Blue_Neptun
Member
Huhu liebe Leser. 
Ich wünsche euch viiiiel Spass beim Lesen des neuen Kapitels
---

2.05 Rückkehr
Es heisst, wenn man 18 Jahre alt wird, dass dies einer der wichtigsten Schritte im Leben sei, um richtig lebendig zu werden. Endlich frei, frei von elterlichen Zwängen. Ich allerdings erkannte darin nur, dass alles vorbei war. Egal was man tat, man kann es nicht ungeschehen machen. Es gibt Dinge, die kann man nicht ändern, auch wenn man es wollte. Verschüttetes Wasser kann man nicht zurückschütten, und wenn dann etwas geschehen ist, muss man damit leben können…
„Guten Morgen, Kleine“, begrüsste mich Robin.
„Hi“, grüsste ich ihn zurück.
„Willst du etwas bestellen, Kleine?“, fragte mich Robin höflich.
„Du musst das nicht tun, Robin“, erwiderte ich.
„Was meinst du?“, fragte er mich.
„Weisst du, ich bin dir echt dankbar, dass du für mich da bist. Aber ich komme schon klar. Du musst mein Essen nicht bezahlen“, antwortete ich.
„Ich würde es aber gerne tun, Kleine“, erwiderte er höflich und mit einem Lächeln.
„Okay“, willigte ich flüsternd ein.
„Trischa? Bringen Sie doch bitte frische Waffeln für meine Freundin hier“, rief Robin der Kellnerin zu.

„Danke“, bedankte ich mich bei ihm.
„Gern“, erwiderte er.
Bis die Waffel kam, sagten wir nichts mehr. Als ich sie dann aber bekam, fragte mich Robin: „Hast du sie eigentlich schon gefunden?“
„Wen?“, wollte ich wissen.
„Deine verlorene Seele oder wie du sie nennst“, erklärte er mir.
„Nein“, erwiderte ich leise.
„Du solltest dich echt ranhalten, Kleine. Es ist jetzt schon fast drei Wochen her. Je länger du wartest, desto schlimmer ist es für sie“, erklärte er mir.
„Was passiert mit ihr?“, wollte ich wissen.
„Ihr ganzes Leben wird noch einmal in Gedanken an ihr vorbeiziehen. Allerdings nur all das Schlechte, was sie erlebt hat. Dieses Schlechte wird bei ihr aber so dargestellt, dass sie in schreckliche Angstzustände verfällt“, klärte mich Robin auf.
Ich starrte ihn einige Zeit an, sagte nichts und ass dann meine Waffel weiter.
Dann fragte ich ihn: „Woher weisst du das?“
„Ich habe es bei jemandem gesehen, der auch eine Seele nicht in ihre Lichter geleitet hatte“, erwiderte er.
Ich nickte und sagte dazu aber nichts mehr.
„Ich gehe jetzt“, sagte ich Robin, als ich die Waffel aufgegessen hatte.
„Okay“, erwiderte er kurz.
„Bekomme ich mein Kärtchen?“, fragte ich.
„Klar. Hier bitte.“ Robin gab mir mein weisses Kärtchen. Ich verabschiedete mich und machte mich auf den Weg zu meinem Auftrag.

„Wo findet unser Auftrag genau statt?“, wollte Carmen wissen.
„In einem Bürogebäude“, erwiderte Ramon.
„Oh, okay. Ich bin gespannt, was passiert“, antwortete Carmen.
„Jemand stirbt, Blondie. Das solltest du wissen“, sagte Kelly mürrisch.
„Seht ihr den Kerl da drüben, wie er die Leute anspricht? Jede Wette, er verlangt Geld von ihnen“, sagte Ramon.
„Das ist ein Todesklärer“, antwortete Kelly.

„Was? Nein. Der bestimmt nicht“, erwiderte Carmen darauf. „An welcher Strasse ist das Bürogebäude? Meine Füsse tun mir weh“, fragte sie weiter.
„Du armes Ding. Ich gehe den ganzen Tag in Uniform in der Stadt umher und jammere nicht“, sagte Kelly bockig.
„Noch drei Strassen und wir sind da, meine Liebste“, antwortete Ramon schleimig.
„Oh, buenos dias, Senoras. Möchten Sie eine Rose kaufen?“, fragte plötzlich eine Rosenverkäuferin, die auf der Strasse ihr Geschäft tätigte. Ramon, Carmen und Kelly gingen ohne zu antworten weiter.
„Die ist Todesklärerin“, sagte Kelly mürrisch.
„Mein Gott, Kelly. Nicht jeder hier ist ein Todesklärer und tot“, zickte Carmen sie an.
„Na ja, da geb ich Kelly mal recht. Bei ihr könnte es stimmen“, gab Ramon Kelly recht.
Carmen verdrehte die Augen.

