Kapitel 1 - Was tot ist kann niemals sterben, oder doch?
Kapitel 1 - Was tot ist kann niemals sterben, oder doch?
Meine Füße tragen mich mit wackeligen Schritten vorwärts, Schritt für Schritt.
Unsicher bewege ich mich durch diese für mich neue Welt.
Sie war lange vor mir hier, und wird noch hier sein wenn mein Körper längst zu Staub zerfallen sein wird.
Wie ein scheues Reh schrecke ich vor jedem Geräusch auf und diese vielen verschiedenen Stimmen verwirren mich.
Es dreht sich alles um mich herum, während ich in die einzelnen Gesichter der Menschen um mich herum blicke fühle ich wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird.
Wie sie alle mich anstarren, als wäre ich nicht von dieser Welt.
In gewisser Weise haben sie ja recht, ich gehöre nicht hierher und selbst der Erdboden unter meinen Füßen mag mich nicht tragen, er gibt nach und ich falle.
Doch da ist etwas das mich daran hindert auf dem Erdboden aufzuschlagen.
Ich blicke zu dir auf in deine blauen Augen, welche mich voller Mitgefühl anblicken.
Du hattest mich unsicher angelächelt während du mich von der Menschenmenge fort geführt hast.
„Hier trink das!“
Hast du gesagt, und hast mir eine Flasche mit klarem, sauberen Wasser gefüllt hingehalten.
Wie ein Wanderer der in der Wüste verloren gegangen und dem verdursten nahe war trank ich mit großen schlucken bis die Flasche leer war.
Du musstest lachen, vermutlich bot ich einen merkwürdigen Anblick wie ich so vor dir saß, völlig verwirrt von all den Eindrücken die mich schier Wahnsinnig zu machen drohten.
Ich wollte wieder zurück in mein Verlies, wollte wieder die Ruhe und die Geborgenheit des mir vertrauten spüren.
Doch das war ein törichter Wunsch, ich würde es ich noch bereuen das ich ihn je geäußert habe, doch damals wusste ich es nicht besser. Und ich konnte ja nicht ahnen, dass mein Schicksal bereits seit meinem ersten Atemzug besiegelt war.
Ich war eben nicht dazu auserkoren frei zu sein.
Doch Freiheit ist das einzige, das wirklich wahre Glücksgefühl.
Freiheit ist das was wirklich zählt, jetzt und für immer.
Das weiß ich heute auch endlich, doch musste ich es wie so vieles andere auch erst erlernen.
Und grade als ich angefangen hatte mich in dieser rauen mir noch so unbekannten, neuen Welt zurechtzufinden, veränderte sich wieder einmal alles in meinem Leben.
Doch eine Sache hat sich nicht verändert, denn du bist immer noch bei mir um mir nach wie vor zu helfen, dieses Leben in Freiheit zu begreifen und zu genießen.
Du bist der Motor der mich Tag für Tag antreibt, die treibende Kraft die mich davor bewahrt meinem Dasein ein Ende zu setzen. Deine Fürsorge und Wärme bewahren mich jeden Tag davor komplett durchzudrehen.
Habe ich mich eigentlich je dafür bedankt?
Für alles was du bisher für mich getan hast, du hast mir geholfen herauszufinden das es so viel mehr auf dieser Welt gibt als nur Dunkelheit, Einsamkeit und Kälte.
+++
„Wie lange sitzt du schon da und beobachtest mich?“
Er hob langsam seinen Kopf und lächelte mich an, das Sonnenlicht ließ sein Haar wie Flammen wirken.
Das war die Farbe Rot, ich habe auch rote Haare.
Ich musste mir das alles immer und immer wieder in Erinnerung rufen, denn es gab vieles das ich bis vor zwei Jahren nicht kannte, nie gesehen und nie gespürt hatte und vieles war noch immer so neu für mich.
Ich sah ihm in die Augen und zuckte mit den Schultern.
Ich hatte absolut keine Ahnung wie lange ich schon in dem Sessel gesessen hatte und ihn beim schlafen beobachtet hatte.
Ich konnte einfach Stunden damit verbringen ihm einfach nur zuzusehen bei dem was er tat, auch wenn es nur so etwas simples wie schlafen war.
