„Mama? Wann besucht Babsi uns das nächste Mal? Bringt sie dann ihren Sohn mit?“
Jennifer seufzte. Wenn sie ihre fröhliche, unschuldige Tochter ansah, war es schwer, nein zu sagen. Andererseits fühlte sie sich nicht besonders wohl bei dem Gedanken, dass sie mit einem der Braun-Kinder spielen sollte. Natürlich erzählte sie Lucy nichts von ihren Befürchtungen. Für sie war es schließlich nur eine normale, nette Familie und tatsächlich hatte Babsi einen guten Eindruck gemacht. Nun, vielleicht würde sie es einfach vergessen, wenn genug Zeit verging.
„Ich fürchte, es wird schwer sein, einen passenden Zeitpunkt zu finden. Weißt du, Mama muss so viel arbeiten und Babsi hat gerade ein kleines Baby bekommen. Vielleicht, wenn das Kleine etwas älter ist.“
„Aber sie könnte doch das Kind mitbringen!“, widersprach Lucy.
„Trotzdem, ich bin kaum zu Hause und sie können nicht spät am Abend kommen. Babies schlafen viel, weißt du – und du und Bernd, ihr braucht auch Schlaf!“
Lucy nickte enttäuscht.
„Aber ich bin doch oft genug zu Hause. Ich könnte das Schreiben einen Nachmittag aufschieben“, erklärte John.
Gott, John, dachte sie, du kleiner naiver Engel. Natürlich konnte sie jetzt, nachdem sie Lucy’s hoffnungsvollen Gesichtsausdruck gesehen hatte, auf keinen Fall an eine weitere Ausrede denken.
„Red keinen Quatsch“, erwiderte sie, etwas härter, als sie es beabsichtigt hatte, „natürlich werde ich hier sein, wenn wir Gäste einladen.“
Drei Tage später saßen Babsi und Bernd auch schon auf ihrer Couch. Jennifer versuchte, ein fröhliches Gesicht aufzusetzen, aber es gelang ihr nicht ganz.
„Willkommen“, sagte sie, „wie schön, dass ihr es geschafft habt. Wo habt ihr Raphael gelassen?“
„Detlef kümmert sich heute um ihn. Er ist in letzter Zeit viel öfter zu Hause.“ Jennifer war sich nicht so sicher, ob der Teenager wirklich ein geeigneter Babysitter war, aber das lag nicht in ihrer Verantwortung, oder?
Bernd saß in einem netten, frisch gebügeltem Hemd und einem farbenfrohem Pullover da, sprang aber schnell auf, sobald er Lucy gesehen hatte.
„Mama hat gesagt, du hast viele Autos“, sprudelte es aus ihm heraus.
„Hab ich! Mein ganzes Zimmer ist voller Autos! Ich liebe sie! Möchtest du spielen gehen?“
„Na klar!“
Ohne weitere Worte eilten die Kinder nach oben, bevor ihnen Jennifer auch nur Kekse anbieten konnte.
Die zwei Erwachsenen blieben auf der Couch und Jennifer versuchte, auf ein Gesprächsthema zu kommen.
„Also, wie geht es Raphael?“, fragte sie. Nach Kindern zu fragen, lief immer gut, da die meisten Eltern gerne von ihnen erzählte.
„Gut, gut. Er ist so ein fröhliches Baby – lacht die ganze Zeit. Ich könnte ihn bei Gelegenheit mitbringen – oder ihr besucht uns mal!“, schlug sie vor.
„Ja, das sollten wir irgendwann einmal machen“, antwortete Jennifer höflich, in der Hoffnung, dass „irgendwann“ noch sehr fern lag.
Brandi hustete laut.
„Alles okay?“, fragte Jennifer, die sich nun ehrlich Sorgen um die Gesundheit der anderen Frau machte, „das klang furchtbar. Du solltest zum Arzt gehen!“
„Nein, nein, das ist…nichts, wirklich. Mir geht’s gut.“
Jennifer biss sich auf die Lippe. „Wie läuft es finanziell bei euch? Kannst du die Schulden vom Haus zurück zahlen – mit drei Kindern?“
Babsi sah sie überrascht an, zögerte dann ein wenig, unsicher, ob sie ehrlich sein sollte. „Es ist schwer“, gab sie dann zu.