Kennt ihr solche Leute, die sagen, dass es das Schicksal nicht gäbe?
Echt mal, was für ein Schwachsinn!
Klar gibt es das Schicksal. Was ist mit all den Liebesgeschichten, bei denen sich die Partner nur durch Zufall kennengelernt haben?
Ihr meint, das sei Zufall und nicht Schicksal? Ganz einfach, Leute. Zufall IST Schicksal.
Schicksal hat verschiedene Gesichter. Manchmal lässt es auf sich warten, manchmal knallt es direkt, in Form eines Autos, auf einen herein. Und manchmal hört es gar nicht auf, schlecht zu sein…
„So eine Scheίsse! Wo soll ich diese Seele finden? Ich weiss noch nicht mal, wer sie ist“, motzte ich rum, als ich durch die Strassen, auf dem Weg zu meinem Fall, war.
Ein Mann, der mir entgegen kam, hörte mein Gemotze, und sah mich schief an.
„Was is‘?“, fuhr ich ihn an.
Er schüttelte nur den Kopf und ging an mir vorbei.

Ein paar Schritte weiter lag eine Dose auf dem Boden. Voller Wut holte ich aus und kickte mit meinem Fuss fest dagegen. Während ich das tat, rief ich laut: „Scheίsse, Scheίsse, Scheίsse!“
Ich sah der Dose zu, wie sie durch die Luft flog und am Boden, mit einer Delle, wieder aufprallte. In etwa so musste ich wahrscheinlich damals durch die Luft geflogen sein.
Ich war kurz vor einer Kreuzung. Wer von rechts kam, sah ich nicht, denn eine Hecke verdeckte mir die Sicht.

Ich ging mit schnellen Schritten in die Kreuzung. Plötzlich rammte mich etwas von rechts und ich fiel seitwärts zu Boden.
„Sag mal, kannst du nicht aufpassen, du Sche…“, fing ich an zu fluchen.
„Es tut mir leid. Hast du dich verletzt?“, erwiderte eine wunderschöne, mir bekannte Stimme.
„…ei“, meine Stimme erstarrte. Das erste Mal seit meinem Tod stand ich ihm, dem bestaussehenden Jungen, Auge in Auge, gegenüber. Es war Sascha, mein Schwarm.
„Es tut mir wirklich leid. Diese blöde Kreuzung, ich habe dich nicht kommen sehen“, entschuldigte er sich weiter.
„Ich… ich… ich…“, stammelte ich.
„Hey? Alles okay?“, fragte er besorgt.
Endlich schaffte ich es, einen Satz zu äussern: „Ja, alles okay.“

„Es tut mir wirklich leid“, entschuldigte er sich wieder.
„Schon okay. Das ist wirklich in Ordnung“, erwiderte ich.
„Wie heisst du?“, fragte er mich. Mein Puls sprang in die Höhe. Er fragte nach meinem Namen. Ich war einerseits enttäuscht, weil er mich nicht erkannte, andererseits aber total glücklich, dass er mit mir redete.
„Ich bin…“, ich zögerte einen Augenblick, „Riley.“
„Okay. Ich bin Sascha“, antwortete er und wollte noch etwas hinzufügen. Ich war aber schneller und sagte: „Du hast da etwas verloren.“
Mein Blick fiel auf seinen Schlüssel, welcher durch den Aufprall zu Boden gefallen war.
Ich hob ihn auf und musterte seinen Schlüsselanhänger. Ich betrachtete ihn genauer und fühlte mich dann wie gelähmt und vom Blitz getroffen.
Der Schlüsselanhänger war ein rotes Herz, welches in der Mitte ausgehöhlt war, um ein Foto hinein zu setzen. Es war auch ein Foto drin. Ein Foto von meiner Schwester, von Emily.
Zur gleichen Zeit, als ich den Anhänger betrachtete, fragte Sascha mich: „Kann ich dich auf einen Kaffee einladen? Mir ist die Sache wirklich unangenehm.“
Ich sah ihm in die Augen, nahm seine Hand und legte den Schlüssel hinein.
„Das ist keine gute Idee, Sascha“, sagte ich schweren Herzens.
Jetzt sah er mich an. Fragend und wie als wäre ihm ein Geist begegnet.
„Deine Stimme. Deine Hand…“, erwiderte er.
„Es tut mir leid“, sagte ich leise, liess seine Hand los und rannte davon.
Sascha sah mir fragend und kritisch hinterher.

