Kapitel 042 - Selbst entscheiden
Wie hatte sie so unaufmerksam sein können? Dési könnte sich dafür ohrfeigen, dass sie das Geld so schlecht versteckt hatte. Diego hatte es beim Putzen gefunden. Wieso musste er auch so sozial sein und Désis Zimmer ebenfalls sauber machen? Als wäre er ihre Mutter oder so. Es war so typisch für ihren Cousin. Was allerdings weniger typisch für ihn war, war seine Reaktion auf seine Entdeckung: Er hatte Désiré hinausgeworfen. Nicht wie bei der Kleinen ohne Gedächtnis, die mehr oder weniger freiwillig gegangen war. Nein, er hatte Désirés Sachen zusammengepackt und vor die Tür gestellt.
Diego hatte sie nicht angeschrien, er hatte sie nur total enttäuscht angesehen und gefragt: "Wieso hast du das nur getan?"
Dies war hingegen wieder typisch und Désiré hatte keine Chance gehabt, mit ihren erfundenen, schwachen Ausreden und Abstreitungsversuchen. Dési hatte keine Ahnung, wohin sie gehen sollte. Ihre Sachen hatte sie in der Abstellkammer der Kellerkneipe deponiert und sie plante die Nacht auf einem der harten Sofas neben der Bar zu verbringen. Aber der Besitzer der Kneipe würden sie hinausjagen, wenn er davon erfuhr, darüber war Désiré sich sicher.
Sie hatte keine Freunde in der Stadt, zu denen sie hätte gehen können. Diejenigen, die sie vor ihrem Absturz gehabt hatte, wollten bestimmt nichts mehr von ihr wissen. Und selbst wenn sie wollten, es war Dési nicht mehr wohl in derer Gesellschaft. Sie schämte sich irgendwie dafür, wie man sie damals ertragen musste. Sie fühlte sich ihnen unterlegen, weil sie ihr Leben im Griff hatten, während sie selbst dies nicht geschafft hatte. Und diejenigen, die ihr Leben nicht im Griff hatten, diejenigen mit denen sie später abgehangen hatte, sollte Dési besser meiden, wenn sie nicht erneut abstürzen wollte.
"Nochn malss.. sso eineen", lallte ein Typ an der Bar und schob Dési das leere Glas hin. „An so eineem beschissenen Abend d.. da ka.. kann man nicht genugg trinken!“
Sie hob ihre gepiercte Augenbraue in die Höhe, mixte ihm aber ohne Kommentar einen weiteren Drink.
Allzu grosse Sorgen wegen ihrer Wohnsituation machte sich Dési allerdings nicht. Diego würde sich bald wieder einkriegen. Er konnte noch nie lange wütend auf jemanden sein. Das war schon damals so, als sie im Sandkasten den bösen Drachen gespielt und seine Burgen mitsamt den imaginären Prinzen und Prinzessinnen zerstört hatte. Er hatte immer angefangen zu weinen und kein Wort mehr mit ihr sprechen wollen, aber schon wenige Minuten später hatte er ihr verziehen.
"Die Liiiebe..", trällerte der betrunkene Typ. "Ist sie nicht brutal?"
Dési sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. Das brachte solche Typen meistens zum Schweigen.
"Ehrlich es wüürde den Menschen doch so viiel besser gehen ohne sie.."
Ohne die Liebe würde es den Menschen besser gehen? Dési war es gewohnt, dass Leute an der Bar sinnloses Zeug von sich gaben, und ging nicht darauf ein. Er brabbelte noch weiter in sich hinein, aber davon verstand Dési kein Wort.
Sie fing schon einmal an die Gläser zu putzen und einige Tische abzuwischen, während die letzten Gäste sich langsam auf den Heimweg machten.
Schliesslich war sie alleine mit dem Betrunkenen. Er hatte seinen Kopf in beide Hände gestützt.
Dési seufzte und ging auf ihn zu. Als sie neben ihm stand, räusperte sie sich, aber er reagierte nicht. Vorsichtig berührte sie ihn an der Schulter.
"Soll ich dir ein Taxi rufen?"
"Hm.." Er fuhr auf und sah sie verwirrt an. Geduldig wiederholte sie ihre Frage.
"Nein.. iich.. ich geehe zu Fusss. Ist gaar nicht weit."
Mühsam erhob er sich vom Barhocker, kramte einige Simoleons heraus und drückte sie Dési in die Hand.
"Ist gut sso."
Dann torkelte er zur Tür hinaus.
Dési schloss hinter ihm ab und löschte alle Lichter bis auf die gerade bei der Bar.
Sie setzte sich auf einen Barhocker und liess gelangweilt eine der Glasflaschen über den Tresen rollen. Was jetzt mit der angebrochenen Nacht? Dési hatte keine Lust, schlafen zu gehen.
Sie liess die Flasche kreisen. Ein paar Tropfen waren noch darin. Ohne viel zu überlegen öffnete sie den Deckel und trank den Rest aus. Das tat gut. Sie spürte förmlich, wie sich eine Anspannung in ihrem Kopf löste. Der Blick auf das harte Sofa in der Ecke war so gar nicht verlockend, der Geschmack von Alkohol jedoch schon. Es war ihr egal, dass sie Diego versprochen hatte, die Finger von Alkohol genauso wie von Drogen zu lassen.
