Kapitel 2
Meine Gedanken machten immer neue und noch größere Kreise, meine Gefühle konnte ich nicht mehr auf ein und denselben Nenner bringen, denn das einzige, das ich wollte, war schlafen. Doch aus irgendeinem Grund konnte ich nicht. Ich wollte schlafen und träumen; träumen von ihm!
Derselbe Traum wie letzte Nacht, oder einen ganz anderer, nur müsste er von ihm handeln. Doch stattdessen starrte ich seit Stunden den kleinen weißen Fleck an meiner Zimmerdecke an. Sie war olivgrün, warum auch immer, ich mochte die Farbe wohl mal, doch nun war sie mir egal, so auch der weiße Fleck, den wir beim Streichen vor einem Jahr vergessen hatten.
Der Mond war nicht voll, doch schien er trotzdem hell und klar durch mein Fenster und ließ mich jedes Detail in meinem Zimmer erkennen. Mein Blick streifte über die etlichen Bücher, die ordentlich auf dem Boden gestapelt waren und blieb schließlich wieder an der ein und derselben Stelle hängen. An dem Fenster, das sich neben meinem Bett erstreckte. Die hölzernen Verzierungen daran gingen schon fast in die Renaissance zurück und der Putz, der sich an dem Übergang zur Wand aufsäumte, drohte zu bröckeln. Abermals versuchte ich meine Augen zu schließen, in einen Schlaf zu verfallen, der für immer andauerte. Ich wollte träumen und das für den Rest meines Lebens, wenn man es dann noch Leben nennen konnte.
Vielleicht hatte ich Glück und nach dem Tod erwartete mich eine Traumwelt, wo ich Ihn wiedersehen konnte, wo ich seinen Duft benommen in mich aufsogen könnte. Ihn anstarren könnte und das den ganzen Traum lang, nur um mich zu vergewissern, dass ich sein Gesicht beim Aufwachen nicht vergessen würde. Doch aufwachen aus dem Tod? Wohl eher nicht.
Stunden vergingen und jede einzelne schien sich darüber lustig zu machen, dass ich nicht schlafen konnte. Sie lachten mich aus in einem Tonfall der wie Donner klang und es erschien mir so, als ob den Stunden beim Lachen, Gesichter wuchsen. Sie hatten hässliche Fratzen und schnitten mir furchtbare Grimassen. Die Vorstellung alleine schon von den Stunden, die lachten war absurd, genauso wie die Vorstellung nie wieder träumen zu können.
Ich schlug meine Augen zu. Der unerfüllten Wunsch; den Drang in einen Zustand zu gelangen, in dem es nicht mehr möglich war zu denken, war tief in jeder meiner Milliarden Zellen verankert. Man dachte schon, nur verlor man die Kontrolle über seine eigenen Gedanken und irgendjemand anderes lenkte sie dann.
Ein schmerzhaftes Stechen, begleitete den Gedanken, ihn nie wieder zu sehen und selbst ein Albtraum wäre besser als das.
Ich konzentriert mich auf alles und doch nichts, denn würde das Nichts mich verfolgen, bis in den Tod hinein und wenn es die Ewigkeit danach wirklich gab, dann bis in die Ewigkeit.
Ich lauschte in die Stille. Immer noch lag ich auf meinem Bett und starrte gelangweilt an die Zimmerdecke. Doch irgendetwas war nun anders. Es war tiefste Nacht und der Mond war verschwunden... Ein Klopfen an der Tür. Ich zuckte zusammen und mein Blick wendete sich zu dieser. Wieder ein Klopfen. Folgende Schritte auf der Treppe. Stimmen von unten. Mein Atem stockte, was ging hier vor? Doch voller Glücksgefühl bemerkte ich, dass das hier nicht die Realität war, auch wenn es sich so anfühlte. Ich war in einen tiefen Traum gefallen. Es war nicht wie sonst, wo man sich sah und nicht wusste was als nächstes mit einem passierte. Nein, ich konnte mich steuern, sowohl meine Schritte, als auch meine Gedanken. Doch, das meine Gefühle sich das mit sich machen ließen, wagte ich zu bezweifeln.
Langsam stand ich auf und öffnete meine Zimmertür. Ängstlich lief ich mit leisen und doch schnellen Schritten auf die Treppe zu und setzte zögerlich einen Fuß nach dem anderen auf diese, die mit ihren Jahren schon ein wenig knarrte. Unten leuchtete Licht. Mein Herz raste, Schweiß trat mir auf die Stirn. Ich versuchte meinen schnellen Atem unter Kontrolle zu halten, damit ich dem Gespräch lauschen konnte.
