-Kapitel 8-
Lange Nächte - Teil 2
Ich konnte es immernoch nicht richtig fassen, dass Scarlett gerade wirklich einen fremden
Typen zu uns an die Bar gewunken hatte.
Der Fremde kam selbstbewusst und mit einem lässigen Gang herüber.
Ich wusste nicht recht wie ich ihn einschätzen sollte.
Als er näher kam betrachtete ich ihn schnell von oben bis unten.
Er hatte helle blonde Haare, die er vorne mit etwas Gel, das im Diskolicht glänzte,
nach oben gekämmt hatte. Seine Augen waren stechend grün und er hatte ein silbernes Augenbrauenpiercing.
Außerdem trug er ein graues Shirt mit V-Ausschnitt und Jeans, sowie ein paar Ketten um den Hals.
Also genau der Typ Mann, den Scarlett normalerweise als oberflächlich und übercool bezeichnet hätte.
Man musste zugeben, dass er gut aussah, ein bisschen gefährlich wirkte er aber schon.
Meine seit neuem brünette beste Freundin begrüßte ihn fröhlich und stellte uns vor.
Der Fremde lächelte uns kurz zu und informierte uns dann, dass sein Name Cid war.
Cid...sogar der Name passte zu diesem eigenartigen Erscheinungsbild.
Schnell kamen Scar und er ins Gespräch und ich beobachtete die beiden
ein wenig misstrauisch von meinem Platz an der Bar aus.
Scarlett war wirklich nicht nur von ihrem Erscheinungsbild her verändert. Ihre ganze Art hatte sich gewandelt.
Sie wirkte locker, fröhlich und selbstsicher und unterhielt sich angeregt mit dem Fremdling.
Ihre gesamte Mimik und ihre Gesten wirkten flirtend,
etwas verführerisch, sie wickelte den Typen doch tatsächlich einfach so um den Finger. Wer zur Hölle war diese Person?!
Aber auch der junge Mann, der sich als Cid vorgestellt hatte,
wirkte deutlich interessiert an Scarlett und erwiderte ihre Flirtattacken mindestens genauso offenherzig.
Hatte sie Jasper denn komplett vergessen? Ich betrachtete Cid genauer.
Dabei erkannte ich, dass er einen roten Strich quer über der Nasenwurzel hatte.
Es war eine Narbe, die seinem Gesicht zusammen mit den kleinen kühlen und doch beeindruckenden Augen,
den markanten Gesichtszügen und den hellen wilden Haaren noch gefährlicher erscheinen ließ. Scarlett aber schien es zu gefallen.
Ich hatte mir gerade einen neuen Drink bestellt als sie zu mir kam. „Sue wir gehen mal ein bisschen tanzen.
Warte einfach hier ich bin gleich wieder bei dir.“
Bevor ich etwas erwidern konnte war sie schon mit ihrem Rock-Romeo auf die noch relativ unbevölkerte Tanzfläche verschwunden,
wo die beiden sofort anfingen rumzualbern und wild zu tanzen. Ich selbst betrachtete das ganze immernoch
mit Misstrauen, diese flirtende Tanzmausmasche passte einfach nicht zu meiner besten Freundin.
Aber wenn sie meint...
Nach ein paar Songs spielte der DJ ein etwas langsameres Lied.
„Na also jetzt werde ich vielleicht auch mal wieder beachtet“, dachte ich mir nicht ganz ohne Eifersucht.
Schließlich war sie es, die doch mit mir heute Abend ausgehen wollte.
Und jetzt saß ich hier alleine an der Bar, während Scarlett ihre Selbstfindungs-, Durchdrehphase
mit einem selbstverliebten Diskocasanova durchlebte.
Aber was dann geschah konnte ich erst recht nicht glauben! Anstatt zurück an die Bar zu kommen,
flüsterte sie Cid etwas ins Ohr und wenige Sekunden später tanzten die beiden eng umschlossen im Licht der Scheinwerfer.
Dabei griff dieser Typ ihr ungeniert überall hin und Scar schien das auch noch zu gefallen.