Jennifer nickte und erklärte dann, zu ihrer eigenen Überraschung: „Mit der ganzen Arbeit im Studio brauchen wir vermutlich bald einen neuen Angstellten. Du könntest vielleicht nachmittags bei mir arbeiten, wenn Detlef weiterhin auf Bernd aufpassen kann.“
Wie jeder vorhersehen hätte können, kamen die Kinder gut miteinander aus.
„Brrrrrrrruuuuuuuuuuuuuuuuummmmmmmmmmmmm“, machte Lucy und bewegte das Auto so schnell sie konnte, „schaust du manchmal Formel 1? Ich will immer, aber meine Eltern erlauben es nicht. Sie sagen, es wäre unangebracht für Kinder. Mama meint sogar, es wäre langweilig! Kannst du das glauben?“
Bernd schüttelte den Kopf. „Ich schaue das nie. Wir schauen meistens, was Mama oder Detlef wollen“, erklärte er.
„Ich hab eine 2 im Test! Ich hab eine 2!“, rief Lilli, als sie das Haus betrat.
Wer hätte vorhersehen können, dass sie jemals so glücklich über eine Note wäre? Seit wann bedeutete ihr die Schule überhaupt etwas? Sie kannte die Antwort, als sie die lächelnden Gesichter ihrer Großeltern sah, die jubelten und applaudierten.
Ihre Eltern hätten nie so reagiert. Was war eine zwei auch wert, wenn ihre Schwester ständig 1er schrieb?
Kurz danach klingelte das Telefon.
„Hy Liebes! Wie schön, von dir zu hören. Ich sage dir, Lilli hierzuhaben ist eine Wohltat für uns alle. Heute kam sie mit einer richtig guten Note von der Schule heim“, erhählte Klara ihrer Tochter.
„Kann…kann ich vorbei kommen?“
„Ja, natürlich, aber ich versichere dir, Lilli geht es gut, du musst dir keine Sorgen machen.“
„Es geht nicht um Lilli…es…geht um…mich…und Daniel.“
„Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Als ich sie da gesehen habe, beide in ihrer Unterwäsche, da…ist etwas in mir zerbrochen. Ich hätte nie erwartet, dass soetwas MIR passiert! Was will er überhaupt von ihr? Sie ist nicht mal jünger als ich! Und weißt du, was er gesagt hat? Sowas wie >>wir werden beide älter, aber er habe noch einen atlethischen Körper<< als ob nur ich älter werde! Oh Mami, bitte sag mir, was ich tun soll! Ich will meine Ehe retten, aber ich weiß nicht, wie?“
„Marie Claire, warum willst du deine Ehe retten?“, fragte Klara schlicht.
Ihre Tochter sah sie überrascht an. „Naja, weil…Scheidungen sind eine schlechte Sache und…eine Ehe kann man retten, wenn man daran arbeitet, also kein Grund, eine Familie zu zerstören, nur, weil man so selbstsüchtig ist und –„
„Liebes, denkst du wirklich, es ist was, das es wert ist, gerettet zu werden?“
„Naja, aber – die Mädchen!“
„Ich glaube nicht, dass sie Probleme mit einer Scheidung hätten. Lilli lebt doch nicht einmal mehr bei euch und Angela ist alt genug, damit klar zu kommen. Es wird ohnehin nicht mehr lange dauern, bis beide auf die Uni gehen.“
„Aber…ich bin eine konservative Politikerin! Wie sieht es denn aus, wenn ich es nicht einmal schaffe, meine eigene Ehe zu halten!“
„Oh, komm schon, es sind nicht mehr die 50er! Außerdem, wenn du, eine starke Führungsperson, sich von ihrem eigenen Ehemann veräppeln lässt – wie sieht das denn aus?“
„Warst du es nicht, die gesagt hat, dass Liebe auch Arbeit bedeutet? Dass man in guten wie in schlechten Zeiten zusammen halten muss?“
„Ja, aber das ist ganz etwas anderes! Herbert hat mich nie betrogen und ich ihn ebenfalls nicht. Davon abgesehen – es braucht die Arbeit von beiden Partnern. Momentan scheint Daniel nicht sonderlich interessiert daran zu sein, ein guter Ehemann zu bleiben. Ich sage dir eines, Liebling: Du brauchst einen guten Anwalt!“
Marie Claire lächelte ihre Mutter an. Diese Worte waren genau das, was sie gebraucht hatte, um sich selbst zu erlauben, ihre furchtbare Beziehung zu beenden.