„Ich brauche halt weniger Schlaf seitdem ich...!“
Meine Stimme versagte mir und die Worte blieben mir im Hals stecken, es fiel mir immer noch schwer dieses Wort auszusprechen.
Langsam stand ich auf und betrat mit zaghaften Schritten den Balkon.
Das Sonnenlicht brannte wie glühende Kohlen auf meiner Haut, doch genoss ich es die frische Morgenluft einzuatmen, denn sie war klar und nicht von seiner Essenz überladen.
Er hatte wie immer gespürt das mich etwas traurig machte und war mir schnell gefolgt und legte nun eine Hand auf meine Schulter.
Wie ein Schwamm sog ich dieses Gefühl der Nähe und Geborgenheit auf, er sorgte sich um mich. Bevor ich ihm begegnet war, gab es niemanden der je um mich besorgt gewesen war.
„Ich bin froh das du noch bei mir bist und nicht wirklich tot bist.“
Sagte er und nahm mich schnell tröstend in den Arm.
„Der tot wäre doch besser gewesen!“
Flüsterte ich und heiße Tränen rollte über meine Wange.
Ich hatte sie in meinem Augen gespürt lange bevor sie sich den Weg über den Rand meines unteren Augenlids und dann über meine Wange gebahnt hatten.
Tränen waren ein Zeichen von Schwäche, ich wollte nicht schwach sein, ich musste versuchen mich zu bemühen dieses Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber dessen was ich geworden war zu unterdrücken.
Doch das sagte sich leichter als es umzusetzen war, denn ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich schwach war. Und schon gar nicht wollte ich ihm zeigen wie hilflos ich mich grade fühlte.
„Sag so etwas nicht, sag so etwas nie wieder hörst du?“
Er sah mich mahnend an und ich konnte die Trauer in seinen Augen erkennen, konnte sie in seiner Stimme mitschwingen hören.
„Du hast gesagt wenn ein Herz aufhört zu schlagen, dann ist man tot, doch ich bin nicht tot!"
Ich schüttelte mit dem Kopf, und verfiel in Hysterie.
"Ich bin weder tot noch lebendig und ich hasse das was ich bin!“
Ich konnte die Tränenmasse nun nicht mehr zurückhalten und ließ ihnen freien Lauf, wie immer fing ich dabei an auf meiner Unterlippe zu kauen und spürte wie meine Augen anfingen zu brennen wie Feuer.
und während er seine Lippen auf meine presste versuchte ich mich wieder zu beruhigen.
Doch hatte ich mich schon zu sehr in all das hineingesteigert und seine Nähe machte es in dem Moment für mich nur noch schlimmer, die Kontrolle über meine Gefühle wiederzuerlangen.
„Du weißt nicht wie schlimm es ist neben dem Menschen den man liebt Morgen für Morgen aufzuwachen. Und du kennst nicht dieses Gefühl, dieses schier endlosen Verlangens ihm das Blut bis auf den letzten Tropfen aus dem Körper saugen zu wollen, bis dieser nie enden wollende Durst endlich erlischt."
"Ich kann nicht mehr lange dagegen ankämpfen!"
Schluchzte ich mit gedämpfter Stimme.
Er drückte mich fester an sich während ich bemüht war ruhig zu atmen.
Doch mit jedem Atemzug sog ich seinen ganz eigenen Duft ein, er überflutete meine Sinne und erweckte dieses Verlangen. Es war diesmal stärker als jemals zuvor denn ich konnte seine Angst förmlich riechen und dieser Geruch erweckte meinen Jagdinstinkt.
Ich wusste das es seine Angst davor war, mich zu verlieren.
Er hatte an dem Morgen an dem ich nicht neben ihm im Bett lag als er aufwachte und er mich auch sonst nirgends finden, oder mich über mein Handy erreichen konnte gedacht das er mich für immer verloren hätte.
Letzten Endes hat er mich dann doch im Wald gefunden, doch ich bin niemals wieder zu ihm zurück gekehrt, denn ein Teil von mir war in der vorangegangenen Nacht gestorben.