“Was ist nur los mit dir? Willst du denn nicht überleben? Wieso fällt es dir so schwer?"
Elegant trat der junge Mann ins Licht, von dem ich jetzt schon zum zweiten Mal träumte. Die andere Person aber blieb meinem Blick verborgen. Leise probierte ich mich auf eine Stufe zu setzen, doch zu spät. Schon fing sie laut an zu quietschen und er wandte sein Gesicht schnell zu mir.
"Du musst gehen..." Flüsterte er zu der Person und ich hörte die Kellertür zuschlagen...
Was ging hier vor?
"Hallo meine süße Träumerin. Wie geht es dir? Willst du zu mir herunter kommen?"
Er lächelte sanft und wieder wurde ich von seinem wunderschönen Antlitz in einen Bann gezogen. Als würde ich nochmals in einen tiefen Traum mit ihm fallen. Sein Lächeln wärmte mich, gab mir das Gefühl der Geborgenheit, ein Gefühl, das mir nie jemand wirklich zu geben wusste.
Ich lief hastig zu ihm hinunter, immer schneller und schneller. Die Treppe schien kein Ende zu nehmen. Mir entwich ein Schrei, als ich plötzlich ausrutschte und hinunter flog. Was würde nun passieren? Würde ich aufwachen, wenn unten meine ganzen Knochen zersplitterten oder wäre ich ...tot? Doch meine Landung war weich, denn ehe ich mich versah, lag ich in den Armen von meinem Helden. Schüchtern blickte ich in sein Gesicht hinauf und ich spürte wie mein Gesicht rot anlief. Mir wurde heiß, verdammt heiß. Mein Herz überschlug sich fast, meine Wangen glühten, mein Atem blieb aus, als er mein Gesicht in seine Hände nahm und mir tief in die Augen sah.
"Du bist..."
Was war ich? Ich sah wie seine Augen glänzten, er es kaum auszusprechen wagte, er die Kontrolle, die er sonst über sich hatte, verlor. Seine ganze Eleganz, seine Anmut ohne jedwegige Disziplin dahin schmälzte.
"Du bist wunderschön, wenn du träumst”
Mein Atem ging schneller. Hatte er mich wunderschön genannt? Mich? Mit dem strohblonden, gewelltem Haar und den langweiligen blauen Augen? Er kam mit seinem Gesicht langsam näher. Mein Kopf pochte, das Blut schien sich in meinen Wangen zu sammeln und ich dachte meine Lungen würden platzen.
Doch ehe sein Mund meinen berührte, ging mit lautem Gekreische die Kellertür auf. Wieder die zwei verunstalteten Leute.
"WAS TUST DU NUR? HANDELT DIESER TRAUM VON LIEBE? NEIN! DIESER TRAUM HANDELT VON MORD, VON BLUT, ABER, WENN DU SIE KÜSST, VON DEINEM TOD, MEIN LIEBER!"
Meine Augen weiteten sich, ich sah ihn verzweifelt an.
"Von was reden sie? Was passiert hier?" Er lächelte kurz, das Lächeln, das mir jedes Mal den Kopf verdrehte.
"Ich muss nun gehen. Vergiss mich nicht, es sei denn, du willst mich vergessen, dann tu es, es wäre besser." Hastig und dennoch gefühlsvoll drückte er mir einen Kuss auf die Stirn und ehe ich mich versah, verschwand er vor meinen Augen.
Die Sonne schien durch das große Fenster neben meinem Bett und kitzelte meine Nase. Schweißgebadet wachte ich auf. Wo war er? Verzweifelt rannte ich hinunter zur Kellertür. Doch dort war nichts. Enttäuscht machte ich mir klar, dass ich nun wach war.
"Guten Morgen mein Schatz! Na du siehst aber durch den Wind aus. Wohl schlecht geträumt?" Meine Mutter kam aus der Küche auf mich zu und ihr Lachen hallte in dem Flur wider.
"Schon vergessen? Heute ist Schule! Wie wär's mal mit fertig machen? Schatz? Was ist denn nur los mit dir? Hast du mich nicht gehört? Schule! Los mach dich fertig!" Ihr blondes, hochgeknotetes Haar schillerte im Sonnenlicht, das durch das kleine Fenster im Flur herein schien. Man mochte wohl kaum glauben, dass ich ihre Tochter war. Sie war anmutig, wunderschön mit ihrem glänzenden Haar. Im Gegensatz war ich nur ein kleines, unbedeutendes Mauerblümchen, das Mauerblümchen, das ich schon die ganze Zeit über gewesen war und auch für immer sein würde.
