einen Hüpfer. Er klang gut und gelassen, als er antwortete: „Ich hab mir sowas fast gedacht. Aber ich konnte nicht früher anrufen, es tut mir leid. Wie geht es dir?“
Tessa lächelte. „Das sollte ich ja wohl eher dich fragen“, gab sie zurück.
„Ich hab aber dich zuerst gefragt“, erklang Jess´Stimme ernst vom anderen Ende der Leitung.
Tessa schluckte und musste wieder an das Gespräch mit Moni vor zwei Wochen denken, also antwortete sie schnell: „Es geht mir ganz gut, Jess. Wirklich.“
„Das ist gut. Hast du die Zeit gut überstanden?“

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„Wie man es nimmt“, erwiderte Tessa wahrheitsgemäß. „Die ersten zwei Wochen waren nicht so toll. Ich hab viel an dich gedacht. Aber irgendwann hab ich mich da reingefunden. Auch wenn ich dich unendlich vermisst habe.“
„Das hab ich auch“, erwiderte er. „Dich vermisst, meine ich.“
„Und nun sag du mir, wie es dir geht“, sagte Tessa schnell. „War es… war es schlimm?“
„Nun, es war kein Spaziergang“, sagte Jess. „Aber es war nicht so schlimm wie letztesmal. Die Betreuung hier ist wirklich ausgezeichnet. Die ersten Tage waren natürlich am schlimmsten, aber irgendwie hab ich es besser durchgestanden als die ganzen vorigen Male. Ich wusste vielleicht endlich einmal, wofür ich das mitmache. Die Ärztin sagte, es kann auch sein, dass es etwas geschwächt war, weil ich vorher schon kein Heroin mehr hatte… aber sicher ist das nicht. Ist ja auch egal letztlich. Jedenfalls ist es jetzt vorbei. Und ich fühl mich auch wieder ganz wohl.“
Tessa seufzte erleichtert auf.
„Das ist gut zu hören“, sagte sie.

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„Und wie geht es dir dort? Ist alles ok? Bist du zufrieden? Was machst du so den ganzen Tag“
„Himmel, Tessa, nicht so viele Fragen aufeinmal“, lachte Jess.
„Tschuldige“, lachte diese. „Ich bin nur so aufgedreht, weißt du. Es tut so gut, deine Stimme zu hören. Ich hatte echt Angst um dich. Dass du es nicht packst, dass es dir zu schlecht geht.“
„Ich weiß, wäre mir an deiner Stelle auch so gegangen. Und ich habe so oft an dich gedacht, Tessa und mich auch gesorgt. Es ist schön, dass ich dich jetzt höre und merke, es geht dir ganz gut.“
Tessa lächelte. „Du bist so lieb.“
„Tessa, das ist doch natürlich, oder? Und nun zu deinen Fragen – mir gefällt´s hier immer noch sehr gut. Es ist wirklich völlig anders als alle anderen Therapien. Hier fängt es jetzt sozusagen erst richtig an mit der Therapie, wo die anderen schon durch waren. Im Moment mach ich tagsüber noch nicht so arg viel, ich bin oft noch ziemlich müde“, erklärte er. „Einmal am Tag ist Gruppenstunde, das ist ganz nett. Und ich geh ein wenig im Garten spazieren, wenn das Wetter so toll ist. Aber bald werde ich sicher wieder etwas fitter sein und dann werde ich auch einige Dinge in Anspruch nehmen, die hier angeboten werden.“

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„Das klingt gut“, erwiderte Tessa erleichtert. „Wirklich gut.“
„Hör mal, Tessa“, sagte Jess. „Ich kann nicht so lange telefonieren, weil schon jemand hier hinter mir steht und wartet. Aber ich wollte dir noch schnell sagen, dass hier in zwei Wochen der erste Besuchstag ist, der für uns auch gilt. Sonntags.“
Tessa strahlte. „Das ist ja wunderbar!“, rief sie aus. „Das heißt, wir sehen uns in zwei Wochen?“
„Wenn du nichts anderes vorhast“, witzelte Jess. „Und mich in deinem Terminkalender unterbringst – dann ja.“
Tessa schnaubte. „Witzbold! Wann soll ich denn dann da sein?“
„Das sag ich dir noch“, erwiderte Jess. „Ich muss jetzt aufhören, aber ich ruf dich die Tage wieder an, ja? Ich kann nicht jeden Tag telefonieren, das ist zu teuer, aber ich versuche es in zwei oder drei Tagen, ja?“
„Gut, Jess, ich freu mich.“
„Ich mich auch.“
„Und - Jess?“
„Ja?“
„Ich liebe dich.“
„Dito.“
Tessa lächelte.

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„Machs gut.“
Sie legte den Hörer beiseite und stand einen Moment lächelnd im Raum. Dann nahm sie den Hörer und legte ihn wieder auf die Station im Wohnzimmer.
Jess ging es gut, er hatte das schlimmste überstanden. Dass er so positiv klingen würde, hätte sie niemals erwartet. Sie fühlte sich regelrecht beschwingt. Wenn alles gut ginge, würde er bald entlassen werden. Nun ja… zumindest in einigen Monaten. Dann würde er wohl erst einmal hier einziehen. Sie hatten zwar noch nichts Genaues besprochen, aber was sonst wäre logisch? Tessa spürte, wie ihr Magen kribbelte, als sie daran dachte, wie es sein würde, mit ihm zusammen aufzuwachen, zu frühstücken, gemeinsame Abende vorm Fernseher zu verbringen. Die Zweifel waren mit einemmal wie weggewischt.
Tessa sah sich in ihrem Wohnzimmer um und merkte einmal mehr, wie die alte Unzufriedenheit in ihr aufstieg. So sehr sie die Einrichtung hier gemocht hatte, als sie einzog – inzwischen gingen die pastellartigen Farben, die Kühle der gewählten Möbel förmlich gegen sie.
Wie um diesen Gedanken zu unterstreichen, verließ sie den Raum und legte sich auf ihr Bett, wo sie ihren Überlegungen weiter nachhing.

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Das Wohnzimmer hatte ihre Mutter eingerichtet. Viel gefragt worden war sie nicht. Das Schlafzimmer hingegen hatte sie selbst in die Hand genommen, glücklicherweise war ihre Mutter in etwa derselben Meinung gewesen. Damals, als sie hierher gezogen war, hatte alles schnell gehen müssen. Wenn sie heute an den wahren Beweggrund ihres überstürzten Auszugs gedachte hatte, schüttelte sie den Kopf. Um Jess zu vertuschen hatte sie so gehandelt. Das trieb ihr heute noch die Schamesröte ins Gesicht.
Wie ein Kind hatte sie sich verhalten! Dennoch war der Auszug gut gewesen. Tessa konnte sich nicht mehr ansatzweise vorstellen, in ihrem Elternhaus zu leben.
Ihre Gedanken schweiften wieder zum Wohnzimmer. Sie war wirklich unzufrieden damit. Die Wohnung sollte schön werden, wenn Jess hier einzog. Sie wollte nicht in einem Wohnzimmer mit ihm kuscheln, das die Handschrift ihrer Mutter trug, die überdies hinaus das Zimmer auch noch so jugendlich eingerichtet hatte, als sei es Tessas Jugendzimmer zu Haus.

Am nächsten Tag traf Tessa sich mit Joshua und Feli in der Uni-Kantine. Sie hatten sich verabredet, um gemeinsam einen Artikel zu bearbeiten, den Tessa für ihr Soziologie-Seminar benötigte. Seit ihrem kleinen „Tief“ vor einigen Wochen war Joshua ihr Retter in der Not, wenn sie in der Uni nicht weiterkam.
„Wollen wir erstmal was essen?“, fragte Joshua und die Mädchen nickten.
„Wie immer?“
„Klar“, zwinkerten diese und Joshua erhob sich und kam mit drei Tellern, auf denen gut belegte Sandwiches lagen, zurück.
„Du bist heute gut drauf“, stellte Joshua fest und sah Tessa an.
„Ja, ich hab auch allen Grund dazu“, erwiderte diese und wollte gerade erzählen, als Feli einen Schrei ausstieß.
„Was ist los?“ rief Tessa aus.

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„Mist, mist, mist! Ich muss um zwei Uhr bei dem Hartenberg sein! Der will mir Infos für die Hausarbeit von uns beiden geben!“, rief sie hektisch aus.
Joshua warf einen belustigten Blick auf die Uhr und meinte trocken. „Na, dann düse-düse-düse-düse im Sauseschritt, sonst hat sich das erledigt, es ist nämlich fünf vor zwei, und du musst zwei Straßen weiter!“
„Mist, mist, mist!“, rief diese noch mal aus, ließ ihr Sandwich Sandwich sein und eilte davon, nicht ohne Tessa zuzurufen: „Ich ruf dich an, Schnecke!“
Joshua und Tessa sahen sich an und lachten dann los.
„Feli – unvergleichlich, diese Chaotin!“, stellte Tessa dann fest.
„Das ist noch milde ausgedrückt“, lachte Joshua.

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Er biss in sein Sandwich und sagte dann: „Und nun erzähl mal. Was macht dir so gute Laune? Hat er angerufen, mh?“
„Woher weißt du das?“, gab Tessa verblüfft von sich.
„Beleidigst du gerade meine Intelligenz“, erwiderte Joshua und zwinkerte. „Ich hab nur eins und eins zusammengezählt.“
Tessa lächelte. „Ja, okay – schon klar. Ja, er hat angerufen und es ist alles okay. Ich bin jetzt echt erleichtert.“
Joshua nickte. „Kann ich mir vorstellen.“

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Sie aßen einen Moment schweigend weiter, dann sagte Tessa: „Hach, reich müsste ich sein.“
Belustigt sah Joshua auf. „Mh? Was war das?“
„Reich müsste ich sein“, wiederholte sein Gegenüber und lächelte. „Dann könnt ich nämlich mein Wohnzimmer renovieren.“
„Wieso das denn? Ist was kaputt gegangen?“
Tessa lachte. „Nein, das nicht. Aber ich fühl mich darin nicht mehr wohl. Weißt du, das hat damals meine Mutter eingerichtet. Es passt für mich einfach nicht mehr.“
„Wieso machst du es dann nicht einfach? Und renovierst es?“
Tessa schnitt eine Grimasse. „Klar, mach ich. Ich melke einfach mal wieder die Kuh im Keller, die goldene Milch gibt.“

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Joshua grinste. „So mein ich das nicht. Erstmal… bist du echt so knapp bei Kasse?“
„Nun… meine Eltern will ich nicht fragen, falls du das meinst“, gab Tessa entschieden zurück. „Erstens will ichs generell nicht. Zweitens würde meine Mutter dann wieder kommen und ihren Design-Anfall kriegen und es wäre letztlich nix anderes als vorher.“

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Joshua lachte wieder. „Wie gut, dass sie das nicht hören kann. Aber was gefällt dir denn nicht an deinem Wohnzimmer?“
„Es ist so… ach, ich weiß nicht. Kalt. Und irgendwie gar nicht ich. Oder findest du, das passt zu mir?“
Joshua überlegte einen Moment. „Nun, ich bin nicht unbedingt der ultimative Ansprechpartner für Designfragen, schon gar nicht Wohnungsdesign. Aber nein, wenn du mich so fragst, irgendwie nicht. Es ist wirklich ein bisschen kühl und irgendwie ein wenig kindlich, zerbrechlich. So bist du nicht. Oder nicht mehr.“
„Das ist es ja“, erwiderte Tessa rasch. „Ich fühle mich da einfach nicht mehr wohl.“
„Aber Tessa, das ist doch kein Problem“, sagte Joshua.

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„Was willst du denn verändern?“
„Naja… ich weiß nicht“, erwiderte Tessa langsam. „Auf jeden Fall die Farbe. Also eine andere Farbe an die Wand. Und – mh, andere Möbel wären zum Teil auch ganz nett, oder? Ich meine, es soll schon hell und weiß bleiben. Ich will keinesfalls was knalliges, das passt auch nicht. Aber nicht so was blasses.“
„Ich hab da eine Idee“, erwiderte er. „Lass mich mal machen. Wieviel Geld könntest du denn rausquetschen aus der Goldkuh?“
Tessa lachte auf und überlegte kurz. „Keine Ahnung. So zweihundert Euro vielleicht, mehr nicht.“
„Das ist doch schon was!“, rief er aus. „Ich hab Connections, Tessa, und ich versichere dir, wir kriegen dein Wohnzimmer mit 200 Kronen gepimpt!“
„Wie willst du das denn anstellen?“

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„Lass mich mal machen“, erwiderte er verschwörerisch. „Ich organisiere das und sag dir vorher Bescheid.“
„Das wäre sehr nett“, zwinkerte diese. „Damit ich meine Schränke noch ausräumen und wenigstens den gröbsten Dreck beseitigen kann.“
Sie lachten beide. „Das wird schon“, versprach Joshua noch mal, biss in sein Sandwich und schob den Teller dann beiseite. „Und nun lass uns mal diesen Artikel auseinander nehmen.“
Etwa eine Stunde später hatten beide ihr Tagwerk geschafft, und da sie nichts mehr vor hatten, machten sie sich auf den Nachhauseweg.
Bevor sich ihre Wege vor dem Gebäude jedoch trennten, umarmte Tessa Joshua noch einmal dankbar.
„He, danke für die Hilfe!“, sagte sie und sah ihn ernst an.

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„Noch ist ja gar nix passiert mit deinem Wohnzimmer. Oder meinst du den Artikel?“, fragte Joshua verwirrt.
„Alles meine ich“, sagte sie ernst. „Alles – deine Hilfe mit der Uni, die Sache mit dem Wohnzimmer und deine moralische Unterstützung in den letzten Tagen. Das ist sicher nicht so einfach gewesen …“
Joshua schluckte. „Nun, Tessa… lass uns diese Sache ein- für allemal vergessen. Ich bin dein Freund, dein Kumpel, mehr nicht. Und da brauchst du dich nicht bedanken.“
„Doch, das muss ich und das will ich und darum hab ich es gemacht. Das ist alles nicht selbstredend, was du tust.“

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Joshua lächelte. „Schon gut, Schwamm drüber. Also, wenn ich weiß, wann unsere Wohnungs-Verschöner-Aktion losgeht, ruf ich dich an oder sag dir Bescheid, ja? Bis dann, Tessa. Und sag Feli einen Gruß.“
Er grinste und winkte ihr noch einmal zu, dann ging er eiligen Schrittes die Straße hinab. Tessa sah ihm nach, bis er um die Kurve verschwunden war. Dann machte auch sie sich auf den Heimweg.


Fortsetzung folgt.
 
Uiii, das ging aber flott mit dem neuen Kapitel!

Respekt! Ich meine dass Joshua das so wegstecken kann und Tessa so geholfen hat, als es ihr wegen Jess so schlecht ging, obwohl er ja schwer in sie verliebt war! Das muss wohl ein wahrer Freund sein!

Da bin ich aber froh, dass Jess den Entzug bis jetzt so gut verkraftet hat!

Bin schon auf die Wohnungs-Verschöner-Aktion gespannt!

Liebe Grüße
Chrissy
 
schön, dass es jess gut geht.
tessa bricht irgendwie in so eine merkwürdige, überschwängliche form der freude aus, dass ich schon wieder misstrauen hege, ob wirklich alles so glatt laufen wird, wie sie es sich vorstellt.

auch auf ihre neue wohnung bin ihc sehr gespannt. wie sie allerdings farbe und neue möbel für 200€ bekommen will, darauf bin ich noch mehr gespannt =)
 
Hallo,

Ich frage mich wie das mit der Wohnungs-Verschönerungs-Aktion ausgeht.

Ich kann mir garnicht vorstellen wie das Wohnzimmer am Ende aussieht

und ehrlich gesagt ich weiß garnicht mehr wie das Wohntimmer aussieht.

Ich frreue mich so das es Jess so gut geht !!!

lg sasispatz
 
"Wir kriegen Dein Wohnzimmer mit 200 Kronen gepimpt" - ich schmeiss mich grad weg vor Lachen. Mann, was für ein Spruch.

Jetzt aber erstmal zum vorletzten Kapitel: eines der Besten in dieser eh schon überdurchschnittlichen FS, meiner Meinung nach. Moni hat die Situation geradezu mit Hellsichtigkeit durchschaut und genau das formuliert, was ich auch schon die ganze Zeit über die Beziehung von Jess und Tesse gedacht - oder mehr gefühlt habe - aber niemals so in Worte hätte fassen können. Es ist gut, wenn Tessa sich darüber grundlegende Gedanken macht, vor allem auch über ihrerer beider Positionen zueinander in einem zukünftigen Leben, und auch miteinander. Hat das jetzt irgendwer verstanden? =) Ich mein, eine funktionierende, auf Dauer angelegte Beziehung sollte niemals dieses Ungleichgewicht haben, dass Tessa und Jess bislang hatten - was wirklich manchmal eher einer Mutter-Kind-Situation näher kam als einer Partnerschaft.