„Wir stehen hier jetzt schon seit fünf Minuten. Meine Füsse tun weh!“, jammerte Carmen.
„Wenn wir zurück sind, massiere ich sie dir“, erwiderte Ramon mit einem grossen Grinsen auf dem Gesicht.
„Kannst du so was?“, fragte sie kichernd nach.
„Klar doch! Ich bin ein Profi darin“, antwortete er sehr stark von sich selbst überzeugt.

„Okay, Leute, passt auf. Seht ihr den Mann mit dem Koffer? Das ist mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Schütze. Also, hier wird gleich ein Amoklauf stattfinden“, erklärte Kelly.
„Oh nein, das ist ja fies“, erwiderte Ramon.
Der mutmassliche Amokschütze ging an den dreien vorbei ins Gebäude hinein.
„Wie viele Leute sterben?“, fragte Kelly nach.
„Acht. Ich habe drei weisse Kärtchen, Carmen zwei und du hast auch drei“, antwortete Ramon.
Alle drei standen vor dem Gebäude. Niemand sagte ein Wort. Plötzlich hörte man Schüsse. „PENG“, machte es. Fünf Mal hintereinander.
„Okay, dann geh ich mal rein und suche meine Toten zusammen“, sagte Ramon munter und wollte das Gebäude betreten. Kelly hielt ihn zurück und sagte trocken: „Noch nicht.“
„PENG“, machte es zwei weitere Male.
„Und jetzt?“, fragte er.
Kelly schüttelte den Kopf.
Wieder hörte man: „PENG.“
„So, das war der Amokläufer. Jetzt kannst du rein“, sagte sie irgendwie zufrieden und liess Ramon los.

Damals, als ich in der siebten Klasse war, mussten wir Hamlet lesen. Der Typ kann keine Entscheidungen treffen und alle sterben.
Ich BIN Hamlet und alle sterben. Denn mein nächster Fall führte mich in eine Autowerkstatt. Drei Arbeiter waren damit beschäftigt, einen alten Wagen wieder herzurichten. Sie starteten den Motor der alten Benzinmühle und merkten nicht, dass sie weder Fenster noch Türen offen hatten.
Es dauerte nicht lange und das Kohlendioxid liess die drei Männer qualvoll ersticken.
Ich führte sie in ihre Lichter und ging, so schnell ich konnte, nach Hause.
Als ich zu Hause ankam, lehnte ich mich erst einmal gegen die Tür und atmete tief ein.
Mir ging dieses blöde Herz von Sascha mit meiner Schwester darauf nicht aus dem Kopf.
Eigentlich ging mir gar nichts aus dem Kopf. Ich war tot, wusste nicht, wer mein Mörder ist, vermisste eine Seele und wurde zudem noch von meinem Schwarm verletzt.
Voller Verzweiflung ging ich zum Fenster und starrte hinaus. Langsam kullerte eine Träne mein Gesicht herunter.
Ich konnte nicht mehr. Ich musste weinen. Ich wusste einfach nicht, wohin mit all meiner Enttäuschung.

„Ich kann nicht mehr“, rief ich mir selbst leise zu.
„Ich kann einfach nicht mehr“, wiederholte ich und schlug mit der Handfläche leicht gegen das Fenster.
„Bleib stark, Süsse“, ermutigte mich plötzlich eine sanfte Stimme von hinten.
Ich kannte die Stimme. Ich hörte für einen kurzen Moment auf zu atmen, drehte mich langsam um und konnte gar nicht anders vor Freude.

„CHRIS!“, schrie ich voller Begeisterung und fiel ihr sofort in die Arme.
„Komm her, meine Süsse“, sagte sie ruhig und drückte mich.
Ich war so froh, dass sie da war.

Ich liess Chris los und fragte sie mit einem Lächeln: „Was machst du hier? Du hast doch deine Lichter betreten.“
„Ich kann dich doch in dieser schweren Zeit nicht alleine lassen“, antwortete sie mir mit einer beruhigenden Stimme.
„Ich… Ich bin ja so froh, dass du da bist“, erwiderte ich.
„Warum weinst du?“, wollte sie von mir wissen.
„Es ist alles so viel im Moment. Sascha ist vermutlich mit Emily zusammen“, antwortete ich traurig.
„Oh, das tut mir leid“, versuchte sie mich aufzumuntern.
„Danke“, erwiderte ich.
„Ist es nur das?“, fragte sie weiter.
„Ich… ich habe eine Seele verloren“, gestand ich. „Ich weiss nicht, wo ich sie finden kann.“
„Vielleicht kann ich dir helfen, Süsse“, antwortete Chris.

„Du weisst doch gar nicht, wer sie ist“, erwiderte ich kritisch.
„Weisst du es denn?“, fragte sie mich. Ich sagte nichts. Chris aber nahm mich an der Hand und sagte: „Komm mit.“
Chris führte mich in einen kleinen Park, der zirka 20 Minuten von zu Hause entfernt war. Ich hatte damals als Kind immer in diesem Park gespielt.
Als wir ankamen, sah ich ein Mädchen, etwa in meinem Alter, am Boden liegen.
„Ist sie das?“, fragte ich Chris.
„Geh hin“, antwortete sie kurz und mit einem Lächeln.