„Danke.“
Daher hatte sie, als sie nach Hause kam, keinen Grund, zu warten.
„Daniel? Ich glaube, unsere Ehe ist vorbei.“
„Was meinst du damit?“
„Ich will die Scheidung!“
„Aber – aber – das kann nicht dein Ernst sein! Denk an deine Karriere!“
„Wenn ich an meine Karriere denke, glaube ich, ich sollte den Loser loswerden, der mich nicht unterstützt!“
„Ich muss mit dir reden“, Dirk Traumtänzer war noch in seiner Pyjamahose, als sein Vater ihn um ein Gespräch bat.
„Was ist?“, gähnte er.
Hugo beschloss, ganz direkt zu sein.
„Isabella Monti hat mir angeboten, für ihre Galerie zu malen. Es ist ein ziemlich gutes Angebot – sie will eine ganze Serie von Bildern. Die Sache ist die: Ich müsste nach Veronaville ziehen. Frau Monti hat es arrangiert, dass ich in einem ihrer Häuser wohnen könnte. Es ist ziemlich cool, mit Swimmingpool und allem drum und dran.
„Du wirst es also tun“, sagte Dirk. Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.
„Ja. Ich wäre dumm, abzusagen“, erklärte Hugo, „ich weiß, deine Freunde sind hier – und natürlich Lilli. Nachdem ich das Haus sowieso nicht verkaufen werde, hast du die freie Wahl – möchtest du mit mir kommen oder hier bleiben?“
„Ich hasse es, dass du mich in diese Situation bringst. Natürlich will ich bei meinen Freunden bleiben, aber ich hätte auch gerne meinen Vater hier.“
„Hör zu, Dirk, es ist nicht einfach…“
„Nein, nein, ich bin alt genug“, unterbrach Dirk, „ich kann auf mich aufpassen. Du musst nach Veronaville. Außerdem, die meisten Leute meines Alters wären froh, ein Haus für sich allein zu haben, nicht wahr?“
Er lächelte wehmütig. „Aber du besuchst mich oft, nicht wahr? So viel du kannst! Und ich dich natürlich auch, in den Ferien!“
„Natürlich werde ich das“, versprach Hugo.
„Was ist mit Kassandra?“, fragte Dirk plötzlich.
Hugo seufzte. „Ich schätze, es ist Zeit, über sie hinweg zu kommen. Ich bin kein Teenie mehr, oder? Keine Zeit, um von etwas zu träumen, das vermutlich nie passieren wird.“
„Ach Papa, verdammt, ich werde dich vermissen!“
„Du hast Babsi Braun wirklich einen Job angeboten?“
„Was ist so schwer daran zu verstehen?“
„Naja, es schien nicht so, als würdest du sie besonders mögen.“
„Vielleicht hab ich meine Meinung geändert – oder vielleicht versuche ich nur, ein guter Mensch zu sein. Aber schau, es ist ein Vorteil für uns alle. Ich muss keine Vollzeitkraft anstellen, wenn ich ohnehin Großteils am Nachmittag und Abend Hilfe brauche, wenn die Leute von der Arbeit ins Studio gehen. Babsi hat einen Job und ich habe eine Angestellte. Wer könnte etwas dagegen einwenden?“
John schüttelte den Kopf. „Ich nicht. Ich bin nur überrascht.“
„Du solltest stolz auf deine sensible und kluge Frau sein!“
„Ich bin sehr stolz!“, grinste er und küsste sie auf den Nacken, „weißt du was? Ich glaube, nachdem alles so gut läuft, sollten wir ein weiteres Kind planen.“
„Bist du verrückt?“
„Komm schon. Du wirst ohnehin nicht gleich schwanger. Es dauert etwas und dann noch neun Monate, bis das Baby da ist. In der Zwischenzeit kannst du einen weiteren Angestellten für das Geschäft einstellen.“
Jennifer kicherte, „So stellst du dir das also vor? So einfach?“
„Ja. Außerdem arbeite ich doch von zu Hause aus. Du kannst also so früh wieder arbeiten gehen, wie du musst – oder willst.“
„Okay, Mr. Charming. Versuchen wir es.“