Das neue Kapitel lockert das Ganze jetzt wieder schön auf. Lass sie die Wände streichen! Ist wirklich ein bißchen unpersönlich und gestylt, der Wohnraum. Ich hoffe nur, dass Joshua nicht doch noch einen Funken Hoffnung in sich hat und sich dann irgendwann fragt "ich war immer für sie da, und dieser Kerl hat ihr nur Kummer macht", oder so. Das wäre schade.
Ooooooder - Jess wird rückfällig, wird von den Hells-Typen umgebracht, Tessa kriegt ihr Kind von ihm und heiratet Joshua. Würde auch zum Epilog passen. *jetztmalganzgemeinbin*. Manchmal passt auch ein trauriges - oder bittersüsses - Ende. Ich allerdings bestehe auf einem Happy-End. *gg*

LG!
 
@chrissy1709: Ja, Joshua ist echt ein guter Freund, und er hat auch wirklich Respekt dafür verdient, dass er seine eigenen Gefühle zurück stellt und Tessa trotzdem hilft.


@Zahlencödchen: Hihi, die Budgetfrage ist nun ja Joshuas Aufgabe, und der wirds schon irgendwie hinkriegen ;)
Ja, Tessa ist nun schon recht überschwänglich, aber sie ist eben auch einfach erleichtert. Dass nach Licht aber gerne Schatten kommt, ist die Natur der Sache, die einzige Frage, die ich nun aufwerden würde, ist die, ob denn das hier schon Licht ist oder noch der Ausläufer des großen Schattens, aus dem die beiden gekommen sind?



@sasispatz: Ich hoffe, die Wohnzimmerbilder helfen Dir auf die Sprünge, aber ich muss zugeben, wenn ich nicht ständig da drin fotografieren würde bzw. fast alle Sims der FS in diesem Haus lebten, wüsste ich es wohl auch nicht mehr! :)


@julsfels:
Oh, dein kommi ist ja wirklich sehr ausführlich und Du greifst so viele, gute und wichtige Dinge auf. Zum einen schön, dass Dir der Spruch gefällt. Ich weiß, das Kapitel war sehr locker, auch im Jargon, was normal nicht so mein Ding ist. Aber es sollte einfach auch auflockern, denn das Leben ist ja nicht immer nur schwermütig ;)
Was Deine Worte zu Monikas "Ansprache" angeht, so hast du recht. Sie hat ein sehr gutes Talent dafür, Tessa zu analysieren und durchschauen, und ihr das auch vernünftig zu vermitteln. Allein darum ist sie wirklich Gold für Tessa wert.
Man merkt eben auch, dass Monika schon etwas älter und vor allem reifer ist.
Deine Prognose ist recht düster, das wäre natürlich aber ein denkbares Ende und ich hülle mich in Schweigen, ist ja logisch :D
Danke für deinen Kommi!
 
Kapitel 73
Tief in mir


Tessa stieg aus ihrem Wagen und atmete die Luft tief ein. Für einen Moment schloss sie genießerisch die Augen und spürte die wärmende Sonne auf ihrem Gesicht.
Die Luft war warm, die Sonne schien mit voller Kraft.
Langsam ging sie den Gehweh entlang und betrachtete mit halb zusammengekniffenen Augen, welche die Sonne blendete, das weiß gekachelte Gebäude, das vor ihr aufstieg.
Vor dem Eingang zum Garten blieb sie stehen und sah sich um. Seit sie das letzte Mal hier gewesen war, waren sechs Wochen vergangen. An nichts und niemanden waren diese Wochen spurlos vorüber gegangen, und der Garten, der sich damals, als sie Jess hier mit bangem Herzen zurück gelassen hatte, noch kahl und rau präsentieren musste, hatte sich unter der wärmenden Sonne entfaltet und war aufgeblüht. Tessa flog ein Lächeln übers Gesicht und langsam ging sie auf die Tür zu. Jess hatte eigentlich hier draußen auf sie warten wollen, doch sie war einige Minuten zu früh.

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Unsicher öffnete sie darum die Tür zum Vorraum und stellte überrascht fest, dass dieser leer war. Sie hatte eigentlich gedacht, heute, am offiziellen Besuchstag, sei hier die Hölle los. Doch es war ruhig und still. Einen Moment stand sie unbeweglich auf einer Stelle und fühlte sich nicht ganz wohl in ihrer Haut, kam sich fast wie ein Eindringling vor.
In der Küche hörte sie das Geklapper von Geschirr, weshalb sie sich langsam nach vorne wagte und in den hellen und gemütlichen Raum spähte.
Ein Grinsen flog über ihr Gesicht, als sie Jess´ vertraute Stimme hörte und ihn gleich darauf am Waschbecken entdeckte, wo er an die Arbeitsplatte gelehnt stand und mit einem grün-rot karierten Handruch einen Topf abrubbelte, während er sich mit einer Frau, die bis zu den Ellbogen im schaumigen Wasser verschwunden war, unterhielt.
Als habe er ihre Anwesenheit gespürt, stockte er auf einmal in seinem Gespräch, ließ das Handtuch sinken und sah auf.
„Tessa!“, rief er erfreut aus, murmelte kurz etwas zu der Frau am Waschbecken, die daraufhin nur lachend sagte: „Geh schon, ich trocken den Rest ab“. Daraufhin legte er das Handtuch beiseite und kam schnellen Schrittes in den Vorraum geeilt.
Für einen winzigen Moment blieben beide unschlüssig voreinander stehen und starrten sich nur an. Tessa spürte ihr Herz bis zum Halse schlagen, als sie Jess musterte, doch sie wagte es nicht, sich zu rühren. Der Moment war einzigartig - und doch seltsam befremdlich.
Schließlich war Jess es, der sich aus der Starre löste und sie lächelnd in seine Arme zog.
„Ach, es tut so gut, dass du da bist“, murmelte er in ihr Haar und sie sog seinen Duft tief ein. Er hielt sie ein Stück von sich und sagte dann: „Gut schaust du aus, Tessa.“
„Und du erst“, erwiderte sie wahrheitsgemäß.

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Er lächelte und küsste sie statt einer Antwort.
„Wollen wir nach draußen gehen?“, fragte er dann. „Es ist so herrliches Wetter und da sind wir ungestörter.“

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Tessa nickte und löste sich aus seiner Umarmung.
Jess öffnete eine der großen Flügeltüren und trat mit ihr hinaus in die warme Maisonne.
Er sog die Luft ebenso wie sie es eben getan hatte tief ein und lächelte sie dann an.
„Lass uns doch ein Stück gehen“, schlug er vor und deutete in Richtung des hinteren Gartenteils.
Tessa nickte und musterte Jess langsam. Sie musste feststellen, dass sie ihn kaum wieder erkannte. Man sah ihm kaum etwas davon an, was er in den vergangenen Wochen durchgemacht haben musste. Nein, vielmehr sah er frischer und besser aus denn je. In der engen Jeans, die sie ihm noch vor Beginn des Entzugs gekauft hatten, wirkte er ungewohnt maskulin, der dünne, eng anliegende Pullover betonte dies noch viel mehr.
Tessa schluckte und spürte eine seltsames Gefühl von Befremdung in sich aufsteigen, als sie ihn so da stehen sah. Das war nicht der Jess, den sie kannte. Er schien ihr ein völlig fremder Mann zu sein…
„Was ist los?“, fragte Jess lächelnd.
„Nichts“, erwiderte Tessa rasch und fast etwa ruppig, drehte sich um und ging den schmalen Weg in den Garten entlang, während Jess ihr schweigend folgte.

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Sie fühlte sich mit einemmal nervös und unsicher, so hatte sie sich noch nie in seiner Anwesenheit gefühlt.
Tessa verharrte vor dem großen Swimmingpool im Garten und betrachtete nachdenklich die weißen Liegestühle.
War es genau das, was Monika ihr prophezeit hatte… nur viel schlimmer? Nun, da Jess nicht mehr der Jess war, den sie kannte, erschien er ihr fremd… anders… seltsam.
Was war nur los mit ihr? Sie hatte diesen Tag all die Jahre herbei gesehnt und nun… übertraf Jess mit seiner Entwicklung all ihre Erwartungen, und statt sich zu freuen, fühlte sie sich dabei unbehaglich.
„Tessa?“
Jess sah sie aufmerksam an. „Was ist los?“

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Tessa zuckte ausweichend mit den Achseln. „Ach, ich weiß nicht… ich…“
Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte, darum schwieg sie.
„Ich bin froh, dass du hier bist“, sagte Jess statt einer Antwort direkt. „Du hast mir gefehlt.“
Tessa lächelte schwach. „Du mir doch auch“, murmelte sie dann, starrte aber weiterhin auf das blaue Wasser des Pools, in dem sich die saftig grünen Blätter der Bäume spiegelten und das sich unter dem ein oder anderen Windstoß sanft kräuselte.
„Tessa, es ist okay, wenn das alles etwas ungewohnt für dich ist…“, sagte Jess da neben ihr sanft. Sie sah ihn überrascht an.
„Wie… was meinst du...?“
Jess lächelte. „Nun, ich muss dir ziemlich verändert vorkommen. Ich fühle mich selbst ja völlig anders… wir haben uns sechs Wochen nicht gesehen, und in denen ist viel passiert. Dass das komisch ist, ist doch ganz normal.“
Er legte sanft den Zeigefinger unter ihr Kinn und stupste sie an der Nase, so dass sie lächelte.

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„Du bist wirklich anders“, gab sie dann zu. „Ich erkenne dich kaum wieder. Und das… das fühlt sich irgendwie seltsam an.“
Jess nickte. „Ja, das glaube ich dir, Tessa. Mir ging es ähnlich, als ich dich vor einigen Wochen wiedersah. Du warst nicht mehr diejenige, die ich damals verlassen musste…“
Sie sah ihn überrascht an. „Du hast nie etwas gesagt.“
Er zuckte mit den Achseln. „Ich weiß… irgendwie dachte ich, das Gefühl sei nicht richtig. Aber inzwischen denke ich, es ist ganz normal, so zu empfinden. Und für dich muss es noch extremer sein jetzt, nehme ich an.“
Tessa nickte langsam. „Ja, es ist komisch… ich meine… nun, das heißt nicht, dass ich mich nicht freue, Jess!“, beteuerte sie schnell. „Nur… du wirkst so… stark… so… bei dir. So kenne ich dich nicht.“
Jess strich sich die Haare aus der Stirn und richtete seinen Blick auf die sich im Wind sanft hin und her wiegenden buschigen Baumwipfel des Waldes, den man auf der anderen Straßenseite erkennen konnte.
„Nun, das liegt wohl daran, dass ich zum ersten Mal seit Jahren wieder bei mir bin… und nicht gesteuert von irgendeinem Mist, der durch meine Adern fließt…“
Er sah Tessa wieder an und lächelte ihr zu.

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„Daran muss ich mich selbst auch erstmal gewöhnen.“
Tessa lächelte zurück und spürte, wie die Befangenheit allmählich nach ließ, auch wenn sie sich nicht ganz vertreiben ließ. Sie spürte Jess ´ Hand an der ihren und griff bereitwillig danach. Gemeinsam schlenderten sie schweigend ein Weilchen durch den von schweren Düften und bunten Farben erfüllten Garten, bis sie sich schließlich auf einer der Bänke niederließen.
„Mensch, ich hab einen Stein im Schuh“, schimpfte Jess und beugte sich nach vorne, um das Dilemma zu entfernen.

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Tessa sah ihm schweigend zu und sagte dann irgendwann: „Geht´s dir wirklich gut, Jess? Oder … willst du mich nur nicht belasten?“
Sie sah ihn ernst an. Er richtete sich wieder auf und blickte ihr ins Gesicht.
„Tessa… das denkst du doch nicht wirklich?“
Tessa schluckte. „Nun… ich mach mir einfach Sorgen, Jess…“

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Jess schüttelte den Kopf.
„Tessa, aber das brauchst du nicht. Es geht mir gut. Natürlich nicht immer. Aber alles läuft viel besser als ich es je erwartet hätte. Das schlimmste habe ich hinter mir… jetzt geht es darum, zu lernen, auch im Alltag mit der Sucht umzugehen. Aber du brauchst dich nicht immer um mich sorgen, Tessa. Wirklich, mir geht’s gut. Viel mehr denke ich an dich.“
Er sah sie ernst an.

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Tessa nickte. Noch vor wenigen Wochen hätte sie wohl protestierend Einwand erhoben, doch nachdem sie die letzten Wochen so viel über das, was Monika ihr gesagt hatte, nachdenken musste, war ihr klar, dass Jess sich auch um sie sorgte – und das auch durfte.
„Ich komme auch gut klar“, erwiderte sie dann. „Du fehlst mir sehr, das ist klar. Aber… nun ja… ich meine, wir… wir hatten ja auch vorher nie … viel Zeit… du weißt schon, was ich meine…“

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Jess nickte. „Ja, Tessa, das stimmt. Und du brauchst dich nicht dafür schämen, das zu sagen.“ Er sah sie offen an. „Wir sollten endlich damit anfangen, die Dinge beim Namen zu nennen, findest du nicht? Das ist etwas, das mit durch die Therapie hier langsam klar wird. Es ist für uns ganz wichtig, uns nichts mehr vor zu machen. Auch für später. Ich muss das lernen… und…“
Er sah sie sanft an. „Ich glaube, du auch…“
Tessa sah ihn irritiert an. „Was meinst du damit?“

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„Nun, ich will damit nur sagen…“, begann Jess langsam und suchte nach Worten. „Ich meine… Tessa, all die Zeit, in der wir zusammen waren… denkst du nicht auch, wir haben viel falsch gemacht?“
Tessa sah ihn einen Moment schweigend an. „Ich weiß nicht… wir haben sicher nicht alles richtig gemacht“, gab sie dann zu. „Aber denkst du, all das war falsch?“
Jess schüttelte den Kopf. „Nein, das mein ich nicht. Ich… wie soll ich das am besten erklären…“, suchte er nach Worten.

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„Ich meine damit… wir beide haben nie offen über mein Problem gesprochen, oder? Ich glaube, unser offenstes Gespräch war noch jenes damals, als wir uns kennen lernten, in dem Café, als du diesen Artikel schriebst. Danach haben wir das Thema eigentlich immer totgeschwiegen…“
„Du hast es totgeschwiegen“, sagte Tessa leise. „Darum hab ich es irgendwann auch getan…“ Sie sah ihn traurig an. „Ich will damit nicht sagen, dass ich keine Schuld hatte, bitte versteh das nicht falsch.“
Jess lächelte sie sanft an. „Das tu ich nicht. Du hast recht. Ich wollte dich damals vor allem schützen, und ich war ein Idiot. Vielleicht… vielleicht hab ich tief in mir nie daran geglaubt, dass das zwischen uns halten wird. Ich fürchte, ich war tief in mir überzeugt davon, dass du mich auch irgendwann verlassen wirst. So wie alle bis dahin. Darum dachte ich nie, dass die Bombe irgendwann platzt. Oder dass du dazu lang genug in meinem Leben bist.“

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Tessa sah ihn erschrocken an. „Das hast du gedacht? Dass ich dich verlasse…?“
Jess zuckte hilflos mit den Schultern. „Nicht direkt. Aber irgendwie hab ich das in mir drin, tief in mir, wohl angenommen, ja…“
Einen Moment schwiegen beide und starrten auf die Grashalme unter ihren Füßen, dann sagte Tessa langsam: „Aber ich wollte es tief in mir wohl auch nie wissen… was mit dir ist, meine ich. Ich habe zwar darüber nachgedacht, aber ich fürchte, tief in mir hoffte ich irgendwie, dass irgendwann alles gut wird.“ Sie seufzte und schüttelte den Kopf. „Mir war nicht bewusst, dass das nicht so einfach geht. Mein Leben war immer einfach gewesen. Oder nun… vielleicht nicht einfach, aber ich bin so groß geworden, dass ich dachte, es gibt für alles eine Lösung und zwar eine sehr direkte. So wie in der Mathematik, einfache Gleichungen, und wenn man sie einmal begreift, kann man sie schnell durch rechnen. Ich dachte, wenn ich mich nur anstrenge, und daran glaube, dann wird alles gut. Ich war mir nie klar, dass das nie so einfach gehen wird.“
Sie lächelte schmerzlich. „Ich fürchte, ich habe tief in mir, naiv wie ich war, daran geglaubt, dass du eines Tages zu mir kommst und mir sagst, du hast damit aufgehört… einfach so. Naja … oder zumindest so ähnlich. Schön blöd, nicht?“
Sie schielte ihn von der Seite an. Jess schüttelte nachdenklich den Kopf.