Sie griff nach einer vollen Flasche, blieb an der Bar sitzen und starrte in die Dunkelheit, während sie, ohne es richtig zu registrieren, ein Schluck nach dem anderen nahm.
Sie musste wohl eingedöst sein, den Kopf auf die Arme gesunken. Plötzlich liess ein Poltern an der Tür sie aufschrecken.
Der Kneipenbesitzer!, war ihr erster Gedanke.
Sie konnte so tun, als wäre sie nicht hier. Aber nein, das Licht! Man musste das Licht von aussen sehen. Sie könnte es aber auch aus Versehen angelassen haben, oder?
Irgendwie fiel es ihr plötzlich total schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Und dieses Poltern.. es war viel zu laut.. so laut! Sie wollte nur, dass es aufhörte. Als sie aufstand, schien sich alles zu drehen und sie fühlte sich wie der Betrunkene von vorher, als sie schwankend zur Tür ging.
Es war eine ziemliche Herausforderung den Schlüssel in das Schlüsselloch zu stecken. Vor allem unter diesem Lärm.
Endlich hatte sie es geschafft und die Tür sprang auf. Derjenige, der an sie gehämmert hatte, flog gerade mit ihr in den Raum und in Désis Arme, wo er sich festhielt. Désiré verharrte einen Moment so und genoss die Stille und die frische, hereinströmende Nachtluft. Dann wurde sie sich erst richtig über den Mann bewusst, der sich an sie klammerte, und schüttelte ihn ab. Es war der betrunkene Typ, der als letzter die Bar verlassen hatte. Dési griff nach dem Türrahmen. Ihr war schwindlig.
"Ich wusstee, dass.. s.. Ssie noch daa sind. Ich sah das Liicht!", berichtete der Typ stolz.
"Und was willst du von mir?", fragte Dési .
Er überlegte angestrengt und sagte dann: "Ah ja, mein Hut ss.. sollte hier irgeendwo seinn.." Er sah sich suchend um. "Haast du ihn geseehn?"
Bevor Désiré richtig mitbekam, was er wollte, hatte er es auch schon gesichtet.
"Da ist er jaa!"
Der schwarze Hut lag auf dem Boden neben dem Barhocker und der Typ stolperte darauf zu.
Als er ihn aufhob und sich wieder aufrichtete fiel sein Blick auf Désis Glas und die Alkoholflaschen.
"Hastt du das geetrunken?"
"Und was wenn?", fragte Dési unfreundlich. Er ging ihr auf die Nerven. Sie wollte nur noch ihre verdammte Ruhe haben. Jetzt fing er auch noch an, so blöd herumzukichern.
"Das darffst du siichr nichtt! Wenn deiin Chef das wüssste.."
"Weiss er aber nicht! Und jetzt halt deine Klappe und verschwinde!"
„Oha! Wenn dein Cheef wüüsste, wie du mit deen Kunden redest.“
„Es ist schon lange geschlossen, also bist du nicht mehr mein Kunde“, rechtfertigte sich Désiré. „Und jetzt geh schon, ich habe nicht besonders gute Laune.“
„Heyy ich auch nichtt!“, verkündete er und grinste dabei, was ziemlich widersprüchlich war. „Und weisst du wiieso?“
Dési seufzte genervt. Ihn schien das aber nicht zu stören und er fuhr fort: „Weisst du die Liiiebe..“
„Jaja, sie ist brutal und es ginge der Menschheit viel besser ohne sie“, wiederholte Dési seine Worte von vorher und schob ihn zur Tür.
Er starrte sie perplex an. „Ja genau!“
„Schön, dann gute Nacht.“ Sie schloss die Türe ohne auf seine Antwort zu warten.
Dann setzte sie sich wieder auf ihren Hocker. Jetzt hatte sie die Ruhe, die sie gewollt hatte. Es war mucksmäuschenstill. Fast schon wieder zu ruhig. Gelangweilt klopfte sie mit ihren Fingernägeln auf den Tresen.
Dann stand sie plötzlich ruckartig wieder auf und lief zur Türe. Dieses Mal schaffte sie es schneller aufzuschliessen. Sie konnte den Betrunkenen noch weit hinten die Strasse entlang schlendern sehen.
„Heyy!!“, rief sie in die stille Nacht hinein.
Er drehte sich um und sie winkte ihm. „Hey, hast du jetzt noch etwas vor?“
„Nein, eiigentlich nicht.“
„Hast du Lust mit mir abzuhängen?“
Sie weckten mit ihrem Geschrei wahrscheinlich das halbe Quartier auf. Der Typ blieb kurz unentschlossen stehen und kehrte dann um.
„Klar!“ Er grinste. Sie gingen gemeinsam wieder nach drinnen.
„Du hast gesagt, an so einem beschissenen Abend, kann man nicht genug trinken. Wie sieht‘s aus, verträgst du noch einen Drink?“
„Klar!“, sagte er noch einmal und Dési machte sich ans Werk.
