KAPITEL 3
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Mein Körper steuerte auf die unbekannte Frau zu. Er hatte sich anscheinend etwas von dieser Begegnung erhofft.
„Eh…Hallo.“
„ Du kannst mich sehen ?“
Die Frau erschrak in dem Moment sichtlich. Wieso sollte ich sie nicht sehen ?
„ Wieso sollte ich dich nicht sehen ?
Neugier stellt immer Fragen die direkt sind. Und da hat sie recht. Warum gross darum herumreden.
„ Aber … das kann doch nicht sein !“
„ Wieso denn nicht ? Eigentlich hätte ich dich gar nicht bemerkt hätte mich ein Mädchen nicht hergeführt … „
Wenn ich jetzt darüber nachdenke konnte ich von Anfang an mit ihr ganz normal reden. Mit anderen viel es mir so viele Male schwerer. Ich fing an zu stottern oder brachte gar keine Worte raus. Und wenn es ganz schlimm wurde versteckte ich mich hinter einen Buch. Aber … hier war kein Buch und die Frau kannte ich nicht. Es war ein Wunder.
Mit einem Schwung drehte ich mich um und wollte das Mädchen zeigen.
„ Huch ? Wo ist sie denn ?“
„ Ein Mädchen ? Hier war niemals jemand ausser dir.“
„Aber !“
Schwups. Ich drehte mich zur anderen Seite. Sie musste doch irgendwo sein ! Auch wenn sie mir vorher immer davon lief ! Keiner konnte einfach spurlos verschwinden !
„ Sie muss hier irgendwo sein ! “
„ Hör mal …“
„Aber…“
Weil das alles so unmöglich war begann ich, wie ein Buch, nach einer Erklärung zu suchen. Nach einem Ende. Nicht nach einem abruptem Ende. Sowas gab es in keinem Buch.
„Sie muss hier irgendwo sein ! Sie hatte weisses langes Haar. Angezogen hatte sie einen grauen Mantel ungefähr bis zu den Knien. Es war ihr Verdienst das ich hier bin ! Was das komische dran war … sie schien mir immer davon zu hüpfen ! Mal war sie da und mal dort ! Ich fand das ganz seltsam aber mein Körper ist ihr einfach gefolgt …“
„ Na mal ganz ruhig.“
„Du hast recht ! Ich meine … ja...“
Sie schien einen Moment lang weggetreten bis auf ihrem Gesicht die Trauer heimgekehrt war. Was sie sich überlegt hatte war mir noch unklar aber ich wusste eines. Es war nicht gut. Um die Stimmung aufzuheitern begann ich ganz banal. Mit meinem Namen der vorher unter gegangen war.
„Eh, ich heisse Moe.“
„ Ich heisse Winter.“
„Winter ?“
„Ehm, nenn mich lieber Silvia.“
„Oook..“
Uns umhüllte eine beunruhigende Stille. Es füllte sich an wie die Stille vor dem Sturm. Vielleicht nicht ganz zu unrecht. Was ich gleich erfahren sollte war nämlich alles andere als beruhigend. Aber komischer weise … sollte es mir keine Angst machen …
„ Weisst du Moe … ich muss dir eine etwas längere Geschichte erzählen.“
„Eine Geschichte ?“
„Ja. Dieses Grab hier ist das Grab meiner Tochter Anna.“
Ich schielte kurz zum Grab um dann erschrocken wieder Silvia anzusehen.
„Sie starb mit 10 Jahren an Herversagen. Und deine Beschreibung des Mädchens das dich hergeführt hat … obwohl sie nur knapp ist … sie trifft auf meine Tochter zu. An ihrem letzten Tag spielten wir hier im Winter Schneeballschlacht. Sie hatte ihren Lieblings Mantel an. Einen grauen der bis zu den Knien ging … Nach ihrem Tod konnte ich den Schmerz nicht ertragen und habe mich umgebracht … „
„Umgebracht ?“
Das konnte unmöglich sein. Sie stand doch vor mir !