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„Nein, nicht blöd. Normal, denke ich. Ich meine, vergiss nicht, wie du aufgewachsen bist… von dir wurde alles ferngehalten und eigentlich ist das ein Geschenk“, antwortete er dann. „Mach dir deswegen keinen Vorwurf.“
Sie schwiegen wieder einen Moment, dann sagte Tessa langsam: „Jess… ich… ich…“
Er sah sie offen an. „Was, Tessa?“
„Ich habe Angst“, platzte es dann aus ihr heraus. „Ich… ich habe Angst, dass es nicht funktionieren wird…“, fügte sie leiser hinzu. „Mit uns, meine ich… wenn du… wenn alles mit dir okay ist… und alles so anders als vorher. Ich meine… nicht weil ich dich dann nicht mehr liebe, nein… nur weil… unser Leben nie normal war… und… ach, es ist so verworren.“
Jess sah sie eine Weile schweigend an und sagte dann: „Darüber hab ich auch schon nachgedacht. Schon im Krankenhaus“, erwiderte er dann langsam und starrte die weiße Steinwand des Hauses an.

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Tessa sah ihn überrascht an, sagte aber nichts.
Da er eine Weile nichts sagte, schluckte sie und starrte ebenfalls vor sich hin. In ihrem Kopf purzelten die Gedanken wie PingPong-Bälle durcheinander.
Dachte er genauso? Oder hatte er gar schon für sich entschieden, dass es zwischen ihnen nicht funktionieren würde?
Mit einemmal durchlief es Tessa eiskalt.
Jess hatte viele Wochen Zeit gehabt, um nachzudenken. Er war so anders. Er schien ihr eben noch so fremd.
Was, wenn er für sich entschieden hatte, dass sein Leben nach dem Entzug ohne sie weitergehen sollte?
Wieso schwieg er so lange? Wieso sagte er nichts?
Tessa meinte, ihr Herz aussetzen zu hören.
Was, wenn Jess sich von ihr trennen wollte?

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In den Bäumen über ihr erhob sich ein kleines Vögelchen und segelte über ihre Köpfe hinweg in Richtung Wald. Die Bäume wiegten sich sanft im Wind und der Geruch des violetten Flieders hing schwer in der Luft.
Fing ihr neues, gemeinsames Leben nicht gerade erst an? Oder war dies etwas das Ende, nach allem was sie durchgestanden hatten?





Fortsetzung folgt.
 
na da ist ja mal wieder jede menge zündstoff in diesem kapitel - aber ich bin mir sicher, die beiden können das schaffen.
auch an normalität muss man sich gewöhnen... die zwei erst recht.
doch jess ist ja weit von der entlassung entfernt - die beiden haben ja noch jede menge zeit.
ich bin dennoch sehr gespannt, wie es weitergeht.
 
Tolles Kapitel.
Endlich reden Jess und Tessa über alll die Befürchtungen und Problemme.
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel.
 
Wunderschöne Kapitel!
Ich glaube jedoch nicht, dass Jess sich von ihr trennen wird.
Für wen hat er das denn alles gemacht?
Jess hatte die Hoffnung doch bereits aufgegeben.
Doch er wollte Tessa und sich eine Chance geben, weil er Tessa liebt.
Und ich denke, jetzt wird er auch mit ihr zusammen bleiben wollen.
Nur durch sie fühlte er sich wieder bereit, eine Therapie zu vollziehen.
Durch sie und ihre Liebe zu einander.

Tessa ist wirklich ein sehr nachdenklicher Mensch.
Ich hoffe, dass ihr dies irgendwann nicht einmal zum Verhängnis wird!
 
Hey,
das ist ja ein richtig schönes Kapitel. Die Bilder gefallen mir diesesmal besonders gut, das sieht so toll nach Sommer aus, passend zum Wetter der letzten Tage :) Ich hoffe sehr, dass Jess sich nicht von Tessa trennen wird, aber eigentlich kann ich mir das nur schwer vorstellen. Sicher wird es erstmal ungewohnt für die beiden sein, aber eine normale Beziehung muss ja nichts Schlechtes sein. Vielleicht brauchen beide einfach nur etwas Zeit sich an das ungewohnte, neue Leben miteinander zu gewöhnen.
Wie immer freue ich mich auf eine Fortsetzung (zumal mich auch interessiert, was aus Tessas Wohnzimmer wird).
LG
 
@Zahlencödchen: Ja, Du hast recht. Man muss sich auch an Normalität gewöhnen. So wie andere sich zu sehr an sie gewöhnen, ist es für die beiden eine echt komische Vorstellung, einen ALLTAG zu haben.
Und ja, natürlich ist noch jede Menge Zeit und heute findet man auch heraus, wie es mit den beiden, zumindest wenn alles "normal" laufen sollte, weitergehen wird.
Danke für Deinen Kommi!


@sasispatz:
Ja, ich glaube auch, es ist wichtig für die beiden, das alles auch einmal an- und auszusprechen, das stimmt!
Danke für Deinen KOmmi!

@xBoux:
Hm, ich glaube nicht, dass Tessa übermäßig nachdenklich ist. Oder doch? %) Hm, ich denke, das liegt eher daran, dass wir in ihrem Kopf kucken können, was man bei den meisten Menschen ja nicht kann, auch nicht bei jeder anderen Figur der Geschichte.
Und sie hat eben Angst. Ich glaube vielmehr, sie hat ein Problem, zu vertrauen. Sich fallen zu lassen. Hat sie früher noch gekonnt, aber durch die vielen Katastrophen ist es ihr evtl abhanden gekommen.
Ob Du mit Deinen Überlegungen recht hast, siehst Du heute!
Danke für Deinen Kommi!


@SexyLexi
: Hihi, auf Tessas Wohnzimmer musst Du noch ein Weilchen warten. Weißt, der Joshua sucht noch nach Möbeln und Farbe für weniger als 200 Euro, das dauert seine Zeit :lol:
Aber nun mal ernsthaft, es freut mich sehr, dass Du Die Bilder erwähnt hast, denn ich fand sie auch so schön frühlings- und sommermäßig!
Ich liebe VJZ wirklich!
Wie es weitergeht, erfahrt ihr heute!
Danke für Deinen Kommi!
 
Kapitel 74
Vertrauen


Tessa schluckte. In ihrer Kehle schien ein zentnerschwerer Kloß zu hängen, der sie fast schmerzhaft zusammen zu ziehen begann.
Da Jess immer noch schwieg, sah sie ihn lange an und fragte dann mit zitternder Stimme:
„Jess… denkst du etwa… denkst du, es wird nicht funktionieren? Willst du vielleicht… willst du es etwa beenden?“
Jess fuhr herum und sah sie mit großen Augen an.

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„Was? Beenden… aber… aber nein, Tessa, wie kommst du denn darauf!“, stieß er dann hervor.
Tessa atmete erleichtert auf und blickte zu Boden.
„Na, weil du nichts gesagt hast“, stammelte sie dann leise. „Du hast nur gesagt, du hast dir im Krankenhaus auch Gedanken gemacht… und ich dachte, vielleicht bist du nun zu dem Entschluss gekommen, dass es nicht funktionieren kann…“
Jess griff nach ihrer Hand und schüttelte den Kopf. „Aber nein, Tessa, nein! Wie kommst du nur auf sowas! Ich habe mir im Krankenhaus auch Gedanken gemacht, ja, und ich habe gerade überlegt, wie ich dir das erklären soll, was mir so durch den Kopf gegangen ist. Aber ich würde dich doch nicht verlassen. Wir müssen es doch wenigstens versuchen, ein normales Alltagsleben aufzubauen.“
Er sah sie liebevoll an. „Ich kann nicht dafür garantieren, dass es klappt, nein. Aber wer kann das schon? Wofür würden wir all das hier denn sonst tun, wenn nicht dafür? Oder zumindest zum Großteil dafür?“
Er lächelte ihr aufmunternd zu und sie lächelte schwach zurück.

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„Ich… ja, du hast recht“, sagte sie dann langsam. „Aber diese Angst in mir kriege ich nicht zum Schweigen. Unser Leben war bisher so völlig anders… so extrem. Vielleicht brauchen wir diese Extreme… oder ich?“
Sie sah ihn ängstlich an. Jess erwiderte ihren Blick und bemerkte bestürzt, wie aufgewühlt sie war. „Ach Tessa, komm her!“
Er zog sie in seine Arme, hob sie dabei fast unmerklich auf seinen Schoss und drückte sie fest an sich. „Du musst Vertrauen haben, in dich und in uns. Ich habe auch Angst, natürlich. Und Zweifel. Aber ich rede viel darüber in den Gruppenstunden, und ich bin guter Dinge, dass es funktionieren wird, wenn wir viel darüber sprechen vorher. Über alles, was wir bisher nicht beachtet haben. Alles, was schief gelaufen ist. Bei mir und auch bei uns. Ich bin es nicht gewohnt, so viel zu reden“, er lachte leicht , „aber ich fürchte, ich muss mich daran gewöhnen:“
„Denkst du, ich bemuttere dich zu sehr?“, platzte Tessa hervor.
Amüsiert sah Jess sie an. „Wie kommst du denn darauf?“
„Ach … nur so“, wich Tessa aus. „Nun sag doch.... ist es so?“
Jess zuckte mit den Achseln. „Ich würde das nicht bemuttern nennen, schließlich bist du hier nicht mit einem Picknickkorb voll selbstgemachter Hühnerbrühe aufgetaucht.“ Er zwinkerte, wurde dann aber wieder ernst. „Ich denke nur, du machst dir zu viele Sorgen um mich. Ich kann dich ja verstehen, aber deine Sorgen belasten mich.“

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Betroffen blickte Tessa auf ihre Schuhspitzen. „Das tut mir leid. Daran hab ich nie gedacht. Aber ich kann es ja nicht einfach so abstellen, mich um dich zu sorgen.“
„Das wäre ja auch nicht gut“, erwiderte er dann sanft. „Aber ich hab das Gefühl, es macht dich irre, mich hier allein zu lassen. Die Kontrolle abzugeben oder so, ich bin mir nicht so sicher. Und das belastet mich auch, weil ich weiß, es geht dir schlecht. Sieh mal, Tessa, wieso sehen wir dieses knappe halbe Jahr, das wir noch getrennt vor uns haben, nicht einfach als eine Chance? Eine Chance, uns allmählich aneinander zu gewöhnen. Du kennst mich nur unter Einfluß der Drogen, und ich kenne dich nur in Sorge und Angst. Ich weiß auch nichts von dir, Tessa, wenn es um deinen Alltag geht. Oder nur wenig. Ich habe nie daran teilgenommen. Ich kenne weder deine Freunde, noch deine Familie, noch weiß ich, was genau du in deinem Studium tust… nicht was du gerne isst, was du gerne trinkst. Das möchte ich alles erfahren. Ich bin dir so unendlich nahe, ich liebe dich so innig und schon so lange, aber diese Dinge fehlen mir einfach.“
Tessa nickte. „Genau das habe ich auch schon gedacht“, sagte sie dann langsam.
„Ja, nur mit einem Unterschied“, erwiderte Jess nachdenklich. „Ich weiß vieles dieser Dinge bei mir selbst noch nicht. Und ich bin so dankbar um diesen Therapieplatz, weil er mir die Zeit gibt, sie zu erfahren. Müsste ich jetzt schon ins normale Leben, würde ich bestimmt wieder rückfällig werden, trotz allem. Wie soll ich mich da draußen zurecht finden, wenn ich gar nicht genau weiß, wer dieser Jess Berger überhaupt ist?“
Tessa nickte. „Da hast du recht. So habe ich es noch gar nicht gesehen.“
Jess lächelte. „Eines weiß ich aber schon über Jess Berger. Und zwar, dass er eine der hübschesten Frauen auf diesem Planeten zur Freundin hat.“
Tessa lachte leise auf und rieb ihre Stirn an seiner. „Schmeichler!“, murmelte sie.

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Jess lachte auf. „Damit kann ich leben“, erwiderte er und küsste sie sanft. „Weißt du, ich bin hier in den besten Händen. Und ich bin jederzeit erreichbar für dich. Du wirst mich in den ersten Monaten vielleicht nur an den Wochenenden sehen können. Aber so haben wir genug Zeit, uns langsam aneinander zu gewöhnen. Und später kannst du mich sicher auf öfter besuchen, ich denke, das wird wichtig für uns sein. Und was danach kommt, nach der Therapie, ist noch so ungewiss. Ich meine, wir haben noch so viel Zeit, all diese fremden Seiten an uns kennenzulernen, bevor wir im Alltag miteinander leben müssen.“
Tessa nickte. „Ja, und ich bin gespannt, diesen neuen Jess kennen zu lernen.“ Sie sah ihn liebevoll an. „Und ich muss sagen, er fängt an, mir zu gefallen.“

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Jess lächelte. „Da hab ich ja aber mal Glück gehabt“, sagte er dann zwinkernd. „Wir werden viel zu Reden haben, Tessa. Auch über das Jahr, das zwischen uns liegt. Dieses Jahr, in dem ich dich allein gelassen hab…“
Seine Miene wurde ernst und fast schmerzlich. Tessa spürte wieder einmal, wie sehr ihn die Vorwürfe über sein unredliches Verhalten an jenem Februartag immer noch zermarterten.
„Das ist Vergangenheit…“, begann sie sanft, doch Jess schüttelte den Kopf.
„Nein… oder ja, natürlich ist es das. Aber es ist dennoch wichtig. Ich meine, die Vergangenheit ist wichtig. Wir müssen anfangen, aus ihr zu lernen. Und all die Dinge anzusehen, die da passiert sind.“ Er sah sie ernst an. „Du hast viel durchgemacht. Es kann nicht alles spurlos an dir vorbeigegangen sein. Und je mehr ich dich liebe, desto weniger kann ich begreifen und ertragen, dass ich der Auslöser für alles war.“
Tessa schüttelte den Kopf. „Ich verstehe dich“, sagte sie dann. „Aber diesmal muss ich dir die Ohren langziehen. Ich denke nämlich, damit fährst du in eine Sackgasse. Nicht damit, die Dinge anzusehen, da hast du natürlich recht. Aber damit, dich heute noch dafür zu belasten, dir Vorwürfe zu machen. Es ist vorbei, wir können es nicht mehr ändern. Wir können nur daraus lernen.“
Jess sah sie nachdenklich an. „Wie konntest du mir das alles nur verzeihen?“
„Na, weil ich dich liebe“, erwiderte Tessa schlicht und Jess drückte sie lächelnd an sich.

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„Der Himmel hat es an jenem Tag, als er mich und dich in diesen Supermarkt hat spazieren lassen, sehr gut mit mir gemeint“, murmelte er dann.
Tessa musste bei der Erinnerung an jenen Tag leise auflachen.
„Was für eine Geschichte, oder?“, sagte sie dann. Mit einemmal fiel ihr wieder die Begegnung mit der alten Dame ein, der sie das Verfallsdatum auf den Saftpackungen hatte vorlesen müssen.
„Was diese alte Dame heute wohl dazu sagen würde, wenn sie wüsste, was unmittelbar nach unserer Begegnung geschehen ist?“, sinnierte sie und erfasste mit ihrem Blick einen Ast der Weide über sich, der sich im Wind hin und her wiegte, als wolle er der Sonne zuwinken.
„Welche Dame?“, fragte Jess verwirrt und Tessa lachte leise auf.
Sie sah das Bild noch vor sich, als sei es gestern geschehen. Und doch fühlte es sich auf der anderen Seite wieder an, als sei es Jahre, Jahrzehnte, ja – fast Jahrhunderte her.