Unbedeutend hell erstrahlte der Himmel und alles was sich rundherum um mich befand. Alles wurde unbedeutend, einfach alles.
Aber es war so kindisch einem Traum nachzuhängen, auch wenn er noch so großartig und real schien, denn er war eine Einbildung, etwas das in meinem Kopf entstand, ein Sinnbild, das keinen Sinn ergeben durfte. Am liebsten doch wieder umdrehend und wieder in meinem Bett liegend und träumen wollend, ging ich die Straße entlang, die mein Schulweg war. Die Zeit war nur noch dazu da, um zu vergehen und nicht sie auszufüllen. Mit welchen Sachen, sollte ich sie auch ausfüllen, wenn alles was mir vor weniger als drei Tagen, noch bedeutend war, nun nichts weiter darstellte als etwas Trostloses, Einsilbiges und unfassbar Langweiligem?
Ich kramte meinen IPod aus meiner Schultasche und hörte einen Song, dem ich schon seit längerer Zeit nicht mehr gelauscht hatte. Die Melodie rauschte in meinen Ohren und ließ mich tragen, doch nicht so wie es früher einmal war. Ich schloss die Augen, doch ging trotzdem weiter, um meinen Gedanken nachzuhängen: um meinem Traum nach zu hängen.
‘Stopp!’ Schrie ich in Gedanken. Abrupt hielt ich inne, riss meine Augen wieder auf und blieb stehen. Jemand der hinter mir gelaufen war, überholte mich und drehte sich noch mal zu mir um und schenkte mir einen missbilligen Blick.
Aber das kümmerte mich nicht. Verdammt, ich durfte nicht mehr an ihn denken. Ich musste mich wieder auf mein Leben, die Schule und auf mich konzentrieren, denn das war definitiv wichtiger, als irgendeine unreale Gestalt aus meinem Traum. Zweimal hatte ich zwar schon von ihm geträumt, doch würde dies ganz sicher nicht noch einmal passieren.
Ich ging wieder weiter, schenkte den Sträuchern und Blumen, die auf den Grundstücken standen Beachtung, aber nur um an etwas anderes denken zu können.
Es klappte, ich wusste zwar nicht wie, aber es klappte, bis ich an meiner Schule angelangt war.
Das große Backstein Gebäude war schon ziemlich alt und strahlte dieses auch aus. Die Kaugummis, die quasi unter jedem Tisch und Stuhl klebten, die Schließfächer die man nur sehr schwer noch schließen konnte und die Lehrer die so alt aussahen, als würden sie schon immer existieren, bestätigten es nur.
Ich blickte über den Parkplatz und zum Eingang. Mein Blick suchte angestrengt in der Menge, nach einem Rothaarigen Schopf.
“Hey Fee!”, schrie Jemand hinter mir.
Ich drehte mich um, nur um ein Lilafarbenes Etwas anzuschauen, dass offenbar meinen Namen kannte. Von Kopf bis Fuß war es Lila. Die Chucks, der lange Rüschenrock und die Jacke, die überall kleine, herangeklebte, dunkellila Schleifen an sich hatte.
“Claire?” War das meine allerbeste Freundin, die mit mir seid Kindergartentage befreundet war? War das dieselbe Person, die Freitag noch rote Haare hatte? Ja das war sie.
“Was starrst du mich so an, gefällt es dir nicht?”
“Doch, nur… es ist so ungewohnt.”, gab ich offen zu.
Sie riss mich trotzdem in eine Umarmung, wie sie es jeden Morgen tat.
“Du müsstest doch eigentlich wissen, dass alles an mir ungewöhnlich ist und das macht es ja schon wieder so gewöhnlich.”, sagte Claire immer noch in unserer Umarmung.
“Ja du hast recht, morgen werd ich dir sagen können, ob es mir gefällt. Jetzt bin ich noch zu geschockt.” Sie lachte bei meinen Worten und ließ mich wieder frei.
“Wie war dein Wochenende, Fee?” Claires Hand umfasste meinen Oberarm und zog mich Richtung Schulgebäude.
“So lala.” Ich log, weil wenn ich ihr erzählen würde, das es das beste Wochenende von allen war, würde sie nachfragen, wieso.