„Woher wusstest du, dass sie hier ist?“, wollte ich wissen. Chris hob bloss die Schulter und lächelte mir zu.
Ich wollte zu dem Mädchen hingehen, machte einen Schritt von Chris weg, drehte mich dann aber wieder um.
„Chris? Wie ist es in den Lichtern?“, wollte ich wissen.
Chris lächelte und antwortete mit einer ruhigen Stimme: „Es liegt ausserhalb der menschlichen Vorstellungskraft, Süsse. Es ist eine Welt, in der alles so ist, wie du es dir in deinem tiefsten Inneren erträumst.“
Ich antwortete nicht. Ich liess diese Aussage über mich ergehen. Dann drehte ich mich wieder um und rannte sofort zu dem Mädchen.
Ich beugte mich über sie und sprach sie an: „Hallo? Hey, alles klar?“
Das Mädchen erschrak, sah mich mit ihren tiefleeren Augen an. Eine Mimik voller Angst war auf ihrem Gesicht zu sehen. Ich half dem Mädchen auf die Beine. Dann drehte ich mich zu Chris um und rief ihr: „Danke.“ Ich lächelte dabei.
Chris sah mich an und rief zurück: „Denk daran, Süsse. Du bist stark und niemals alleine. Ich hab dich lieb, vergiss das niemals.“

Ich lächelte sie noch einmal an, drehte mich dann aber zu dem Mädchen zurück.
Ein blauer Strahl leuchtete von hinten auf. Ich drehte mich erschrocken um und sah an die Stelle, an der Chris gestanden hatte. Sie war weg.
Für ein paar Sekunden versank ich in meinen Gedanken. Ich dachte an Chris und an das, was sie gesagt hatte. Dann kam ich wieder zu mir und wandte mich dem Mädchen zu.
Ich wollte sie in ihre Lichter führen, doch als ich sie genauer ansah, erschrak ich und fragte: „Anja?“
Das Mädchen sagte nichts. Sie horchte bloss auf und starrte mich an.
„Oh, Scheίsse, Anja. Es tut mir leid“, entschuldigte ich mich bei ihr.
Anja war die Tochter der Schwester meiner Mutter. Kurz gesagt, meine Cousine. Meine Lieblingscousine. Wir hatten als kleine Kinder immer zusammen im Sandkasten gespielt. Wir hatten alles zusammen gemacht. Sie war immer für mich da gewesen, auch als wir älter wurden. Und was mache ich? Ich hatte sie leiden gelassen. Alles Leid, was ihr in ihrem Leben zugestossen war, passierte ihr nochmals in Gedanken. Nur viel schlimmer und viel qualvoller.
Schweren Herzens und mit grossen Schuldgefühlen führte ich sie in ihre letzten Lichter.

Nach alldem beschloss ich, zu Robin ins Lokal zu gehen.
Als ich ankam, sah ich Robin, wie er seinen Kaffee schlürfte. Ich setzte mich zu ihm, sagte aber nichts.
Er lächelte mich an und nickte. Ich wusste nicht, was er damit sagen wollte. Ich fasste es als Begrüssung auf.

Nach einiger Zeit sagte ich leise: „Sie war wieder da. Ich hab sie gesehen.“
„Deine verlorene Seele?“, fragte er mich ruhig.
„Nein.“, antwortete ich. Ich schwieg einige Zeit und sagte dann: „Ich habe Chris wiedergesehen“
„Wie geht es dir jetzt?“, erkundigte sich Robin.
„Gut“, antwortete ich kurz, nickend und flüsternd.
„Das ist freut mich, Kleine. Tu mir den Gefallen und bestell dir einen Nusskuchen, okay?“, erwiderte er.
„Du musst das nicht machen, Robin. Das weisst du doch“, sagte ich ihm.
Robin lächelte mich an. Schob einen Fünferschein über den Tisch, stand auf, klopfte mir beim Vorbeigehen einmal auf die Schulter und verschwand.