„Ja, in Wirklichkeit bin ich nämlich ein Geist. Ich bin tot.“
„Oh mein Gott.“
„Weil ich mich, nach meinem Tod, nicht entscheiden konnte wo ich hin möchte … in den Himmel oder zurück auf die Erde … hatte mich Gott irgendwo dazwischen Platz nehmen lassen. Er gab mir die Aufgabe als „der Winter“ zu leben und für die Menschen zu schneien. Das heisst wohl … irgendwie bin ich tot aber auch irgendwo nicht. Und sehen können mich eigentlich keine Menschen … der Ort hier ist auch schon längst vergessen … „
„ Du bist der Winter ? Ist ja unglaublich. Das kann man nach dem Tod werden wenn man sich nicht entscheiden kann ?
Niemals vorher hätte ich über den Tod geredet. Ich war der festen Überzeugung nach dem Tod gab es nichts mehr. Aber wenn ich mit Silvia redete war ich mir unsicher. Ich wollte eine andere Sicht kennenlernen. Es war, als wären Wunder gar nicht so selten.
„Ja, ich wusste vorher auch nichts davon. Aber wenn man stirbt erfährt man es.“
Sie zeigte mit den Finger auf einen alten Baum.
„Ich bin eigentlich wie dieser Baum. Ich bin da aber irgendwo auch nicht. Ich bin Tod aber ich stehe noch. Wenn ich sowas jemanden erzähle, würde er normalerweise lachen. Aber du nicht. Du bist anders.“
„Da hast du wohl Recht …“
Ich war wirklich ganz anders. So kannte ich mich gar nicht. Gesprächig, auf ein Gespräch konzentriert, naiv weil er alles glaubt und nichts hinterfragte und geduldig. Aber … ich war nicht unglücklich damit.
„ Schnee, Schnee, komm herab. Zeig ihm meine Macht.“
Und dann passierte das Unglaubliche. Obwohl einen kurzen Moment vorher noch schönes Wetter war .. war es nun richtiges Winterwetter … mit Schnee !
Weder Silvia noch ich redeten in diesem Moment. Es war so wundervoll und unglaublich zu gleich das es keine Realität sein konnte. Und doch, es war kein Buch.
Ob ich in dem Moment richtig reagierte hatte mir Silvia zwar nie gesagt aber ich denke besser konnte man nicht reagieren.
„Jaaa ! Ich finde das verrückt aber es ist Wahnsinn ! Ich liebe dich Schnee ! Dir verdanke ich eine bessere Geschichte als ich in einem Buch hätte lesen können ! Wuhuuu !“
In dem Moment musste Silvia lachen.
„Das macht mich aber froh ! Du bist der erste der sagt das ihm der Schnee gefällt.“
„Er ist wunderbar ! Du bist einfach toll !“
Es schien alles im Hintergrund zu sein. Das sie und ihre Tochter tot waren, wieso ich hier war, das wir neben einem Grab lachten, das wir Wunder vollbrachten oder das wir einfach unsere Zeit miteinander teilten.
Diesmal war nichtmehr mein Körper am Werk. Ich habe endlich selbständig gehandelt. Es war eine Premiere.
Mit einer schnellen Bewegung schnappte ich mir Silvias Hand und sagte Worte, die niemand von uns je vergessen wird.
„ Wollen wir nicht Freunde werden ?
„ Aber gern doch !“
Nachdem es später Nachmittag wurde verabschiedete ich mich von Silvia. Natürlich würde ich Morgen früh sofort wieder hier auftauchen. Wieder bei ihr sein.
„Und komm mich morgen ja wieder besuchen !"
„ Klar doch !“
Es war eines der letzten Wunder die in dieser Beziehung passieren sollten. Aber weder damals noch heute werde ich darüber meckern das die Zeit zu kurz war. Ich bin einfach nur dankbar. Plötzlich konnte ich alle meine Bücher links liegen lassen … und es störte mich nicht, ich war immer draussen bei ihr, nie mehr eingesperrt in meinem Haus und ich hatte endlich Gefühle kennengelernt die man aus Büchern niemals lernen könnte.
Die Tage nach unserer Begegnung waren einmalig.
Wir hatten Spass miteinander.
Wir gaben uns Unterstützung wenn es nötig war.
Wir konnten auch einfach nur still sein.
Aber eines stand fest. Wir kamen uns immer näher. Und keiner von uns wollte dieses Band brechen. Nur das Schicksal selbst sollte entscheiden wo es aufhören musste. Diese Nähe die wir zueinander aufgebaut hatten … würde dennoch niemals brechen … weil unsere Herzen es nie zulassen würden.