Kapitel 7 ... Teil III
Er schüttelte schmunzelnd den Kopf: "Ja klar. Sie hat mich gefragt, ob ich
betrunken sei und gesagt, dass sie mir kein Wort glauben würde." Larissa
war sichtlich verwirrt: "Oh. Aber ... ich dachte ..."
Nun wurde Pauls Grinsen breiter: "Naja. Das hat sie gesagt. Und dann hat
sie gefragt, was ich denn überhaupt von ihr wollen würde und
angefangen, dummes Zeug zu plappern. Ich habe sie aber nicht ausreden
lassen und sie einfach noch mal geküsst. Und zwar richtig. Und diesen
Kuss ... hat sie dann auch erwidert."
Larissa hätte fast laut geseufzt, doch eine Frage bewegte sie dennoch:
"Aber das war eigentlich ganz schön dreist, oder? Ich meine, sie hätte
allen Grund gehabt, Dir ordentlich eine zu kleben. Oder nicht? Also ich
hätte mich das bestimmt nicht getraut, nach der Ansage."
Pauls Blick wurde seltsam weich: "Ich kann nicht sagen, ob es an ihr, oder
an mir lag. Und auch nicht, ob etwas in ihrer Haltung mich dazu getrieben
hat. Aber jetzt war doch sowieso schon alles zu spät. Und ... verdammt, ich
wollte sie wenigstens ein Mal richtig geküsst haben."
Larissa schaute ihn immer noch etwas verwirrt an: "Dann hat sie sich also
doch überzeugen lassen? Und sich ... auf Dich eingelassen?" Sie hätte
gerne noch mehr von ihm dazu gehört, doch sie sah nun immer
deutlicher, wie sehr ihn die Erinnerung schmerzte. Er sah gequält zu ihr
herüber:
"Wir waren glücklich, weißt Du? Richtig glücklich. Und als sie endlich
begriffen hatte, dass ich es wirklich ehrlich meine ... dann wurde es
perfekt. Als ob man ewig lange unterwegs war und endlich ... ankommt."
Als sie das schwache Beben in seiner Stimme vernahm, hatte auch Larissa
Mühe, den Klang ihrer Worte zu kontrollieren:
"Und bleiben will?" Sie nahm seine beringte Hand in die ihre und suchte
seinen Blick. Die Geste war winzig, doch Paul verstand und nickte
langsam. Larissa traute sich kaum zu fragen und auch der Kloß in ihrem
Hals schien sich gegen die Worte sträuben zu wollen: "Und sie hat
abgelehnt?"
Paul schüttelte müde den Kopf: "Wenn es so einfach wäre ... Larissa, wenn
sie mich einfach nur nicht gewollt hätte, könnte ich ja vielleicht noch
denken, es sollte einfach nicht sein und mich irgendwie damit abfinden.
Aber so ist es nicht. Sie hat "ja" gesagt. Sie wollte mich. Sie ..."
Seine Stimme schrumpfte fast zu einem Flüstern: "Sie war glücklich. Sie ...
liebte mich." Er war wirklich am Ende und auch Larissa schien es, als wäre
ihr innerstes erstarrt. Fast mechanisch fragte sie: "Aber was ist
geschehen? Warum habt ihr euch getrennt?"
Paul hatte etwas Mühe, sich wieder zu sammeln und seine Gedanken zu
ordnen. Er atmete tief durch und richtete sich wieder auf: "Geschehen?
Was geschehen ist? Ich bin "geschehen". Ich hab´s total versaut. Ich hatte
gedacht, Bonnie wüsste über früher bescheid, weißt Du?"
"Das war irgendwie nie ein Thema zwischen uns und so hatte ich
angenommen, sie wüsste alles. Ich war sogar irgendwie froh, ihr den
ganzen Scheiß nicht erklären zu müssen und so. Mann, ich war so feige!
Und blind. Ich hätte mir doch denken müssen, dass sie ... dass ihr das zu
viel sein würde."
Larissa wurde hellhörig: "Und das hat sie Dir gesagt? Du hast doch gesagt,
ihr hattet keinen Streit." Er rieb sich übers Gesicht: "Nein, dazu kam es gar
nicht mehr. Die hatten mich doch festgenommen, weil am Campus
anscheinend auffällig viel Schnee die Runde macht. Kann natürlich nur ich
gewesen sein."
