Diesmal gibt es nicht so viele Lupenbilder, die Bilder in dieser Szene geben das nicht wirklich her.
Und ein kleiner Hinweis vorab: in diesem Kapitel wird etwas erwähnt, das mir beim Schreiben das Leben so richtig, richtig schwer gemacht hat.

Und auch noch in Zukunft schwer machen wird.
Und jetzt wünsche ich euch viel Spaß!
„Störe ich?“, sagte ich laut, und Runcal fuhr zu mir herum.
„Ein kleiner Zank unter Liebenden?“, grinste ich.
Runcal kniff die Augen zusammen, er wirkte völlig fassungslos.
Einen Moment lang starrte er mich nur an.
„Du hast nicht die geringste Vorstellung davon, was du da eigentlich tust, oder?“, sagte er dann langsam.
Unbeirrt legte ich den Kopf schief, sah mich demonstrativ im Raum um und begann, eine kleine Melodie zu pfeifen.
Runcal schüttelte langsam den Kopf und blinzelte. Er öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder.
„Du bist so ...“ Er verstummte, ihm schienen die Worte zu fehlen.
„Unerschrocken?“, schlug ich vor. „Tapfer? Mutig?“
Immer noch starrte er mich an.
Ich legte den Kopf schief und grinste. „Gutaussehend?“
Bevor ich erfassen konnte, was geschah, war er bei mir. Seine Hand umfasste mein Kinn mit stählernem Griff, und er presste meinen Kopf gegen die kalte Wand.
04
Schmerzhaft fühlte ich, wie seine Hand meinen Kiefer zusammenpresste wie in einem Schraubstock.
Es tat weh. Obwohl mein Körper eigentlich nicht hier war.
Seine Augen waren dicht vor mir, und was ich in ihnen lesen konnte, erschütterte mich bis ins Mark.
Ich spürte, wie sich die feinen Härchen in meinem Nacken aufrichteten.
Zum ersten Mal hatte ich wirklich Angst vor ihm.
05
„Dumm.“
Er spie mir das Wort entgegen, voll kalter Verachtung.
„Du weißt überhaupt nicht, worum es eigentlich geht“, presste er hervor.
„Sieh dich vor, kleine Neiyra. Du spielst mit etwas, das du weder einschätzen noch kontrollieren kannst. Und die Folgen könnten fatal sein. Nicht nur für dich, sondern auch für jene, die du liebst.“
Er lockerte den Griff um mein Kinn, dann ließ er los und trat ein, zwei Schritte zurück.
„Ich muss zugeben“, sagte er dann, „dass du voller Überraschungen steckst. Du bist tatsächlich eine der wenigen Variablen in meiner Gleichung, die ich nicht ganz durchschauen kann.“
Er runzelte die Stirn.
„Und es gibt ein paar Geheimnisse um dich herum, die ich noch nicht entschlüsseln konnte.“
Er musterte mich von Kopf bis Fuß.
„Warum wurdest du weggegeben, kleine Neiyra?“, rätselte er.
„Dein Vater ist ein offenes Buch für mich, aber er kennt den Grund nicht.“
Ich versuchte, mir mein Entsetzen nicht anmerken zu lassen.
Was hatte er mit Gwern getan?
„Wie auch immer“, fuhr Runcal leichthin fort, „Du hast dich ausgezeichnet erholt. Deine Verletzung war schwer, es sah nicht gut für dich aus. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass du stirbst. Ich freue mich, dich wohlauf zu sehen.“
„Hört auf zu lügen!“, stieß ich wütend hervor.
„Ihr seid falsch durch und durch. Ihr habt mich in meinen Träumen aufgesucht, mir vorgegaukelt, mein Freund zu sein, und mir einen Haufen Lügen aufgetischt, um mein Vertrauen zu gewinnen.“
Runcal hob eine Augenbraue, dann lachte er spöttisch.
„Ich lüge nicht“, sagte er verächtlich.
„Niemals. Jedes Wort, das ich zu dir sagte, war die reine Wahrheit. Was du aus meinen Worten heraushören wolltest, was du in mir sehen wolltest, was du für dich brauchtest, ist nicht meine Sache.“
Erschüttert sah ich ihn an.
Das war etwas, über das ich nachdenken musste. Aber nicht jetzt. Nicht hier.
„Warum habt Ihr geholfen, Euren eigenen Zauber zu brechen?“ , fragte ich langsam.