Sie schmiegte sich eng an ihn heran und schien wie ausgewechselt!?
Aus meiner zurückhaltenden sympathischen Freundin war eine richtige Partylöwin geworden,
die sich wildfremden Kerlen an den Hals schmiss und überall begrabscht wurde.
Na klasse! Ich war echt sauer. Wie um aller Welt kam sie auf solche Ideen?
Und als hätte sie meine Gedanken hören können fing sie plötzlich auch noch an mit dem Kerl rumzuknutschen.
Ich fühlte mich wie in einem zweitklassigen Film.
Das war eindeutig zu viel an einem Abend. Ich kannte diese Person nicht. Das war nicht meine beste Freundin.
Ich bestellte mir einen weiteren Drink und unterhielt mich
mit dem Barkeeper, der gerade nicht viel zu tun hatte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Scarlett irgendwann völlig zerzaust zu mir gerannt kam.
„Sue komm dahinten gibt es Cocktails umsonst! Cid kennt den Barmann! Los komm mit!“
Widerwillig begleitete ich sie. Auf dem Weg zur nächsten Bar musste ich dann aber doch mal fragen was los war.
Ungeschickt begann ich mit: „Hey Scar, was ist eigentlich mit dir los?“
„Was soll mit mir los sein?“
„Naja du hast dich ja schon ziemlich verändert.“
„Die Frisur ist toll nicht?“ Scarlett strahlte mich an.
„Ja hm toll..aber das meinte ich eigentlich nicht...“
„Nanu, was denn sonst?“
Und da konnte ich mich nicht mehr zurückhalten.
„Scarlett verdammt merkst du eigentlich nicht was du hier abziehst?!
Du kommst hier so aufgetakelt auf, wie du noch nicht mal zu deinem Abschlussball gegangen wärst,
trinkst einen nach dem anderen und führst dich auf wie die reinste Tussi.
Dann baggerst du irgendwelche fremden Kerle an,
lässt mich dafür blöd rumsitzen und schmeißt dich diesem Cid an den Hals wie die letzte Schlampe!?
Letzte Woche hat man dich fast nicht aus dem Bett bekommen und jetzt ziehst du hier eine komplette Show ab!
Mann Scar was ist denn in den letzten 2 Tagen mit dir passiert? Und hast du Jasper etwa völlig vergessen?!“
Sobald ich das mit Jasper erwähnt hatte, bereute ich es auch schon wieder.
Ich hatte ihre gute Laune damit wohl zerstört...
Doch Scarlett reagierte ganz anders, als ich es erwartet hatte – oder als ich es gekannt hatte.
„Das glaube ich jetzt einfach nicht...“, sagte sie leise.
„Ich kann das einfach nicht glauben!!“ Jetzt schrie sie mich an.
„Scar ich...das mit Jasper....ich weiß ich hätte nicht...“
„Du bist doch tatsächlich eifersüchtig auf mich!“
„Was?!“
„Nur weil ich jetzt besser aussehe und die Typen lieber zu mir kommen als zu dir! Und du willst meine beste Freundin sein?
Super Freundschaft, echt! Du gönnst mir kein bisschen Glück! Du bist nur eine neidische blöde Kuh!“
Und zu Cid: „Komm wir gehen woanders hin! Solche Freunde brauche ich wirklich nicht!“
Mir stand der Mund offen, ich konnte gar nichts dazu sagen.
So hatte ich Scarlett wirklich noch nie gesehen. Und diese plötzliche Arroganz in ihrer Stimme – wo kam das verdammt nochmal her?!
Cid warf mir noch einen entschuldigenden Blick zu,
stand auf und die beiden gingen an mir vorbei in Richtung Ausgang.
Ich sagte nichts mehr und schaute ihnen nur nach.
So wütend ich war, ich hatte kein gutes Gefühl damit sie mit diesem Kerl alleine weiterziehen zu lassen...
„Scarlett warte!“
Aber da war sie schon durch die Tür und
ich stand alleine an der Bar
und wusste nicht,
was ich tun sollte...