"Das alleine wäre zwar ärgerlich gewesen, aber nicht weiter tragisch.
Wirklich schlimm war aber, dass sie Bonnie da mit rein gezogen haben.
Das war nicht nur unnötig, sondern auch demütigend! Natürlich war an der
Sache nichts dran und Bonnie wurde auch schnell von ihrer Mutter
abgeholt."
"Ich aber nicht. Und so hatte ich keine Möglichkeit mehr, mit ihr zu reden.
Am nächsten Morgen kam Dad endlich, um mich abzuholen und der
Beamte gab mir einen Brief von Bonnie. Und da stand drin, dass sie mich
nie wieder sehen will und so."
Er war angespannt und kam Larissas Frage zuvor: "Natürlich wollte ich
gleich zu ihr. Mit ihr reden. Alles erklären, weißt Du? Ich glaube, wenn sie
mir nur fünf Minuten zugehört hätte ... dann ... ich weiß auch nicht. Ich
musste es doch aber wenigstens versuchen."
"Aber zu Hause kam mir erstmal Dad dazwischen. Anfangs dachte ich, es
wäre nur seine übliche Ansprache und habe ihm nicht zugehört. Ich weiß
ja, wie sehr er mich verachtet. Aber dann fing er an, über Bonnie
herzuziehen und hat tatsächlich Anstalten gemacht, mir den Umgang mit
ihr verbieten zu wollen."
"Fast wäre ich ausgerastet. Echt, ich dachte, ich breche ihm die Nase, wenn
der nicht gleich die Klappe hält. Ich glaube, so sehr sind wir noch nie
aneinander geraten und es endete ja schließlich auch mit dem Rauswurf.
Durch das ganze Theater bekam ich nur am Rande mit, dass Bonnies
Mutter wohl richtig übel auf die Geschichte reagiert hat. Dad meinte, sie
würde nicht nur an die Presse gehen wollen, sondern auch vor Gericht.
Weil Bonnie doch minderjährig ist und alles."
Larissa war sichtlich überrascht: "Aber damit würde sie doch nie
durchkommen. So ein Blödsinn! Und selbst wenn, da würde Bonnie doch
nicht mitspielen." Paul schüttelte wissend den Kopf: "Doch. Würde sie. Ich
kann Dir nicht erklären, warum das so ist, aber wenn es um ihre Mutter
geht ... Bonnie würde alles, wirklich alles tun, um ihrer Mutter zu
gefallen."
"Oder, damit sie ihr vergibt. Nenn´ es, wie Du willst. Aber wenn es um ihre
Mutter geht, gelten irgendwie andere Regeln. In der ganzen Zeit hatte sie
ihr nichts über uns erzählt und sich auch große Sorgen gemacht, damit
das so bleiben würde."
"Ich dachte damals ja, es wäre, weil sie von meiner Vergangenheit wüsste
und dass ich nicht gerade ein vorzeigbarer Schwiegersohn bin, ist ja wohl
auch klar. Ich hatte gehofft, das gibt sich mit der Zeit. Aber dass sie so
austicken würde, hätte ich nicht gedacht."
Larissa wollte nicht glauben, was sie da hörte: "Und da lässt sich gar nicht
mit ihrer Mutter reden? Vielleicht müsste sie Dich nur mal kennen lernen.
Dann würde sie ihre Meinung doch bestimmt ändern." Sie suchte
händeringend nach einer Lösung, doch Paul setzte dem ein Ende: "Das
alles habe ich mir doch auch schon überlegt. Es gäbe mindestens hundert
Möglichkeiten, mit Bonnie zusammen zu sein."
"Aber die setzen alle voraus, dass sie das auch will. Und das tut sie nicht.
Erst hatte ich gehofft, dass es nur sagt, weil ihre Mutter sie unter Druck
setzt. Ich wollte ein bisschen Gras über die Sache wachsen lassen und
habe sie in Ruhe gelassen. Ganz von ihr weg bleiben konnte ich aber nicht
und so habe ich sie manchmal aus der Ferne beobachtet. Also jetzt nicht
gestalked oder so, aber eben im Blick behalten."