An jenem Abend stand ich noch spät nachts auf meinem Balkon. Ich dachte an Chris. Ich wusste, dass sie an mich denken würde und, dass sie irgendwo hier war. Sie war zurückgekehrt. Zurück in mein Herz, und das kann bei einem Menschen nur ein wahrer Freund...
---
So, ich hoffe es hat euch gefallen
Über Kommis und Äusserungen würde ich mich natürlich freuen.
Bis dahin

Titel des nächsten Kapitels: 2.06 Alte Wunden

Ich wünsche euch viiiiel Spass beim Lesen des neuen Kapitels

---

2.05 Rückkehr
Es heisst, wenn man 18 Jahre alt wird, dass dies einer der wichtigsten Schritte im Leben sei, um richtig lebendig zu werden. Endlich frei, frei von elterlichen Zwängen. Ich allerdings erkannte darin nur, dass alles vorbei war. Egal was man tat, man kann es nicht ungeschehen machen. Es gibt Dinge, die kann man nicht ändern, auch wenn man es wollte. Verschüttetes Wasser kann man nicht zurückschütten, und wenn dann etwas geschehen ist, muss man damit leben können…
„Guten Morgen, Kleine“, begrüsste mich Robin.
„Hi“, grüsste ich ihn zurück.
„Willst du etwas bestellen, Kleine?“, fragte mich Robin höflich.
„Du musst das nicht tun, Robin“, erwiderte ich.
„Was meinst du?“, fragte er mich.
„Weisst du, ich bin dir echt dankbar, dass du für mich da bist. Aber ich komme schon klar. Du musst mein Essen nicht bezahlen“, antwortete ich.
„Ich würde es aber gerne tun, Kleine“, erwiderte er höflich und mit einem Lächeln.
„Okay“, willigte ich flüsternd ein.
„Trischa? Bringen Sie doch bitte frische Waffeln für meine Freundin hier“, rief Robin der Kellnerin zu.

„Danke“, bedankte ich mich bei ihm.
„Gern“, erwiderte er.
Bis die Waffel kam, sagten wir nichts mehr. Als ich sie dann aber bekam, fragte mich Robin: „Hast du sie eigentlich schon gefunden?“
„Wen?“, wollte ich wissen.
„Deine verlorene Seele oder wie du sie nennst“, erklärte er mir.
„Nein“, erwiderte ich leise.
„Du solltest dich echt ranhalten, Kleine. Es ist jetzt schon fast drei Wochen her. Je länger du wartest, desto schlimmer ist es für sie“, erklärte er mir.
„Was passiert mit ihr?“, wollte ich wissen.
„Ihr ganzes Leben wird noch einmal in Gedanken an ihr vorbeiziehen. Allerdings nur all das Schlechte, was sie erlebt hat. Dieses Schlechte wird bei ihr aber so dargestellt, dass sie in schreckliche Angstzustände verfällt“, klärte mich Robin auf.
Ich starrte ihn einige Zeit an, sagte nichts und ass dann meine Waffel weiter.
Dann fragte ich ihn: „Woher weisst du das?“
„Ich habe es bei jemandem gesehen, der auch eine Seele nicht in ihre Lichter geleitet hatte“, erwiderte er.
Ich nickte und sagte dazu aber nichts mehr.
„Ich gehe jetzt“, sagte ich Robin, als ich die Waffel aufgegessen hatte.
„Okay“, erwiderte er kurz.
„Bekomme ich mein Kärtchen?“, fragte ich.
„Klar. Hier bitte.“ Robin gab mir mein weisses Kärtchen. Ich verabschiedete mich und machte mich auf den Weg zu meinem Auftrag.

„Wo findet unser Auftrag genau statt?“, wollte Carmen wissen.
„In einem Bürogebäude“, erwiderte Ramon.
„Oh, okay. Ich bin gespannt, was passiert“, antwortete Carmen.
„Jemand stirbt, Blondie. Das solltest du wissen“, sagte Kelly mürrisch.
„Seht ihr den Kerl da drüben, wie er die Leute anspricht? Jede Wette, er verlangt Geld von ihnen“, sagte Ramon.
„Das ist ein Todesklärer“, antwortete Kelly.

„Was? Nein. Der bestimmt nicht“, erwiderte Carmen darauf. „An welcher Strasse ist das Bürogebäude? Meine Füsse tun mir weh“, fragte sie weiter.
„Du armes Ding. Ich gehe den ganzen Tag in Uniform in der Stadt umher und jammere nicht“, sagte Kelly bockig.
„Noch drei Strassen und wir sind da, meine Liebste“, antwortete Ramon schleimig.
„Oh, buenos dias, Senoras. Möchten Sie eine Rose kaufen?“, fragte plötzlich eine Rosenverkäuferin, die auf der Strasse ihr Geschäft tätigte. Ramon, Carmen und Kelly gingen ohne zu antworten weiter.
„Die ist Todesklärerin“, sagte Kelly mürrisch.
„Mein Gott, Kelly. Nicht jeder hier ist ein Todesklärer und tot“, zickte Carmen sie an.
„Na ja, da geb ich Kelly mal recht. Bei ihr könnte es stimmen“, gab Ramon Kelly recht.
Carmen verdrehte die Augen.

