Huhu,
@calypsosim,
ich würde dem kapitalisitischen Wirtschaftsystem keinesfalls die "Schuld" zuschreiben. Das ist entstanden, weil unter anderem ein Herr Watts die Dampfmaschine weiterentwickelt hatte, und weil das vorherige System des Merkantilismus an seine Grenzen gestossen war. Es gab also durchaus sehr gute Gründe, daß sich ein Wirtschaftssystem entwickelt hat, das befriedigende Antworten auf die ökonomischen Fragen und dahinterliegenden Interessen seiner Zeit liefern konnte. Aufgrund der handelnden Akteure hat sich das dann so entwickelt, wie wir das kennen, aber es war, ums wieder mal mit Marx zu sagen, eine historische Notwendigkeit, keineswegs die Laune irgendwelcher Superbösewichte.
Ich denke, daß wir in unserer gesamten Menschheitsgeschichte (die sozusagen eh nur eine europäische, weisse solche ist) bei vielen Entscheidungen so im Nachhinein auch andere Möglichkeiten erkennen, die aber unsere Vorfahren aus welchen Gründen auch immer nicht gesehen haben. Erstmal nicht mehr als das: alles weitere bedarf der Untersuchung einzelner Entscheidungen im Kontext ihrer Zeit und ihres jeweiligen gesellschaftlichen Hintergrundes.
Ich verweise in dieser Hinsicht immer gerne auf Sokrates, der wohl der erste war, der meinte, das goldene Zeitalter der Menschheit läge hinter ihr, und die Zukunft würde nur Verschlechterungen mit sich bringen. Aber dann kam auch Epikur, der als erster griechischer Philosoph ein Prinzip von Egalität postuliert hat, und das sogar gelebt hatte. Daran kann man im Grunde genommen ganz gut erkennen, daß Zivilisation, wie wir sie kennen, seit Jahrtausenden an den immer gleichen Problemen herumoperiert. Wer hat Recht, wer ist stärker, wer hat mehr Geld, mehr Macht, mehr Einfluss...
Das Problem am Kapitalismus ist eigentlich nur, daß unsere Vorfahren keine Ahnung hatten, was diese von mir angesprochene und durch die Produktionsweise entstandene Entfremdung des Menschen anrichten würde, und natürlich, daß wir bis heute dieses Thema nicht wirklich angehen, weil die oben genannten Interessen, wer eben den Längeren hat (und darum geht´s ja im Prinzip), einfach alles andere zudeckeln... Und natürlich macht das Thema Angst, denn es stellt die vermeintlich so positive gesellschaftliche Entwicklung der letzten hundertfünfizig Jahre komplett in Frage.
Wir sind eben nicht Menschen wegen unseres vermeintlichen Intellekts, sondern weil wir einen Daumen haben. Es gibt mit Sicherheit genug Tiere, die uns in Punkto Denkvermögen wenn überhaupt, nur marginal "hinterherhinken", und je nachdem, von welcher Perspektive man das betrachtet, könnte man sagen, daß ein Wald als Organismus gesehen über eine so unfassbar hohe systemische Komplexität verfügt, daß wir sicher nicht entscheiden können, wer da evolutionär gesehen "weiter oben" steht. Und schon diese Art der Qualifizierung und die fehlende Möglichkeit, sie zu umgehen, zeigt, wie beschränkt wir alle letzendlich sind.
Was uns in der gesamten Natur aber keiner vormacht, ist unsere Fähigkeit, etwas zu tradieren und damit unsere eigene Eitelkeit und Einbildung zu verstärken. der vorhandene Daumen und die Möglichkeit der Tradition bringen gewisse Vorteile, weil man Wissen weitergeben kann, aber eben auch den Nachteil, daß sie dazu führt, daß wir uns möglicherweise allzu schlau vorkommen.
Ich bin ein sehr überzeugter Anhänger diskordianischen Denkens, und wir "Gläubigen" verehren Eris, die griechische Göttin des Streits, die mit dem goldenen Apfel, mit Paris und Helena und dem trojanischen Krieg. Diese Göttin hat den Göttern und den Menschen gleichermassen ihre Beschränktheit vor Augen geführt, als man sie nicht eingeladen hatte zu Peleus´ und Thetis´ Hochzeit. Da brachte sie den berühmten Apfel mit und warf ihn Hera, Aphrodite und Athene zu, mit der Bemerkung, die Schönste unter ihnen habe den Apfel zu bekommen.
Das waren nun schon ordentlich patriarchale Zeiten, und eigentlich hätte mindestens Athene als eine ursächlich der Weisheit verpflichtete Göttin ausscheren müssen, aber nein, wie vorhergesehen bekamen die drei sich in die Wolle, Weiber halt (Ironie), und frag nur nicht wie...
Letzten Endes war der trojanische Krieg dann die Folge, der erste Krieg "zivilisierter Nationen" gegeneinander. Und es gab bis zum letzten Atemzug der beteiligten Gestalten unzählbar viele Möglichkeiten, den Streit zu beenden, sowohl von menschlicher als auch göttlicher Seite. Wir wissen zumindest, wie´s ausging...
Ich denke einfach nur, wenn wir uns ab und an mal an die eigene Nase fassen würden, uns nicht so unglaublich wichtig und unfehlbar fänden, wäre dem Rest des Planeten, einschliesslich aller nichteuropäischen, nichtweissen Menschen ein grosser Dienst erwiesen. Aber wo ein Grund ist Streit zu suchen, da tun wir das und finden ihn auch. Deswegen müssen alte, weisse Männer ums Verrecken um die Präsidentschaft eines Landes kämpfen, das sie nicht die Bohne interessiert. Und deshalb machen das alle mit und halten das für bedeutsam, obwohl vielleicht ein umfallender Sack Reis in China mehr Auswirkungen hat.
Ich hab vor ein paar Jahren ernsthaft versucht, Kant zu lesen. Der hat erstmal runde dreissig Seiten Einleitung dafür gebraucht, zu erklären, warum er klüger sei als seine Zeitgenossen. An jeder zweiten Ecke kommt bei ihm das Argument, daß was so ist, weil das so ist. Er hat nur grandios viele schwierige Sätze gefunden, das auszudrücken, und man kommt sich ziemlich automatisch ziemlich doof vor. "Dann bin ich halt doof", hab ich gedacht und hab das Kantstudium wieder beendet. Ich habs ja gesagt, mit mir keine Flipsofloppsie...
Also: es ist meiner Überzeugung nach sicher nicht der Kapitalismus an irgendetwas "schuldig", sondern einfach der Mensch ein Lebewesen, das aufgrund seiner Fähigkeiten auch die der Selbstüberschätzung recht weit entwickelt hat. Und ich glaube nicht, daß sich davon irgendeiner ausnehmen kann, auch ich nicht. Wir haben gelernt, uns zu vergleichen, und wir halten das halt für "Wahrheit", wenn uns beim Ergebnis bestätigt wird, daß wir die besten sind. Und wir fangen an nachzudenken, wenn wir bei dem Vergleich schlecht abschneiden. Da machste nix dran...
Und einer der meiner Meinung nach klügsten und freundlichsten Leute, nämlich Friedrich Schiller, hat mal gesagt: "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." Ganz bestimmt kein dummer Satz, um diesen Post zu beenden.
In diesem Sinne: Happy Simming!