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In kurzen Worten schilderte Tessa Jess jene Begegnung.
„Vielleicht hat mir das überhaupt nur erst den Mut verliehen, für dich in die Presche zu springen“, überlegte sie dann lächelnd und spielte gedankenverloren mit einer von Jess´ Haarsträhnen, was dieser grinsend über sich ergehen ließ.
„Oder es war ihr Segen, der uns den Weg geebnet hat“, meinte er dann langsam.
„Wie?“
„Na, du hast doch gesagt, sie wünschte dir am Schluss Gottes Segen.“
„Hab ich das gesagt?“
„Sonst wüsste ich es nicht. Und wer weiß… vielleicht war das ja entscheidend für uns. Und ist es heute noch?“
Tessa lächelte. „Glaubst du an so was? An Gott und an Segnungen?“
Jess zuckte mit den Schultern. „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unser Verstand für möglich hält, Tessa, oder nicht? Und ja, ich denke, an Segnung glaube ich, weil es mir hilft. In jener Nacht im Krankenhaus hatte ich eine Weile das Gefühl, nicht anwesend zu sein. Irgendwo anders, wo es leicht und warm und gut war. Ich weiß nicht, ob es nur von den Medikamenten kam, oder von dem Halbkoma in dem ich lag. Es ist ja auch egal. Jedenfalls bin ich der Meinung, es gibt da irgendwas, an das es sich zu glauben lohnt. Was auch immer es sein mag. Und wenn wir darauf vertrauen, dass es diesen Segen für uns gibt, welcher Art auch immer er sein mag, dann ist das für uns doch etwas, das Vertrauen schafft, oder nicht?“
Tessa sah ihn nachdenklich an und verstand, was er meinte. „Du hast recht“, sagte sie dann leise. „Also lass uns daran glauben, dass wir gesegnet sind… mit Glück und mit allem, was wir brauchen, um das durchzustehen, was noch vor uns liegt.“

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Jess nickte und blickte in das Blattwerk, das sich über ihren Köpfen wie ein Baldachin auszubreiten schien.
Er ließ die Sonne genießerisch in sein Gesicht scheinen und auch Tessa schloss für einen Moment die Augen, legte den Kopf an seiner Schulter ab und schwieg.
So saßen beide eine Weile ohne zu sprechen, nur im erfüllenden Genuss der Nähe des anderen versunken.

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„Lass uns den Rest des Tages noch genießen“, sagte Jess dann plötzlich leise. „Ich glaube, wir haben für heute genug Probleme angesprochen.“
Er sah sie liebevoll an. „Du siehst wunderschön aus, Tessa. Du hast dich so verändert…“
Er strich ihr sanft durchs Haar. „Deine Haare sind einfach toll. Ich liebe so langes Haar, weißt du.“
Sie lächelte. „Das wusste ich nicht“, sagte sie dann. „Aber umso besser, dass ich sie hab wachsen lassen, mh?“
Er lachte leise auf. „Ja, so ist es.“
Sein Blick wanderte bewundernd über ihre ganze Erscheinung und Tessa genoss es, ihn dabei zu beobachten. Es war für sie noch immer ein ungewohntes Gefühl, von Jess so angesehen zu werden. All die Male, die sie sich früher getroffen hatten, war so etwas wie sexuelle Anziehungskraft nie zwischen ihnen vorhanden gewesen. Zuneigung und Zärtlichkeit, ja… aber nichts darüber hinaus.
„Noch so ein Punkt, den man anschauen sollte…“, dachte Tessa bei sich, schwieg jedoch. Jess hatte recht, für heute hatten sie genug schwere Dinge angesprochen. Alles zu seiner Zeit.
Alles Schritt für Schritt.
Als habe er ihre Gedanken erraten, beugte er sich nach vorne und küsste sie stürmisch, fast so, als beabsichtige er damit, ihr diese Gedanken für einen Moment aus dem Kopf zu drängen… was ihm zugegebenermaßen gut gelang. Tessa dachte nicht mehr nach. Sie ließ sich fallen und spürte, wie in diesem Moment all die Anspannung der letzten Wochen ein großes Stückweit von ihr abzufallen begann.

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Jess hatte recht. Ihr fehlte das Vertrauen, in fast alles. In ihn. In die Zukunft. Wann hatte sie all das verloren? Sie wusste es nicht, doch in diesem Moment spürte sie wieder, wie es sich anfühlen konnte, dieses Vertrauen in sich zu tragen, selbst wenn es sich noch fremd und schwach anfühlte... es war wieder da.
Die Vögel zwitscherten fröhlich in den Baumwipfeln. Ein sanfter Wind strich ihr durchs Haar. Die Sonne umhüllte sie mit sanfter Wärme und die Düfte der Blumen und Gräser im Garten vermischten sich mit dem Geruch von Jess Körper, als sie beide auf der Bank saßen und sich immer wieder küssten, umarmten und einander ansahen, fast so, als sähen sie das, was sich ihnen da bot, immer wieder zum ersten Mal.
So neigte sich der Tag langsam dem Ende zu.
Die Sonne versank allmählich am Horizont, das Vogelgezwitscher wurde leiser.
Jess und Tessa jedoch blieben im Garten, bis es schließlich dunkel war und Jess Tessa leise zuflüsterte, dass es Zeit würde, sich zu verabschieden.
Schweren Herzens standen beide auf und schlenderten gemeinsam zum Ausgang, wo sie schweigend voreinander stehen blieben.
Tessa lächelte schließlich schwer und senkte den Kopf.
„Ich mag Abschiede nicht“, presste sie hervor. „Die Zeit war viel zu kurz.“

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„Das war sie“, stimmte Jess ihr zu und griff nach ihrer Hand. „Aber in zwei Wochen kannst du mich schon wieder besuchen.“
„Wieso bin ich heute eigentlich die einzige hier?“, fragte sie und sah sich um. Sie hatte den ganzen Tag niemanden gesehen, der wie Besuch aussah.
Jess zuckte traurig mit den Schultern. „Nun… viele haben keine Verwandten mehr, die sie besuchen kommen. Oder Freunde. Und wenn es welche gibt, so kommen sie nicht oft hier heraus. Einige waren heute da, aber sie waren drinnen, glaube ich. Es waren aber wenige.“ Er sah sie ernst an. „Viele meiner Mitstreiter kommen wie ich aus sozial schwachen Familien, Tessa. Entweder kümmert sich niemand mehr um sie oder es ist nicht das Geld da, jedes Wochenende so weit hier heraus zu fahren…“
Tessa schluckte betroffen. Sie stellte es sich furchtbar vor, hier wochenlang alleine zu sein und all das durch zu machen, ohne zu wissen, dass draußen jemand auf einen wartete.
Jess erriet ihre Gedanken, sagte jedoch nichts dazu und drückte sie nur an sich.
„Danke, dass du da warst“, flüsterte er leise.
Noch vor zwei Minuten hätte sie ihn wohl für diese Aussage entrüstet angeschaut, doch nun nickte Tessa nur langsam und küsste ihn sanft.

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„Telefonieren wir?“, sagte sie dann langsam. „Kann ich dich nicht auch anrufen, dann kostet es dich nichts?“
Jess nickte. „Das geht, aber nur zwischen 16 und 19 Uhr… da haben wir keine Therapiestunden oder sonstiges. Ansonsten rufe ich dich einfach an. Wir erwischen uns schon.“
„Und heute in zwei Wochen komme ich wieder her“, sagte Tessa langsam.
Jess strich ihr über den Arm. „Ich freu mich schon.“

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Er warf einen Blick zu dem Gebäude, aus dessen Fenster warmes Licht auf den Gehweg im Garten fiel.
„Ich muss rein“, sagte er dann. „Es ist schon spät…“
Tessa nickte tapfer. Er zog sie noch einmal an sich und küsste sie lange.

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„Versprich mir, dass du dir diesmal keine Sorgen machst“, sagte er schnell zu ihr. „Du weißt, es ist alles in Ordnung hier. Vor uns liegt eine aufregende Zeit, weißt du nicht mehr?“
Tessa nickte. „Doch, das weiß ich. Und ich werde mir keine Sorgen machen, versprochen. Ich weiß ja jetzt, dass es dir hier sehr gut geht. Ich werde dich höchstens ein bisschen vermissen…“
Jess lächelte. „Das ist erlaubt. Ich muss jetzt los. Bis dann, Tessa…“
Tessa hob die Hand und winkte ihm zu. „Bis dann, Jess…“
Und während Jess im Gebäude verschwand, drehte Tessa sich um und ging lächelnd die Straße hinab.
Über den Garten senkte sich die Stille der Nacht, während sich im Osten ein weiß-gelb schimmernder Vollmond über den sanft hin- und herschwankenden Bäumen erhob.
Irgendwo begann eine Grille ihr ruhiges Lied zu zierpen.

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Und Tessa lächelte.



Fortsetzung folgt.
 
Ui eine schöne Fortsetzung!
Hab ichs doch gewusst ;) Die beiden mussten einfach zusammen bleiben!
Ich hoffe, dass Tessa sich nicht mehr allzu viele Sorgen macht.
Jess erging bislang ziemlich gut in der Anstalt!
Und das sie sich jetzt wieder sehen können, ist doch auch etwas schönes, nach so langer Zeit ;)
Was mir gut gefällt, ist, dass beide über ihre Überlegungen gesprochen haben!
Sie müssen sich ja wirklich noch erst "richtig" kennenlernen.
 
Tolle Fortzetzung !!!
Es ist toll das es Jess viel besser geht.
Jetzt kann alles nur noch besser werden.
 
@xBoux: Ja, das stimmt, die beiden müssen sich erst richtig kennen lernen. Und dass es Jess so gut geht, ist natürlich schon einmal ein gutes Zeichen, bleibt zu hoffen, dass es nicht nur ein momentanes Hoch ist...!
Danke Für Deinen kommi!


@sasispatz: Ja, Dein Wort in meinen Fingern ;) dass alles nur noch besser wird... mal schauen :)


@ALL: So, nun kommt das Renovierkapitel... bin damit gar nicht zufrieden, und im Handlungsverlauf ist es für mich echt eher ein totales Zwischenkapitel... das nächste wird wieder besser, aber zumindest gibts was zum Kucken :)
 
Kapitel 75
Außen und innen




Draußen schien die Sonne und es war warm. Tessa stand nachdenklich am Fenster und blickte über die Dächer der Stadt in den strahlend blauen Himmel. Es war ein perfekter Tag, um nach draußen zu gehen. Doch heute war dafür keine Zeit.
Sie sah sich in ihrem Wohnzimmer um und atmete tief durch. Den ganzen gestrigen Abend hatte sie damit verbracht, sämtliche Tapeten von den Wänden zu ziehen, nachdem Joshua und Moni ihr zuvor damit geholfen hatten, die Möbel aus dem Zimmer zu schleifen.
Sie lagerten jetzt allesamt im Keller, wo Tessa wie alle Parteien eine recht großzügige Parzelle besaß, in der neben einigen gammligen Umzugskartons und ihrem Fahrrad nichts zu finden war.
Joshua hatte gehalten, was er versprochen hatte. Es war zwar etwas über ihr Budget gegangen, doch über etliche Beziehungen und Geheimtips hatte er es geschafft, ihr einige neue Möbel und Wandfarben zu besorgen. Noch konnte Tessa sich nicht im Geringsten vorstellen, wie das alles zusammen ausschauen und wirken würde. Einige ihrer alten Möbel sollten auch bleiben. Und doch, alleine schon dass das Wohnzimmer praktisch entkernt war, schien sie aufatmen zu lassen. Es fühlte sich an wie ein Schritt in die richtige Richtung.
Das Klingeln der Türglocke riss sie aus ihren Gedanken. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr, dass es Joshua war. Sie drückte den Summer und öffnete kurz danach die Tür.
„Morgen!“, trällerte Joshua fröhlich und umarmte Tessa zur Begrüßung. „Gut geschlafen?“

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Tessa nickte. „Wie ein Murmeltier. Mir tun alle Knochen weh.“
Joshua lachte. „Nun, bald hast du es ja geschafft!“
Tessa verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht… ein paar Tage werden wir schon noch brauchen, oder?“
Joshua grinste vielsagend. „Lass mich mal machen. Denkst du etwa, ich bin so wild aufs Arbeiten, dass ich hier ganz ohne Unterstützung auftauche?“
Er zwinkerte.
„Was meinst du damit? Moni hat gestern schon geholfen, und ich wollte sie nicht schon wieder fragen“, erklärte Tessa irritiert. „Sie kann sich schließlich nicht extra frei nehmen für das hier! Und Feli steckt bis über beide Ohren in diesem Referat für ihr Medienwissenschaftsseminar…“
„Man muss nur wissen, wie man es anstellt, Leute zu rekrutieren“, grinste Joshua nur als Antwort.

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Tessa verstand nur Bahnhof und beschloss, es erst einmal dabei zu belassen.
„Also, fangen wir an?“, sagte sie darum nur. Joshua grinste weiterhin, nickte aber und folgte ihr ins Zimmer, wo sie anfingen, die Farbe anzurühren. Den kompletten Holzboden hatten sie am Abend zuvor mit viel grauem Fleece abgedeckt, um ja keine Flecken zu machen.
Während beide in ihrer Arbeit vertieft waren, klingelte es plötzlich erneut und als Tessa aus dem Fenster schaut, stieß sie einen überraschten Schrei aus.
Joshua zwinkerte: „Ich hab doch gesagt, man muss eben die richtigen Helfer zu rekrutieren wissen!“
Tessa stürzte zur Tür, drückte den Summer und stand dann mit offenem Mund Susanne, Moni und Feli entgegen, die alle in alte Kleider gehüllt waren und sie grinsend ansahen.
„Joshua sagte, hier gibt’s was zu tun“, erklärte Feli zwinkernd.
„Ja… aber ich dachte, du musst lernen… und Moni arbeiten… und Susanne… dich hab ich gar nicht zu fragen gewagt… tut mir leid, wir haben in letzter Zeit so selten telefoniert…“
Die Mädchen lachten auf. „Joshua hat uns sozusagen eingeladen“, erklärte Monika zwinkernd. „Und für wohltätige Zwecke nehme ich gerne mal einen Tag frei. Außerdem tut´s der Figur gut.“
Feli grinste ebenfalls. „So ist es. Und büffeln kann ich morgen wieder genug.“
Und Susanne lächelte und sagte: „Mensch, Tessa, du hattest wohl genug um die Ohren, ich bin nicht sauer. Und ich liebe es, in Farbtöpfen zu rühren.“
Sie lachten alle vier laut auf und gingen anschließend in das Wohnzimmer, wo Joshua allen sofort geschickt Aufgaben zuwies. So pinselten denn Susanne und Moni sofort drauf los, während Joshua mit Tessa verschwand, um die Möbel zu holen. Feli derweil war dafür zuständig, die Muster zu bestimmen und die Farben anzurühren.

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Tessa war immer noch überwältigt von der vielen, ungeplanten Hilfe, selbst als sie zurück kam. Die Möbel stellten Joshua und sie vorerst im Flur und der Küche ab.
Erstaunt musste Tessa feststellen, dass nun fast zu viele helfende Hände im Wohnzimmer tätigt waren. Da aber der ein oder andere Magen inzwischen deutlich knurrte, beschloss sie, sich in der Küche nützlich zu machen und wärmte einen großen Teller mit Waffeln in der Mikrowelle auf.
Als sie mit dem verführerisch duftenden Gebäck ins Zimmer kam, legten die Mädchen die Pinsel beiseite, und auch Joshua hörte auf, Winkel auszumessen und Zierleisten anzuschrauben und kam schnuppernd näher.
Einen Moment kehrte Stille ein, als alle genießerisch in ihre Waffeln bissen.

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Dann richtete Feli das Wort an Tessa: „Ich bin mir sicher, Jess wird es hier super gefallen. Wie geht es ihm denn, Tessa? Ist alles okay?“
Tessa schluckte hart und warf einen prüfenden Blick zu Joshua. Sie hatten das Thema Jess, so paradox es klang, meist geschickt umschifft. Doch er erwiderte ihren Blick und lächelte gelassen. Tessa atmete erleichtert auf und wand sich dann Feli zu:
„Ja, ihm geht’s gut. Ich habe ihn jetzt schon zweimal besucht. Diese Therapieeinrichtung ist wirklich hervorragend. Ich bin so froh, dass wir diesen Tip bekommen haben, wirklich.“
„Es ist ziemlich weit draußen, hab ich gehört?“, wollte Susanne wissen und biss behaglich in ihre Waffel.
„Ja, es ist eben auf dem Land, aber vielleicht ist gerade das der Vorteil davon.“
Moni nickte zustimmend. „Das glaube ich auch. Alleine weil die Beschaffung nicht mehr so leicht fällt…“, sie stockte und blickte sich dann verlegen um. Sie und Tessa redeten meist sehr frei über solche Dinge, da ihre beider Schicksale sie verbanden, doch im Umfeld von Menschen, die mit diesen Dingen nichts zu tun hatten, erschien es auch ihr manchmal als schwierig, über derartiges so offen zu sprechen.