Kennt ihr solche Leute, die sagen, dass es das Schicksal nicht gäbe?
Echt mal, was für ein Schwachsinn!
Klar gibt es das Schicksal. Was ist mit all den Liebesgeschichten, bei denen sich die Partner nur durch Zufall kennengelernt haben?
Ihr meint, das sei Zufall und nicht Schicksal? Ganz einfach, Leute. Zufall IST Schicksal.
Schicksal hat verschiedene Gesichter. Manchmal lässt es auf sich warten, manchmal knallt es direkt, in Form eines Autos, auf einen herein. Und manchmal hört es gar nicht auf, schlecht zu sein…
„So eine Scheίsse! Wo soll ich diese Seele finden? Ich weiss noch nicht mal, wer sie ist“, motzte ich rum, als ich durch die Strassen, auf dem Weg zu meinem Fall, war.
Ein Mann, der mir entgegen kam, hörte mein Gemotze, und sah mich schief an.
„Was is‘?“, fuhr ich ihn an.
Er schüttelte nur den Kopf und ging an mir vorbei.

Ein paar Schritte weiter lag eine Dose auf dem Boden. Voller Wut holte ich aus und kickte mit meinem Fuss fest dagegen. Während ich das tat, rief ich laut: „Scheίsse, Scheίsse, Scheίsse!“
Ich sah der Dose zu, wie sie durch die Luft flog und am Boden, mit einer Delle, wieder aufprallte. In etwa so musste ich wahrscheinlich damals durch die Luft geflogen sein.
Ich war kurz vor einer Kreuzung. Wer von rechts kam, sah ich nicht, denn eine Hecke verdeckte mir die Sicht.

Ich ging mit schnellen Schritten in die Kreuzung. Plötzlich rammte mich etwas von rechts und ich fiel seitwärts zu Boden.
„Sag mal, kannst du nicht aufpassen, du Sche…“, fing ich an zu fluchen.
„Es tut mir leid. Hast du dich verletzt?“, erwiderte eine wunderschöne, mir bekannte Stimme.
„…ei“, meine Stimme erstarrte. Das erste Mal seit meinem Tod stand ich ihm, dem bestaussehenden Jungen, Auge in Auge, gegenüber. Es war Sascha, mein Schwarm.
„Es tut mir wirklich leid. Diese blöde Kreuzung, ich habe dich nicht kommen sehen“, entschuldigte er sich weiter.
„Ich… ich… ich…“, stammelte ich.
„Hey? Alles okay?“, fragte er besorgt.
Endlich schaffte ich es, einen Satz zu äussern: „Ja, alles okay.“

„Es tut mir wirklich leid“, entschuldigte er sich wieder.
„Schon okay. Das ist wirklich in Ordnung“, erwiderte ich.
„Wie heisst du?“, fragte er mich. Mein Puls sprang in die Höhe. Er fragte nach meinem Namen. Ich war einerseits enttäuscht, weil er mich nicht erkannte, andererseits aber total glücklich, dass er mit mir redete.
„Ich bin…“, ich zögerte einen Augenblick, „Riley.“
„Okay. Ich bin Sascha“, antwortete er und wollte noch etwas hinzufügen. Ich war aber schneller und sagte: „Du hast da etwas verloren.“
Mein Blick fiel auf seinen Schlüssel, welcher durch den Aufprall zu Boden gefallen war.
Ich hob ihn auf und musterte seinen Schlüsselanhänger. Ich betrachtete ihn genauer und fühlte mich dann wie gelähmt und vom Blitz getroffen.
Der Schlüsselanhänger war ein rotes Herz, welches in der Mitte ausgehöhlt war, um ein Foto hinein zu setzen. Es war auch ein Foto drin. Ein Foto von meiner Schwester, von Emily.
Zur gleichen Zeit, als ich den Anhänger betrachtete, fragte Sascha mich: „Kann ich dich auf einen Kaffee einladen? Mir ist die Sache wirklich unangenehm.“
Ich sah ihm in die Augen, nahm seine Hand und legte den Schlüssel hinein.
„Das ist keine gute Idee, Sascha“, sagte ich schweren Herzens.
Jetzt sah er mich an. Fragend und wie als wäre ihm ein Geist begegnet.
„Deine Stimme. Deine Hand…“, erwiderte er.
„Es tut mir leid“, sagte ich leise, liess seine Hand los und rannte davon.
Sascha sah mir fragend und kritisch hinterher.

„Wir stehen hier jetzt schon seit fünf Minuten. Meine Füsse tun weh!“, jammerte Carmen.
„Wenn wir zurück sind, massiere ich sie dir“, erwiderte Ramon mit einem grossen Grinsen auf dem Gesicht.
„Kannst du so was?“, fragte sie kichernd nach.
„Klar doch! Ich bin ein Profi darin“, antwortete er sehr stark von sich selbst überzeugt.