Er lachte. „Ich denke, das weißt du sehr gut, oder?“
Bedächtig neigte er den Kopf.
„Ein weiterer Zug in diesem Spiel, auf dem Weg zum gewünschten Ergebnis. Mártainn und Shainara hätten es niemals ohne meine
Hilfe herausgefunden, nicht wahr? Also brauchten sie einen kleinen Schubs, damit das Ritual überhaupt stattfinden kann.
Und nun - Artair und all seine Getreuen, Mártainn und seine Druiden, Shainara mit ihren Priesterinnen, sie sind alle auf diesem jämmerlichen Ritualplatz in diesem trostlosen Cul’Dawr Gebiet versammelt, und bereiten sich auf das Ritual vor, das sehr bald stattfinden wird.“
Er lächelte.
„Zur Tag- und Nachtgleiche, in dreizehn Tagen, um genau zu sein.“
Ich versuchte, mir meinen Schrecken nicht anmerken zu lassen.
Er kannte das Datum.
„Man sollte meinen, sie würden das Ganze abblasen, wo sie doch wissen, dass
ich es war, der ihnen die Anleitung gegeben hat, wie man die Kinder retten kann. Aber doch nicht unser edler Artair.“
Er machte eine abfällige Bewegung mit der Hand.
„Unser perfekter König wird selbstverständlich sein eigenes Leben riskieren für eine Handvoll wertloser Gören eines Volkes, das bis vor fünf Minuten noch zu den Feinden des südlichen Königreiches gehörte. Wie durchschaubar.“
Ein herablassender Zug lag um seine Mundwinkel.
„Das macht dieses Spiel so amüsant und unterhaltsam. Natürlich haben Shainara und Mártainn Vorkehrungen getroffen, um Artair zu schützen; jetzt, nachdem sie wissen, dass
ich ihnen gesagt habe, was zu tun ist. Aber wer weiß?“
Er lächelte kalt, und ich fröstelte.
15
„Wie hoch schätzt du wohl die Wahrscheinlichkeit ein, dass Artair dieses Ritual überlebt?“, flüsterte er mir zu.
„Das Ritual selbst wird ihn töten, oder der Schmerz. Und es gibt nichts, was Mártainn oder Shainara dagegen tun können. Dafür habe ich gesorgt.“
Er verschränkte die Arme und sah mich abwägend an.
Ich versuchte krampfhaft, keine Regung auf meinem Gesicht zuzulassen.
„Sein Vater ist auf diese Art gestorben, weißt du“, erzählte er, und der unverbindliche, sanfte Plauderton jagte mir einen Schauder über den Rücken.
17
„Es war sehr interessant. Er war genauso ein Schwachkopf wie Artair, Ehre und Verantwortung standen in großen Lettern auf seine Stirn geschrieben.
Und ich habe dafür gesorgt, dass genau das sein Tod war. Er starb sehr langsam und qualvoll, als er versuchte, seine Frau und die Wachen, die sie begleitet hatten, vor den Schmerzen, die ich für sie bereit hielt, zu schützen; und er hat alles gegeben, um seine Frau und das Kind abzublocken und die Schmerzen auf sich zu nehmen.
Er war zäh und hat nicht nachgegeben, das muss ich zugeben, aber was hat ihm das letzten Endes genützt? Ich hätte sein Leben nicht verschont, aber er hätte auch leichter sterben können.“
Verwirrt sah ich ihn an.
„Welches Kind?“
Er grinste, und dann wurde es mir klar.
Ashvana hatte ein Kind erwartet. Einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester für Artair.
Erschüttert schloss ich einen Moment die Augen.
Niemals, niemals durfte Artair das erfahren.
„Sie waren nur der Anfang einer langen Reihe, die folgen wird“, fuhr er scheinbar unbeteiligt fort.
„Artair, Rhiannon, dein Vater, deine Schwestern. Niemand wird verschont werden.“
Er legte seinen Kopf schief und musterte mich erneut.
„Auch du nicht, am Ende“, sagte er, und ich konnte kein Bedauern in seiner Stimme erkennen.
„Aber es war nett mit dir. Dein Vertrauen in mich hat dem Spiel einen besonderen Reiz verliehen. Und es war auch nützlich.“
Wieder lächelte er kalt, und von jetzt auf gleich war der Plauderton verschwunden. Er trat einen Schritt auf mich zu.
20
„Und jetzt wollen wir doch mal sehen, warum du hier bist, kleine Neiyra.“
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Stammbaum ~
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