Meine Menschlichkeit, es war das einzige dem ich jetzt nachtrauerte, denn früher hatte ich nie den Willen töten zu wollen, doch jetzt konnte ich an nichts anderes mehr denken als an Blut, wie es warm aus einem Menschlichen Körper fließt, wie ein sprudelnd roter Quell des Lebens.
Ich stieß ihn von mir, ich musste diesen Gedanken überwinden, musste das rauschen seines Blutes vergessen. Auch musste ich das Geräusch seines schlagenden Herzens, das sich wie ein kleines Vögelchen das in seiner Brust gefangen wild umherflatterte anhörte verdrängen.
Das durfte nicht sein!
Ich war so nahe dran die Kontrolle zu verlieren.
Es wäre so leicht gewesen ihn zu packen, meine Fangzähne in sein weiches, weißes Fleisch zu stoßen um dem ganzen Spuck ein Ende zu setzen.
Doch würde es mir danach vermutlich nur noch schlechter gehen.
Nein, ich war mir sicher, es würde mir danach sogar sehr viel schlechter gehen, denn er wäre dann tot und nicht mehr bei mir an meiner Seite.
„Ich kann so nicht mehr weiter...!“
Ja was konnte ich nicht?
Als Leben konnte man diesen Zustand in dem ich mich befand wohl nicht mehr bezeichnen.
„Ich liebe dich zu sehr als das ich...!“
Was war nur mit mir los?
Ich hatte Schwierigkeiten meine Gefühle zu kontrollieren, doch ich musste es irgendwie schaffen um das nahende Unheil zu verhindern.
Ich liebe ihn, ich will ihn nicht töten, schoss es mir immer wieder durch den Kopf.
„Ich sollte fortgehen.“
Sagte ich schließlich und nun rollte auch ihm eine Träne über die Wange.
„Ruben hast du gehört was ich gesagt habe!“
Flüsterte ich während er mich näher an sich zog und sogleich spürte ich seine Lippen auf meinen.
„Nein!“
Sagte er dann und sah mir tief in die Augen als könnte er mir damit in irgendeiner Weise Furcht einflößen.
Jetzt würden wir wieder darüber diskutieren, als ob das je zu einem Ergebnis geführt hätte das zu einer Besserung der Gesamtsituation beigetragen hätte.
Wir hatten diese Diskussion schon zu oft geführt seit diesem verfluchten Morgen vor sechs Monaten und jedes Mal kamen wir zu dem selben Schluss, doch nie änderte sich etwas.
Aber diesmal musste sich endlich etwas ändern, sonst würde nicht nur ich an alledem zerbrechen.
Doch gab es überhaupt noch irgendeine Hoffnung für mich?
Irgendeinen kleinen Funken Hoffnung, auf ein normales Zusammenleben mit ihm?
Erschöpft ließ ich mich auf einen Stuhl sinken, denn das Sonnenlicht setzte mir zusätzlich zu meinem Gefühlschaos zu.
„Ginger, wir müssen einen Anderen Weg finden.
Und ich verspreche dir es wird alles wieder gut werden."
"Ja, ganz bestimmt wird alles wieder gut, du musst mir nur vertrauen.“
Er sah mich an und ich bemühte mich zu nicken, es würde sich wieder nichts ändern wenn ich nicht endlich damit anfangen würde die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, und es würde auch ganz sicher nie wieder alles gut werden. Das wusste ich, ich spürte es tief in meinem Herzen. Ich hatte es in SEINEN Augen gesehen. (Nein ich durfte nicht an meinen Schöpfer denken.)
Wie sollte denn auch alles wieder so werden wie vorher, solange ich war was ich bin.
Nein, ich konnte nicht daran glauben das es ein Mittel gibt, das mich wieder in einen Menschen verwandeln könnte.
Dennoch, es war an der Zeit, ich musste endlich einen Weg finden, ich durfte Ruben einfach nicht weiter gefährden.
Ich hatte zwar noch keine Vorstellung davon wie diese Lösung aussehen könnte, doch wusste ich etwas anderes, denn ich sah es klar und deutlich vor meinem geistigen Auge.
Ich würde diesem Blutdurst nicht mehr lange widerstehen können.
Während er mich wieder hochzerrte und mich erneut in seine Arme zog hörte ich nur noch wie das Blut Pulsierend durch seine Adern schoss.