"Ich wollte einfach wissen, wie es ihr geht. Nicht mehr. Und ... weißt Du,
wenn sie gut ausgesehen hätte und glücklich gewirkt hätte ... ich glaube,
dann hätte ich sie aufgegeben. Dann hätte ich gedacht, es wäre so besser
für sie und das ihre Mutter recht gehabt hätte."
Im Hinblick auf die Ereignisse vermutete Larissa richtig: "Aber so war es
nicht, oder? Es ging Bonnie nicht ... gut?" Er sah sie traurig an: "Nein. Sie
sah schrecklich niedergeschlagen aus und war auch kaum noch draußen,
glaube ich. Hat sich richtig verkrochen. Irgendwann hatte ich mir einfach
zu große Sorgen um sie gemacht und da wollte ich sie auf dem Weg zur
Schule ansprechen."
Er kam ins Stottern: "Und da ... ich bin also auf sie zu, und sie ... sie hat
sich so erschrocken ... sie ist fast ... hat sich einfach umgedreht, und ist
weg. Ohne ein Wort. Einfach ... weg. Ich konnte ihr nicht mal "hallo" sagen.
Nichts!" Mehr als ein verstörtes "Oh" brachte Larissa nicht zu Stande, doch
er schien es kaum wahrzunehmen.
Überhaupt sah es eher danach aus, als spräche er zu sich selbst: "Ich habe
alles nur noch viel schlimmer gemacht, Larissa. Ich weiß nicht ... aber ich
glaube, es war das dümmste, was ich machen konnte. Am nächsten Tag
lag wieder ein Brief vor meiner Tür. Und der war noch schlimmer. Sie
schrieb, dass sie nicht mehr weiter wüsste und dass sie es nicht ertragen
würde, dass ich ihr so nah sei."
"Ich wusste nicht, was ich machen sollte, Larissa. Ich habe mich dann mit
Ivy getroffen und habe ihr alles erzählt. Ich meine, sie ist doch ihre beste
Freundin, egal, was ich von ihr halte ... und da dachte ich, vielleicht kann
sie ihr was von mir ausrichten, oder so. Irgendwas, verstehst Du?"
"Und sie versprach auch tatsächlich, zu helfen. Wir verabredeten uns für
den nächsten Tag und da wollte sie dann erzählen, was Bonnie gesagt
hätte." Für den Bruchteil einer Sekunde keimte in Larissa Hoffnung auf,
doch Paul schüttelte nur müde den Kopf: "Nein. Es hat nichts gebracht. Sie
sagte mir, dass Bonnie überhaupt nichts von mir hören wollte und machte
mir auch keine Hoffnungen, dass sich daran was ändern würde."
Larissa ließ traurig die Schultern hängen und ihr wollten beim besten
Willen auch keine tröstenden Worte einfallen, als Paul nun leise sagte:
"Das war vor einer Woche. Ich habe seitdem nichts mehr von ihr gehört,
oder gesehen. Bis ich heute in der Zeitung diesen Bericht gefunden habe.
Larissa es tut mir leid, dass ich mich vorhin so ..."
Larissa unterbrach ihn abrupt: "In der Zeitung? Der Krankenhausbericht lag
in der Zeitung?" Paul nickte verwundert: "Ja. Warum? Was spielt denn das
jetzt für eine Rolle?" Sie richtete sich auf: "Eben. Warum? Wundert Dich das
nicht? Wenn der von Bonnie kommen würde, hätte sie ihn doch, genau wie
die Briefe, einfach in einen Umschlag getan, oder?"
"Ich glaube nicht, dass Bonnie Dir den Bericht geschickt hat! Erstens frage
ich mich, wie sie da ran gekommen sein soll, wo sie doch bestimmt noch
im Krankenhaus liegen wird. Und dann ... warum sollte sie ihn Dir
überhaupt schicken? In ihren Briefen bittet sie Dich, sie in Ruhe zu lassen
... und dann soll sie Interesse daran haben, dass Du von ihrem
Selbstmordversuch Wind bekommst? Das macht doch alles keinen Sinn!"