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Doch niemand sah sie irritiert an, stattdessen nickten Feli und Joshua sogar zustimmend.
„Kann ich mir auch vorstellen“, sagte Joshua dann. „Aber es muss da draußen auch eine ganz andere Stimmung sein. Sie nehmen sich bestimmt mehr Zeit als irgendjemand hier in der Stadt.“
Tessa nickte. „Auf jeden Fall. Es muss ein ganz anderer Therapieansatz sein. Es sieht wirklich alles gut aus. Ja, das tut es.“
„Wann wird Jess entlassen?“, wollte Susanne wissen.
Tessa schluckte den heißen Brocken Waffel herunter, keuchte einen Moment, da sie dies zu schnell getan hatte und sagte dann: „Ich weiß es noch nicht, wirklich. Ich gehe davon aus, dass es irgendwann im Spätsommer oder Herbst sein wird. Er ist ja jetzt schon gut zwei Monate dort, aber es kann sechs oder acht Monate dauern… das wird dann spontan entschieden.“
„Eine lange Zeit für dich“, meinte Susanne nachdenklich. „Lebt man sich da nicht auseinander?“
Tessa schüttelte den Kopf. „Nun… nicht wirklich, Susanne. Ich meine… wir hatten vorher auch kein echtes Zusammenleben… und schon gar keinen Alltag…“
Für einen Moment schwiegen alle betreten, nur Monika sah Tessa verständnisvoll an.
Joshua schlug sich auf die Oberschenkel und sagte: „Los, lasst uns mal weitermachen! Schließlich wollen wir bis Herbst fertig sein, mh?“ Er zwinkerte und die anderen lachten befreit und gingen wieder zurück an die Arbeit.

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Nach einigen weiteren Stunden waren sie soweit, das Fleece einzurollen. Man riss die Fenster auf und ließ Luft herein. Während Moni, Susanne und Joshua nach draußen gingen, um die Möbel einer Grundreinigung zu unterziehen – den natürlich stammten alle aus zweiter Hand – räumten Tessa und Feli die Farbtöpfe zusammen und spülten die Pinsel aus.
Während Tessa das warme Wasser über die harten Borsten der Pinsel laufen ließ und Feli die bereits gewaschenen Exemplare mithilfe eines alten Küchentuches austupfte, sah Feli nachdenklich zum Fenster hinaus und sagte dann: „Es hat sich gut entspannt, das zwischen dir und Joshua, mh?“
Tessa sah auf, legte den letzten Pinsel beiseite und nickte dann.
„Ja, hat es. Zumindest glaube ich das. Oder denkst du etwa, es ist nicht so?“
Feli lächelte. „Oh doch, das glaub ich schon. Ich weiß es vielmehr.“
Tessa sah sie irritiert an. „Was meinst du damit?“
Feli zuckte die Schultern. „Ich meine damit, dass ich zufällig weiß, dass er jemand anders im Sinn hat.“
Erstaunt sah Tessa sie an. „Wie? Das hab ich nicht mitbekommen.“
„Nun, ich denke, er wird es dir noch nicht erzählt haben, weil da diese Sache war zwischen euch… und das ganze noch nicht spruchreif ist. Aber ich weiß, er ist in Antonia verliebt.“
„Die Tudorin aus unserem Germanistik-Kurs?“
„Ja, genau die.“
Tessa sah Feli irritiert an. „Sie ist viel älter als er!“
„Na und?“ Feli grinste. „Hey, bist du etwa eifersüchtig?“
Tessa schnaubte aus. „Ich doch nicht!“
Feli lachte. „Ha! Ich wette, das bist du!“
„Hör auf… du…“
Tessa beugte sich nach vorne und zwickte sie in die Seite, was diese quiekend zurück gab.

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Lachend richteten beide sich wieder auf. „Was nun? Bist du eifersüchtig?“, kicherte Feli und Tessa schüttelte den Kopf. „Nein, ganz und gar nicht, nur überrascht. Ich wünsche ihm, dass er sein Glück findet, aber in dem Fall wag ich es zu bezweifeln.“
Feli grinste. „Ich auch! Und trotzdem reagiere ich nicht so… ich sag dir, du bist irgendwie angekratzt deswegen. Und ich kann´s verstehen. Es tut frau schließlich gut, begehrt zu sein…“
„Ach was!“; rief Tessa aus. „Das ist nicht so! Das ganze hat unsere Beziehung immer nur belastet und ich bin froh, wenn es vorbei ist!“
„Vorbei ist? Was denn?“
Sie fuhr herum und sah Joshuas grinsendes Gesicht in der Tür.
Feli kicherte und sagte rasch: „Nichts, nichts – Frauengespräche, du Naseweis. Das geht dich nichts an!“
Joshua verzog das Gesicht und sagte gespielt empört: „Das ist also der Dank für alles, was ich hier für dich tu!“
Tessa lachte leise, erwiderte aber nichts.
„Die Möbel sind fertig und die Farbe dürfte trocken sein. Wir sollten uns ans Anräumen machen“, erklärte Joshua. Feli zwinkerte Tessa zu, als Joshua aus dem Raum ging, doch diese streckte ihr nur die Zunge heraus und folgte ihm nach draußen.
Gemeinsam waren die Möbel schnell ins Zimmer geschafft und arrangiert. Da es noch nicht zu spät war, halfen alle tatkräftig, die Möbel nun auch wieder einzuräumen.
Nur zwei Stunden später seufzte Tessa erschöpft auf und betrachtete sich zusammen mit Joshua zufrieden ihr Werk.

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„Es sieht einfach toll aus“, sagte sie aufgeregt. „Ich hätte nie gedacht, dass das alles so schön harmoniert. Du hast das toll mit mir ausgesucht, Joshua. Du solltest Innenarchitekt werden oder so.“
Dieser lachte nur laut auf. „Nein danke, ich glaube, ein Studium reicht! Aber ich find´s auch schön. Es passt zu dir, oder? Findest du nicht?“
„Doch, voll und ganz! Es ist viel besser als vorher!“, stellte Tessa zufrieden fest und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, während Joshua sich erschöpft auf einen der weißen Rattanstühle fallen ließ.

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Das dunkle rosa an den Wänden wurde durch einen weißen Zierbalken von dem etwas dunkleren Violett abgetrennt. Die Farbe wirkte jugendlich und doch reif, warm und doch nicht erdrückend.
Die Essgruppe hatte Tessa komplett ersetzt. Da sie die weiße Farbe nicht ganz aufgeben wollte, hatte sie mit Joshua bei einem Trödler eine weiße Vierergruppe aus alten Rattansesseln ersteigert und den dazu passenden Glastisch. Die Sitzkissen hatte sie in der Farbe auf die Wand abgestimmt. Die Essgruppe wirkte nun endlich hell und freundlich.
Den alten Phonowagen, auf dem ihr Fernseher Platz gefunden hatte, war durch eine moderne Wohnwand ersetzt worden, die sie ebenfall sehr günstig bei erworben hatte.
Nur der Schreibtisch war etwas teurer gewesen, denn den hatte sie bei einem schwedischen Möbelhaus erworben. Doch da dies schließlich der Platz war, an dem sie am meisten ihrer Arbeit nachging, hatte Tessa entschlossen, dass sie hier am falschen Ende gespart hätte.

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„Es ist sieht wirklich toll aus“, stellte nun auch Feli fest. Sie saß gemeinsam mit Susanne und Moni auf dem weißen Sofa, das Tessa nebst ihrem Bücherregal behalten hatte und das in der neuen Umgebung eine völlig andere, wesentlich hübschere Geltung erlangte.
„Ja, das stimmt“, sagte nun auch Moni und streckte die schmerzenden Beine aus. „Die viele Arbeit hat sich gelohnt!“
Auch Susanne nickte zustimmend. „Es ist nicht mehr so kalt wie vorher“, stellte sie fest. „Und hat viel mehr von deinem Charakter, finde ich.“
Tessa kam lächelnd auf ihre Freundinnen zu. „Ich danke euch für eure Hilfe“, sagte sie dann gerührt. „Und besonders dir, Susanne.“

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Dann drehte sie sich zu Joshua um.
„Dir muss ich am meisten danken“, sagte sie dann noch einmal. „Ohne dich hätte ich das nie so toll und für so wenig Kohle hinbekommen. Wirklich… danke, Joshua. Du weißt, das ist nicht selbstverständlich.“
„Ach was, unter Freunden ist es das“, sagte dieser schnell. „Und das mein ich jetzt ernst. Du hast es einfach verdient, Tessa, nach allem, was du durchgemacht hast. Ich finde, du hast diesen Neuanfang verdient. Ihr beide habt ihn verdient. Ich hoffe jetzt nur, dass Jess das hier auch mögen wird.“ Joshua sah sich um. „Aber wenn nicht, hat er einfach keinen Geschmack.“
Tessa lachte leise auf. „Nun… ich glaube nicht, dass rosa und lila so seine Farben sind, aber ich denke trotzdem, dass er es mögen wird, zumindest für den Anfang. Es weiß ja noch gar niemand, wie es dann genau weitergeht.“
„Und erstmal war es für dich wichtig, etwas zu ändern“, stimmte Joshua zu. „Und ich denke, das hat auch was symbolhaftes, findest du nicht?“
Tessa lächelte. „Absolut, das stimmt. Ich danke dir.“
Sie zog ihn in die Arme und er lächelte. „Gerne geschehen.“

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Tessa sah ihre Freundinnen an und sagte: „Wie sieht´s aus? Wollen wir uns in einer Stunde bei Lucelli treffen, ich lade euch auf eine Pizza ein, als kleines Dankeschön. Oder seid ihr zu fertig?“
Die Mädchen lachten. „Für Pizza kann man doch gar nicht zu fertig sein, oder?“
Auch Joshua grinste. „Ich schließe mich der weiblichen Mehrheit an, auch wenn ich dort mal wieder der Hahn im Korb sein werde, fürchte ich. Es wird Zeit, dass wir männliche Verstärkung bekommen.“ Er lächelte und Tessa lächelte erstaunt zurück.
„Gut“, sagte sie dann. „Dann würd ich sagen, alle nach Hause, duschen!“
Das ließen sich ihre Helfer nicht zweimal sagen. Und als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, ging Tessa bedächtig durch ihr Wohnzimmer, sah sich um und fühlte sich eigenartig fremd und doch unendlich wohl in diesen vier Wänden.
Nachdem sie sich immer wieder umgesehen und den Geruch von frischer Farbe ihr die Sinne benebelt hatte, schloss sie die Tür hinter sich, sprang unter die Dusche und machte sie frohen Herzens auf den Weg zur Pizzeria.

Fortsetzung folgt.
 
Zuletzt bearbeitet:
ist feli nun ein glühwürmchen? =) (letztes bild)

ansonsten... hmm... irgendwie lässt du mich nicht ganz auf den "frieden" zwischen tessa und josh vertrauen.
und ich mag tessas wohnung immer noch nicht ;) so ein harter kontrast irgendwie, was kann man nur an weißen möbeln finden?
na, jedem das seine.

ich freu mich auf die fortsetzung :hallo:
 
@Zahlencödchen: Hihi, ich frag mich auch, was da mit Feli war. Warum hat sie zu glühen angefangen? Hat jemand den Raum durchleuchtet? Aber sonst war kein Sim anwesend :confused: Naja, sie glüht eben vor Begeisterung :D
Nun, weiße Möbel wären meins auch nicht, ganz ehrlich. Aber zu Tessa passen sie irgendwie. :)
Dass Du Josh nicht vertraust... mh... der arme Kerl, wo er doch so ein netter ist :)
Danke für Deinen Kommi!
Und übrigens - deine HP ist echt klasse geworden!


@ALL:
So heute geht es weiter mit einem wunderschönen Junitag im Park, der zum momentanen Wetter in Deutschland passt - und einer überraschenden Begegnung. Bin gespannt, was ihr sagen werdet :D

Es kann übrigens sein, dass die nächste FS vielleicht etwas dauert, weil ab Do lieben Besuch habe und nicht so viel Zeit am PC sein werde. Aber evtl klappt es auch schon wieder Di oder Mi nächste Woche. Oder evtl sogar noch vor Do, wer weiß :)
 
Kapitel 76
Der Japanische Garten



Es war ein heller, freundlicher Samstag. Die Junisonne strahlte vom Himmel, es war jedoch nicht zu schwül oder warm, ein kleines Lüftchen umspielte die Blätter der Bäume und in deren Ästen zwitscherten hunderte von Vögeln.
Tessa und Monika sogen die sommerliche Luft tief ein, als sie die Straße entlang gingen. Es war noch nicht ganz Mittagszeit und in der Stadt waren viele Leute unterwegs, um Besorgungen zu machen. Auch Tessa und Monika hatten sich schon um zehn Uhr zum Shoppen getroffen, denn laut Monika war es dringend Zeit, die Sommergarderobe etwas aufzufrischen.
Nun waren sie mit ihren Einkäufen fertig, hatten die schweren Tüten in Tessas Auto verstaut und beschlossen, etwas essen zu gehen, denn Shopping machte schließlich hungrig.
„Es gibt einen tollen Essensstand in dem neuen japanischen Garten“, schlug Monika vor. „Da kann man an der frischen Luft sitzen, es soll toll dort sein. Mein Kollege Adrian hat mir vor ein paar Tagen davon erzählt.“
„Dann lass uns das doch probieren“, erwiderte Tessa und gemeinsam schlugen sie den Weg zum nicht weit entfernten japanischen Garten ein, der erst vor wenigen Wochen fertig gestellt worden war.

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„Es sieht wirklich toll aus“, stellte Tessa fest, als beide durch das kleine Tor in den Garten spazierten.
Man hatte hier eine echte grüne Oase mitten im Stadtinneren erschaffen. Große und kleine Bäume reckten ihre Äste gen Himmel, kleine Zierbrunnen plätscherten sanftmütig vor sich hin, asiatische Statuen starrten die Besucher mit weitaufgerissenen Mäulern an, in einem kleinen Teich schwammen Fische und Frösche umher und von dem Essenstand, der mitten zwischen all dem Grün stand, wehte ein verführerischer Bratduft herüber, der den Frauen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
„Hast du auch so einen Hunger?“, fragte Monika lächelnd und sah Tessa an, die in Gedanken versunken neben ihr stand.

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„Ja sicher“, erwiderte diese. „Ich hab nur gerade an den Park der Villa Sonnenschein denken müssen. Da ist es auch so schön grün. Hier in der Stadt sieht man so was viel zu selten. Jess wird das sicher vermissen, wenn er entlassen wird.“
„Na, dann kannst du ja hierher fahren“, lachte Monika. „Und irgendwann werdet ihr vielleicht vermögend und kauft euch ein Häuschen außerhalb. Deine Eltern wohnen doch auch am Stadtrand und haben Garten, oder?“
Tessa nickte und lachte dann: „Ja, aber nicht vergleichbar mit dem hier. Sie haben beide keinen grünen Daumen und das meiste macht ein Gärtner ein oder zweimal im Monat, aber sie legen nicht viel Wert auf den Garten. Sind ja eh nie da, um draußen zu sitzen.“
Monika warf ihr einen Blick zu. „Stänkere nicht schon wieder, Tessa. Lass uns den Tag lieber genießen.“ Tessa lächelte. „Das ist wahr, Moni. Und ich hab Hunger, also komm, probieren wir diesen Asiaten mal aus.“
Beide gingen zielstrebig auf den Essensstand zu und nahmen auf den Barhockern Platz.

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Rasch hatten beide etwas gefunden und bestellt.
„Und, Tessa, wie fühlst du dich inzwischen in der neuen Wohnung?“, fragte Monika, während sie den Koch beobachtete, der gekonnt die Zutaten in der Pfanne schwenkte und mit großartigen Gesten Gewürze über das Essen streute.
„Nun, neue Wohnung ist ja zu viel gesagt“, lachte Tessa. „Aber ich fühl mich pudelwohl nach der Renovierung. Ich bin euch echt dankbar, und auch Joshua. Und was Feli mir erzählt hat, scheint zu stimmen. Er hat Andeutungen gemacht, die in genau diese Richtung gehen.“

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Monika lachte. „Hat es auch gestimmt, dass sie dich für eifersüchtig hält?“
Tessa schnaubte. „Natürlich nicht! Nun fang du auch noch damit an! Ich hab Jess, wieso sollte ich eifersüchtig auf Joshua sein? Dass er in mich verliebt war, hat unsere Freundschaft die ganze Zeit unglaublich belastet.“
„Joshua ist schon ein besonderer Kerl“, erwiderte Monika. „Es ist selten, dass man es nach so einer Sache schafft, befreundet zu bleiben. Ohnehin ist es selten, dass sich Mann und Frau befreunden.“
Tessa nickte und dachte an Niklas. Wie immer, wenn sie sich daran erinnerte, wie ihre Freundschaft zerbrochen war, versetzte es ihr einen Stich.
„Ich hoffe, es geht nicht so aus wie das letzte Mal, dass ich mit einem Mann befreundet war“, sagte sie zerknirscht.
Monika schwieg, bis der Koch die dampfenden Schüsseln vor sie gestellt hatte.
„Mh, sieht das lecker aus“, stellte Tessa fest und griff nach den Stäbchen.
Monika betrachtete ihr Essen und sagte: „Du redest von diesem… diesem Typen, mit dem du mal zusammen warst früher?“

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Tessa nickte kauend. „Ja, Niklas“, sagte sie dann mit halbvollem Mund und schluckte das heiße Essen hinunter. „Das ist lecker.“
Monika nickte. „Ja, es ist echt lecker. Guter Tipp.“
Sie sah Tessa an. „Aber das war doch etwas ganz anderes mit diesem Niklas. Und es hätte dir auch mit jedem anderen Menschen passieren können. Also auch mit einer Frau. Wenn man eben engstirnig ist, dann ist man es. Manche Menschen sind so.“
Tessa seufzte. „Ja. Aber es erschreckt mich noch heute, dass man jahrelang so gut mit jemandem befreundet sein kann, ohne das zu merken. Ich meine, wir haben uns gekannt, uns vertraut. Ich dachte, ich kenne ihn in- und auswendig.“

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Monika nickte. „Ich weiß, das ist wirklich das krasse daran gewesen. Schade, dass ihr euch nie mehr habt aussprechen können.“
Tessa schüttelte den Kopf. „Was hätte man da noch besprechen sollen? Er hatte eine klare Meinung, für ihn waren Menschen wie Jess sozialer Abfall, mehr nicht!“
Monika seufzte. „Ich weiß, ich kenne das ja auch. Es gibt so wenige, die hinter die Fassade schauen. Wer begreift schon, dass dieses Schicksal jedem passieren kann? Es gibt so viele abhängige Menschen, man braucht nur die VIPs anzuschauen, die bei irgendwelchen Galaveranstaltungen schön und toll wirken. Die Hälfte davon wirft irgendetwas ein. Nur dass die genug Geld haben, um nicht völlig abzustürzen. Obwohl das auch schon genug von ihnen passiert ist.“
Tessa nickte und betrachtete nachdenklich ihr Essen.