„Haha schau mal!“, rief sie begeistert, während sie mit einigen Flaschen jonglierte. „Eigentlich gefällt mir dieser Job viiiiel besser als mein früherer! Der war ja so langweilig mit dem ganzen Papierkram. Am liebsten würde ich gar nicht mehr zurück.“
Sie warf eine Flasche auf und fing sie hinter dem Rücken. Dann schüttete sie den Inhalt mit verrenkter Armhaltung gekonnt in ihren Schüttelbecher.
„Dann bl.. bleib doch bei diesem Job“, schlug der Typ vor, als Dési die fertigen Drinks zu den Sofas trug. „Man ss.. sollte das mach.. hen, was eineem gefällt.“
Désiré warf ihm einen wütenden Blick zu. Klar, er konnte das einfach so sagen, aber so einfach war es leider nicht. Sie musste den Job zurückhaben, sonst könnte sie ihren Plan nie verwirklichen. Den Job und Diego.
„Also wie genau meinst du das mit der Liebe?“, fragte Dési, um auf ein anderes Thema zu kommen, als sie sich gemeinsam auf eines der harten Sofas gesetzt hatten. „Ich versteh das nicht ganz, Liebe ist doch ´was Schönes, oder nicht?“
„Gegenseitige Liebe ist schön, jaa.. aberr das ist so seltenn.. die meiste Zeiit bleiben die Gefühle doch unerwidert und das ist riichtig beschissen! Weisst duu, ich habe jemanden kennengelernt und mich echt totaal in die verliiebt. Zuerst wollte sie ja auch.. hatte ich zumindest gedacht.. aber jetzt.. jetzt sagt sie miir doch plötzlich, dass es jemanden andereen gibt..“ Sein Grinsen verschwand. „Kennst du das nicht? Das schmerzt so riichtig.“
Oh ja, das kannte Désiré. Nur der Gedanke daran verpasste ihr gleich einen Stich ins Herzen. Der Typ liess seinen Kopf auf Désis Schulter fallen und sie glaubte ein Schniefen zu hören. Tröstend legte sie ihre Hand an seine Schulter.
„Das ist mir schon lange nicht mehr begegnet: Ein Mann der heult..“, sagte sie mehr zu sich selbst.
„Ich h.. heule nicht!“, brummelte er.
„Natürlich!“ Sie kicherte und fuhr mit ihrer Hand zu seiner Wange, wo sie eine Träne mit ihrem Finger abwischte. Er stiess sie mit seinen kräftigen Armen von sich.
„Weisst du was?“, sagte sie aufmunternd. „Stossen wir darauf an.“
„Worauf?“
„Auf unsere Erkenntnis, dass die Liebe bescheuert ist!“ Sie drückte ihm ein Glas in die Hand und sie taten, wie sie gesagt hatte.
„Ich meine, ist doch wahr“, fuhr sie fort, nachdem sie das Glas zügig gelehrt hatte. „Wieso verliebt man sich immer in die Falschen? Immer in diese, mit denen man nicht zusammen sein kann. Das ist doch gemein! Wieso verliebt man sich nicht in diejenigen, die einem zur Verfügung stehen?“
Er nickte zustimmend.
„Es wäre doch viel einfacher. Zum Beispiel könnte ich mich doch einfach in dich verlieben und du dich in mich. Aber nein, wir beide suchen uns jemanden unerreichbaren aus!“ Wütend stellte sie das leere Glas ab.
„Genau.. Und uns fragt gar niiemand, ob wir damit einverstanden sind. Wir s.. sollten doch selbst entscheiden dürfen!“, murmelte er in sein Glas hinein.
„Ja! Weisst du was? Machen wir es doch einfach!“, rief sie begeistert.
„Was?“
„Na selber entscheiden! Zum Teufel mit dem bescheuerten Liebeskummer!“ Und in ihrem plötzlichen Rausch von Heiterkeit, setzte sich Dési auf seinen Schoss und begann seine Brust unter dem aufgeknöpften Hemd zu streicheln.
„Ich entscheide jetzt, dass ich mich in dich verliebe“, verkündete sie, während sie ihm tief in die Augen blickte, und er legte seine raue Hand an ihre Wange.
„Gut, dann entscheide ich mich da.. dazu, mich in d.. dich zu verlieben!“ Er schlang seine starken Arme um ihren Körper und sie schmeckte den Alkohol, als sie ihren Mund auf den seinen presste.
Seine Küsse waren fordernd und intensiv. Désiré erwiderte sie wild. Es fühlte sich an, als hätte sich der Alkohol in ihr zu einem Feuer entfacht. Sie liess ihren Oberkörper nach hinten auf das Sofa nieder und zog den Typen mit sich, sodass sein muskulöser Körper auf dem ihren lag. Sie schlang ein Bein um ihn und er packte ihre Hände und drückte sie auf den Lederbezug, während seine Zunge ihren Mund durchforschte.
¸.•*(¸.•*´ ♥ `*•.¸)`*•.¸
Lg