„Okay, Leute, passt auf. Seht ihr den Mann mit dem Koffer? Das ist mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Schütze. Also, hier wird gleich ein Amoklauf stattfinden“, erklärte Kelly.
„Oh nein, das ist ja fies“, erwiderte Ramon.
Der mutmassliche Amokschütze ging an den dreien vorbei ins Gebäude hinein.
„Wie viele Leute sterben?“, fragte Kelly nach.
„Acht. Ich habe drei weisse Kärtchen, Carmen zwei und du hast auch drei“, antwortete Ramon.
Alle drei standen vor dem Gebäude. Niemand sagte ein Wort. Plötzlich hörte man Schüsse. „PENG“, machte es. Fünf Mal hintereinander.
„Okay, dann geh ich mal rein und suche meine Toten zusammen“, sagte Ramon munter und wollte das Gebäude betreten. Kelly hielt ihn zurück und sagte trocken: „Noch nicht.“
„PENG“, machte es zwei weitere Male.
„Und jetzt?“, fragte er.
Kelly schüttelte den Kopf.
Wieder hörte man: „PENG.“
„So, das war der Amokläufer. Jetzt kannst du rein“, sagte sie irgendwie zufrieden und liess Ramon los.

Damals, als ich in der siebten Klasse war, mussten wir Hamlet lesen. Der Typ kann keine Entscheidungen treffen und alle sterben.
Ich BIN Hamlet und alle sterben. Denn mein nächster Fall führte mich in eine Autowerkstatt. Drei Arbeiter waren damit beschäftigt, einen alten Wagen wieder herzurichten. Sie starteten den Motor der alten Benzinmühle und merkten nicht, dass sie weder Fenster noch Türen offen hatten.
Es dauerte nicht lange und das Kohlendioxid liess die drei Männer qualvoll ersticken.
Ich führte sie in ihre Lichter und ging, so schnell ich konnte, nach Hause.
Als ich zu Hause ankam, lehnte ich mich erst einmal gegen die Tür und atmete tief ein.
Mir ging dieses blöde Herz von Sascha mit meiner Schwester darauf nicht aus dem Kopf.
Eigentlich ging mir gar nichts aus dem Kopf. Ich war tot, wusste nicht, wer mein Mörder ist, vermisste eine Seele und wurde zudem noch von meinem Schwarm verletzt.
Voller Verzweiflung ging ich zum Fenster und starrte hinaus. Langsam kullerte eine Träne mein Gesicht herunter.
Ich konnte nicht mehr. Ich musste weinen. Ich wusste einfach nicht, wohin mit all meiner Enttäuschung.

„Ich kann nicht mehr“, rief ich mir selbst leise zu.
„Ich kann einfach nicht mehr“, wiederholte ich und schlug mit der Handfläche leicht gegen das Fenster.
„Bleib stark, Süsse“, ermutigte mich plötzlich eine sanfte Stimme von hinten.
Ich kannte die Stimme. Ich hörte für einen kurzen Moment auf zu atmen, drehte mich langsam um und konnte gar nicht anders vor Freude.

„CHRIS!“, schrie ich voller Begeisterung und fiel ihr sofort in die Arme.
„Komm her, meine Süsse“, sagte sie ruhig und drückte mich.
Ich war so froh, dass sie da war.

Ich liess Chris los und fragte sie mit einem Lächeln: „Was machst du hier? Du hast doch deine Lichter betreten.“
„Ich kann dich doch in dieser schweren Zeit nicht alleine lassen“, antwortete sie mir mit einer beruhigenden Stimme.
„Ich… Ich bin ja so froh, dass du da bist“, erwiderte ich.
„Warum weinst du?“, wollte sie von mir wissen.
„Es ist alles so viel im Moment. Sascha ist vermutlich mit Emily zusammen“, antwortete ich traurig.
„Oh, das tut mir leid“, versuchte sie mich aufzumuntern.
„Danke“, erwiderte ich.
„Ist es nur das?“, fragte sie weiter.
„Ich… ich habe eine Seele verloren“, gestand ich. „Ich weiss nicht, wo ich sie finden kann.“
„Vielleicht kann ich dir helfen, Süsse“, antwortete Chris.

„Du weisst doch gar nicht, wer sie ist“, erwiderte ich kritisch.
„Weisst du es denn?“, fragte sie mich. Ich sagte nichts. Chris aber nahm mich an der Hand und sagte: „Komm mit.“
Chris führte mich in einen kleinen Park, der zirka 20 Minuten von zu Hause entfernt war. Ich hatte damals als Kind immer in diesem Park gespielt.
Als wir ankamen, sah ich ein Mädchen, etwa in meinem Alter, am Boden liegen.
„Ist sie das?“, fragte ich Chris.
„Geh hin“, antwortete sie kurz und mit einem Lächeln.