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„Aber ich glaube, das war es noch nicht einmal. Die Abhängigkeit, meine ich. Ich weiß genau, dass Niklas selbst schon mal eine geraucht hat. Also ich meine gekifft. Früher zumindest.“
„Das ist was anderes“, warf Monika ein. „Nicht dass es gut zu heißen ist. Aber das ist noch keine Abhängigkeit. Außerdem ist es ein ganz anderes Kaliber als Heroin, Tessa.“
„Natürlich!“, stimmte diese sofort zu. „Aber wo fängt es an, wo hört es auf? Wer hätte ihm beispielsweise, Niklas mein ich, garantiert, dass es ihm nicht auch passieren kann? Es hätte nur etwas Schlimmes geschehen müssen und schon wäre er vielleicht auch in diesem Teufelskreis gewesen.“
„Klar“, erwiderte Monika. „Das ist korrekt. Und manchmal muss nicht mal etwas offensichtlich schlimmes passieren. Manchmal rutscht man auch einfach ab, verliert die Kontrolle, den Weg aus den Augen, ohne dass etwas passiert.“

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Tessa nickte. „Ich denke, es ist einfacher, schlecht über Menschen wie Jess oder Kevin zu urteilen… als sich wirklich damit auseinander zu setzen, wie es zu so etwas kommt.“
„Ja, das ist es“, stimmte Monika ihr zu. „Vor allem auch, weil es vielen Menschen Angst macht. Weil sie in sich drin genau wissen, dass das so oder ähnlich jedem von uns passieren kann. Dass man abrutscht, warum auch immer. Die Kontrolle verliert. Davor ist niemand geschützt. Und das macht vielen Angst, darum ist es einfach zu verurteilen und sich abzugrenzen.“
Schweigend aßen die beiden Frauen auf. Dann rieb Monika sich genießerisch den Bauch und sagte: „Ach, das war gut.“
Tessa nickte. „Superlecker. Aber jetzt bin ich total voll.“
„Lass uns ein bisschen die Füße vertreten“, schlug Monika vor.
Gemeinsam schlenderten beide durch den japanischen Garten und ließen sich dann schließlich müde und satt auf einer der Bänke am Teich nieder.

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„Boah, was für ein herrlicher Tag“, stellte Tessa fest und reckte das Gesicht gen Sonne. „Shopping, gutes Essen, Sonne… was will man mehr“, fügte Monika hinzu.
Tessa lächelte. „Morgen besuche ich Jess wieder. Ich freu mich wahnsinnig.“
Monika grinste. „Das glaube ich. Hast du noch mal mit ihm gesprochen?“
„Ja, gestern. Ihm geht´s ganz gut. Letzte Woche war er ziemlich launisch. Am Telefon, und auch als ich dort war.“
„Es ist nicht so einfach für ihn“, sagte Monika. „Er ist immer noch süchtig.“
„Ja, das wird er immer bleiben“, erwiderte Tessa ernst. „Es ist sozusagen eine unheilbare Krankheit.“

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Monika nickte traurig. „Ich weiß. Ich hoffe wirklich für euch, dass ihr es schafft. Alles, was noch vor euch liegt.“
Tessa sah sie mitfühlend an. „Es ist bestimmt nicht leicht für dich, das alles mit mir und Jess, oder? Ich meine… du hast es dir doch so sehr auch gewünscht für dich und Kevin und…“
Monika zuckte mit den Schultern und betrachtete ihre Fußspitzen.
„Ja, es ist nicht immer einfach. Aber ich gönne es euch von Herzen, wirklich. Für Kevin war es einfach zu spät. Es war wohl unser Schicksal. Ich hätte nichts tun können, um es zu verhindern, auch wenn ich lange gebraucht habe, um das zu einzusehen.“
Sie betrachtete nachdenklich einen Fisch im Teich, der mit seinen großen Lippen nach Fliegen schnappte.
„Aber ich denke, es wird für mich auch Zeit, damit abzuschließen. Es ist schon so lang her“, sagte sie dann ernst und sah Tessa an. „Das Leben geht weiter.“

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Tessa nickte langsam.
„Aber geht das so einfach? Damit abzuschließen? Ich meine, mir ist es bei Jess nie gelungen… heute weiß ich natürlich, dass es gut so war. Was wäre gewesen, wenn ich mich Joshua damals geöffnet hätte und Jess nun zurück gekehrt? Ich will gar nicht darüber nachdenken…“
Monika seufzte. „Brauchst du ja auch nicht. Es kam ja nicht so. Aber die Sache bei Jess war anders. Erstens war es noch nicht so lang her, wie es das bei mir ist. Und dann habe ich Sicherheit. Ich weiß, Kevin wird nie wiederkommen.“
Nachdenklich beobachtete Tessa zwei Kinder, die auf der anderen Parkseite Seilhüpfen spielten. „Du denkst also, du bist darüber hinweg, kannst es vergessen?“

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Monika schüttelte den Kopf. „Nein. Ich weiß nicht, ob man je darüber hinweg kommt, den Menschen, den man liebt, zu verlieren. Und dann auch noch so… und vergessen kann man es sowieso nicht.“
Sie streckte ihre Beinen aus, fuhr sich durchs Haar und fuhr dann fort: „Aber abschließen, irgendwie, das kann man damit wohl. Weitermachen, sich davon lösen… in Liebe darin zurück denken, nicht in Gram und Schmerz. Ich glaube, das kann ich langsam.“
Tessa lächelte. „Das ist schön, Moni.“
Sie überlegte einen Moment und lachte dann: „Wie wäre es, wenn wir das heute Abend feiern gehen? Ich hätte mal wieder Lust, tanzen zu gehen!“

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Monika zuckte mit den Schultern. „Warum nicht?“
„Gut, dann kannst du deine neuen Klamotten auch direkt einweihen“, zwinkerte Tessa. „Aber nicht so lange heute Abend, ich will morgen nicht zu spät raus, weil ich zu Jess muss.“
Moni lachte. „Ihr Studenten! Was ist denn bei dir *nicht zu spät raus*?“
„Naja… so um zehn oder elf“, lächelte Tessa und Moni lachte hell auf.
„Tessa? Bist du das?“
Verwirrt sah Tessa sich um und riss dann die Augen auf, als sie erkannte, von wem diese Frage stammte.
„Du???“

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Verwirrt blickte Monika von dem jungen Mann, der vor ihrer Bank stand und Tessa betreten anlächelte und ihrer Freundin, die diesen mit bewegtem Gesicht anstarrte, hin und her.
Schließlich räusperte sich der junge Mann, versuchte unbekümmert zu wirken und sagte: „Lange nicht gesehen…“

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Tessa fing sich und versuchte, ebenfalls betreten zu lächeln.
„Nun… ja, kann man wohl so sagen…“
Monika blickte zu dem jungen Mann auf und sah Tessa dann fragend an, da diese ihr Gegenüber jedoch immer noch irritiert lächelnd ansah, ohne sich zu rühren, lächelte auch Monika und sagte schlicht. „Hallo auch.“

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Niklas schien sie erst jetzt zu bemerken und lächelte sie freundlich an.
„Hallo“, erwiderte er unsicher.
Tessa derweil hatte ihren Schrecken so weit verwunden, dass sie aufstand und Monika vorstellte: „Monika, das ist Niklas… ein… alter Bekannter aus meiner Schulzeit.“
Sie spürte, wie sein Blick sie bei diesen Worten traf und schluckte, sagte jedoch fest: „Niklas, das ist Monika, meine beste Freundin.“
Monika begriff nun die betretene Situation, stand auf und schüttelte Niklas lächelnd die Hand. „Hallo, Niklas“, sagte sie jetzt und musterte den jungen Mann genau, der sich unter ihrem wissenden Blick zwar unwohl zu fühlen schien, es jedoch nicht zeigte. „Freut mich, Sie mal kennen zu lernen.“

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Die beiden standen einen Moment schweigend voreinander, dann wandte Niklas sich wieder Tessa zu und sagte: „Du schaust gut aus, Tessa. Wie… wie geht´s dir?“
Tessa zuckte mit den Schultern und sagte: „Ganz gut. Und dir?“

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Niklas räusperte sich und sagte dann: „Auch gut, danke. Tessa… ich… nun… ich bin ganz froh, dich hier zu treffen.“
Tessa sah ihn erstaunt an. „Ach ja?“
„Ja, ich… ich wollte dich schon lange mal anrufen. Oder irgendwie Kontakt aufnehmen. Aber ich hab mich nicht getraut…“
Tessa sah ihn skeptisch an. „Aha.“
Niklas seufzte betreten und sagte dann ernst: „Hör zu, Tessa. Es ist einiges schief gelaufen zwischen uns… also ich meine… damals… und… nun… ich find´s schade, dass wir gar keinen Kontakt mehr haben. Es tut mir leid, was ich damals alles gesagt habe, das war so nicht ganz richtig. Ich… naja… ich meine einfach nur… ich fänd´s schön, wenn wir irgendwie wieder miteinander reden könnten.“

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Tessa sah ihn verunsichert an und musste feststellen, dass sie sein offenes Geständnis berührte. Sie musterte ihn langsam. Auch er hatte sich verändert. Seine Haare waren dunkler und länger geworden. Er schien zu trainieren, denn unter seinem engen Shirt sah man deutlich, wie sich die Muskeln abzeichneten.
Er wirkte reifer, und doch jünger als damals.
Tessa schluckte und musste zugeben, dass sie nun, da er hier vor ihr stand, spürte, dass sie Niklas trotz allem, was gewesen war, manchmal vermisst hatte.
Dass er nun so reuig hier stand, war zumindest ein Anzeichen, dass es ihm nicht anders ergangen war. Doch war nicht viel zu viel zwischen ihnen geschehen, als dass man nun wieder „normal miteinander reden könnte“?

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Tessa zuckte mit den Achseln als Antwort. „Niklas… es ist viel passiert“, sagte sie dann. „Ich weiß nicht, ob…“
Niklas unterbrach sie vorsichtig: „Tessa, ich… ich wollte nur wissen, ob ich dich mal anrufen darf… damit wir uns unterhalten können. Ich möchte dich nicht unter Druck setzen…“
Tessa nickte. „Ich weiß“, sagte sie dann und lächelte, diesmal ehrlich.
„Gut, natürlich kannst du anrufen. Du hast meine Nummer noch?“
Er nickte. „Klar… hab ich nie gelöscht.“
In diesem Moment fing Tessas Handy lautstark zu klingeln an.
„Ach je“, sagte die schnell und sah Monika und Niklas an. „Feli… ihr entschuldigt mich.“
Sie ging einige Schritte zur Seite und nahm ab. „Feli? Was ist los?“, wollte sie wissen und warf einen Blick über die Schulter, wo Monika und Niklas beisammen standen und offenbar zu plaudern anfingen.

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„Tessa!“, krisch eine aufgeregte Stimme am anderen Ende des Hörers. „Du musst vorbei kommen! Sofort!“
Erschrocken antwortete diese: „Feli, was ist denn los? Nun bleib mal ruhig!“
„Hauser!“, rief diese nur atemlos. „Das Abgabedatum ist heute!“
„Was?“ Tessa verstand nur Bahnhof. „Was meinst du denn?“

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„Das Referat! Das Referat!“, schrie Feli in den Hörer.
„Welches Referat?“
„Tessa, mach mich nicht irre!“
„Das bist du schon.“
„Nein! Ich meine das Referat für Hauser, das wir zusammen machen!“
„Feli, der Abgabetermin ist erst nächste Woche. Du hast es dir doch aufgeschrieben, 15. Juni.“
„Nein! Das ist es eben!“, rief Feli am anderen Ende der Leitung atemlos. „Ich hab mich vertan! Ich war vorhin in der Bib, da habe ich ihn zufällig getroffen und er sagte mit gehässigem Grinsen, dass wir schon wissen, dass bis nachher um 18 Uhr das Referat auf seinem Tisch liegen muss, sonst können wir den Schein vergessen!“
Tessa stieß einen erschrockenen Laut aus.

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„Soll das heißen, wir müssen bis heute Abend alles fix und fertig haben?“
„Genau das, du Schnellmerkerin!“
„Aber… uns fehlt noch einiges!“
„Ich weiß, deswegen ruf ich ja an! Ich bin schon dabei, zu ergänzen, was noch fehlt. Aber allein schaff ich das nicht, du musst herkommen! Wir müssen das Ding unter Dach und Fach bringen, Tessa! Noch ein Semester mit diesem Ekel halte ich nicht aus!“
„Ich auch nicht“, erwiderte Tessa aufgeregt. „Aber was machen wir jetzt?“
„Was schon! Du kommst so schnell es geht her! Wir müssen das heute irgendwie fertig kriegen! Es sind nur noch vier Stunden!“
„Oh Feli, wie hast du das nur durcheinander bringen können!“, rief Tessa ärgerlich aus.

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„Sorry, sorry, tausendmal sorry!“, quiekte es vom anderen Ende der Leitung. „Aber ich hab statt 05. Juni 15. geschrieben! Tut mir leid! Ein Versehen!“
Tessa gab einen genervten Laut von sich.
„Du Chaostante!“, fluchte sie. „Mit dir mach ich nix mehr zusammen!“
„Ach Tessa, nun stänker nicht rum, davon wird´s nicht anders. Komm lieber her! Wann kannst du da sein?“
„Ich weiß nicht! Ich bin mit Moni in der Stadt! Ich klär es ab und komm dann!“
„Komm so schnell es geht! Wir haben nicht mehr viel Zeit!“
„Ach nee… sag nur! Ich seh, was ich tun kann!“

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Entnervt drückte sie das Handy aus und griff sich an den Kopf. „Diese Feli!“, stöhnte sie. Es war pures Glück, dass sie beide letzte Woche schon ungewöhnlich viel vorgearbeitet hatten und das Referat darum fast fertig war. Sonst wäre es nicht im Ansatz möglich gewesen, den Termin jetzt noch einzuhalten. Dennoch fehlten noch einige Angaben und Zusätze, und dies in weniger als vier Stunden zu vervollständigen, auszudrucken, zu binden und abzugeben, glich einem Wettlauf gegen die Zeit.
Tessa drehte sich um und sah erstaunt, dass Monika und Niklas immer noch angeregt miteinander plauderten.

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Schnell ging sie zu ihnen. „Entschuldigt“, sagte sie. „Feli… diese Chaotin! Moni, ich hab ein Problem!“
Monika drehte sich zu ihrer Freundin und sah sie erstaunt an. „Du bist ja ganz aufgeregt. Was ist denn?“

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Rasch erklärte Tessa, was geschehen war.
„Moni, es tut mir leid, aber ich muss sofort los. Ich fahre dich noch schnell zu Haus vorbei und dann direkt zu Feli.“
Monika jedoch winkte ab. „Ach was, Tessa, lass gut sein. Wenn du erst noch zu mir fährst, hast du doch einen riesigen Umweg. Feli wohnt doch am ganz anderen Ende der Stadt! Oder musst du noch mal nach Haus?“
„Eigentlich nicht“, gab Tessa zu. „Feli hat alles zu Haus bei sich, was wir benötigen.“
„Dann mach den Umweg nicht“, sagte Monika entschieden. „Das kostet dich locker eine halbe Stunde, die habt ihr nicht!“
„Nein, eigentlich nicht… aber wie kommst du nach Haus?“
„Ach, ich laufe oder ich nehm den Bus, irgendwie geht das schon. Ist doch schönes Wetter!“, beruhigte Monika sie.