“Hm… okay. Meins war auch nicht gerade so besonders. Meine Mum hat mich am Samstag zu so einer Wohltätigkeitveranstaltung geschleppt und dazu musste ich ein spießiges langweiliges Kleid tragen. Und naja, als Rache, hab ich mir dann die Haare wieder umgefärbt. Oh Fee du hast echt was verpasst, meine Mum ist so ausgerastet und Dad war auch nicht grad begeistert, da er sich grad an das rot gewöhnt hatte, wie er sagte.” Claires eigentliche Haarfarbe war ein schönes helles Braun. Die Farben hatten sich ständig gewechselt und nun war sie bei Lila, was eigentlich noch richtig gut aussah, im Vergleich zum Grasgrün vor einem Jahr.
“Was meinst du wird Kai sagen?” Kai war unser bester Freund, in dem sie seit neustem auch verknallt war, nur wusste er noch nichts von seinem Glück. Mit Julien, war unser Quartett komplett.
Als uns die Beiden drinnen entgegen kamen, reagierten sie noch geschockter auf Claire‘s neue Haarfarbe und der dazu angepassten Kleidung, als ich. Worauf Claire wütend abdampfte und ich ihr nicht mehr hinterherkam.
“Claire!”, brüllte ich über den gesamten Flur, doch wies sie mich mit einer Handbewegung daraufhin, dass ich ihr nicht folgen sollte.
Entrüstet blieb ich stehen und blickte dem Lilakobold hinterher.
“Nicht träumen, weiter gehen!” sagte jemand fordernd, aber dennoch mit einem sanften Unterton, zu mir. Anscheinend versperrte ich den Weg zu seinem Schließfach.
“Oh, entschuldige.” Ich drehte mich um und taumelte dann ein paar kleine Schritte wieder nach hinten. Ich blickte einen gut aussehenden Jungen an und zwar direkt in ein Paar beruhigend braunen Augen. Doch als meine Benommenheit nachließ, erkannte ich ihn, schmerzhaft zogen sich meine Bauchmuskeln zusammen und meine Atmung stoppte unweigerlich, als hätten meine Lungen einen mörderischen Schlag abbekommen. Die schwarzen Haare, die braunen Augen, das wunderschöne Gesicht und dasselbe unwiderruflich schönste Lächeln der Welt. Ich war mir hundertprozentig sicher, er war es. Er, dessen Namen ich bedauerlich immer noch nicht erfahren hatte.
Erst nach dem sekundenlangen Schock, bemerkte ich, dass er mich angesprochen hatte.
"Äh was?" Ein leises Lachen drang aus seiner Kehle. "Ich würde gerne zu meinem Schließfach, wenn du ausgeträumt hast." Ein weiterer Schlag in meinen Magen, ein weiteres nach Luft rangen, ein weiterer Erkennungswert. Ich atmete noch einmal tief durch, bis ich endlich einen normalen Satz zustande bringen konnte.
"Ähm. Sorry, tut mir wirklich leid... sag mal… kennen wir uns nicht irgendwo her?"
Noch bevor er mir eine Antwort geben konnte, erschien hinter ihm ein weiterer, nicht weniger atemberaubender Junge, der mir verstohlen zuzwinkerte.
Mit einer Hand fuhr er sich durch sein blondes Haar und lächelte mich an, ehe er zu seinem offenbaren Freund blickte. "Hey, du willst doch nicht zu spät zum Unterricht kommen, oder? Ich mein… erster Schultag, hallo? Wer ist denn die Hübsche?" Noch einmal zwinkerte er mir zu und ich bemerkte seine eisblauen Augen, die mich durchdringend anblickten. "Nun ja. Leider hatte ich noch nicht das Vergnügen mich ihr vorzustellen, aber wir müssen nun zum Unterricht. Wir sehen uns, denke ich mal."
Bevor er sich umdrehte und dann hinter einer Ecke verschwand, schenkte er mir noch ein umwerfendes Lächeln. Das Lächeln, das mir schon von Anfang an das Blut in den Adern hatte gefrieren ließ. Schon immer... wer war er? Wieso sah er genauso aus wie der geheimnisvolle Junge in meinem Traum?
Mein Herz pochte immer noch bis zum Hals,
bis meine Gedanken durch ein Glänzen am
Boden unterbrochen wurden. Hastig bückte
ich mich und sah ein Armband, das im Sonnenlicht
wie ein Diamant funkelte. Ich hob es auf und
sogleich konnte ich entziffern was darauf stand....
Amon. Anscheinend hatte "Er" es verloren. Sein
Name war also Amon.
Das Armband von Amon. Mein Herz flatterte,
als ich an ihn dachte und mein Atem stockte,
als ich an die mörderisch aussehenden Mensch
von unserem Keller dachte. Was hatte das alles
zu bedeuten?