„Woher wusstest du, dass sie hier ist?“, wollte ich wissen. Chris hob bloss die Schulter und lächelte mir zu.
Ich wollte zu dem Mädchen hingehen, machte einen Schritt von Chris weg, drehte mich dann aber wieder um.
„Chris? Wie ist es in den Lichtern?“, wollte ich wissen.
Chris lächelte und antwortete mit einer ruhigen Stimme: „Es liegt ausserhalb der menschlichen Vorstellungskraft, Süsse. Es ist eine Welt, in der alles so ist, wie du es dir in deinem tiefsten Inneren erträumst.“
Ich antwortete nicht. Ich liess diese Aussage über mich ergehen. Dann drehte ich mich wieder um und rannte sofort zu dem Mädchen.
Ich beugte mich über sie und sprach sie an: „Hallo? Hey, alles klar?“
Das Mädchen erschrak, sah mich mit ihren tiefleeren Augen an. Eine Mimik voller Angst war auf ihrem Gesicht zu sehen. Ich half dem Mädchen auf die Beine. Dann drehte ich mich zu Chris um und rief ihr: „Danke.“ Ich lächelte dabei.
Chris sah mich an und rief zurück: „Denk daran, Süsse. Du bist stark und niemals alleine. Ich hab dich lieb, vergiss das niemals.“

Ich lächelte sie noch einmal an, drehte mich dann aber zu dem Mädchen zurück.
Ein blauer Strahl leuchtete von hinten auf. Ich drehte mich erschrocken um und sah an die Stelle, an der Chris gestanden hatte. Sie war weg.
Für ein paar Sekunden versank ich in meinen Gedanken. Ich dachte an Chris und an das, was sie gesagt hatte. Dann kam ich wieder zu mir und wandte mich dem Mädchen zu.
Ich wollte sie in ihre Lichter führen, doch als ich sie genauer ansah, erschrak ich und fragte: „Anja?“
Das Mädchen sagte nichts. Sie horchte bloss auf und starrte mich an.
„Oh, Scheίsse, Anja. Es tut mir leid“, entschuldigte ich mich bei ihr.
Anja war die Tochter der Schwester meiner Mutter. Kurz gesagt, meine Cousine. Meine Lieblingscousine. Wir hatten als kleine Kinder immer zusammen im Sandkasten gespielt. Wir hatten alles zusammen gemacht. Sie war immer für mich da gewesen, auch als wir älter wurden. Und was mache ich? Ich hatte sie leiden gelassen. Alles Leid, was ihr in ihrem Leben zugestossen war, passierte ihr nochmals in Gedanken. Nur viel schlimmer und viel qualvoller.
Schweren Herzens und mit grossen Schuldgefühlen führte ich sie in ihre letzten Lichter.

Nach alldem beschloss ich, zu Robin ins Lokal zu gehen.
Als ich ankam, sah ich Robin, wie er seinen Kaffee schlürfte. Ich setzte mich zu ihm, sagte aber nichts.
Er lächelte mich an und nickte. Ich wusste nicht, was er damit sagen wollte. Ich fasste es als Begrüssung auf.

Nach einiger Zeit sagte ich leise: „Sie war wieder da. Ich hab sie gesehen.“
„Deine verlorene Seele?“, fragte er mich ruhig.
„Nein.“, antwortete ich. Ich schwieg einige Zeit und sagte dann: „Ich habe Chris wiedergesehen“
„Wie geht es dir jetzt?“, erkundigte sich Robin.
„Gut“, antwortete ich kurz, nickend und flüsternd.
„Das ist freut mich, Kleine. Tu mir den Gefallen und bestell dir einen Nusskuchen, okay?“, erwiderte er.
„Du musst das nicht machen, Robin. Das weisst du doch“, sagte ich ihm.
Robin lächelte mich an. Schob einen Fünferschein über den Tisch, stand auf, klopfte mir beim Vorbeigehen einmal auf die Schulter und verschwand.

An jenem Abend stand ich noch spät nachts auf meinem Balkon. Ich dachte an Chris. Ich wusste, dass sie an mich denken würde und, dass sie irgendwo hier war. Sie war zurückgekehrt. Zurück in mein Herz, und das kann bei einem Menschen nur ein wahrer Freund...
---
So, ich hoffe es hat euch gefallen

Über Kommis und Äusserungen würde ich mich natürlich freuen.
Bis dahin

Titel des nächsten Kapitels: 2.06 Alte Wunden