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„Wo wohnen Sie denn?“, mischte Niklas sich da vorsichtig ins Gespräch ein.
„Ganz in der Nähe von Tessa“, antwortete Monika. „Nur ein paar Straßen weiter.“
„Ich will nicht aufdringlich sein, aber ich kann Sie auch schnell mitnehmen, bin mit dem Auto da und muss ohnehin auch in diese Richtung.“
Er sah Tessa an und sagte dann wie zu Erklärung: „Ich bin ausgezogen zu Haus, und auch aus dem Studentenwohnheim. Ich wohne jetzt in einer kleinen Wohnung in der Weststadt.“
„Also genau unsere Richtung“, stellte Monika fest. „Macht Ihnen das auch wirklich nichts aus?“
„Nicht doch, ich fahre da ja sowieso lang“, sagte Niklas lächelnd.

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Verunsichert blickte Tessa von einem zum anderen. „Macht das wirklich nicht aus?“, fragte sie dann noch einmal.
„Aber nein!“, riefen beide wie aus einem Mund und lachten dann.
Tessa zuckte mit den Schultern.
„Na dann! Ciao, Moni! Die Tüten bring ich dir nachher vorbei, treffen wir uns um acht bei dir?“
„Ja, gute Idee. Machen wir es so!“
Sie wandte sich Niklas zu und schüttelte ihm förmlich die Hand zum Abschied.
„Aufwiedersehen, Niklas.“

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„Ich ruf dich an, ja?“
„Ja, mach das…“, sagte sie ausweichend. „Ich muss jetzt los, entschuldigt.“
Und schnellen Schrittes verließ sie den grünen Garten und machte sich auf den Weg zu Feli, um zu retten, was noch zu retten war.

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Fortsetzung folgt.
 
Oh welch schönes schicksalhaftes Kapitel!
Sie reden gerade noch über Niklas, und da taucht er auf!
Ich hatte das Gefühl, dass es am Ende ziemlich zwischen Moni und Niklas gefunkt hatte.
Was mich ziemlich beeindruckt, ist, dass Moni so gut mit Kevin & so abgeschlossen hat.
Wer weiß, vielleicht verlieben sich Niklas und Monika ja wirklich!
Ich bin mal gespannt, ob Niklas nochmal was zum Thema Jess sagt.
Schließlich sind sie wegen diesem Konflikt auseinander geraten.

Na dann wünsch ich Tessa & Feli noch viel Glück beim Referat ;)
 
dankeschön für die blumen. leider musste ich am we arbeiten und konnte noch nicht updaten - dieses we dann, wenngleich hp-only.

du hast da ja wieder ein klasse kapitel gezaubert - das einzige häkchen für mich war, dass 2x das recht auffällige wort "rumstänkern" verwendet wurde.
wie xBoux bereits sagte, ist da ja ein wink mit dem zaunpfahl... bin ja gespannt, ob sich noch etwas zwischen Niklas und Moni entwickelt, dann noch joshua versorgt, und alles ist in butter... ähm... oder so ;)
sehr gut finde ich, dass du tessa das mit moni und niklas nicht merken lässt in ihrer eile. das ist sehr realistisch.
ich freu mich aufs nächste kapitel... und mag auch was vom japaner essen...
 
Erstmal zur Renovierung: Ich finde das neue Wohnzimmer wirklich toll. Die Farbe passt super zu Tessa (vielleicht nicht so gut zu Jess, aber da muss er eben durch, bei sowas haben Frauen eben mehr Gespür :)). Auch die neuen Möbel sind richtig schön. Es ist echt klasse, was Tessa für liebe Freunde hat.

Nun zum neuen Kapitel: Als Tessa und Moni so über Niklas gesprochen haben, habe ich mir schon gedacht, dass er zufällig auftauchen wird. Nun bin ich natürlich gespannt, wie er sich in Tessas neues Leben einfügen wird, sie schien ja nicht sonderlich begeistert. Anders als Moni, da vermute ich ebenfalls, dass mehr draus werden könnte. Der japanische Garten ist übrigens super schön gestaltet, das nur mal so nebenbei.
 
xBoux
ja, das war wirklich Schicksal! :) Ob Niklas nochmal was wegen Jess verlauten laesst, ist natuerlich die grosse Frage. Erstmal schauen, was er sagt, wenn er Tessa mal anruft.
Moni und Niklas haben sich wohl gut verstanden, aber ob Deine Spekulation mit dem Verlieben wahr ist, dayu sage ich jetyt mal nix ... sorry meine Tastatur spinnt gerade.
Danke fuer deinen kommi!


Zahlencoedchen
Ja, stimmt, das mit dem staenkern faellt ins Auge, das hab ich nicht gemerkt beim Schreiben! Und ja, das stimmt, es ist oft so, dass man gar nicht mitkriegt, was die anderen machen, wenn man so im Stress ist. Ob da aber wirklich was bemerkenswertes ist, ist ja eh fraglich. =)


Sexy Lexy
Danke fuer Dein Lob bzgl des jap. gartens! Mir gefaellt er auch gut, werde sicher auch meine Spiel Sims mal drin essen lassen :lol:
Aber nun zur Story. Ich denke, es wird schwer, wenn Niklas sich wieder in tessas Leben integrieren will. Es ist einfach sehr viel kaputt gegangen ywischen ihnen.
YZu den Moni/Niklas Spekulationen huelle ich mich in Schweigen. Nur soviel, ich hab euch schon oft auf falsche Faehrten gelockt ;) und eigentlich ist da ja auch gar nix passiert, ausser dass sie miteinander gesprochen haben!
 
Kapitel 77
Die Staffelei


Tessa zog die Beine an, legte den Kopf auf einem der weichen Sofakissen ab und schloss für einen Moment müde die Augen. Es war ein ruhiger Samstagnachmittag. Die Wärme der letzten Tage war gewichen, nachdem es drei Tage fast ununterbrochen geregnet hatte.
Tessa räkelte sich wohlig auf dem Sofa. Es tat gut, einmal so faul hier herum zu liegen. Nachdem das letzte Wochenende so chaotisch gewesen war. Zwar hatten Feli und sie es noch geschafft, das Referat fertig zu stellen, dafür aber einige Qualitätseinbußen hinnehmen müssen. Noch stand das Ergebnis jedoch aus. Das Klingeln des Telefons riss Tessa aus ihren Gedanken. Seufzend löste sie sich aus ihrer bequemen Lage, stand auf und nahm ab.
„Hei, Tessalein!“, hörte sie eine weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung. „Bist du zu Hause?“
„Ja, bin ich… sonst würde ich wohl nicht abnehmen“, stellte diese fest und lächelte. „Was ist los, Mama?“

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„Oh, dein Vater und ich sind gerade in der Stadt unterwegs und würden gerne auf einen Kaffee bei dir reinschneien, wenn es dir recht ist.“
„Ja, natürlich, wenn ihr mögt“, erwiderte Tessa erstaunt. Es war noch nie vorgekommen, dass ihre Eltern einfach so an einem Samstagmittag vorbei gekommen waren. Sie war sich nicht einmal sicher, ob ihr Vater seit ihrem Geburtstag überhaupt noch einmal hier gewesen war.
„Das ist toll!“, rief ihre Mutter fröhlich am anderen Ende der Leitung aus. „Wir sind in fünf Minuten bei dir.“
Tessa legte den Hörer beiseite und sah sich um. Es war etwas chaotisch, aber mit wenigen Handgriffen hatte sie die dreckige Wäsche, die noch achtlos über der Stuhllehne gehangen hatte, ins Schlafzimmer verfrachtet, ihre Lehrmaterialien ordentlich im Bücherregal angeordnet und die benutzten Teller vom Vorabend und dem Frühstück in der Spülmaschine verstaut. Dann setzte sie Kaffee auf.
Kaum war sie damit fertig, klingelte es auch schon an der Tür und kurz nachdem sie den Summer betätigt hatte, stand ihre Mutter gut gelaunt in ihrer Küche.
„Hallo Tessa!“, begrüßte diese ihre Tochter und schnupperte in die Luft. „Mh, es riecht schon nach Kaffee.“ Mit diesen Worten zog sie ihre verdutzte Tochter in ihre Arme. „Geht es dir gut?“, fragte sie dabei vorsichtig.

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„Ja, danke“, antwortete Tessa. „Und euch? Alles in Ordnung?“, fügte sie dann misstrauisch hinzu.
„Aber ja, natürlich“, erwiderte ihre Mutter gut gelaunt und lächelte. „Ich hoffe, wir stören dich jetzt nicht? Hattest du etwas vor?“
Tessa schüttelte den Kopf. „Nein, ich hab nichts vorgehabt, ihr stört nicht. Wo ist Vater?“
„Ach, der ist noch unten und parkt den Wagen und kommt dann herauf, er hat etwas dabei, das er ausladen muss“, sagte ihre Mutter und zwinkerte ihre Tochter geheimnisvoll an.

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„Was will er ausladen?“, fragte Tessa und sah ihre Mutter skeptisch an.
„Mama, du hast doch nicht etwa Möbel gekauft, nur weil ich dir vor zwei Wochen erzählt habe, dass ich renoviere?“
„Aber nein, Kind, aber nein!“, rief ihre Mutter schnell aus. „Du hast ja schließlich gesagt, du möchtest es diesmal ganz alleine gestalten! Das respektiere ich doch!“
Tessa war immer noch nicht ganz überzeugt. „Was ist es denn dann?“, wollte sie wissen.

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„Sei nicht so neugierig!“, gab ihre Mutter statt einer Antwort zurück. „Du bist doch kein kleines Kind mehr!“ Sie lächelte. „Nun zeige mir lieber mal dein frisch renoviertes Wohnzimmer! Schon seit mehr als zwei Wochen bist du nun damit fertig, und ich hab es immer noch nicht zu Gesicht bekommen!“
Tessa nickte und öffnete die Tür zum Wohnzimmer. „Voilà!“, sagte sie dann nicht ohne Stolz und beobachtete ihre Mutter aufmerksam. Diese sah sich lange um und nickte dann lächelnd.
„Wirklich gut, Tessa! Es gefällt mir ausgezeichnet“, stellte Amanda schließlich fest. „Diese Farben, einfach wunderbar. Und wie gut du all das miteinander arrangiert hast! Sicher hast du das von mir geerbt!“

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Tessa wollte gerade lächelnd etwas erwidern, als ein Gepolter auf der Treppe beide Frauen ablenkte. Rasch eilte Tessas Mutter zur Tür, um ihrem Mann, der mit einem unförmigen in Papier gehüllten Gegenstand die Treppe herauf kam und keuchte, die Türe aufzuhalten.
Wenige Minuten später stand das lange verhüllte Teil in Tessas Wohnzimmer und ihr Vater sagte augenzwinkernd: „Mach es mal auf, Tessa!“
Gespannt ging diese darauf zu und riss dann das Papier mit einem Ruck ab. Zum Vorschein kam eine wunderschöne Staffelei aus hellem Holz.
Verwirrt stand Tessa vor ihr und starrte erst sie, dann ihre Eltern an. „Was… was soll ich damit?“, fragte sie verwirrt.

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Lächelnd sah ihr Vater sie an und sagte dann: „Das ist nicht für dich, Tessa. Das ist für Jess.“
Erstaunt sah Tessa ihren Vater an und wiederholte dann: „Für Jess?“
„Ja, für Jess“, fiel ihre Mutter nun ein und blickte die Staffelei an. „Du hast uns doch neulich davon erzählt, wie gut er malen kann und dass er darin immer besser wird. Wir haben uns unterhalten und denken, das ist ein Talent, das gefördert werden sollte, sobald er entlassen ist. Und dazu braucht es vor allem Materialien.“
„Die nicht immer günstig sind“, ergänzte Tessas Vater. „Darum haben wir uns entschieden, ihm eine Staffelei zu kaufen, sozusagen als Starthilfe für sein, für euer neues Leben!“

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Tessa traute kaum ihren Ohren und ging verblüfft um die Staffelei herum. Sie war aus robustem Holz gearbeitet und sicher nicht günstig gewesen.
„Aber…“, stammelte sie. „Aber ich glaube nicht, dass er es annehmen wird. Er ist zu stolz.“
„Nun, dann sieh es als ein Geschenk für dich. Und wenn das Ding hier in deiner Wohnung herum stehen wird, kann er es ja schließlich benutzen, nicht wahr?“, wischte ihre Mutter die Bedenken beiseite.
Tessa wusste nicht recht, was sie antworten sollte. „Aber… ich weiß nicht… ich…“
„Tessa“, sagte ihr Vater da bestimmt. „Er muss es auch nicht annehmen. Es soll nur eine Geste von uns sein. Für euch beiden. Wir haben viel falsch gemacht und wollten euch damit nur zeigen, dass wir euch beide unterstützen.“

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Tessa sah ihn gerührt an. „Woher kommt euer plötzlicher Sinneswandel?“, fragte sie dann.
„Setzen wir uns“, schlug ihr Vater vor und alle drei machten es sich auf der Couch bequem.
„Weißt du, Tessa“, begann er dann. „Ich denke, wir haben viel falsch gemacht. Du hältst so sehr zu diesem jungen Mann, und er kämpft sich durch bravourös durch diesen Entzug. Das hat Respekt und Anerkennung verdient.“

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„Ist es nur deswegen? Weil dir sein Durchhaltevermögen imponiert?“, fragte Tessa skeptisch.
„Nein“, erklärte ihre Mutter da. „Was dein Vater damit sagen will ist, dass wir nicht ungeschehen machen können, was wir versäumt haben. Aber wir können einen Neuanfang wagen. Es hat eine Weile gedauert, bis wir uns an die Vorstellung gewöhnt haben, dass du diesen Mann liebst. Bitte nimm es mir nicht übel, Tessa. Aber ich bin deine Mutter. Natürlich würde ich dir jemand … besseren wünschen, in dem Sinne, dass ich dir jemanden wünsche würde, der einfacher für dich ist. Ich hätte dir einen Mann gewünscht, der für dich sorgen kann, der dir keine Sorgen und Ängste und Schwierigkeiten macht.“
Sie seufzte. „Aber vermutlich ist das ein Utopie. Und wenn ihr beiden all das durchsteht, auch das, was noch auf euch zu kommt, dann liebt ihr euch wohl aufrichtig. Und eigentlich ist es das, was zählt. Das zu sagen, fällt mir nicht leicht. Aber es ist wohl die Wahrheit.“

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Tessa schluckte und lächelte ihre Mutter liebevoll an. „Das hast du schön gesagt, Mama“, sagte sie dann.
„Ich habe deinen Vater auch nicht geheiratet, weil er Anwalt werden wollte“, sprach ihre Mutter schließlich weiter und lächelte ihrem Mann zu, was dieser erwiderte. „Natürlich habe ich diese Stellung immer genossen. Auch unser Leben, aber ich hätte ihn nicht verlassen, wenn er seine Arbeit verloren hätte und wir in ein kleines Haus hätten ziehen müssen. Ich denke nur, irgendwann wir man blind und oberflächlich, und das ist uns auch passiert. Ich bin nicht glücklich darüber, dass dein Freund diese Vergangenheit hat. Aber da ich nichts tun kann, um dich daran zu hindern, mit ihm zusammen zu sein, werde ich es akzeptieren. Ich habe nur eine Weile dafür gebraucht. Und da dieser junge Mann dich wirklich zu lieben scheint, will ich alles tun, um ihn zu unterstützen… und damit auch dich. Ich will nicht, dass du dich so viel sorgst. Ich will nicht, dass du so viel Kummer hast, Tessa.“ Amanda senkte den Blick und man merkte ihr an, dass es ungewohnt für sie war, so offen über ihre Gefühle zu sprechen.