Larissa redete sich immer mehr in Rage: "Und überhaupt! Was sind das für
Briefe? Hast Du die noch? Das passt doch alles nicht zusammen, Paul.
Denn dafür, dass sie ihre Ruhe haben wollte und nichts mehr mit Dir zu
tun haben wollte, wusste sie anscheinend aber immer recht gut über Dich
Bescheid." Paul wurde stutzig: "Wie meinst Du das?"
"Ich meine", fuhr Larissa aufgeregt fort, "dass ich, wenn ich den Typen nie
wieder sehen will und er mich nicht mehr interessiert ... den zweiten Brief
erstens gar nicht geschrieben hätte, und zweitens auch nicht gewusst
hätte, dass der Typ inzwischen woanders wohnt. Oder glaubst Du allen
Ernstes, Dad hätte ihn herüber gebracht? Wohl kaum."
Es rumorte in Paul und er schien zwischen seiner leisen Hoffnung, den
vorliegenden Tatsachen und Larissas Vermutungen abwägen zu wollen.
Doch der Zweifel siegte: "Aber das kann ihr doch irgendwer verklickert
haben, auch ohne, dass sie es hören wollte. Und selbst, wenn Du Recht
hast ... womit auch immer. Es wäre doch völlig absurd."
"Du glaubst, die Briefe seien gar nicht von Bonnie? Warum denn nicht? Sie
will mich einfach nicht mehr und es bringt nichts, mir da jetzt
irgendwelche falschen Hoffnungen zu machen. Ich muss irgendwie damit
klar kommen. Ich hatte sie nicht verdient und inzwischen glaube ich sogar,
dass ihre Mutter Recht hatte. Ich bin einfach nicht gut für sie."
Larissa wehrte sich gegen die Endgültigkeit seiner Worte: "Jetzt hör´ doch
mal ...", doch Paul blieb dabei: "Nein. Nein, Larissa ... es ist so. Wie kann
denn jemand, der einen anderen in den Selbstmord treibt, gut für ihn
sein? Bis heute Mittag habe ich noch gedacht, ich biege das wieder hin
und es würde sich noch ein Weg finden. Aber jetzt? Nein."
"Nein, es hat keinen Zweck. Ich werde ihr nie wieder zu nahe kommen,
denn ich stürze sie ins Unglück, Larissa. Ich habe keine Ahnung, wer mir
diese Botschaft übermittelt hat und es ist mir auch egal. Es ist eine
Warnung und erkenne sie an. Vielleicht kommt es von ihrer Mutter und sie
will mir so zeigen, wie übel ich Bonnie mitgespielt habe ... wer weiß.
Wichtig ist nur, dass ich es begriffen habe. Und glaube mir, dass habe ich."
Er stand müde auf und wollte gehen, doch Larissa konnte es nicht einfach
so auf sich beruhen lassen. Alles in ihr kämpfte und sie erhob sich
ruckartig: "Warte. Warte doch. So kann es doch nicht enden, Paul. Wir
müssen doch überlegen, was Du machen kannst. Du musst mit ihr reden!
Du musst ..." Paul unterbrach sie kopfschüttelnd:
"Was? Was soll ich denn tun, he? Gar nichts kann ich machen. Gar nichts!
Larissa, ich kann einfach nicht. Und ... ich sollte es auch nicht mehr
versuchen. Ich ... ich will, dass sie glücklich ist, Larissa. Und das ist das
einzige, was ich nicht zu Stande bringe." Für ihn schien das Thema damit
erledigt zu sein und er drehte sich nun endgültig um und ging in die
Garage.
Larissa jedoch war völlig aufgewühlt und atmete schwer. Unruhig setzte
sie sich, und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Immer wieder stolperte sie
dabei über ein paar Details, die ihr nicht schlüssig waren. Sie nahm sich
den Krankenhausbericht noch einmal vor und setzte sich dazu an ihren
Computer.
Die meisten Fachbegriffe musste sie nachschlagen und es war nicht nur
mühselig, sondern auch freudlos, sich den gesamten Inhalt des Berichtes
zu erschließen. Und am Ende stolperte sie über einen Begriff, den sowohl
sie, als ganz offensichtlich auch ihr Bruder, vorher nicht beachtet hatten.