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Auch Tessa wusste zuerst nicht recht, was sie erwidern sollte. Dann aber drückte sie kurz die Hand ihrer Mutter und sagte: „Danke, Mama.“
Ihr Vater räusperte sich und sagte: „Ich kann mich dem, was deine Mutter gesagt hat, ausnahmslos anschließen, Tessa. Du bist unsere Tochter, wir wollen nur dein bestes. Damit machen wir sicher nicht immer alles richtig. Aber wir wollen es versuchen. Und was diesen Jess angeht, so glaube ich, er hat einfach nicht die Hilfe erfahren, die ihm zugestanden hätte. Was wir dafür tun können, diesem Burschen wieder auf die Beine zu helfen, werden wir tun. Wenn ihr uns lasst…“
Tessa sah ihn nachdenklich an und sagte dann: „Papa, das ist wirklich sehr nett und großzügig. Aber Jess hat seinen Stolz. Er wird kein Geld annehmen und auch sonst nichts. Ich weiß nicht einmal genau, ob er nach dem Entzug hierher ziehen wird, vielleicht hat er sogar ein Problem damit, erst einmal hier zu leben, weil er nichts verdient…“

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„Ich kann ihn gut verstehen“, erwiderte ihr Vater. „Aber er muss auch lernen, dass man manchmal Hilfe braucht, um sich zu entwickeln. Man will sich natürlich nicht abhängig machen, aber manchmal muss man das ein Stückweit, sonst kommt man nicht weiter.“
Tessa nickte. „Ich weiß“, sagte sie dann. „Aber ich verstehe ihn auch. Ich bin jetzt einundzwanzig und will auch langsam auf meinen Füßen stehen, nicht immer von euch abhängig sein…“, sagte sie dann. „Ich überlege, mir einen Job zu suchen…“
„Das ist löblich“, sagte ihr Vater zu ihrer Überraschung, denn sie hatte mit Protest gerechnet. „Ich kann dich gut verstehen, ich wollte in deinem Alter auch nicht mehr von meinen Eltern leben. Vielmehr konnte ich es auch gar nicht, weil sie nicht genug Mittel hatten.“

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„Nun, jedenfalls ist es deine Entscheidung“, sagte ihre Mutter. „Du sollst nur wissen, dass wir dich so lange unterstützen, wie du es brauchst und willst.“
Tessa lächelte. „Das ist lieb von euch. Danke. Und was die Staffelei angeht, so freue ich mich darüber. Ich denke, Jess wird sie gut gebrauchen können. Und da sie nun einmal hier ist, und ich sie annehmen kann, kann er sie auch nutzen, das stimmt schon.“
„Das denke ich auch“, stimmte ihre Mutter ihr zu. „Ihr verpflichtet euch zu nichts damit. Wirklich nicht. Nur, Tessa… es gibt da noch etwas, worüber wir mit dir reden wollten.“

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„Und zwar… wir würden Jess gerne einmal persönlich kennen lernen“, sagte ihr Vater direkt. „Es ist schwer für uns, immer über ein Phantom zu sprechen. Wir können uns kein Bild machen, wenn wir den jungen Mann nur durch dich kennen.“
„Natürlich wissen wir, dass das nicht so einfach ist“, fuhr ihre Mutter fort. „Und wenn es zu viel für ihn ist, dann werden wir auch nicht darauf drängen, natürlich nicht. Wir wollten dir nur sagen, dass wir diesen Wunsch haben. Denkt einmal darüber nach.“
Tessa schluckte und wusste nicht ganz, was sie erwidern sollte. Sie hatte auch schon daran gedacht, dass sie Jess ihren Eltern irgendwann einmal vorstellen sollte. Aber sie hatte immer damit gerechnet, damit bis nach dem Entzug zu warten. Nur würde der noch etwa ein Vierteljahr dauern. Sie konnte ihre Eltern durchaus verstehen. Sie sorgten sich und machten sich Gedanken. Es wäre viel leichter für sie, zu wissen, mit wem sie es zu tun hatten.
Doch für Jess würde eine solche Begegnung viel Aufregung bedeuten. Was, wenn er dem noch nicht gewachsen war? Abgesehen davon hatte er manchmal starke Stimmungsschwankungen. Er war bei weitem nicht immer so gut gelaunt und so einfach und nett wie an jenem Tag, als sie ihn nach dem Entzug zum ersten Mal wiedergesehen hatte. Erst letzten Sonntag hatte er bei ihrem Besuch mal wieder kaum ein Wort mit ihr gesprochen, war übel gelaunt gewesen, so dass sie eigentlich froh war, als dieser Tag ein Ende fand.

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„Ich muss Jess fragen“, sagte sie nach einer Weile schließlich. „Er muss entscheiden, ob er dazu schon in der Lage ist.“
„Das ist absolut richtig“, pflichtete ihr Vater bei. „Sprecht einfach in Ruhe darüber und sagt dann Bescheid. Wir erwarten ja nicht, dass wir ihn direkt morgen besuchen gehen können. Aber es wäre schon schön, ihn nicht erst kennenzulernen, wenn er hier in unserer Wohnung eingezogen ist.“
Tessa sah ihren Vater skeptisch an, doch dieser sagte sogleich: „Oh, nein, Tessa, das hat sich anders angehört, als ich es gemeint habe, also bitte leg es jetzt nicht auf die Goldwaage.“
Tessa nickte langsam. „Ja, ist gut“, sagte sie dann. „Ich werde sehen, was sich machen lässt. Aber ich kann euch nichts versprechen.“

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Sie stand auf, um den Kaffee zu holen und nachdem alle drei sich mit einer Tasse erfrischt hatten und noch ein wenig belanglos geplaudert wurde, verabschiedeten sich Tessas Eltern auch schon wieder und ließen diese nachdenklich zurück.
Tessa wusste nicht recht, was sie von all dem halten sollte. Ihre Eltern hatten sich zwar durchaus bereits in den letzten Wochen, seit ihrem Gespräch, deutlich in ihrem Verhalten geändert. Hatten sich recht oft nach Jess erkundigt und echtes Interesse gezeigt. Aber sie hatten das Thema nie wieder so intensiv angesprochen wie heute.
Nachdenklich betrachtete Tessa die Staffelei, die sie inzwischen an eine Wand geschoben hatte, wo sie wirkte, als gehöre sie schon immer zur Einrichtung. Das erneute Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken.
„Tessa? Ich bin´s“, klang eine wohl vertraute Stimme an ihr Ohr, als sie den Hörer abgenommen hatte.

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„Jess!“, rief Tessa erfreut aus. „Ich hab gerade an dich gedacht… mehr oder weniger.“
Jess lachte am anderen Ende der Leitung, was Tessa aufseufzen ließ. Er war offenbar wieder besser gelaunt.
„Wie geht´s dir?“, fragte sie darum auch sofort. „Besser als die letzten Tage?“
„Ja“, antwortete Jess ihr und fügte reumütig dazu: „Tut mir leid, dass ich letzten Sonntag so übel gelaunt war.“
„Ist schon okay“, erwiderte Tessa lächelnd. „Hauptsache, du bist es jetzt nicht mehr.“
„Schade nur, dass morgen kein Besuchstag ist“, gab Jess zurück. „Aber nächste Woche kommst du doch?“
„Natürlich“, erwiderte diese schnell und dachte einen Moment über den Besuch ihrer Eltern nach. Dann sagte sie spontan: „Ich muss dich etwas fragen.“

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„Ja? Was denn?“, wollte Jess wissen.
„Ich… meine Eltern, sie waren gerade hier.“
„Oh je, gab es Streit?“
„Nein, nein – gar nicht. Nur… es geht um dich.“
„Um mich?“, fragte Jess erstaunt. „Was ist mit mir?“
„Nun… sie… nun, ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll. Also… sie wollen dich gerne kennen lernen. Persönlich.“
Einen Moment herrschte Stille, dann sagte Jess langsam: „Mich persönlich kennen lernen? Tessa… ich… nun ja, gerne, nur… es ist zurzeit etwas schlecht, einen gemeinsamen Termin zu einem Abendessen zu finden, meinst du nicht auch?“

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„Ja… natürlich, ich weiß“, sagte diese betreten. „Ich… ich weiß auch nicht. Ich dachte, vielleicht könnten sie mal an einem Besuchstag mitkommen?“
Jess schwieg einen Moment. „Hältst du das für eine gute Idee?“
Tessa schluckte. „Ich weiß nicht“, sagte sie ehrlich. „Ich weiß nur, dass es von ihnen aus ein wahnsinniger Schritt in unsere Richtung ist, dich kennen lernen zu wollen… und bis du zu Hause bist, kann es noch Wochen dauern.“
„Ich weiß“, erwiderte Jess nachdenklich. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob das hier der richtige Ort für ein solches Zusammentreffen ist…“
„Ich bin mir auch nicht sicher“, gab Tessa zurück. „Auf der anderen Seite glaube ich, für dich könnte es sogar einfacher sein, diese Konfrontation noch während der Therapie zu haben, denn dort bist du geschützt. Du hast deine Therapeuten, mit denen du das alles besprechen kannst. Früher oder später wird dieser Punkt ja doch kommen, oder?“

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Jess schwieg einen Moment und sagte dann: „Du hast wohl recht, Tessa. Aber ich habe etwas Bedenken, dass dies ihren Eindruck nicht gerade verbessern wird.“
„Sie wissen doch schon alles“, warf Tessa ein. „Ich glaube nicht, dass sie deswegen schlechter von dir denken. Vermutlich stellen sie sich das Therapiezentrum sogar etliche Male schlimmer vor… und werden nur positiv überrascht sein. Und wenn es dir zu viel wird, kann man es ja jederzeit abbrechen…“
„Das stimmt“, erwiderte er. „Ich werde drüber nachdenken, ja? Und mit einem meiner Therapeuten sprechen…“
„Ja, natürlich“, sagte Tessa schnell. „Mach das unbedingt… es tut leid, Jess.“
„Was denn?“
„Dass ich dich damit belaste. Du solltest jetzt nur an dich denken und…“
Jess unterbrach sie. „Hör auf, Tessa. Das ist das Leben und genau das kommt auf mich zu. Du hast es ja selbst gesagt, irgendwann kommt diese Begegnung auf mich zu, also je früher desto besser.“

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„Stimmt“, pflichtete Tessa ihm bei. „Aber alles zu seiner Zeit, hast du selbst gesagt. Also denk einfach in aller Ruhe darüber nach und sag mir dann Bescheid.“
„Mache ich“, versprach Jess. „Wie geht es dir sonst?“
„Mir geht es gut“, antwortete Tessa. „Ich bin nur ziemlich träge.“
„Wieso denn das?“
„Ach, das Wetter…“
„Was denn? Es scheint die Sonne… was will man mehr.“
„Bei dir scheint die Sonne? Hier nicht. Es ist grau und bewölkt.“
„Nein, hier scheint die Sonne. Was machst du heute noch? Gehst du heute Abend mit deinen Freunden weg?“
„Nein“, sagte Tessa. „Heute haben irgendwie alle etwas vor. Ich werde es mir mit einem Buch oder einer DVD gemütlich machen“

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„Wahrscheinlich schlafe ich ohnehin nach zehn Minuten ein“, sprach sie weiter.
Jess lachte. „So gut wie du will ich es einmal haben! Ich freu mich schon darauf, bald solche trägen, müden Abende mit dir gemeinsam verbringen zu können!“
„Und ich mich erst!“, sagte Tessa lächelnd. „Ich wünschte, du könntest heute schon bei mir sein, wir würden es uns gemütlich machen, eine Pizza bestellen oder was beim Chinesen…“
Jess lachte erneut auf. „Oder endlich mal kochen lernen, Tessa. Hier gibt´s weder Pizza noch Chinese, wir müssen uns selbst versorgen und ich sage dir, kochen kann irre entspannend sein!“
Tessa grinste in sich hinein. „Vergiss es, mein lieber, wenn ich alles lerne, kochen gehört sicher nicht dazu. Umso besser, dass du es kannst, dann ist diese Aufgabenverteilung schon mal geklärt.“
Wieder hörte sie Jess´ tiefes Lachen erklingen.
„Wenn es weiter nichts ist!“

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Sie lachte ebenfalls leise auf. „Schade, dass du mir nicht heute Abend schon was kochen kannst. Ich habe richtig Hunger.“
„Tut mir leid, ich kann dir heute nicht helfen“, sagte Jess bedauernd. „Am besten gehst du jetzt was essen, ich muss ohnehin aufhören. Wir hören uns nächste Woche wieder, ja? Bis dann, Tessa.“
Lächelnd legte Tessa den Hörer auf und warf einen Blick zum Fenster. Draußen hatte es in feinen Fäden zu regnen begonnen. Müde kuschelte sie sich auf die Couch, schloss die Augen und träumte von Jess, der mit einer Hand auf seiner Staffelei pinselte und mit der anderen Chili con Carne kochte, während sie selbst auf der Couch lag und ihm lächelnd zusah.


Fortsetzung folgt.
 
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dayu jetyt ywischen YZu

*ROFL*
Englischer Tastaturtreiber, was? Auf englischen Tastaturen sind z und y genau vertauscht. Früher hatten wir zur Programmierung immer die englischen, was hab ich solange gebraucht, bis ich später bei den deutschen verinnerlicht hatte, dass tatsächlich ein "z" kommt, wenn ich "z" drücke.=)

Nevertheless, das gehört ja nicht hierher.
Ich weiss, was Feli hat (in der vorletzten Folge). Sie ist in der Zone.:cool: Reichlich merkwürdige Angelegenheit, das. Ich hab noch nie angefangen zu glühen, wenn ich gemalt hab. Vermutlich bin ich nicht gut genug.

Der asiatische Garten ist ja so schön. Und was Du Moni heute hast sagen lassen, war ja mal wieder ein Musterbeispiel für alles, was und wie man selber gerne sein möchte. Und es hat so schön in die Situation gepasst, mit dem friedlichen Garten und der Sonne und den schönen Farben. Da kann man schon darüber nachdenken, wieder hoffnungsfroher in die Zukunft zu sehen.
Zu Niklas und Moni sag ich jetzt mal nix, Du böse In-Die-Irre-Führerin, Du.;)
Ich bin jetzt noch verschnupft, weil Tessa nicht schwanger ist. Naja, wir wollen ihr das Leben ja nicht noch schwerer machen, oder?
Nun bin ich gespannt, wie Tessa von Jess empfangen wird, wenn Du schon ankündigst, dass er die ganze Woche launisch war.

Ach, und - die neue Wohnzimmerfarbe ist so genial! Ganz toll.

LG!
 
Julsfels:Ja, das mit dem englischen Treiber stimmt, aber das war nur hier in den Foren, überall anders (word, Outlook...) geht meine Tastatur und jetzt hier auch wieder. Na was solls :D
Hihi, tut mir leid, dass Du verschnupft bist wegen Tessas nie vorhandener Schwangerschaft :lol: Aber ich habe nie wirklich so was angedeutet, außer dass ihr einmal schlecht war morgens, und das kam von dem immensen Schlafmangel =)
In der Zone... ja, stimmt, das könnte gewesen sein. Und Felis Hobbies ist einfach tratschen :D Passt ja!
Danke für Deinen Kommi!
 
oh, wie lieb von tessas eltern. mir können sie auch gern so eine tolle staffelei schenken :)
ein sehr interessantes, da sehr offenes gespräch, das tessas eltern plötzlich menschlich macht, da es sie ungleich näher an den leser heranbringt, wo sie doch endlich etwas von sich preisgeben.
wahrscheinlich hat tessa ihnen einen großen schritt möglich gemacht, sich weiter zu entwickeln und über den tellerrand hinaus zu sehen.

sehr schön, bin gespannt, wie es weitergeht und ob sich alle so schnell treffen!
 
Huhu....,

na das ist doch mal was positves, wie sich Tessa's Eltern geändert haben mit ihrer Einstellung! Klar werden sie noch etwas skeptisch sein, aber es ist schon mal ein Anfang, dass sie Jess sogar in der Klinik besuchen wollen.
Darauf bin ich ja jetzt schon gespannt...

Liebe Grüße
Chrissy
 
Ich weiß, ich habe lange nicht mehr geschrieben :rolleyes:
Aber ich habe alles still mitgelesen, mir war nur irgendwie nicht danach, zu jedem Kapitel erneut "wow, klasse, super" zu schreiben, ich fühle mich dann so unkreativ :) Dafür habe ich deine FS für den Posten der "FS des Sommers" vorgeschlagen :)
Nun, dann also: Wow, klasse, super.
Ich finde, du hast einen wirklich schönen Schreibstil, von der Qualität deiner Story allgemein mal ganz zu schweigen, und ich finde es direkt schade, dass man diese schöne Story nur so "bruchstückhaft" lesen kann, weil sie eben noch in Arbeit ist, und man zwischen den Kapiteln immer die Kommis überspringen muss :argh: - hast du den Text vielleicht auch in Word? Wenn die FS beendet ist - ich trau mich ja gar nicht zu fragen - könntest du mir die Story dann schicken? Ich würde sie wahnsinnig gerne einmal ununterbrochen lesen, dass dann die Bilder fehlen stört mich persönlich nicht so weil der Text für mich das Highlight ist...

So, und nach diesem unverschämten Wunsch mache ich mich ganz schnell aus dem Staub, schön so weiter schreiben :hallo:

lg, Cenwen
 
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